Estienne, Robert (1503-1559); Gesner, Johann Matthias (1691-1761): Novus Linguae Et Eruditionis Romanae Thesaurus / Post Ro. Stephani Et Aliorum Nuper Etiam In Anglia Eruditissimorum Hominum Curas Digestus, Locupletatus, Emendatus ... A Io. Matthia Gesnero. - Lipsiae : Impensis Casp. Fritschii Viduae et Bernh. Chr. Breitkopfii, 1749. 2° - Band 1: [A - C]. - [23] Bl., 1346 Sp. - Band 2: D - K. - [1] Bl., 1272 Sp. - Band 3: L - P. - [1] Bl., 1196 Sp. - Band 4: Q - Z. - [1] Bl., 1148, 292 Sp. - Satzspiegel: 34,3 x 19,1 cm - Signatur: Wk 2224-1/2 und Wk 2224-3/4
Inhalt
Index Etymologicus
Einführung:
Der gelehrte Pariser Drucker Robertus Stephanus (Estienne, 1503-1559) hatte in seinem "Dictionarium, seu Latinae linguae Thesaurus" (zuerst 1531f.) den Sprachgebrauch ausgewählter Autoren von Plautus bis Martial dokumentiert, um den Studierenden eine Grundlage für den mündlichen und schriftlichen Gebrauch der reinen Latinität an die Hand zu geben. Ihm lag daran, diejenigen in Gebrauch gekommenen lateinischen Vokabeln, die nicht durch die besten antiken Autoren legitimiert sind, auszuscheiden. Zugleich verfolgte er mit der Fülle der angeführten Belege und ihrer übersichtlichen Anordnung das Ziel, die Verwendung der lateinischen Sprache in Wort und Schrift durch Beispiele zu formen. Es handelte sich bei bei diesem Lexikon also nicht um eine Bestandsaufnahme der frühneuzeitlichen Latinität, sondern um eine in der Tendenz normative Zusammenschau des Sprachgebrauchs der römischen auctores.Johann Matthias Gesner (1691-1761), Professor der Poesie und Rhetorik und Leiter der Universitätsbibliothek zu Göttingen, unterstreicht mit seiner Titelformulierung "Novus Linguae Et Eruditionis Romanae Thesaurus" diese von Stephanus herrührende Ausrichtung des Lexikons: "Romanae" verweist auf die Antike, "Eruditionis" auf die humanistische Bildung, die durch intensive Nutzung des Werks erworben werden könne. Denn zugleich mit den Wörtern werden Vorstellungen und Gegenstände des römischen Lebens und Denkens präsentiert. So empfiehlt Gesner auch eine - artikelweise oder fortgesetzte - "Lektüre" des Wörterbuchs (Praefatio fol. E1b, lin. 11f.)! Außerdem könne das Werk als Kommentar zu allen Texten der römischen Literatur dienen, indem es schwierige Vokabeln erläutert und dunkle Stellen erklärt. Die Textphilologie der Frühen Neuzeit mit ihren Kommentaren, Einzelbeobachtungen und Emendationen ist in die Textkonstitution, semantische Einordnung und Annotierung der ungezählten Zitate eingeflossen. Darüber hinaus bietet das Lexikon unter den Namen der Helden literarischer Werke ein Resümee der sie betreffenden Handlung (s. z. B. unter "Acontius" das "argumentum" von Ovid: Epistulae heroidum 20 & 21). Als historisches Namenlexikon jedoch will das Wörterbuch nicht dienen (s. im Artikel "CLAVDIA Gens" die Bemerkung "Claudios ipsos recensere alterius instituti est").
