Überblick über die THESAURUS-Editionen

Nolte, Johann Friedrich (1694-1754): Lexicon Latinae Linguae Antibarbarum Quadripartitum: Cum ... Recensione Scriptorum Latinorum Critica. Iterata Hac Editione ... Emendatum Ac Locupletatum ... / Accedit Praefatio Moshemii (Mosheim, Johann Lorenz von, 1693-1755). - Lipsiae; Helmstadii: Apud Christian. Frideric. Weygand. 1744. - 47, [1] S., 1938 Sp., [142] S. ; 4° - Satzspiegel 19,4 x 11 cm - Signatur: Wk 1396-1 (2. Ex.: Sch 101/333-1)


Inhaltsübersicht


Einführung:

Der Grammatiker Aelius Donatus verzeichnet um die Mitte des 4. Jh. n. Chr. unter dem Begriff „barbarismus “ (griech. „barbarolexis“) verschiedene Phänomene, die der Sprachnorm zuwiderlaufen, solche der Aussprache (v.a. Prosodie), der Schreibung (Gemination u.a.), der Lexik (z.B. „magalia“ aus dem Punischen) und der Lautfolge („malae compositiones, cacosyntheta“). Der Terminus „soloecismus“, der oft neben „barbarismus“ steht, wird schon von Cicero aus dem Griechischen übernommen. Er bezeichnet die syntaktische Normwidrigkeit und bezieht sich auf das verdorbene Griechisch, das viele Bewohner der Stadt Soloi in Kilikien trotz ihrer Herkunft aus Athen gesprochen haben sollen. Die Humanisten der Renaissance bekämpften das „barbarische“ Latein des Mittelalters. Sie stellten Auszüge aus der Ars grammatica Donats unter den Titel „De barbarismo, vitiis et tropis“. Der Titel „Antibarbari“ wurde durch Erasmus (1520) populär. Die zugrundeliegende (sprach-)historische Vorstellung formuliert Nolte so (Sp. 1893): „Sane tempus hoc reddidit sermonem barbarum, quo irrumpentibus in Italiam Gothis & Longobardis, cum Romani imperii decrementis ipsa quoque lingua Romana detrimenta patiebatur.“ (Barbarisch machte die Ausdrucksweise gewiß jene Zeit, in der die Goten und Langobarden in Italien einfielen und mit dem Rückgang der römischen Herrschaft auch die römische Sprache Schaden nahm.)

Der Typus des für den Schulgebrauch bestimmten lateinischen Lexikons normwidriger Ausdrucksweisen tritt in Deutschland im späten 17. Jahrhundert beinahe gleichzeitig in zwei Werken in Erscheinung: Seybold, Johann Georg (1620-1690): Antibarbarus Latinus Sive Promptuarium Cum singularum, tum iunctarum, Vocum seu phrasium & loquendi formularum, quae vel barbare, vel parum eleganter, vel in alienis significationibus, vel inepte satis a plerisque vulgo adhuc efferri solent. Norimbergae : Endterus, 1676. [8] Bl., 654 S., [93] Bl. ; 8° - Cellarius, Christoph (1638-1707): Antibarbarus Latinus : In VII. Classes distributus, Exemplis Scriptorum tum Augustei aeui, tum sequioris, illustratus, Cum Indice Verborum. Cizae : Keilius; Jenae : Bielkius, 1678. [9] Bl., 140 S., [4] Bl. ; 12°. Zum Thema der Reinigung der lateinischen Sprache in der frühen Neuzeit siehe: Von Eleganz und Barbarei : lateinische Grammatik und Stilistik in Renaissance und Barock / hrsg. von Wolfram Ax. - Wiesbaden : Harrassowitz, 2001 (Wolfenbütteler Forschungen; 59). Der späteste in diesem Sammelband behandelte Autor ist Cellarius.

