MATEO - Mannheimer Texte Online


Hansmeier: Hypermediale Programme


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4 Integrierte Materialien

Im folgenden werden die in das Programm aufgenommenen Materialien vorgestellt, bei denen es sich überwiegend um authentische (118) handelt, ihre Potentiale für den Fremdsprachenunterricht und den fremdkulturellen Verstehensprozeß aufgezeigt und ihre Auswahl erläutert. Das Angebot an Materialien, die sich mit dem Themenfeld "Essen und Trinken" beschäftigen, ist sehr groß. Die getroffene Auswahl aus der Fülle versteht sich daher als ein exemplarisches Angebot, das zudem wie bei der Erstellung jeglichen Lehr-materials von dem Autor abhängig und daher subjektiv ist. Das Material ermöglicht dem Lerner ein themengeleitetes, autonomes, kritisches Lernen und ein exploratives Lesen, das an bestimmten Stellen vertieft und erweitert werden kann.(119) Dieses Textangebot fordert den Lernenden in doppelter Hinsicht zur Eigeninitiative auf. Er entscheidet, welche Materialien er konsultieren will, setzt sich selbständig mit den vorgestellten Inhalten auseinander, ordnet diese in den weiteren Kontext von Gesellschaft und Geschichte ein und interpretiert sie, zieht auf dieser Grundlage seine Schlüsse. Zudem nimmt er aktiv und kreativ an der Gestaltung der Inhalte teil, da er sie mit eigenen Materialien, aus der eigenen Alltags- und Erfahrungswelt und auf Grund von Recherche, erweitert.

Die Vielfalt und Reichhaltigkeit an Texten unterschiedlicher Herkunft wie z.B. Zeitungs- und Zeitschriftenartikel, Videosequenzen der unterschied-lichen Textsorten (Spielfilm, Unterhaltungssendungen, Reportagen etc.), medizinische, gesetzliche (120) und Benimm-Texte, Lieder, Reklame stellen unter anderem die Varietäten (regionale, soziale, politische, situative) der deutschen Sprache vor, eröffnen dem Lerner unterschiedliche Zugänge zu dem Thema, stammen aus verschiedenen historischen Epochen und verdeutlichen die Komplexität und die Heterogenität des Themas. An ihnen lassen sich gesellschaftliche Fragen, Zeitverständnis, schichtspezifische Konsumunter-schiede,(121) Zivilisationsentwicklungen und Politik aufrollen.

Die Erschließung des Themas geschieht nicht unter dem Aspekt der reinen Informationsvermittlung, sondern die politischen, sozialen, ökonomi-schen Bezüge sowie die historischen Rückblicke erklären dem Lerner, warum und wie sich bestimmte Formen entwickelt haben. (122) Damit werden für ihn befremdliche Erscheinungen und die Widersprüchlichkeit der deutschen Realität nachvollziehbarer und verständlicher. Erst im Zusammenspiel vieler Materialien, in der Variation von Ergänzung und Gegenüberstellung entsteht Sinn. Die Materialienvielfalt konfrontiert den Lerner mit vielen unterschied-lichen Perspektiven, die ihn zum Nachdenken bringen, seine Reflektion verlangen und sie fördern und die dann zur Bildung pluralistischer Sichtweisen führen. Die in das Programm aufgenommenen Materialien konzentrieren sich in der Form, in der es zur Zeit vorliegt, auf den Themenaspekt "Frühstück".(123)

Durch die Kombination unterschiedlicher Textsorten werden auch verschiedene Sinnesorgane (124) angesprochen. Weiterhin werden die unterschied-lichen Lernstile (ein Lerner prägt sich eher Zusammenhänge über Beispiele, ein anderer über schematische Darstellungen oder Texte etc. ein), berücksichtigt, die von einem Lehrbuchautor nur sehr eingeschränkt vorhersehbar und steuerbar sind. Diese multisensorische Darstellung der interpretierbaren Daten bringt eine Mehrfachaktivierung des Lernenden mit sich, die zu einer Aufnahme und Verarbeitung der Informationen führen.(125)

3.4.1 Videosequenzen

Das audiovisuelle Medium Video liefert unterschiedliche Textsorten wie z.B. Spielfilme, Unterhaltungssendungen, politische Sendungen, Nachrichten, Reportagen und Fernsehsendungen.(126) Die auf Video gespeicherten sich bewe-genden Bilder werden im Fremdsprachenunterricht primär als Träger und Vermittler von landeskundlichen und sprachlichen Informationen eingesetzt. Die Lernenden erleben so die Zielsprache in ihrer Ganzheit von Bild und Ton und nehmen an Kommunikationssituationen teil, in denen die totale Situation erkennbar ist. Die Sequenzen präsentieren wichtige Aspekte der zur Zielsprache gehörenden Realität und geben alle Komponenten dieser Wirklichkeit wie z.B. Gestik, Mimik, Geräusche und andere außersprachliche Mittel wieder. Diese Videosequenzen zeigen jedoch nur einen Ausschnitt der Wirklichkeit, deshalb müssen z.B. landeskundliche Dokumentationen kritisch betrachtet und darauf-hin analysiert werden, welche anderen Aspekte sie unterschlagen und was für ein Gesamtbild der dem Lerner fremden Gesellschaft entsteht. Der Einsatz von Zusatzmaterialien aller Art dient daher nicht der Festigung des durch die Videosequenz vermittelten Eindrucks und der gegebenen Informationen, sondern ergänzt und erweitert die Inhalte oder stellt das Gezeigte in Frage. Auch bei dem Genre des Dokumentarfilms, von dem man annimmt, daß das Präsentierte die Wirklichkeit spiegelt, wurde die Realität mehrfach gefiltert.(127) Der Autor wählt aus dem ihm zur Verfügung stehenden Repertoire Bilder und Interviews aus, die montiert und mit passenden Kommentaren hinterlegt werden, wobei er einer bestimmten Absicht folgt.

In unserer heutigen Gesellschaft kommt dem Medium Fernsehen eine besondere Bedeutung zu, und daher ist es auch wichtig, daß Fremdsprachen-lerner das ihnen Servierte kritisch und differenziert rezipieren und interpretieren.(128)

Die in dieser Arbeit ausgewählten und eingebauten Videosequenzen vereinen sowohl Instrumental- als auch Objekttexte,(129) wobei die Objekttexte überwiegen. Die ganze Vielfalt der Videotextsorten konnte nicht abgedeckt werden. Die Fernsehreklame, die unter anderem auch unter Videosequenzen fällt, wurde hier ausgeklammert und unter Punkt 3.4.1.8 besprochen.

Das vom Goethe-Institut 1988 herausgegebene Video Morgens erste Stunde Deutsch, das den Alltag einer 8. Realschulklasse in Schwerte dokumen-tiert, entstand anläßlich des Besuchs einer Schulklasse aus England. Diese Dokumentation enthält eine kurze Frühstücksszene (1.20 Minuten). Am Früh-stückstisch sitzen Mutter, Sohn und Tochter, die in aller Ruhe frühstücken. In dem Tischgespräch geht es um den Schulschluß der Kinder. Bei der Nennung einzelner Nahrungsmittel während des Gesprächs ("Was möchtest du denn für Wurst drauf?" "Knut, gibst du mir mal eben die Marmelade?" etc.), werden diese danach in Nahaufnahme präsentiert.

Der immer wieder eingeblendete gedeckte Frühstückstisch gibt einen guten Überblick über die bei einem Frühstück in Deutschland zu findenden Lebensmittel, das Geschirr und das Besteck. Auf dem Frühstückstisch sind Milch, Kondensmilch/Kaffeesahne, Marmelade, verschiedene Wurstsorten (Fleisch-, Leber-, Blut- und Mettwurst), verschiedene Brotsorten (Brötchen, Grau- und Schwarzbrot), Käse, gekochte Eier, Rübenkraut, Butter, Honig, Kaffee, Flüssigwürze, Salz, Orangensaft und Kakaopulver zu sehen. Als Geschirr werden Tassen und Holzbretter benutzt, und das verwendete Besteck besteht aus Eier- und Teelöffeln, Gabeln und Messern.

Als Verweismöglichkeiten innerhalb dieser Videosequenz würden sich z.B. Worterklärungen zu den einzelnen Nahrungsmitteln anbieten. Weitere Videosequenzen sollten vom Lerner aktiviert werden, um dem beschriebenen Frühstücksbeispiel nicht repräsentativen Charakter zu verleihen. Sprachlich ist diese Sequenz einfach gehalten, die Personen sprechen sehr deutlich und langsam. Bei Unklarheiten könnten entweder das Transkript des Gesprächs oder ein Glossar konsultiert werden. Der individuelle Lerner könnte z.B. das Glossar kulturkontrastiv erweitern. Weiterführende Texte zu den einzelnen Lebens-mitteln bieten sich auch an, wie z.B. eine Broschüre, die dem Lerner Tips zum Kauf, der Lagerung und Verarbeitung von Eiern gibt. Der Sketch Das Frühstücksei (2.10 Minuten) des deutschen Karikaturisten Loriot bietet sich thematisch bei dem Nahrungsmittel Ei an. Dieser Sketch zeigt ein Ehepaar, das am Frühstückstisch sitzt. Der Mann hat sein gekochtes Ei gerade geöffnet, starrt nachdenklich vor sich hin und beginnt nach einer längeren Denkpause das Gespräch mit seiner Frau. In dem Dialog geht es um die Konsistenz des gekochten Eis, die dem Mann nicht gefällt: das Ei ist zu hart. Er findet in der düsteren Ankündigung des Ehemannes ein dramatisches Ende: "Ich bringe sie um ... morgen bringe ich sie um...". Der für uns lustige und komische Sketch muß auf Lerner anderer Kulturen nicht unbedingt so wirken. In diesem Sketch dominiert die Wortsemantik, die Bilder haben eine untergeordnete Funktion.

Weitere dem Lerner zur Verfügung stehende Sequenzen stammen aus Videos, die vom Institut für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht herausgegeben wurden und die sich an die Schüler des Sekundarbereichs I und II aller Schultypen einschließlich der Fachoberschule und Fachschulen richten. Aus dem Video mit dem Titel Die Macht der Gewohnheit und dem Video Viele Wege führen zum Ziel wurden je eine Sequenz ausgewählt, die die Familie Lehmann beim Frühstücken zeigt. In einer der Sequenzen, die dem Video Die Macht der Gewohnheit entnommen ist, sitzt der Vater am Frühstückstisch und räsoniert zeitungslesend darüber, daß man "sich zum Frühstücken, einer der wichtigsten Mahlzeiten am Tag" ausreichend Zeit nehmen sollte. Die Mutter erscheint verschlafen am Tisch und erwidert die "Guten Morgen"-Begrüßung ihres Mannes mit einem "Ich brauch’ erst mal einen Kaffee". Die beiden Kinder finden sich nacheinander in letzter Minute am gedeckten Früstückstisch ein, auf dem sich ein "typisches" deutsches Frühstück befindet: Kaffee, Marmelade, Nuß-Nougat-Creme, verschiedene Wurstsorten, helles Brot, Zucker, Butter und Joghurt. Die Mutter macht ihrem Sohn noch schnell ein Brot mit Wurst, bevor dieser sich mit seiner Schwester auf den Weg zur Schule macht. Frau Lehmann, die, nachdem ihr Ehemann sich auf den Weg zur Arbeit gemacht hat, alleine am Frühstückstisch zurückbleibt, grübelt bei Zigarette und Kaffee über ihre Figurprobleme. In dem Ausschnitt des Videos Viele Wege führen zum Ziel sitzt Familie Lehmann gutgelaunt am Sonntagsfrühstückstisch. Vater Lehmann nimmt die Vollkornbrötchen erstaunt wahr, worauf sein Sohn ihm die Bestand-teile auflistet und auf ihren gesunden Aspekt hinweist. Das Frühstücksangebot zeigt eine Veränderung der Ernährungsgewohnheiten der Lehmanns, das Motto lautet jetzt richtige und gesunde Ernährung: Orangensaft, Milch, Käse, Voll-kornbrötchen und frisches Obst, und wie Herr Lehmann feststellt, an Stelle der von allen geliebten Blockwurst gibt es nun Magerquark zum Frühstück.