Robert Estiennes "Thesaurus Linguae Latinae" wurde im 16. Jahrhundert noch viermal aufgelegt (Paris 1536 und 1543 Hg. R. Estienne, Venedig 1551 Hg. Mario Nizzoli, Lyon 1573 Hg. Robert Constantin), fand dann aber erst im 18. Jahrhundert wieder Bearbeiter (London 1734f., Hg. Edmund Law, John Taylor, Thomas Johnson und Sandys Hutchinson; Basel 1740-1743, Hg. Anton Birr). Zumindest in Deutschland verdrängte ihn lange Zeit der "Thesaurus eruditionis scholasticae", zuerst 1571 von dem Schulmann Basilius Faber (um 1520 - 1575 oder 1576) herausgebracht und bis 1749 nicht weniger als 24 Mal neu aufgelegt. Berühmte Gelehrte wie August Buchner (1591-1661), Christoph Cellarius (1638-1707), Johann Georg Graevius (1632-1703) und zuletzt J. M. Gesner selbst (1726 und erneut 1735) widmeten sich der Vervollkommnung dieses Werks, das viele von dem "Stephanus" verschmähte neuere Vokabeln und Eigennamen aufnahm und auch deutsche Äquivalente bot. Die zugleich in Leipzig und den Haag verlegte Ausgabe von 1735 enthielt überdies französische Entsprechungen. (Diese Fassung kam 1749 in Leipzig noch einmal im kleineren Quartformat heraus.)
Warum der vielbeschäftigte Gesner sich, nach Fabers "Thesaurus", von etwa 1739 an noch den "Stephanus" vornahm, dem er von 1745 bis zum glücklichen Abschluß im September 1748 den größeren Teil seiner Arbeitskraft widmete, ist aus seiner "Praefatio" teilweise zu erschließen. Gesner sah in dem konsequent einsprachigen Wörterbuch, das sich auf das verbürgte antike Vokabular (bis zu Isidor von Sevilla, um 600) beschränkt und didaktisch überlegt organisiert ist, ein im Kreise der zahlreichen zeitgenössischen Lexika (er verweist u. a. auf Zedlers "Universal-Lexicon") gerade durch seine Begrenzung wertvolles, zeitsparendes und preisgünstiges Angebot. Zu einer pedantischen Gelehrsamkeit, die in Wörterbüchern wie auch in Kommentaren vieles anhäuft, was den lernenden Leser nur beschwert, hielt Gesner zeitlebens Abstand (Praefatio fol. e1b). Wenn er sich als Bearbeiter weniger dem Beibringen neuen Materials, das der ihm zugeordnete Göttinger Bibliothekar und Mediziner Georg Matthiae (1708-1773) besorgte, als vielmehr einer sinnvollen Gliederung größerer Artikel, einer passenden Zuordnung der Belegstellen und deren Erläuterung widmete, so machten sich darin sein pädagogisches Engagement und seine Freude am reflektierenden Umgang mit der römischen Gedankenwelt geltend (fol. c1b). Als Anreiz kam hinzu, daß die von Gelehrten der Universität Cambridge bearbeitete Londoner Ausgabe des "Stephanus" eine gute Ausgangsbasis darstellte, zugleich aber reichlich Gelegenheit zur Straffung und Reorganisation der Artikel bot. Als Georg II. August (1683-1760), Kurfürst von Hannover und König von Großbritannien, 1748 seine junge hannoversche Landesuniversität zu Göttingen, die "Georgia Augusta", besuchte, konnte Gesner ihm die Bearbeitung des Londoner "Stephanus" schon feierlich präsentieren.
Gesner über seine Arbeit (aus der "Praefatio"):
Über die Schätzung der lexikographischen Arbeit: (Darüber zu reden) "non valde necessarium est, cum Lexicis contingat, quod mulierculis: cum diu in eas invecti sunt viri, ultro ad eas supplicatum veniunt, et commoditatibus illarum uti gaudent." (= ist kaum nötig, da den Wörterbüchern das gleiche widerfährt wie den Frauen: Wenn die Männer lange genug über sie geschimpft haben, gehen sie doch wieder aus eigenem Antrieb zu ihnen, um Abbitte zu tun, und nutzen gerne, was sie an Annehmlichkeiten bieten." (fol. c1b)
Über das Vorgehen bei der Bearbeitung des Lexikons (fol. c2a): Die Londoner Ausgabe wurde von Georg Matthiae (s.o.) mittels lexikographischer Spezialliteratur angereichert, dann auf Gesners Anweisung durch denselben von Redundanz befreit und dadurch erheblich gekürzt. Dieses Material bearbeitete Gesner in folgender Weise:
- Er schied aus, was nicht in ein Wörterbuch, sondern in ein allgemeines Lexikon (vgl. z.B. J. J. Hofmann: Lexicon universale) gehört, nämlich Stichwörter wie "Hafnia, Haga Comitis, Heraldus, Heraldica, Herbipolis, Iaponia, Impressor h.e. Typographus, Raphael, Rhasis Medicus Arabs, Rhodiginus, Rofredus, Ruellius, Runcaliae, Semhammephoras, Sina, Valasca Bohemiae Regina, Varsovia".