Das handliche Werk des berühmten Schulbuchautors Cellarius wurde, maßvoll erweitert, mehrfach neu aufgelegt. Ihm trat 1730 Noltes wesentlich umfangreicheres „Lexicon Latinae Linguae Antibarbarum“ ([24] Bl., 976 S., [71] Bl.; 8°) zur Seite. Ein ohne Wissen des Autors 1743 in Venedig veranstalteter Neudruck dieses Werks bestätigt seinen Rang. Die vorliegende Neubearbeitung von 1744 übertrifft die erste Ausgabe an Umfang und gründlicher Durcharbeitung, wie Nolte im Vorwort (fol. c1a) stolz bemerkt: „Locupletavimus tamen nihilominus [d.h. trotz des Strebens nach Kürze] librum insigniter et tantopere, ut plane novus nunc videatur esse.“ Nolte behandelt mehr als 12.000 Stichwörter, wobei neben Fragen der Gebräuchlichkeit, der Bedeutung und der syntaktischen Fügung auch Zweifelsfälle der Schreibung und Prosodie erörtert werden. Er verteilt die Wörter auf fünf Abteilungen, die den jeweils behandelten Wortklassen oder Aspekten entsprechen: Orthographie; Prosodie; in ihrer Legitimität zweifelhafte Vokabeln bzw. Bedeutungen; seltene, aber zu Unrecht angezweifelte Vokabeln bzw. Bedeutungen; Wortfügungen, die zweifelhaft und/oder selten sind.

Sein reiches Material schöpft Nolte aus den wortgeschichtlichen Arbeiten zahlreicher Gelehrter, doch will er kein Sammelsurium, sondern einen Leitfaden für die Schule, besonders für die Hand des Lehrers, bieten. Die Sprache Roms, sagt er (fol. c5a), sollte nicht aus pragmatischen Gründen so lax gehandhabt werden, daß nur noch der offenkundige grammatische Fehler verpönt ist. Es gelte auch heute noch, den Schülern die Kraft und Reinheit des römischen Stils zu vermitteln, mag auch der Gebrauch der lateinischen Sprache in der zeitgenössischen Wissenschaft sich nicht in solche Grenzen fügen. Als sicheren Boden klassischer Latinität definiert Nolte die Werke der „Aurea Aetas“ vom zweiten Punischen Krieg bis zum Tod des Augustus. Unter den späteren Schriftstellern jedoch finde sich manch einer, der beinahe ebenso gediegen und vorbildhaft schreibe wie die Autoren der goldenen Zeit. Den überkritischen Stilrichtern hält er entgegen, daß es schwieriger sei, die Latinität eines Ausdrucks zu widerlegen, als sie durch Belege zu stützen (mit dem Titel einer Jenenser Dissertation von 1734: „aliqua Latine dici, negari difficilius, quam adfirmari“; s. Praefatio Nova, fol. c1b). Andererseits genügt ihm ein einzelner Beleg aus der klassischen Epoche noch nicht, um eine Ausdrucksweise als nachahmenswert zu legitimieren. Neben dem Vorkommen seien auch innere Kriterien heranzuziehen.

Ein Vergleich mit dem noch heute vielbenutzten „Antibarbarus der lateinischen Sprache“ von Johann Philipp Krebs (1771-1850; „Antibarbarus“ 1. Aufl. 1834, letzte Bearbeitung von J. H. Schmalz, Basel 1905-1907, letzter Nachdruck Darmstadt: WBG, 1984) läßt die Stellung von Noltes „Lexicon Latinae Linguae Antibarbarum“ in der Geschichte des gelehrten Unterrichts und der Philologie deutlich hervortreten.

Der Krebs/Schmalz besteht aus einer einzigen, alphabetisch geordneten Reihe von Wortartikeln. Er erläutert und belegt Bedeutung, Vorkommen und syntaktische Fügung von ca. 9.000 Vokabeln. Ziele und Nutzen seines „Antibarbarus“ umreißt Schmalz so: Er diene dem Lehrer, der lateinische Stilübungen korrigiert, als Richtschnur, ebenso dem Schüler, der „das lateinische Skriptum“ schreibt, und auch dem Philologen, der eine akademische Abhandlung noch in lateinischer Sprache verfaßt. Dem Wortforscher biete er eine gute Ausgangsbasis, da er in der philologischen Literatur weit verstreute Beobachtungen an einer Stelle zusammenführe.