Dem 1987 erschienenen Spielfilm Man spricht Deutsch wurde eine Sequenz entnommen, in der zwei deutsche Urlauber in Italien, des italienischen Weißbrotes überdrüssig, ins Schwärmen über das heimische, deutsche Brot kommen. Der Mann gesteht seiner Gesprächspartnerin, daß ihm keine Men-schen fehlen, aber daß ihn "von Zeit zu Zeit die Sehnsucht nach einem richtigen würzig-duftenden herzhaftem Stück deutschen Schwarzbrot" überkommt. Irmgard, deren Urlaub zu Ende geht, erzählt ihm daraufhin, welches Brot sie als erstes kaufen wird, wenn sie wieder zu Hause ist: Sonnenblumenbrot, Kümmel-wecklen, Pumpernickel oder vielleicht Vollkornschnitten. Die Einträge des Wortatlasses der deutschen Sprache und seine Karten wären an dieser Stelle sehr aufschlußreich, da er die unterschiedlichen Begriffe für die Allgemein-bezeichnung Brot auflistet und diese dann regional zuordnet, erläutert, und definiert. Diese Videosequenz eignet sich zudem besonders, da sie einerseits den Lerner durch die Nennung relativ vieler Brotsorten auf die Vielfalt und die Bedeutung von Brot aufmerksam macht (130) und andererseits die Sehnsucht nach einem bestimmten Nahrungsmittel thematisiert, die für den Lerner bestimmt aus eigener Erfahrung sehr vertraut und nachvollziehbar sein wird, wenn er sich schon einmal für längere Zeit in einem anderen Land aufgehalten hat.

In vielen der sogenannten deutschen Endlosserien (131) werden beim Essen Probleme thematisiert und diskutiert. Ein Beispiel dafür ist die

Auseinandersetzung von Frau Beimer und ihrem Sohn Klaus während des Früh-stückes in der Fernsehserie Lindenstraße.(132)

3.4.2 Literarische Texte

Die Potentiale, die literarische Texte (133) für den Fremdsprachenunterricht besitzen, liegen in ihrem Eröffnen eines Zuganges zu der fremden Kultur und in dem Kommunikationsprozeß, den sie zwischen Text und fremdsprachlichen Rezipienten initiieren; denn Literatur zeigt, wie Menschen ihre belebte und unbelebte Welt wahrnehmen, erfahren und deuten. Sie ermöglicht so einen Zugang zu den subjektiv, kulturell und epochal geprägten Deutungsmustern einer anderen Kultur (Bredella 1986).

Literarische Texte arbeiten mit Konnotationen und Leerstellen,(134) die von dem jeweiligen Rezipienten subjektiv deutbar sind und individuell zu einem eigenen Text aufgefüllt werden. Sie fordern persönliche Deutungen, Wahrnehmungen und Urteile, berühren emotional und treffen auf das Vor-verständnis und die eigenen Erfahrungen des Rezipienten. Dieser ist aktiv und schöpferisch an der Sinnbildung beteiligt und kann sich in dem Prozeß der Interaktion selbst erkennen:

"Der literarische Text wird in pädagogischer Hinsicht bedeutsam, wenn wir erkennen, daß der Leser mit seinem Vorwissen, seinen geistigen Tätigkeiten, seiner Urteilskraft, seinen Gefühlen und Einstellungen an der Sinnkonstitution beteiligt ist. [...] Indem der literarische Text die Tätigkeiten und Fähigkeiten des Lesers aktiviert und seine Gefühle, Einstellungen und Wertvorstellungen anspricht, bereitet er dem Leser auch Freude und Vergnügen. Er kann sich als tätiges Wesen erfahren und sich in seinen Reaktionen erfahren" (Bredella 1985: 362).(135)

Literarische Texte, deren Themen sich zudem auf universelle Lebens-erfahrungen wie beispielsweise auf das Essen und Trinken beziehen, vermitteln dem fremdsprachlichen Rezipienten den Eindruck, mit diesem Aspekt vertraut zu sein und sind daher für ihn leichter zugänglich. Die Verwendung dieses Motivs verleiht den Erzähltexten Realitätsnähe; sie laden den Rezipienten zu einer direkten Teilnahme beim Essen und Trinken ein, wodurch eine direkte Beziehung zu dem eigenen körperlichen Empfinden entsteht. Beim Lesen kann einem das Wasser im Munde zusammenlaufen (beispielsweise bei dem Weih-nachtsmenü der Familie Buddenbrook), oder man ekelt sich zu Tode bei dem Beschriebenen, was z.B. das Aalessen in Grass’ Die Blechtrommel hervorrufen könnte (Haude 1996).

Das Motiv des Essens und der Mahlzeiten ist in der Erzählliteratur ein immer wiederkehrendes, und die angeführten Textausschnitte verstehen sich aus der Fülle der Darstellungen als exemplarische Auswahl, die jederzeit nach Interesse und Fokus zu erweitern ist.(136) Es wurden in diesem Rahmen keine Volksmärchen,(137) Kinder- und Jugendliteratur (138) und Trivialliteratur (139) berück-sichtigt.(140)

In ihrem Buch Blick aus Mandelaugen beschreibt die Japanerin Hisako Matsubara, die im Laufe ihres zwanzigjährigen Aufenthaltes in Deutschland gemachten Beobachtungen, ihre Erfahrungen, Wertvorstellungen und Verhal-tensweisen, die zu Mißverständnissen zwischen Fernost und West führen. In ihrem Vorwort heißt es:

"Von außen habe ich mich Deutschland genähert und es von innen kennengelernt. Japan kenne ich von innen heraus und habe durch meinen langen Europaaufenthalt liebevoll Abstand gewonnen. Jedes Jahr bin ich einige Monate zu Hause in Japan und fühle, wenn ich dort bin, daß Deutschland mir fast zum Zuhause geworden ist. Um beide beschreiben zu können, muß man beide lieben" (Matsubara 1980: 7).

Mit dieser doppelten Perspektive, die in ihren Beschreibungen erscheint,(141) kann sich nicht nur der japanische Fremdsprachenlerner, sondern der fremdsprachliche Leser generell identifzieren und auseinandersetzen. Die folgenden Ausschnitte aus ihrem Buch dokumentieren die Erfahrungen, den Prozeß der Annäherung und die Interaktion mit der fremden Kultur durch die Augen einer Japanerin, die wie der fremdsprachliche Lerner in eine fremdkul-turelle Lebenswelt versetzt wurde. Zusätzlich motivieren und inspirieren literarische Texte, die von Autoren nicht deutscher Muttersprache geschrieben sind, den Leser, selbst kreativ zu werden und die eigenen, ähnlichen oder abweichenden Erfahrungen in der Zielsprache festzuhalten.

In dem Abschnitt Knospenspitzenfrühlese schildert Hisako Matsubara die Reaktion, die japanischer grüner Tee bei einem ihrer Gäste auslöste. Seine Frage nach einem Stück Zucker wecken ihre Erinnerungen an ihren ersten Schluck deutschen Wein, den sie in den USA bei deutschen Freunden trank. Zu dieser Gelegenheit erzählte der Gastgeber eine Anekdote, die die Wirkung des ‘edlen Tropfens’ auf Amerikaner schildert. Sie fügten dem Wein Zucker hinzu, da er ihnen zu sauer war, was sie sehr gut nachvollziehen kann. Sie resümiert:

"Es ist offenbar für einen Deutschen genauso schwierig, dem japanischen Tee Geschmack abzugewinnen, wie es für eine Japanerin schwierig ist, den goldenen deutschen Wein genüßlich zu schlucken. (Amerikaner haben mit beidem Mühe). Es dauert Jahre, und man muß fleißig üben. Aber es ist nicht ausgeschlossen, daß man schließlich doch den Stand eines mittleren Wein- oder Teekenners - je nachdem - erreicht" (Matsubara 1980: 133).

Das sinnlich Fremde, das sich an ‘fremden Tischen’ zu erkennen gibt, die damit einhergehende Affektivität, die Ablehnung des Unbekannten und die Bevorzugung des Vertrauten, die auch Hisako Matusabara erlebt, dieser Geschmackskonservatismus ist durch den Prozeß des erneuten Probierens reduzierbar, und der Magen gewöhnt sich, wie schon an anderer Stelle erwähnt, leichter als der Kopf an neue Speisen.

In Ernst beim Essen schildert Matsubara ihre Wahrnehmung der deutschen Eßgewohnkeiten und vergleicht diese mit den japanischen. Sie findet ihre Erfahrungen in dem deutschen Ausspruch "Man muß essen, um zu leben" gespiegelt. Sie erlebt das Essen als eine rationalisierte Pflichtübung, die dazu noch gesund sein sollte und empfindet das Essen als Arbeit, da sie sich mit Messer und Gabel quält, wohingegen in den Augen der Deutschen das Essen mit Stäbchen unzivilisiert ist. Sie entdeckt in den Essensgewohnheiten der Japaner und Franzosen Ähnlichkeiten, da beide ihrer Meinung nach das Essen lieben, und erwähnt das japanische Sprichwort: "Wie man ißt, so liebt man".(142)

In Mephisto von Klaus Mann geht es in einer morgendlichen Frühstücksszene zwischen dem Ehepaar Barbara und Hendrik Höfgen um das ‘Wie’ des Verspeisens eines Frühstückseis. Barbara kommt gerade von ihrem morgendlichen Ausritt zurück und gießt "den Inhalt eines weichen Eis ins Weinglas; denn auf diese Manier pflegte sie ihr Ei zu essen: aus dem Glase und gewürzt mit viel Salz und Pfeffer, scharfer englischer Sauce, Tomatensaft und ein wenig Oel" (Mann 1981: 136). Dies empfiehlt sie auch ihrem Ehemann, der sein Ei auf die übliche Weise aus der Schale löffelt und ohne das scharfe Zeug ißt, was jedoch ihrer Ansicht nach langweilig schmeckt (Mann 1981: 136). Hendrik erwidert daraufhin pikiert:

"Es ist allgemein üblich, ein weiches Ei aus der Schale und mit Salz zu essen. In der Villa Bruckner speist man es aus dem Glase und mit sechs verschiedenen Gewürzen. Das ist sicher sehr originell. Aber ich sehe keinen Grund, sich über jemanden lustig zu machen, der an solche Originalitäten nicht gewöhnt ist" (Mann 1981: 138).