- Er kürzte, wo Stephanus von den frühen Humanisten (Gesner nennt Erasmus, Budé, Turnèbe) weit ausholende Erklärungen übernommen hatte.
- Er tilgte, was der "Calepinus" und andere mehrsprachige Wörterbücher an volkssprachlichen Übersetzungen boten, zumal diese, wie Gesner bemerkt, im Bereich der naturkundlichen Nomenklatur oft allzu unsicher sind. Deutsche und französische Äquivalente finden sich in seinem "Thesaurus" nur im "Index etymologicus", einer nach Stammwörtern geordneten lateinischen Wortliste, die sein Schüler Johann Casimir Happach angefertigt hat (Bd. 4, 292 Sp.).
- Er überprüfte und korrigierte, was frühere Herausgeber von ihren Vorgängern auf Treu und Glauben übernommen hatten. Wo immer er Grund zum Verdacht fand, las er die Stelle in der besten neueren Ausgabe im Kontext nach, um ihr eine plausible Deutung beizugeben oder auch die Textgestalt oder Stellenangabe zu korrigieren.
- Er verbesserte die Reihenfolge und Gliederung der Artikel und die Anordnung der Zitate. Eine der semantischen Logik entsprechende Gliederung der Artikel gilt gemeinhin als Innovation Egidio Forcellinis (1688-1768; Totius latinitatis lexicon, 1771); Immanuel J. G. Scheller (1735-1803) habe diese Ordnung sichtbar und nutzbar gemacht (so Dietfried Krömer in Der Neue Pauly, Bd. 15, s.v. "Lexikographie"). Allerdings geht aus Gesners Praefatio wie auch aus den Lexikonartikeln selbst hervor, daß schon er diese Gliederung ganz bewußt durchgeführt hat (vgl. z.B. den Artikel "anima", dessen Einteilung beinahe dieselbe ist wie bei Forcellini), wenn auch noch nicht in dem von ihm selbst gewünschten Umfang: "Ordinem tum ipsorum capitum sive articulorum, tum exemplorum in capitibus saepe immutavi equidem, saepius idem facturus, nisi magis necessariis impendere illam operam, et errorum novorum occasiones, subtrahere operis scriptoriis et typographicis maluissem." (fol. d1b) (= Die Anordnung der Abteilungen [sc. innerhalb eines Artikels] wie auch der Belege innerhalb einer Abteilung habe ich oft verändert, und ich hätte es noch öfter getan, wenn ich es nicht vorgezogen hätte, die dafür nötige Mühe dringlicheren Aufgaben zu widmen, auch den Schreibern und Setzern keinen Anlaß zu neuen Fehlern zu geben.)
- Er ergänzte und vermehrte das vom Londoner "Stephanus" gebotene Material - weniger die Zahl der Artikel als Zahl und Umfang der Zitate und der zugehörigen Erläuterungen: "Adieci nempe verba quidem nova non multa, ... sed tanto plus formularum, quae observatione dignae videbantur, tanto plus illustrium locorum, et sententiarum, tanto plus interpretationum, qui hoc in primis consilii habuerim, si possit paulatim in unum opus congeri totum illud genus annotationum et observationum, quo margines librorum antiquorum in splendidis et optimis alioquin editionibus impleri solent: quae res illud habet incommodi, ut eaedem observationes aut plurimis locis et libris adiiciendae sint, aut ibi, ubi non minus illis opus erat, desiderentur." (fol. d1b) (= Neue Wörter habe ich freilich nur wenige hinzugefügt, - doch umso mehr an Redewendungen, die der Aufmerksamkeit wert schienen, umso mehr an bedeutenden Zitaten und Sentenzen, umso mehr an Erläuterungen, da ich vor allem darauf abzielte, nach und nach in einem einzigen Werk all das zusammenzuführen, was an Anmerkungen und Beobachtungen in Textausgaben der Alten, seien sie sonst auch noch so gut ausgestattet und gediegen, gewöhnlich dicht gedrängt am Seitenrand geboten wird; diese Praxis hat den Nachteil, daß dieselben Beobachtungen entweder an vielen Stellen und in vielen Büchern angebracht werden müssen oder aber dort, wo sie ebenfalls nötig wären, fehlen.)