Mit dieser allgemeinen Ausrichtung steht das jüngere Werk dem Nolte nicht fern. Doch im einzelnen zeigen sich große Unterschiede:
- Die Lemmalisten der beiden Antibarbari decken sich nur zum kleineren Teil.
- Krebs/Schmalz behandelt nicht die Orthographie. Das dürfte aus der im 19. Jahrhundert erfolgten Vereinheitlichung der Schreibung lateinischer Texte und der abnehmenden Benutzung älterer Editionen mit ihrer variantenreichen Graphie zu erklären sein.
- Krebs/Schmalz weist nicht auf prosodische Zweifelsfälle hin. Wahrscheinlich verloren diese im 19. Jahrhundert an schulischer Relevanz, da die Übung in lateinischer Mündlichkeit und Versifikation abnahm.
- Frappant ist die Differenz des wissenschaftsgeschichtlichen Horizonts: Während Nolte sich mit der gesamten frühneuzeitlichen Lexikographie und Wortforschung auseinandersetzt und seinen Leser zu ihr hinführt, benützt Schmalz (1846-1917) unmittelbar nur noch die Arbeiten seiner eigenen Generation (ca. 1870-1907). Namen wie Vossius oder Nolte sucht man in seinem Literaturverzeichnis vergeblich.
- Der von Krebs/Schmalz angewandte Maßstab stilistischer Bewertung ist die klassische Prosa eines Cicero und Caesar. Andere Autoren seien nur mit gewissen Einschränkungen zu benutzen. Eindringlich warnt Krebs/Schmalz z.B. vor der allzu poetischen Diktion eines Livius. Noltes Abgrenzung vorbildlicher Latinität ist, wie wir oben sahen, weniger eng. In der Periodisierung folgt er Ole Borch (Borrichius, Olaus; 1626-1690): Cogitationes De Variis Latinæ linguæ ætatibus, & scripto Illustris Viri, Ger. Joann. Vossii de Vitiis sermonis. Kopenhagen, 1675.
- Krebs/Schmalz neigt zur scharfen Differenzierung der Sprachstufen und –schichten: altlateinisch – das ist alles vor Cicero; klassisch – „in engerem Sinne, d.h. für die Prosa, verstehen wir darunter nur die Zeit des Untergangs der Republik“, also Cicero und Caesar, mit Einschränkungen auch Cornelius Nepos, M. Terentius Varro und Sallust; nachklassisch – von Livius bis zu den Antoninen, d.h. bis gegen Ende des 2. Jahrhunderts; spätlateinisch – bis um 600 (Isidor von Sevilla); barbarisch (mittelalterlich); neulateinisch; poetisch; volks- oder vulgärsprachlich. So geht es dem jüngeren Antibarbarus weniger um die Sprachrichtigkeit als um den stilgerechten Sprachgebrauch nach den Regeln schulischer und akademischer Prosakomposition.
- Sowohl Nolte als auch Krebs/Schmalz bieten einen Überblick über die lateinischen Schriftsteller in ihrer zeitlichen Abfolge mit kritischer Bewertung ihres Stils, besonders ihres Wortgebrauchs. Während Schmalz dieses Kapitel (Historische Einleitung, S. 1-16) knapp faßt, spiegelt Noltes eingehende Darstellung die Präsenz zahlreicher Autoren der Spätantike, des Mittelalters und der frühen Neuzeit im gelehrten Horizont seiner Zeit wider. Nolte weist auch auf empfehlenswerte Editionen und Kommentare hin.

Noltes Antibarbarus stellt für alle, die lexikalische Phänomene der frühneuzeitlichen Latinität (einschließlich Schreibung und Prosodie) im Horizont ihrer Entstehungszeit sehen wollen, ein wertvolles Komplement zu den gebräuchlichen Lexika der lateinischen Sprache dar. Auf zwei interessante Abschnitte sei besonders hingewiesen: Am Ende der Pars Prosodica finden sich Merkverse zu homonymen, quasihomonymen und quasisynonymen lateinischen Vokabeln (Sp. 381-396). Sp. 1921-1934 gibt Nolte einen Überblick über die lateinische Lexikographie der Frühen Neuzeit.

Johann Friedrich Nolte (Noltenius), 1694 in Grubenhagen bei Einbeck (Nds.) geboren, studierte ab 1714 in Helmstedt Theologie. Nach dem Tod seines Vaters Ende 1716 wurde er auf dessen Stelle als Konrektor in Schöningen (östlich von Braunschweig) berufen, wo er, 1747 zum Rektor befördert, bis zu seinem Tod 1754 blieb. Berühmt wurde er durch sein "Lexicon antibarbarum", dessen Neubearbeitung von 1744 der berühmte Theologe und Kirchenhistoriker Johann Lorenz von Mosheim (1694-1755) durch eine Vorrede auszeichnete. Der Sohn des Autors, Johann Andreas Nolte (1724-1798), gab 1768 aufgrund der nachgelassenen Notizen des Vaters ein Supplement heraus. Die letzte Auflage erschien 1780.