Dieser Romanausschnitt problematisiert die Eßgewohnheiten unter-schiedlicher Schichten, durch die sie sich von einander absetzen, und die in diesem Fall daraus resultierenden Konflikte.

Von der Frühstücksszene in Mephisto böte sich ein Verweis zu dem Comic Das Ei des Karikaturisten Loriot an, der von dem Lerner entweder in Form einer Videosequenz oder als Transkript abgerufen werden könnte.

Sowohl in Mephisto als auch in Loriots Comic inszeniert das Ei Frühstücksschauplätze, deren Atmosphäre Disharmonie kennzeichnet. Die wei-teren im Programm enthaltenen Videosequenzen könnten von dem Lerner auf die Präsenz des ‘Frühstückseis’ untersucht werden. Der Artikel Eiertanz, der sich mit der Diskussion über ein Eier-Gesetz beschäftigt oder der Beitrag Jetzt bekommen die Eier ihr Fett weg, in dem cholesterin-neutrale Eier vorgestellt werden, sind zusätzliche Materialien, die dem Lernenden als Angebot bereit stehen.

Existiert dieses Phänomen des morgendlichen überwiegend weichgekochten Eis in anderen Kulturen, in meinem Land, wofür werden Eier verwendet, und gibt es eine Debatte über ihren Gesundheitswert? Diesen und weiteren sich im Prozeß des Bearbeitens der Materialien gestellten Fragen könnte der Lerner individuell nachgehen und sie eigenständig recherchieren. Seine Neugierde und Wissensbegierde bezüglich literarischer Texte aus seiner eigenen Kultur, in denen das Motiv des Essens und Trinkens von den Autoren verwendet wird, könnten auch geweckt werden.

Die schon in Kapitel 3.2.1 erwähnten Romanausschnitte aus Thomas Manns Buddenbrooks thematisieren die Reaktionen und Gefühle, die unge-wohnte Eßgewohnheiten bei einer Person auslösen und an die der Rezipient anknüpfen kann. Im fünften Kapitel der Buddenbrooks schildert Thomas Mann das erste Frühstück Herrn und Frau Grünlichs:

"Eine Teemaschine summte. In einem dünnsilbernen, flachen Brotkorb, der die Gestalt eines großen, gezackten, leicht gerollten Blattes hatte, lagen Rundstücke und Schnitten von Milchgebäck. Unter einer Kristallglocke türmten sich kleine, geriefelte Butterkugeln, unter einer anderen waren verschiedene Arten von Käse, gelber, grünmarmorierter und weißer sichtbar. Es fehlte nicht an einer Flasche Rotwein, welche vor dem Hausherrn stand, denn Herr Grünlich frühstückte warm. [...], und verspeiste nach feiner englischer Sitte ein leicht gebratenes Kotelett. Seine Gattin fand dies zwar vornehm, außerdem aber auch in so hohem Grade widerlich, daß sie sich niemals hatte entschließen können, ihr gewohntes Brot- und Eifrühstück dagegen einzutauschen" (Mann 1969: 200)

Dieses erste Frühstück enthält einige nicht nur für Tony Grünlich, sondern auch für den Leser befremdliche Angewohnheiten, wie z.B. das leicht gebratene Kotelett und die Flasche Rotwein, die zu Benedix Grünlichs erstem Frühstück gehören. Das Erwähnen eines ersten Frühstücks läßt den fremd-sprachlichen Lerner auf ein zweites Frühstück und über dessen Bestandteile spekulieren. Die Reichhaltigkeit und die Vielfalt des Gebotenen als auch die Form seiner Präsentation wecken Assoziationen und Gefühle und aktivieren das Vorwissen des Lerners. Er antizipiert und interpretiert das Gelesene und ist damit sowohl kreativ als auch aktiv an der Sinnkonstitution beteiligt.

Für den Rezipienten, dem Thomas Mann und die Zeit, in der der Roman spielt, unbekannt sind, könnten entweder schon in dem Programm biographische und geschichtliche Angaben abrufbar sein, oder er sucht z.B. via WWW oder ganz traditionell in der Bibliothek die ihn interessierenden oder fehlenden Informationen.

Romanausschnitte, die weitere Mahlzeiten behandeln und von denen es zahlreiche und seitenlange in den Buddenbrooks gibt (z.B. Einweihungsessen eines neuen Hauses, ‘Mittagsbrot’, Firmenjubiläum, Weihnachtsmenu etc.) wären ein zusätzliches Angebot und gewähren dem Lerner Einblick in die unterschiedlichen Funktionen von Eß- und Trinkanlässen einer Lübecker Patrizierfamilie im 19. Jahrhundert. Ein Verweis auf den Roman Zeit zum Aufstehn von August Kühn, der die Geschichte der Münchner Proletarierfamilie Kühn ab dem Jahre 1850 bis in die jüngere Vergangenheit schildert und einen starken Kontrast zu dem Leben der Buddenbrooks bildet, böte ihm die Möglichkeit eines historischen Vergleichs der Funktionen von Eß- und Trink-anlässen in unterschiedlichen sozialen Schichten. In Zeit zum Aufstehn dient das Essen der bloßen Nahrungsaufnahme.(143)

Wolfgang Koeppen beschreibt in Tauben im Grass, wie Josef widerstrebend einen Hamburger verspeist:

"Er kaute an einem Sandwich. Er kaute schwer an dem dicken vielschichtigen Brot. Er mußte seinen Mund bis zum äußersten aufreißen, um von dem dicken Sandwich etwas abbeißen zu können. Es war ein fader Geschmack. Auf den Schinken hatte man eine süßliche Paste geschmiert. [...]. Der süßliche Geschmack störte Josef [...]. Auch die grünen Salatblätter, die man zwischen den Schinken und das Brot gelegt hatte, waren nicht nach Josefs Geschmack. Das Sandwich war wie das Grab einer Schinkensemmel, mit Efeu bepflanzt. Er würgte mit Widerwillen an dem Brot. Er dachte an seinen Tod. Er aß die fremde, fremdländisch schmeckende Speise nur aus anerzogenem Gehorsam" (Koeppen 1974: 118).

Die abgebildete Situation und die Emotionen Josefs können den Rezipienten direkt ansprechen und können ihm in unterschiedlicher Ausprägung bekannt sein. Er kann sich mit der Person, der Situation und den Gefühlen identifizieren, reagiert seinerseits auf das Beschriebene und erkennt daran auch die eigenen Reaktions- und Sichtweisen.

Ein kurzer Textausschnitt aus Heinz Pionteks Roman Die mittleren Jahre veranschaulicht das Erstaunen Harriets und des Erzählers über das Frühstück, das ihnen in Haarlem, Holland, serviert wird.

"Dann staunten wir über das Frühstück. Es gab heißen Schinken mit Ei auf Toast, gab vielerlei Brot, Erdbeer- und Orangenkonfitüre, Butter, Käse, Sprotten, kaltes Fleisch und Kuchen. Kaffee konnte man nachbestellen, ohne daß es etwas kostete" (Piontek 1967: 150).

Für diese Reaktion auf die morgendliche Mahlzeit bietet der Text in der dargebotenen Form keine Begründung. Der Leser interpretiert ausgehend von den Abweichungen seiner eigenen Vorstellungs- und Erfahrungswelt, und ver-sucht die bei ihm entstandenen Fragen zu klären.

3.4.3 Lieder

Lieder, Musikstücke jeglicher Art, ob nun Schlager, Rock- oder Popmusik, mundartliche Lieder, Arien etc., sind ein Stück Landeskunde. Sie sind authen-tische Texte, die in lebendiger, ansprechender, hinterfragender und berührender Form Informationen über das Zielsprachenland enthalten. Sie machen Aussagen über die Gefühle und die Ängste der Menschen, ihre Probleme und die Art ihres Zusammenlebens. Ihre ästhetischen Charakteristika wie Rhythmus, Melodie, Klangfolge, Instrumentalität, Stimme des Sängers und Lautstärke lösen in dem Zuhörer sehr unterschiedliche Assoziationen aus, die zum Reagieren und Interpretieren herausfordern, wie literarische Texte auch.

Die Kantate Nr. 211, die Kaffee-Kantate, wurde 1739 von Johann Sebastian Bach geschrieben. Sie entstand in einer Zeit, als der Kaffee ein verbotenes Getränk in Deutschland war. Bach greift eine damals aktuelle Alltagssituation auf, die er überspitzt nachzeichnet und die uns Einblicke in die Gesellschaft der damaligen Zeit gewährt. Lieschen ist kaffeesüchtig, sie braucht ihre drei Tassen Kaffee. In der vierten Arie eilt sie dann auch zu ihrem Kaffee: "Ei! wie schmeckt der Coffee süße, lieblicher als tausend Küsse, milder als Muskatenwein. Coffee, Coffee muß ich haben; und wenn jemand mich will laben, ach so schenkt mir Coffee ein!". Ihrem Vater, dem Herrn Schlendrian, der in der zweiten Arie polternd auftritt, gefällt dieses Benehmen seiner Tochter gar nicht. Er versucht, sie zu erpressen, indem er ihr das Ausgehen verbietet, sollte sie nicht auf den Kaffee verzichten. Auch das Versprechen väterlicherseits, Schmuck und Kleider zu kaufen, führt bei Lieschen zu keinem Verzicht auf ihren geliebten Kaffee. Auf seinen letzten Versuch geht sie scheinbar ein. In diesem Fall besteht die Alternative zum Kaffee in einem "wackern Liebsten". Sie äußert ihre Akzeptanz in der achten Arie: "Ach, ein Mann, wahrlich dieser steht mir an", was Bach Lieschen durch eine sehn-süchtig-schmeichelnde Melodik ausdrücken läßt. Das raffinierte Lieschen schafft es jedoch, sich beides zu sichern. Sie verkündet heimlich, daß sie nur einen Mann heiratet, der sie nicht am Kaffeetrinken hindert. An dieser Stelle böte sich ein Exkurs in die Sozialgeschichte des Kaffees ein, der die Informa-tionen offeriert, die die Kantate und ihre Zeit kontextualisiert. Zu jener Zeit versuchten Regierungen, den Kaffeekonsum durch ein Kaffeeverbot zu regle-mentieren. Eine bischöflich-hildesheimische Verordnung von 1780 ordnete z.B. an:

"Alle Töpfe, vornehmend Tassen und gemeinen Schälchen, Mühlen, Brennmaschinen, kurz alles, zu welchem das Beiwort Kaffee gesetzt werden kann, soll zerstört und zertrümmert werden, damit dessen Andenken unter unsren Mitgenossen vernichtet sei. Wer sich untersteht, Bohnen zu verkaufen, dem wird der ganze Vorrat konfisziert, und wer sich wieder Saufgeschirr dazu anschafft, kommt in den Karren".(144)

Weitere Verweise könnten zu Materialien führen, die die Geschichte des Kaffeekonsums und die Bedeutung dieses Getränkes (auch die der Kaffee-surrogate), seine regionale und soziale Verbreitung, die Nahrungsverän-derungen,(145) die die Eingliederung des Kaffees in den täglichen Getränke-konsum mit sich brachte, und seine dauerhafte Durchsetzung in der deutschen Eß- und Trinkkultur erläutern.(146) Erscheinungen wie die Volkskaffeehallen-Bewegung des 19. Jahrhunderts, die die breite Bevölkerung mit billigem Kaffee versorgten, das im 18. Jahrhundert von Frauen ins Leben gerufene Kaffee-kränzchen, zu dem sie sich zu Hause trafen, da sie von den öffentlichen Kaffee-häusern ausgeschlossen wurden, der soziale Ort des Kaffeehauses, und die Institution des Wiener Kaffeehauses, die bis heute in Österreich besteht, könnten dem Lerner in Form von verschiedenen Textsorten angeboten werden.