Die Quellen der den Belegen gelegentlich hinzugefügten Interpretationen gibt Gesner in der Regel nicht an. Bei einem per se kompilatorischen Werk wie einem Wörterbuch hält er das für unnötig - auch der Nutzer pflege ja in seinen Schriften nicht anzugeben, wo er eine dem Wörterbuch entnommene Information gefunden hat. "Unde habeas nemo quaerit, sed oportet habere." (fol. d2a)
Abschließend (fol. d2b) sagt Gesner, daß auch sein Lexikon nicht vollkommen sei. In der Endphase der Arbeit habe die Druckerei auf schnelle Ablieferung der Druckvorlagen gedrängt. Er führt selbst einige Korrekturen auf und regt seine Leser zu weiterer Verbesserung an. Die Zeilenzählung zwischen den Spalten diene der Bezugnahme auf Stellen, die zitiert, korrigiert oder ergänzt werden sollen. Wenn einer jedoch seine Arbeit lieber schmähen wolle, dann halte er ihm die Verse entgegen, die Catull an ein Mädchen richtete, das ihm nicht die geringste Aufschneiderei durchgehen ließ (c. 10, 33f.): "Sed tu insulsa male et molesta viuis / Per quam non licet esse negligentem."
Einige Hinweise zur Benutzung des Lexikons:
Graphie: Gesner schreibt durchgängig "i/I", nicht "j/J", immer u im Wortinnern und v in Anfangsstellung, als Majuskel nur V (auch im Wortinnern), "sumtus, emtus, contemtus" ohne p, "litera" ohne Gemination. Ganz überwiegend jedoch entspricht die Schreibung unserer (von Philologen des 19. Jahrhunderts geregelten) lateinischen Orthographie; so fehlen die in der Frühen Neuzeit weithin üblichen Akzente, von Ligaturen und Abbreviaturen ganz zu schweigen. Die prosodischen Zeichen für Länge und Kürze der Vokale finden sich nur im Lemma, allerdings bei weitem nicht immer.
Reihenfolge der Lemmata: Ableitungen (nicht aber Komposita) stehen im Anschluß an das Grundwort. Diese für heutige Nutzer verwirrende, jedoch die Musterung einer Wortfamilie erleichternde Anordnung wird von uns durch einen automatisch alphabetisierten Index der Lemmata (mit Link vom Stichwort zu der betreffenden Bildseite) komplementiert werden.
Gliederung der Artikel: Lemma in Majuskeln; Flexionsformen, elementare grammatische Angaben (keine Details, wie z.B. Forcellini sie reichlich bietet); ggf. griechische Äquivalente, aber keine griechischen Zitate, wie Fabers Thesaurus sie enthält, auch keine Übersetzung in andere Sprachen; Definition der Grundbedeutung; Belegstellen. Innerhalb eines größeren Artikels numerierte Abschnitte, die zumeist die unterschiedlichen Bedeutungen, gereiht nach semantischer Logik bzw. Entwicklungsgeschichte, darstellen, manchmal aber auch eine formale Gliederung (z.B. "3. epitheta et formulae") widerspiegeln. Das erste Zitat nach der Definition oft mit nachgestellter, die weiteren mit vorangehender Stellenangabe. Erläuterungen des Lexikographen sind, allerdings nicht ganz konsequent, kursiv gesetzt, Auslassungen im Zitat durch "-" angezeigt, unvollständige Stellenangaben (z.B. ohne Zählung von Vers oder Absatz / Paragraph) durch Auslassungspunkte deutlich markiert.