Inhaltsübersicht:

Porträt;  Titel;  Widmung;  Praefatio Moshemii;  Praefatio nova;  Praefatio prioris editionis;  Conspectus 

Pars I. Orthographica, ea exhibens vocabula, quorum scriptura vel vitiosa vel suspecta vel obsoleta vel dubia est. 
A  B  C  D  E  F  G  H  I  K  L  M  N  O  P  Q  R  S  T  V  X  Y  Z 

Pars II. Prosodica, ea repraesentat vocabula, quorum quantitas in pronuntiando vel vitiosa, vel suspecta, vel anceps solet esse vel dubia. 
A  B  C  D  E  F  G  H  I  L  M  N  O  P  Q  R  S  T  V  X  Z 
Appendix: Differentiae etymologicae et prosodicae
A/C  D/E  F/I  L/M  N/P  R/S  T/V  Cognationes 

Pars III. Etymologica. Sectio Prior comprehendit vocabula, vulgo quidem, sed auctoribus neutiquam idoneis, aut non optimae notae, vel notione peregrinâ recepta. 
Ab  Ap  B  Ca  Co  D  E  F  G  H  Ia  Io  L  M  N  O  Pa  Pr  Q  R  S  T  V  Z 

Pars III. Etymologica. Sectio Posterior in scenam producit vocabula falso suspecta; raro usurpata; a Graecis petita; Poetis, Oratoribus, Historicis, Graecis, vel uni alicui scriptori plane propria; Singularis, at vulgo neglectae notionis aut observationis; notabili differentiae Synonymicae obnoxia; a Latinis quidem, sed numquam aureae aetatis scriptoribus usurpata; & tandem particularum significatum & usum, notabiliorem praesertim & elegantiorem. 
Aa  Am  B  Ca  Co  D  E  F  G  H  Ia  Ir  L  M  N  O  Pa  Pr  Q  R  S  T  V  Z 

Pars IV. Syntactica Locutiones sistit vitiosas; suspectas; notione peregrinâ receptas; immerito damnatas; raro usurpatas; Poetis, Oratoribus, Historicis, Graecis, vel uni alicui scriptori plane proprias; variae constructioni obnoxias; tum per se, tum pro constructione diversa diversos significatus habentes; propter singularem, at vulgo neglectam elegantiam, vel alio quodam nomine bene notandas. 
Aa  Am  B  Ca  Co  D  E  F  G  H  Ia  In  L  M  N  O  Pa  Pr  Q  R  S  T  V 
Appendicis loco apparet ad calcem Series Latinorum Scriptorum secundum quattuor, quas Grammatici fere constituunt, aetates, de singulorum stilo & scriptis, eorumque praestantioribus editionibus, ex doctissimorum virorum iudiciis, non nulla scitu jucunda non minus, quam necessaria subjungens. 
[Conspectus];  Aurea Aetas;  Argentea Aetas;  Aenea Aetas;  Ferrea Aetas partim, partim Figlina;  Latinitatis Restitutores;  Lexica Latinae linguae 

Index I. Scriptorum veterum ac recentiorum, qui in hoc Lexico vel allegantur, vel speciatim laudantur, vel dijudicantur, vel illustrantur, vel emendantur. 
A  B  C  D  E  F  G  H  I  K  L  M  N  O  P  Q  R  S  T  V  W  X  Z 

Index II. Rerum. 
A  B  C  D  E  F  G  H  I  K  L  M  N  O  P  Q  R  S  T  V  Z 

Index III. Vocabulorum Et Locutionum Omnium, Quae In singulis Lexici Hujus Antibarbari Partibus tum in ipsa serie, tum extra seriem in medio sermonis contextu occurrunt. 
A  B  C  D  E  F  G  H  I  K  L  M  N  O  P  Q  R  S  T  V  W  X  Y  Z 

Omissa , Hypomnemata , Sphalmata 

Hinweis: Zum Auffinden der Worteinträge in den fünf Alphabeten dieses Lexikons dient der Index III.



Maschinenlesbarer Text:

Praeliminaria; Pars I. p. 5 - 196      

Pars II. p. 201 - 396      

Pars III. p. 402 - 776      

Pars III. p. 782 - 1228      

Pars IV. p. 1234 - 1542      

Pars IV. p. 1543 - 1938      

Caveat lector:   Einen zitierfähigen Text bietet nur das Abbild des Originaldruckes.


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