In dem Lied Der Kaffee ist fertig drückt der Liedermacher Peter Cornelius mit weicher, einschmeichelnder, ruhiger Melodie die Bedeutsamkeit des Kaffees für sein Leben aus. Die vier Worte "Der Kaffee ist fertig" stellen für ihn den Inbegriff des Lebenswerten dar. Sie rufen bei ihm Assoziationen von Liebe und Zärtlichkeit hervor, und sie haben für ihn auch sexuelle Konno-tationen, die er in der letzten Strophe andeutet. Sie wecken ihn jeden Morgen und sind auch ein Grund für ihn, zu spät zur Arbeit zu kommen. Um diese vier Worte kreist sein Leben: sie sind für ihn so wichtig, daß er auf alles andere bis auf sie verzichten könnte. Der Text ist gut verständlich, er besteht aus vielen Wiederholungen.

3.4.4 Bilder

Den verschiedenen visuellen Präsentationen von ‘stehenden’ Bildern wie z.B. Fotos, Gemälde, Zeichnungen, Abbildungen und Bilder in zeitlicher Reihenfolge (Bildergeschichten, Cartoons), im Gegensatz zu den Präsentationen der sich bewegenden Bilder (siehe Kapitel 3.4.1.1), widmet sich dieser Abschnitt.

Diese Formen der visuellen Präsentation werden sehr gerne in den fremdsprachlichen Unterricht integriert, da es sprachlich sehr schwierig ist, "Fremdkulturelles für jemand zu beschreiben, der weder die kulturelle Situation noch den weiteren Kontext kennt" (Müller 1983: 269).(147) Bilder sollen bei dem fremdsprachlichen Betrachter Interesse an der fremden Kultur und den unbe-kannten Lebensweisen wecken, und durch die Konfrontation zur Aus-einandersetzung mit bestimmten Aspekten anregen (Scherling/Schuckall 1992).

Fotos z.B. fangen Verhaltensweisen, Ausschnitte aus dem Alltagsleben ein, sie zeigen außer konkreten Einzelheiten auch abstrakte Aspekte wie Gefühle, Gestik und Mimik. Sie bieten Sprechanlässe: sie sprechen Gefühle an, erzeugen Vorstellungen, aktivieren Vorwissen und eigene Beobachtungen, regen zum Vergleich an, verdeutlichen Zusammenhänge und offerieren Ab-wechslung zum Lernmaterial. Die Bilder sollten sowohl vertraute als auch fremde Elemente enthalten. Das dem Lerner Vertraute ermöglicht ihm, eine Beziehung zwischen der eigenen Erfahrungswelt und der im Bild festgehaltenen Realität herzustellen; das Fremde und Unbekannte erweitert und verändert das Bild der fremden Kultur, und das offene Element der Bilder läßt Spielraum für Interpretationen:

"Gute Bilder sollen für den Betrachter relevant sein, d.h. sie ansprechen. Sie sollten nicht zu weit jenseits der kulturellen und sozialen Erfahrung der Lerner sein. Zu Fremdes kann das Einbeziehen der eigenen Erfahrung verhindern. Sie sollten zu Vergleichen mit der eigenen Kultur anregen" (Scherling/Schuckall 1992: 109).(148)

Wie reagieren die fremdsprachlichen Rezipienten auf die in den Unter-richt eingebrachten visuellen Materialien, wie verstehen und deuten sie das Gesehene? Bilder sprechen eine eigene Sprache. Die Aufnahme dieser Bild-sprache und der Bildästhetik ist in der Bildtradition der jeweiligen Kultur ver-ankert.(149) Unser kulturell geprägtes Weltwissen bestimmt zum Beispiel, wie wir visuelle Zeichen wie Farben und Formen lesen.(150) Weitere Apekte, die den Betrachter bei der Wahrnehmung und Interpretation der Bildwelten beeinflus-sen, sind die Gefühle, die das Gezeigte evoziert, das Vorwissen, das den Lerner bei der Betrachtung leitet, und seine momentane Stimmung. Lerner erfahren, daß die von ihnen als eindeutig wahrgenommene Bildwirklichkeit von anderen fremdsprachlichen Betrachtern anders interpretiert wird. Diese Erfahrung führt zu einer genaueren Beobachtung von realen Situationen im Zielsprachenland, in denen das Gesehene nicht sofort eingeordnet und bewertet wird.

Die im folgenden vorgestellten Bilder sind verschiedenen allgemein-sprachlichen und fachsprachlichen Lehrbüchern für Deutsch als Fremdsprache entnommen, stammen aus Zeitschriften, aus der Welt der Kunst, aus Quinos Buch Guten Appetit und von INTER NATIONES.

Die 1994 von INTER NATIONES herausgegebene Reihe Schau-Plätze II. Frühstück in Deutschland enthält unter anderem eine Serie von Postern. Diese Bilder (151) zeigen Personen unterschiedlichen Alters und Berufs bei ihrem Frühstück. Einige Fotos präsentieren spezielle Frühstücksanlässe wie zu Ostern und in außergewöhnlichen Situationen: auf Reisen und nach einer durchzechten Nacht. Die Serie beinhaltet Aufnahmen eines jungens Ehepaares am Früh-stückstisch, ein Single, der im Stehen frühstückt, zwei Studentinnen beim Müslifrühstück in einer kleinen Küche, Leute im Stehcafé, Yuppies beim Brunchen in einer Bar, Schreiner und Geselle bei ihrem zweiten Frühstück in der Werkstatt, zwei Rucksackreisende am Bahnhofskiosk, eine Familie beim Osterfrühstück im Garten, ein junger Mann, der verkatert an seinem Küchen-buffet lehnt, und Kinder während ihres Pausenfrühstücks. Der Fotograf hat ein Stückchen Wirklichkeit eingefangen, das jedoch nur einen sehr kleinen Ausschnitt aus dem Leben der jeweiligen Personen und ihrer Angewohnheiten, Sitten etc. abbildet. Die Fotos geben zwar sehr detailliert Auskunft über das Frühstück der Personen an einem beliebigen Morgen, was wiederum nicht bedeutet, daß es tagtäglich von ihnen in dieser Form eingenommen wird. Die Fotos lassen durch weitere wahrzunehmende Einzelheiten Raum für Spekulationen, z.B. über den Beruf und andere Angewohnheiten der Personen. Das Foto des im Stehen frühstückenden Mannes zeigt ihn in seiner Küche mit Funktelephon. Unter dem Arm hält er eine Aktentasche aus der Die Zeit ragt. In der Hand hält er eine Zigarette, in der anderen den Kaffeebecher und ein Feuerzeug. Er scheint es eilig zu haben, da er nebenbei auch einen Blick auf seine Armbanduhr wirft. Auf dem Tisch sind unter anderem leere Zigarettenschachteln und die Überreste seines Frühstücks zu sehen: Croissant und Knäckebrot wurden angefangen zu essen, Besteck und Geschirr fehlen. Neben den Frühstücksutensilien liegt die Zeitschrift Börse und weitere Zeitschriften wie Der Spiegel und der Stern, auf der Ablage. Aufgrund der Zeitschriften und Kleidung ordnet ein Muttersprachler ihn einer bestimmten Berufsgruppe zu und könnte desweiteren Auskunft über seinen Bildungsweg geben und Vermutungen über sein Privatleben aufstellen, da er z.B. die in einer Sektflasche stehenden Rosen wahrnähme.

Zwei Abbildungen zeigen einen Frühstückstisch mit dem Unterschied, daß bei dem einen die Nahrungsmittel, Getränke, das Geschirr und Besteck mit den entsprechenden Bezeichnungen versehen sind. Die in diesen Abbildungen indirekt enthaltene landeskundliche Information, die den Lerner erreicht, ist, daß das Frühstück der Deutschen so aussieht. Die zur weiteren Kontextua-lisierung stehenden Materialien verdeutlichen, daß in Deutschland genauso wenig wie in anderen Kulturen eine einheitliche Frühstückskultur existiert.

Welche kulturell geprägten Vorstellungen sind für den fremdsprach-lichen Lerner mit dem Wort Frühstück verbunden? Diese könnten und sollten an dieser Stelle in visueller, darstellender oder in geschriebener Form von dem Lerner eingebracht werden.

Die andere Abbildung beschränkt sich auf die Nahrungsmittel und die Getränke zum Frühstück, die mit den entsprechenden Begriffen versehen sind, was sie übersichtlicher als die oben angeführte macht. Beispiele für Brotsorten werden in der letzten Abbildung gegeben, die mit eigenen Aufnahmen aufge-füllt werden könnten. Diese Abbildungen bietet dem Lerner Verstehenshilfen, indem den einzelnen Bildern die passenden Bezeichnungen zugeordnet sind. Er trifft sowohl auf ihre sprachliche als auch ihre visuelle Präsentation.(152)

Uli Steins humorvolle Zeichnung präsentiert ein auf der Terrasse sitzendes, Müsli frühstückendes älteres Paar, von dem die Frau sich gerade mit folgender Frage an den Mann richtet: "Du möchtest wissen, woran ich gemerkt habe, daß du dein Vollkornmüsli immer heimlich hinter dich kippst?". Die aufschlußreiche Entdeckung der Frau besteht in einem Büschel von Getreide, das hinter dem Stuhl des Mannes wächst. Die Zeichnung spielt auf die Gesund-heitsbewegung an, der die Frau folgt und die sie auch ihrem Mann auferlegt hat, der diesen Genüssen offensichtlich anders gegenübersteht. Diese könnte bei Lernern aus bestimmten Ländern zu Mißverständnissen, Verstärkung bestimm-ter Vorurteile führen, da erstens Humor eine kulturspezifische Erscheinung ist und das achtlose Umgehen mit Lebensmitteln, das Wegschütten des Müslis, falsch verstanden werden könnte.

Quinos Bildergeschichte spielt in einem Restaurant, in dem ein Mann verzweifelt versucht, sich einen Kaffee zu bestellen. Während der ersten zwei Anläufe sieht man ihn noch ruhig und mit einem entspannten Gesichtsausdruck an seinem Tisch sitzen. Ein Blick auf die Uhr verändert sein Verhalten, und aufgebracht bestellt er dreimal hintereinander einen Kaffee, was jedoch ohne Folge bleibt. Ratlos nach links und rechts blickend, da sein laut geäußerter Protest scheinbar keine Wirkung hatte, sitzt er auf seinem Stuhl. In dem näch-sten, dem abschließenden Bild wird er mit dem Ergebnis seines Verhalten kon-frontiert: Vor ihm stehen alle von ihm bestellten Kaffees, fünf an der Zahl, denen er sich mißmutig widmet. Quinos Bildergeschichte ist eine visuelle Kritik unserer heutigen Eß-, Trinkkultur. Sie spiegelt das schon an anderer Stelle zum Ausdruck gebrachte hektische Kaffeetrinken, was seiner ehemaligen Funktion widerspricht.

Kunstbilder sind historisch relevant, da sie den Wandel der Eßgewohn-heiten und den der Tischmanieren visuell festhalten. Der extreme Wandel in der Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln in der westlichen Geschichte beeinflußt auch unsere Einstellung und Wahrnehmung dessen, was Gemälde spiegeln. Früher war die Ernährung nicht ohne weiteres für die Menschen sichergestellt und wurde zu einem quasi heiligen Objekt, heute sind Nahrungsmittel eine Massenware und ihr exzessiver Konsum produziert Gesundheitsprobleme.

Die Bilder wie die übrigen Materialien vermitteln nur einen Eindruck des Spektrums und sind exemplarisch zu sehen. Fotos eigener Frühstücksszenen (während der Woche, am Wochenende, zu besonderen Anlässen), Aufnahmen von verschiedenen Bäckereien, eine in einen Supermarkt integrierte Bäckerei, eine Vollkornbäckerei etc. und deren Angebote, wären eine Bereicherung, die auch von der Seite der Lerner kommen könnte.

3.4.5 Verhaltens- und Benimmtexte

Die Etiketten-, Anstands-, Manieren-, Benimmbücher, die im Volksmund auch unter dem Namen Knigge (153) bekannt sind, geben Auskunft über Benimm-Fragen in allen Lebenslagen. In dieser Ratgeberliteratur findet der Leser Umgangsformen, Normen und Spielregeln, die ungeschriebenen Gesetze des zwischenmenschlichen Verhaltens, die angeben, wie man sich im gesell-schaftlichen Leben also im Alltag mit anderen Menschen situationsgerecht benehmen sollte, um nicht anzuecken und aufzufallen,(154) da ein deplaziertes Verhalten zu Sanktionen unterschiedlichen Ausmaßes durch die anderen Anwesenden führen kann.

Den Eßmanieren kommt eine recht hohe Bedeutung zu, sie gelten schlechthin als Maßstab für das Benehmen, und die Aussage, daß sich eine Person bei Tisch nicht benehmen kann, ist eine verhängnisvolle Feststellung für den Betroffenen (Schönfeld 1987: 175).

Die folgenden Zitate, die aus verschiedenen Quellen stammen, veranschaulichen die Bedeutsamkeit, die dem korrekten Verhalten bei Tisch beigemessen wird. So formulierte 1910 J. von Eltz in Das goldene An-standsbuch:

"An der Art und Weise, wie jemand ißt, kann man schon einigermaßen den Grad seiner gesellschaftlichen Bildung erkennen. Man hat früher bei Tisch nicht immer dieselben Manieren gehabt wie heute, aber so wie die Menschheit auf allen Gebieten langsam Fortschritte macht, so haben sich mit der Zeit gewisse Regeln herausgebildet, die der anständige Mensch jetzt beobachten muß" (Von Eltz: 1910, 144).

28 Jahre später liest man in "So oder so?" Fingerzeige für den gesell-schaftlichen Erfolg: "Lernt Messer und Gabel richtig gebrauchen - an der Art und Weise, wie ein Mensch ißt, erkennt man seine Kulturstufe" (Eichler: 1918: 82). Walter Bodanius stellt in seinem ABC des guten Benehmens fest: "Den Tischsitten muß ein umfangreicher Abschnitt gewidmet werden, denn gutes Benehmen bei Tisch ist unbedingt erforderlich, wenn man nicht unangenehm auffallen soll" (1957: 176). Die Autorin Illa Andreae schreibt in Die Kunst der guten Lebensart: "Der Familientisch prägt die Sitten für ein ganzes Leben, und wer nicht gelernt hat, sich im engsten und vertrautesten Kreise gut zu beneh-men, wird es niemals lernen und sich immer einmal wieder auf die penetran-teste Weise verraten" (1963: 209). 1955 heißt es bei Gertrud Oheim im 1 x 1 des guten Tons:

"Gute Manieren beim Essen und Trinken gehören unstreitbar zu den Prüfsteinen des guten Benehmens. [...] Gute Tischmanieren wollen von Jugend auf geübt sein. Denn dann erst sind sie in Fleisch und Blut übergegangen und nicht nur Dekoration, die man als unbequem ablegt, sobald man allein ist" (Oheim 1955: 189).

An diesen Anstandsbüchern, derer es zahlreiche gibt und die bis in das Mittelalter zurückgehen, lassen sich auch die Entwicklungsstrukturen der Verhaltensnormen und -standarde aufzeigen. Horst-Volker Krumrey stellt fest, daß die Veröffentlichungen in diesem Bereich ansteigen, "[...] wenn sich die deutsche Gesellschaft im Umbruch befindet und danach wieder ihre Strukturen verfestigt" (Krumrey 1991: 235). Die gegenwärtigen Normen im Bereich des Eß- oder Tischverhaltens, die uns bekannt sind und auch allgemein akzeptiert werden, sind durch Erziehung tradierte Formen einer Eßkultur, "die in den sozialen Kreisen, für die die Eltern ihr Kind vorbereiten, erwartet und verlangt werden" (Krumrey 1991: 227). Der Ursprung dieser Verhaltensstandards kann anhand der ‘Eßsitten’-Literatur aufgezeigt werden.(155)

Diese Ratgeber-Literatur informiert den fremdsprachlichen Lerner über das im Zielland in bestimmten Situationen erwartete Verhalten, wie zum Beispiel bei formellen Einladungen. Auf dieser Grundlage kann er sich be-fremdliche Verhaltensweisen erklären (z.B. das Manövrieren mit dem Besteck) und ‘Seitenblicken’ vorbeugen. Ihm werden anhand dieser Ettiketten historische Rückblicke ermöglicht, was zu einer exemplarischen Präsentation der Vergan-genheit in der Gegenwart führt.

Die zum Beispiel aus einem aktuellen Ettikettebuch rezipierten Verhaltensregeln und gewonnenen Eindrücke sollten vom Lerner mit eigenen Beobachtungen im Zielland oder auch mit im Programm integrierten Film-sequenzen verglichen werden. Sie könnten ihn motivieren, unterschiedliche Personen dazu zu befragen,(156) um bejahende oder verneinende Resonanz auf das Erfahrene zu erhalten und um daraufhin dieses zu expandieren oder zu modifizieren. Die Ergebnisse würden dann als ‘Knigge’ in das Programm integriert. Die Ausführungen Sybil Schönfelds (1987: 158, 159) zu Tisch-gesprächen könnten von dem Lerner z.B. mit dem Cartoon Tischgespräche von Jutta Bauer verglichen, auf Kon- und Divergenzen untersucht und dann mit eigenen Beobachtungen aufgefüllt werden. Desweiteren würde er sich existie-render Verhaltensregularitäten in der eigenen Kultur bewußt, die er auf dem Hintergrund des Rezipierten reflektierte. Bei Sybil Schönfeld ist zu lesen:

"Fast nirgendwo redet es sich so leicht und unbeschwert wie beim Essen. Jeder Gast hat etwas vor sich, mit dem er sich beschäftigen kann. Das hilft die Scheu überwinden, und das entschuldigt gelegentliches Schweigen. Fällt einem gar nichts ein, so kann man über das Essen reden, was früher verpönt war. Da heutzutage aber vom Gastgeber das Essen selber gekocht (oder mit manchmal ebensoviel Kopfzerbrechen ausgesucht und gekauft) worden ist, verdienen diese gelungenen Anstrengungen wahrhaftig Lob und Anerkennung. Im übrigen lautete die Vorkriegsregel: Man spricht bei Tisch nicht über Krankheit, Geld und Politik. Ein wenig Weisheit steckt in der alten Regel, denn über Politik kann man in Streit geraten; Geld kann in Angeberei ausarten und diejenigen beleidigen, die nicht so reich damit gesegnet sind; und Krankheitsberichte: Es gibt immer wieder Menschen, denen bei der leb-haften Beschreibung eines schönen Magengeschwürs ganz einfach schlecht wird. Über das Wetter als Gesprächsthema wird gern gelästert. Auf jeden Fall kann es der berühmte Anfang sein, und wenn zwei Leute merken, wie albern der Austausch von "gar kein so schlechtes Wetter für diese Jahreszeit ... ist", lachen vielleicht beide, und dann kann das richtige Gespräch anfangen. Auf jeden Fall sollte man zu Beginn keine persönlichen Fragen stellen, sollte man nicht nur von sich selber reden und sollte nicht nur Monologe halten, sondern auf seinen Tischnachbarn achten und hinhören, was er oder sie sagt. Manchmal besteht der beste Beitrag auch nur darin, ein guter Zuhörer zu sein und nur von Zeit zu Zeit mit einer Frage das Gespräch in Gang zu halten [...] (Schönfeld 1987: 158-159).

Jutta Bauer hat ihren Cartoon Tischgepräche wie folgt gestaltet:

Die in das Programm integrierten Ausschnitte zu bestimmten Gesichtspunkten des Eß- und Tischverhaltens wurden drei Benimm-büchern entnommen, die in der jüngeren Vergangenheit publiziert wurden (157). Sie erschienen in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, das ‘älteste’ stammt aus dem Jahre 1955, ein weiteres wurde 1979 und das letzte 1987 veröffentlicht. Sie geben Auskunft über das angemessene Verhalten bei dem Verspeisen bestimmter Gerichte wie Kuchen, Konfitüre, Eier, Obst etc., darüber wie man mit Messer und Gabel ‘schicklich’ ißt, über angemessene Themen im Rahmen von Tischgesprächen und sogar über das angemessene Verhalten als Gast bei dem Servieren von unbekannten Speisen.

Die Texte sind umgangssprachlich gehalten und unterhaltsam zu lesen; in Sybil Schönfelds und Gertrud Oheims Buch sind sie auch von Illustrationen begleitet, die den amüsanten Aspekt der Lektüre unterstreichen. Diese Auswahl sollte vom Lehrer oder Lerner je nach Interesse durch ältere Quellen und um weitere Themenbereiche erweitert werden.

3.4.6 Statistiken

Die Textsorte der Graphiken, Diagramme und Tabellen bringt konkrete Daten zu dem Thema Essen und Trinken. Sie veranschaulicht Zahlenverhält-nisse und enthält Informationen über Zusammenhänge, Abhängigkeiten und Ursache-Folge-Relationen, die ausgewertet werden müssen. Graphiken setzen das Zahlenmaterial graphisch um, wodurch die Angaben für den Lerner ver-ständlicher werden.

Diese Informationstexte eröffnen eine neue Perspektive; sie objektivieren die aus anderen Quellen gewonnenen Eindrücke der Lerner oder die bei ihnen schon vorhandenen Wertvorstellungen, Annahmen von der frem-den Lebenswelt. Die Struktur dieser Materialien gibt Raum für Interpretationen des präsentierten Sachverhaltes.

Die Graphiken geben Auskunft über die Trinkgewohnheiten der Deutschen, über die Veränderung des Trinkverhaltens von 1950 bis 1988, Veränderungen in ihren Eßgewohnheiten, die in einem Zeitraum von 10 und 30 Jahren zu erkennen sind (von 1970 bis 1980, 1955 bis 1985 und 1964 bis 1994), über ihren Pro-Kopf-Verbrauch von Kaffee und vergleichen diesen mit anderen Ländern. Der Verzehr an Brot in Deutschland im Verhältnis zu den anderen Ländern Westeuropas, die ‘Essens-Sünden’ der Deutschen und die damit ver-bundenen Krankheitskosten werden auch thematisiert.

Die zwei Schaubilder Der Durst der Deutschen zeigen, daß sowohl 1993 als auch 1994 das beliebteste Getränk der Deutschen der Kaffee war, gefolgt vom Bier. Durchschnittlich trank der Deutsche etwa 1000 Tassen, fast 178 Liter Bohnenkaffee im Jahr.

In einer anderen Graphik werden die Entwicklung des Kaffeeverbrauchs der Deutschen von 1971 bis 1992 und die Gelegenheiten, zu denen Kaffee getrunken wird, dargestellt. Der Kaffeeverbrauch stieg um 50 Prozent in der angegebenen Zeitspanne, und traditionell erweisen sich Frühstück und Mittags-pause als diese Anlässe. Die Deutschen stehen trotz ihres hohen Pro-Kopf-Verbrauchs an Bohnenkaffee nicht an der Spitze der kaffeetrinkenden Länder, was der weltweite Vergleich veranschaulicht. Einer weiteren Abbildung zufolge sind die Deutschen die Brotesser Westeuropas, mit einem Pro-Kopf-Verbrauch von 80 kg. Dieser hohe Verzehr an Brot ist jedoch nach Aussage eines anderen Schaubildes ungesund. Obwohl sich die Essensgewohnheiten der Deutschen erheblich veränderten (Obst und Gemüse traten an die Stelle von Kohlen-hydraten und Fetten), sind trotz dieser positiven Veränderung des Ernährungsverhaltens immer noch ca. 25% der gesamten Krankenhauskosten ernährungsbedingt.

Über die Gründe der Beliebtheit des Bohnenkaffees geben die Graphiken keine Auskunft, an dieser Stelle könnte der Lerner, sofern im Programm vorgesehen, ergänzende Materialien abrufen oder Informationen selbst recherchieren und einfügen. Differenzierungen nach Regionen und Altersgruppen, die diese Materialien nicht leisten, könnten von den Lehrenden oder den Lernenden getroffen und erforscht werden.

3.4.7 Journalistische Texte

Journalistische Texte unterscheiden sich von literarischen Texten durch ihre Aktualität. Sie setzen sich mit Zeitgeschehen auseinander und greifen Themen und Trends auf, die die ‘Gemüter’ gerade bewegen. In den Fremd-sprachenunterricht werden sie wegen ihrer Aktualität und ihrer Authentizität integriert, um dem Lerner Einblick in das Tagesgeschehen der jeweiligen Gesellschaft zu geben, deren Sprache er erlernt. Diese Materialien veralten auf der anderen Seite sehr schnell, können dann jedoch als ‘historische’ Dokumente eingesetzt werden, um Entwicklungen hinsichtlich eines Aspektes aufzuzeigen.

In der Regel kennzeichnen diese Textsorte ein bestimmter Aufbau, spezielle stilistische Mittel (158) und sprachliche Ökonomie. Sie sind überwiegend kurz gehalten, enthalten Sachinformationen, Meinungen und Wertungen, sind populärwissenschaftlich und häufig unterhaltend und wortwitzig geschrieben. Diese Charakteristika variieren mit dem Publikationsort des jeweiligen Artikels und der damit zusammenhängenden Lesergruppe. Die Lerner brauchen viel Sach- und Hintergrundwissen, um journalistische Texte entschlüsseln zu können.

Der in der regionalen Zeitung Neue Westfälische (NW) vom 25. Juni 1994 erschienene Artikel "Beim Frühstück ist die Welt noch in Ordnung" weist in unterhaltender, sich leicht mokierender Weise auf die unterschiedlichen Frühstückssitten hin, denen auch Beispiele beigefügt sind. Die Wichtigkeit des Frühstücks wird auch in diesem Artikel betont, der besagt, daß "25% des nötigen Energiebedarfs beim Frühstück getankt werden sollten" und auch dem darauf anspielenden Sprichwort: "Frühstücke wie ein König, iß mittags wie ein Edelmann und am Abend wie ein Bettler" wird angeführt. Laut dieses Artikels, der sich auf eine Umfrage der Centralen Marketing Gesellschaft für die deutsche Agrarwirtschaft (CMA) bezieht, frühstücken 96% der Deutschen: "kaum jemand verläßt mit knurrendem Magen das Haus" und dazu gesundheitsbewußter als in früheren Zeiten. Eine Gruppe der Frühstückenden ist die der ‘Müsliesser’, deren Anteil seit 1985 von 4 auf 48% gestiegen ist. Eine weitere Gruppe, die der morgendlichen Brötchenkomsumenten, genießt diese gerne süß: Die Spitzenreiter des süßen Aufstrichs bestehen aus Marmelade, Honig und Nuß-Nougat-Cremes. Die Konsumenten von Müslis und der Schokocremes konstituieren sich überraschenderweise nicht aus der Gruppe der Kinder, sondern aus der der 20- bis 29jährigen. Werbung und Geschmackskonservatismus, das Festhalten an dem Gewohnten, spielen eine ausschlaggebende Rolle bei der Auswahl der einzelnen Frühstückskompo-nenten. Der Artikel klingt mit Bemerkungen zu dem ‘alten guten Brot’ aus, dessen "kulturellen Rang Flakes und Müsliflocken nie erreichen werden".

Die im Rahmen einer Leserumfrage der NW "Und was gibt es bei Ihnen zum Frühstück?" veröffentlichte Zuschrift thematisiert die Veränderung der Ernährungsgewohnheiten. Früher gab es Hausgemachtes wie gebratene Leber- oder Blutwurst zum Frühstück, da dieses durch das traditionelle Schlachten im Winter in den Familien vorhanden war und die Menschen durch die von ihnen erforderte körperliche Arbeit diese Kalorien verbrauchten.(159) Heute sieht der Speisezettel der Verfasserin anders aus, Erdbeeren stehen beispielsweise auf ihrem Speisezettel.

In dem in der taz vom 14. April 1994 erschienenen Zeitungsartikel "Der Rezession sei Dank: Das Butterbrot kommt zurück" wird auf die noch vor einigen Jahren allgemein verbreitete Angewohnheit der deutschen Bevölkerung verwiesen, ein Butterbrot, das sogenannte ‘Bütterken" oder die ‘Stulle’, mit zur Arbeit oder zur Schule zu nehmen. Das wirtschaftliche Wohlergehen verdrängte diese Sitte, die jetzt durch die Rezession wiederentdeckt wurde und ihre Renaisssance erlebt. Der Artikel macht den Lerner auf den hohen Brotverzehr in Deutschland aufmerksam, wie schon eine in Kapitel 3.4.1. angeführte Tabelle, die an dieser Stelle als zusätzliche Informationsquelle hinzugezogen werden könnte. Die nicht genannten Gründe dieses hohen Brotverbrauchs könnten dem Lerner als Ausgangspunkt eigener Nachforschungen dienen, da den Deutschen bezüglich des Essens eher der Ruf des Kartoffel- und Fleisch-essers anhaftet. Andere Materialien, die den Brotverzehr kontextualisieren, stehen dem Lerner zur Verfügung. Zu verweisen wäre z.B. auf die Video-sequenz aus dem Film Man spricht Deutsch und alle weiteren Videosequenzen, in denen Frühstückstische präsentiert werden, auf denen mindestens eine Sorte Brot zu sehen ist. Als eine weitere Quelle wäre auf die im Wortatlas der deutschen Umgangssprache enthaltenen Karten und Anmerkungen zu denselben zu verweisen, die darstellen, welche unterschiedlichen Ausdrücke für Brot, die Brotscheibe, den Kanten, das Brötchen und die Brotkrumen existieren, und wo und wie sie in Deutschland, der Schweiz und Österreich gebraucht werden. Interessant wäre für den Lerner auch der Verweis auf die Etymologie der Begriffe Frühstück und Marmelade, eine Liste der sinn- und sach-verwandten Wörter sowohl zu der morgendlichen Mahlzeit als auch zu dem Verb essen.

Laut des Beitrags "Nur drei Prozent frühstücken im Bett", der am 26. April 1985 in der NW erschien, frühstücken die Deutschen regelmäßig, sind dabei jedoch ungenießbar, was an der Uhrzeit liegt. Was wird nun von den Frühstückenden verspeist? Die süße Frühstücksversion, Marmelade und Honig, liegt leicht vorne, gefolgt von der herzhaften Variante Wurst und Käse (22%), und das Schlußlicht bildet die ‘gesunde’ Version Cerealien (4%). Diese Informationen sowie die Typisierung der Frühstücker stammen aus einer von der Zeitschrift Essen und Trinken durchgeführten Studie.

In dem 1983 in einer Ausgabe der Zeitschrift Journal erschienenen Artikel "Immer in Eile..." werden die Frühstücksgewohnheiten der Deutschen als ungesund beschrieben: "Der Deutsche frühstückt zwischen Tür und Mantel, eben immer in Eile". Diese Behauptung wird durch eine Karikatur unterstützt und die Frage gestellt, ob diese Gewohnheit als typisch deutsch zu bezeichnen sei. Die weiteren Aussagen stimmen mit denen aus dem am 26. April 1982 in der NW erschienenen Artikel überein und werden noch ergänzt, indem auf die Wichtigkeit des Frühstücks verwiesen wird, das in Ruhe eingenommen werden sollte. Wir sollten auch nicht auf das zweite Frühstück verzichten, daß unser Leistungshoch verlängert. Sowohl für das erste als auch für das zweite Frühstück werden Rezeptvorschläge gegeben.

Aus der Bäcker Blume vom 11. August 1995 stammt der Beitrag "Frühstück gut und der Tag ist gut", der wie die anderen Artikel die Bedeutsamkeit des Frühstücks für unsere Leistungsfähigkeit und Gesundheit unterstreicht und zum: "Frühstücken Sie wie ein König!" aufruft. Die optimale Zusammensetzung dieser Mahlzeit wird beschrieben, und der Artikel endet mit einem Rezeptvorschlag und Empfehlungen für die Zusammenstellung der übrigen Mahlzeiten.

Schrot & Korn veröffentlichte in seiner ersten Ausgabe des Jahres 1995 den Beitrag "Rollendes Pausenbrot", in dem die Aktion Reisende Früstücksbar der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung dargestellt wird. Die ‘rollende Kantine’, deren Ziel die Animation von Schülern zum bewußteren Essen und zu einem gesunden Frühstück war, wurde von einigen Schulen so gut angenommen, daß das Schul-Bistro an diesen zu einer beständigen Einrichtung wurde.

In dem Magazin der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschien am 30. November 1989 der Artikel "Einladung zum Frühstück oder keiner isst für sich allein". Christopher Schwarz, der Autor dieses Artikels, startet mit einer Anekdote, einer Einladung zum Frühstück, die er von einem weiblichen Wesen erhält, auf die er nicht eingeht. Sinnierend denkt er an das, was ihm vielleicht durch die Ablehnung dieser Einladung entging. Er führt den Leser in das Paradies des Frühstücks, was sehr an eine Werbesendung erinnert und von ihm intendiert ist. Beim Lesen seiner gelungenen Schilderung riecht, schmeckt, fühlt und ißt der Leser mit, er verspürt Lust und Appetit auf ein solches Frühstück. Die folgende Kostprobe entführt in dieses Reich:

"Der kräftige Duft der ofenfrischen Semmeln, die goldgelbe Kruste, die unter den Zähnen kracht; die Mohnkörner, die mit jedem Bissen auf den Teller rieseln; der lockere, flauschige Teig, der langsam auf der Zunge zergeht. Dann die Naschereien, die die Mahlzeiten versüßen, die Marmeladen, die in den Gläsern schimmern, und der Honig, der glücklich aus dem Glas gehoben, erst dickflüssig, dann in immer dünner werdendem Faden auf das gebutterte Hörnchen läuft und, ehe er auf dem Finger klebt, im Munde verschwindet. Schließlich der Kaffee, der im Porzellan dampft, die edle Flüssigkeit ......" (Schwarz 1990: 104).

Das Frühstück als Ouvertüre des Tages sei als Mahlzeit jedoch nicht so erotisch wie das abendliche Mahl; es diene eher als Muntermacher, und alles, vom Champagner über die Musik zu den Tischgesprächen, zeichne sich durch Bekömmlichkeit, Leichtigkeit und Anregung aus. Als nächstes definiert Christopher Schwarz den Morgenmuffel, beschreibt das unterschiedliche Ver-halten von Frau und Mann beim Aufwachen und Aufstehen. Und was wünscht sich die Frau, natürlich ein Frühstück im Bett, serviert von dem Mann, der den Mohrenjungen (160) spielt, der eifrig seine Königin bedient (Schwarz 1990: 108). Die Realität präsentiert sich jedoch anders. Das Frühstück besteht, wenn die Zeit es noch erlaubt, bei den Männern, den ‘Helden der Arbeit’, laut Autor, aus dem Lesen der Zeitung und dem Kaffeetrinken, da sie "vor allem ihren Kaffee [brauchen], wie die Maschine das Öl. Sie müssen funktionieren. Mit flinker Routine stopfen sie das Nötigste in sich hinein" (Schwarz 1990: 108) Er vergleicht das Frühstück mit dem Schnellimbiß, der Frittenbude, und entwirft eine typische morgendliche Szene, die köstlich zu lesen ist und in der man sich wiederfindet. Christopher Schwarz skizziert den folgenden Schauplatz:

"Irgendwo zwischen Bett, Küche und Badezimmer spielt sich auch das Frühstück ab. Die Kaffeetasse steht neben dem Rasierpinsel oder Lippenstift, das Brötchen nimmt man mit auf den Weg, und während man kaut, denkt man an ganz andere Dinge. Alles geschieht gleichzeitig, muß reibungslos ablaufen. Jeder Handgriff muß stimmen, wenn man gleichzeitig die U-Bahn erreichen oder nicht schon wieder zur Früh-stunde beim Analytiker zu spät kommen will. Am besten, man bereitet schon am Abend alles für das Frühstück vor, deckt den Tisch, füllt die Kaffeemaschine, gießt Wasser in die Kanne. Ein Knopfdruck am nächsten Morgen genügt, und schon dringt, während man noch duscht, der Duft des aufgebrühten Kaffees in die reizbare Morgennase. Aber wehe, der Kaffeefilter reißt oder es ist plötzlich keine Milch mehr im Haus. Auf morgendliche Katastrophen reagiert der gestresste Frühstücksesser empfindlich, erscheint ihm doch das Frühstück im Grunde schon als Hindernis" (Schwarz 1990: 108).

Das Frühstück ist nicht mehr wie früher eine gemeinsame Familienmahlzeit, sondern das individuelle Frühstücken beherrscht die Tagesordnung. Er beschreibt im folgenden das zweite, das dem Handwerker heilige Frühstück. Als Beispiel für das dem morgendlichen Mahl innewohnende Ansprechen von Problemen, dem Bekennen von Vergehen, führt er Beispiele aus Film (Männer von Doris Dörri) und Literatur (Theodor Fontanes Cécile) an. Der Frage, wie das Frühstück vor der Einführung des Kaffees aussah, geht er im nächsten Schritt nach und gewährt einen Einblick in die Kulturgeschichte des Essens, besonders des Kaffees. In diesem Zusammenhang erwähnt er Autoren wie Stephan Mennell und Wolfgang Schivelbusch und ihre Forschungs-ergebnisse. Ein weiteres Beispiel aus der Literatur, aus Joseph Roths Radetzkymarsch, unterstreicht die dem Frühstück anhaftenden Rituale, die bei einem Nichteinhalten kleinere Katastrophen hervorrufen. Thomas Mann beschreibt in seinem Roman Zauberberg das erste und zweite Frühstück des Hans Castrop während seines Sanatoriumsaufenthalts, James Joyce in Ulysses die von Leopold Bloom favorisierten Hammelnieren, die auch seine Ehefrau Molly schätzt. Der Artikel endet damit, daß das Frühstück als weibliche Domäne bezeichnet wird. Autorinnen versuchen das Frühstück als Frühstück für Verliebte, oder ländliches Brunchen wieder aufleben zu lassen. Dieser Beitrag zieht sich über einige Seiten und ist sehr literarisch geschrieben. Die Länge (161) und der Stil dieses Beitrages, die Aneinanderreihung von Nebensätzen, die Assoziationen, die der Autor hat und die Vergleiche, die er zieht, erschweren dem fremdsprachlichen Lerner das Lesen und das Verstehen. Die Deskription der Frühstücksszene, die Christopher Schwarz an den Anfang seines Beitrages stellt, könnte, wie bei einem muttersprachlichen Leser, einen ‘Film’ im Kopf des Lerners inszenieren, der entweder einen Rückbezug auf die eigene Kultur enthielte, sprich Szenen, wie er sie kennt und erlebt hätte, oder die Beschreibung würde mit aktiviertem Vorwissen über das deutsche Frühstück verglichen. Um die Emotionen, die ‘Filme’ der fremdspachlichen Lerner aufzufangen und sie den anderen Lernern zugänglich zu machen, müßte das Programm dem Lerner an dieser Stelle Hilfsmittel anbieten, die es ihm ermöglichen, seine Assoziationen entweder schriftlich oder visuell z.B. in Form eines Tagebuchs, in einer individuellen Datei abzulegen. Das Aktivieren von E-Mail oder das Chaten, um Erfahrungen und Reflektionen auszutauschen, wäre eine weitere Option.

Die Artikel, die im folgenden besprochen werden, erschienen beide 1995 im Zeitmagazin. Wolfram Siebeck macht sich in der Ausgabe am 24. Februar in "Schokolade für das Kind in mir" Gedanken zu den Heißgetränken, die in Deutschland zum Frühstück getrunken werden. Den Autor inspirierte ein im Figaro erschienener Artikel eines französischen Deutschlandkenners, der sich zum Essen äußerte und resümierte, daß die Deutschen morgens und abends immer dasselbe zu sich nehmen, besonders beim Frühstück halten wir uns an Rituale,(162) nur in der Wahl des Getränkes sind Unterschiede sichtbar. Siebeck folgte den Spuren der Frühstücksschokolade, die laut Michel Tournier das Frühstücksgetränk unserer Tage ist und nur im Bett getrunken werden kann. Die Schokolade, die von ihm als Frühstücksgetränk angepriesen wird, ist nicht der uns bekannte Kakao oder das Kakaopulver namens Nesquick. Das königliche Getränk Schokolade, wie Siebeck es nennt, besteht aus in Vollmich gekochter Bitterschokolade, die nach Geschmack gesüßt und mit Sahne serviert wird und im letzten Jahrhundert bei den feinen Damen sehr beliebt war. Wer stellt sich nun in aller Frühe in die Küche und bereitet dieses Getränk zu, das all unsere Aufmerksamkeit erfordert, damit es zu keinem Anbrennen der Milch kommt? Diese Frage erörtert Siebeck, indem er eine solche morgendliche Aktion sehr humorvoll schildert und zu dem Fazit kommt, daß das süße Wecken mit Schokolade wohl eher die Ausnahme ist. Daraufhin beschreibt er seine Erfah-rungen mit diesem Getränk, in dessen ‘Originalgenuß’ er noch nicht kam. Tournier definierte in seinem Beitrag die Personen bezüglich ihres Getränkes: Die Schokoladetrinkenden fühlen sich morgens hilflos und nackt, in ihnen steckt das Kind, die Kaffeetrinker sind autoritär und männlich und die Teekonsumenten verlegen sich auf orientalische Weisheit. Alle Leser, die diese Krönung des Frühstücks kosten möchten, können dieses im Café König in Baden-Baden.

Der im Zeitmagazin vom 9. Juni veröffentlichte Beitrag "Deutschland - Guten Morgen" bringt "eine nicht ganz repräsentative Umfrage in Bild und Text", in der Personen unterschiedlicher Altersgruppen und Berufe über ihre Frühstücksgewohnheiten Auskunft geben. "Frühstück hat mit Logik nichts zu tun, nur mit Gewohnheit". Im Gegensatz zu den anderen Mahlzeiten, in denen die Menschen neue Küchen und deren Gerichte ausprobieren und nicht nur das ihnen schon Altbekannte essen möchten, zeichnet sich das Frühstück gerade dadurch aus. Rituale und Geschmackskonservatismus, individuell und kulturell, charakterisieren das Frühstück: "Der Morgen ist die Stunde des Ewiggleichen. Des Vertrauten. Des Dashabeichschonimmer. Es ist die Stunde des Rituals"(Duhm-Heitzmann 1995: 40).

Die angeführten Beispiele der Autoren spiegeln dieses sehr anschaulich. Die Heißgetränke Kaffee und Schokolade mit ihrer Geschichte, ihren Funktionen und Trends werden im letzten Abschnitt aufgegriffen.

Diese Artikel unterscheiden sich von den bisherigen durch ihre Länge und ihren Stil. Sie sind sehr bildhaft geschrieben, die Sätze bestehen aus mehreren Nebensätzen, was das Lesen für einen Fremdsprachenlernenden erschwert.

In "Vom Kaffeehaus zum Konditorei-Café", veröffentlicht im Südkurier vom 28. Juni 1995, gibt die Autorin dem Leser einen kurzen Überblick über die Geschichte und Entwicklung des Kaffeehauses zum heutigen Konditorei-Café. Der Besuch der Kaffeehäuser galt für Frauen im 17. und 18. Jahrhundert ohne Männerbegleitung als unschicklich, später wurde es zu dem einzigen Ort, den Frauen ohne männliche Begleitung aufsuchen konnten. Der Kaffee, einst Symbol der Intellektuellen, der nur in den Kaffeehäusern ausgeschenkt wurde, eroberte sich im 19. Jahrhundert das Bürgertum. Er stand für Idylle und häusliche Gemütlichkeit. Die Frauen schufen sich im 18. Jahrhundert in dem Nachmittagskaffee eine Einrichtung, in der sie eine Art Anti-Kaffeehaus sahen, die wiederum von den Männern als Kaffeeklatsch abgetan wurde. Im 19. Jahrhundert kam zu dem Kaffee dann die Konditorei mit ihrem süßen Angebot. Dem Lerner ständen hier eine Palette von möglichen anderen Materialien zur Verfügung, wie zum Beispiel die Kaffee-Kantate, Werbung für Kaffee, etc.

Der Artikel "Jetzt bekommen die Eier ihr Fett weg" in der Brigitte vom 27. Dezember 1995 behandelt den neuesten Trend auf dem Eiermarkt. Das eigentlich runde und doch recht perfekte Ei, das jedoch durch seinen hohen Cholesterin-Gehalt in Verruf gekommen ist, bekommt einen neuen Kollegen, das "cholesterin-neutrale Freilandei", das mehrfach ungesättigte Fettsäuren enthält und dadurch gesünder sein soll.

Ein weiterer Beitrag zu dem von uns geliebten und geschätzten Früh-stücksei, "Eiertanz" genannt, der in der Brigitte 18/94 erschien, unterrichtet die Verbraucher über ein Eier-Gesetz, das die europäischen Politiker zwei Jahre schwitzen ließ, mit dem Ergebnis, daß Deutschland seine eigenen Wege geht. Aufgrund der vielen Salmonellenvergiftungen forderte der Gesundheitsminister ein Gesetz zur sofortigen gekühlten Lagerung gelegter Eier. Dies stieß auf Widerstände innerhalb Europas. Der Artikel berichtet über diese Diskussion.

Der erste von zwei weiteren in der Brigitte 17/94 veröffentlichten Artikel "Rund um den Küchentisch" geht der Frage nach, wozu der Küchentisch und die Küche generell von Hausfrauen in Europa benutzt wird. Die Ergebnisse werden als Ländervergleich visuell dargestellt und schriftlich sehr kurz skizziert. In "Aber bitte mit Jodsalz", geht es um das Fehlen des Jods in unserer Ernährung. Diesem Jodmangel, der zu Schilddrüsenerkrankungen führt, könnte durch ein Zusetzen von jodiertem Salz im Brot und in der Wurst Abhilfe geleistet werden. Der Zusatz von Jodsalz war immer schon erlaubt, mußte jedoch vom Hersteller laut Lebensmittelgesetz angegeben werden. Diese Deklarationspflicht wurde für unverpackte Nahrungsmittel abgeschafft, was dazu führte, daß immer mehr Fleischer und Bäcker ihren Produkten Jodsalz anstatt des regulären Speisesalz zufügen.

"Null Bock auf Wurst" aus Die Zeit vom 10. März 1995 thematisiert den aus den Fleisch- und Hormonskandalen, den Schlagzeilen über die Tiertransporte und die Massenviehhaltung resultierenden drastischen Rückgang des Fleischkonsums der Deutschen. Aus diesem Appetitverlust auf das ‘Stück Lebenskraft’ profitierten die Biobauern mit ihrem Biofleisch, deren Marktanteile zunehmen. Der Artikel skizziert die wesentlichen Unterschiede in der Tierhaltung, das den höheren Preis dieses Fleisches erklärt, und schildert den Vertrieb des Biofleisches.

3.4.8 Werbung

Ob wir ein Printmedium aufschlagen, Radio hören, fernsehen, Verkehrsmittel benutzen, Sportveranstaltungen besuchen oder durch die Stadt gehen, überall treffen wir auf Werbung. Sie gehört zu unserem Alltag, sie ist allgegenwärtig und aktuell und hat einen hohen landeskundlichen Aussagewert. Sie spiegelt die Wertvorstellungen unserer Gesellschaft, gibt ihr Selbst-verständnis wieder und vermittelt ein idealisiertes Bild von den Menschen und unserer Umwelt. Sie macht Aussagen über Geschlechterrollen und Rollen-verteilung, Einstellungen einer bestimmten Zielgruppe, weckt unsere Erinne-rungen an bestimmte Situationen und den damit verbundenen Nahrungsmitteln, erinnert uns an Traditionen, die wir mit einem Nahrungsmittel verbinden und arbeitet mit Stereotypen. Sie appelliert an unsere Gefühle und an unseren Verstand. Auffallend ist, daß in der Botschaft der Werbung für Lebensmittel nicht mehr der Nährwert im Vordergrund steht, sondern die ästhetischen und/oder die erotischen Konnotationen, die damit verbunden werden.

Werbespots, besonders die Fernsehwerbespots, geben kurze Bildsequenzen wieder, in denen Farben und akustische Bilder eingesetzt werden, um damit mehrere Aussagen zu kombinieren, die dann beim Konsumenten ganz bestimmte Assoziationen auslösen und den Produktnamen auch nach längerer Zeit wieder ins Gedächnis rufen. Für den Fremdsprachenunterricht eignen sich Werbeanzeigen auch "wegen ihres hohen Ausmaßes an Bild/Text-Redundanz".(163) Die Werbesprache ist durch den vermehrten Gebrauch phraseologischer Verbindungen wie Redewendungen, Redensarten und Sprichwörter, Schlüssel- Signalwörter, Termini aus Technik und Wissenschaft, die Objektivität suggerieren, und den Gebrauch kurzer und syntaktisch einfacher Sätze gekennnzeichnet.

In das Programm wurden Werbebeispiele aus unterschiedlichen Zeitschriften und Fernsehwerbespots aufgenommen. Sie stellen Nahrungsmittel vor, die in eine der Lebensmittelkategorien (Brot, Aufstrich, Süsses, Käse, Fleisch, Eier, Joghurt/Quark, Warm- und Kaltgetränke) gehören, die üblicherweise in der einen oder anderen Form bei einem Frühstück in Deutschland vertreten sind.

Bei den Fernsehwerbespots handelt es sich um Kaffeewerbung (Caro und Jacobs Krönung), Werbung für Margarine (Rama), und einen McDonald‘s Fernsehwerbespot, in dem das dortige Frühstück angepriesen wird. Unter den aus den Printmedien entnommenen findet sich Reklame für Margarine, für verschiedene Sorten von Joghurt, für vegetarischen Aufstrich und zwei Werbeanzeigen für Müsli unterschiedlicher Geschmacksrichtungen, die jedoch vom gleichen Hersteller stammen.

Die Werbung der Firma Kölln für ihr Joghurt-Müsli ist eine zweiseitige Anzeige, die aus einer Seite Text und einer Seite Abbildung besteht. Der Text weist den Konsumenten auf den Nachteil eines ungesunden Frühstückes hin, der in dem Erleben von Wimbledon auf dem Sofa besteht. Die eigene Teilnahme wurde mal wieder durch das falsche Frühstück verhindert. Das Wimbledon-Frühstück besteht aus dem Joghurt-Müsli, das auf der nächsten Seite in einem roten Teller mit Joghurt und frischen Erdbeeren angemacht, präsentiert wird. Die Abbildung arbeitet mit frischen, lebendigen Farben, kräftigen Blau- und Rottönen, die Vitalität versprühen. Das Produkt in seiner Verpackung erscheint im rechten Tellerrand. Konsumenten, die auf ihre Gesundheit achten, Sportler oder die, die gerne welche werden wollen, sollen mit dieser Anzeige angesprochen werden. Das Frühstück mit dem Joghurt-Müsli verspricht Leistungsvermögen, Fitneß und die damit verbundene Gesundheit. Die Anzeige für das Knusper-Müsli beschränkt sich auf eine Seite. Der Text, der die obere Hälfte der Seite einnimmt, zählt zwei Möglichkeiten auf, um gesund zu bleiben: das sich Quälen in einem Fitneß-Center oder das Essen des Knusper-Müslis. Der Text mokiert sich über die Fitneß-Center und setzt geschickt Klischees ein,(164) die über diese Einrichtung im Umlauf sind. Eine an dieser Stelle abzurufende ergänzende Information könnte z.B. ein Text sein, der die frühen Brei- und Musstandards des Mittelalters und der Frühen Neuzeit und deren Verdrängung durch die Einführung anderer Nahrungsmittel wie z.B. der Kartoffel erläutert.(165) Heutzutage finden wir dank der Gesund-heitsbewegung das geschrotete Getreide in Form von Müsli und Vollkornbrot auf unserem Frühstückstisch wieder.

Die Firma Flora wirbt für ihre vegetarischen Brotaufstriche mit Slogans wie "Das einzige Fleisch kommt hier von der Tomate", "Schließlich ist es nicht Wurst, was aufs Brot kommt". Gesundheit durch ausgewogene, bewußte, d.h. fleischlose Ernährung werden dem Verbraucher versprochen. Grün als vorherrschende Farbe unterstreicht noch einmal den Aspekt des Pflanzlichen, Natürlichen und Gesunden. Anbieten würde sich hier unter anderem ein kurzer Exkurs über andere Ernährungsformen wie z.B. die verschiedenen Arten des Vegetarismus, die Vollwerternährung etc. und ihre Geschichte.

Die Reklame für Rama, eine Margarine: "Erst Rama macht ein Frühstück zu einem Frühstück", stellt ihren Geschmack und ihren Gesundheitsaspekt in den Mittelpunkt. Das Produkt Rama unterscheidet sich in seiner Aufmachung durch das junge zöpfetragende Mädchen von anderen auf dem Markt erhältlichen Produkten. In dem Fernsehwerbespot für das Produkt sitzt der Vater, ein Hemd und Krawatte tragender dynamisch wirkender Enddreißiger, allein am Frühstückstisch, auf dem ein Topf Rama und ein mit Hörnchen gefüllter Teller zu sehen sind. Er hat gerade Rama auf ein Hörnchen verteilt, als seine Frau die Küche betritt und ihm dieses mit einem ‘Liebling’ auf den Lippen ‘entwendet’. Dasselbe passiert ihm mit den nächsten Hörnchen. Nacheinander suchen seine Kinder auf ihrem Weg zur Schule die Küche auf und stibitzen ihm die gerade mit Rama bestrichenen Hörnchen, die der Vater lächelnd, gutgelaunt abgibt. Niemand kann dem Geschmack von Rama widerstehen, ob Kind oder Erwachsener. Die hier gezeigte Familie (Eltern und drei Kinder) nimmt sich nicht mehr die Zeit, gemeinsam zu frühstücken. Jeder, mit Ausnahme des Vaters, huscht, jedoch dieses bester Laune, in die Küche, um sich dort schnell ein mit Rama bestrichenes Hörnchen zu ergattern. Dieser Werbespot weist auf Veränderungen in der modernen Gesellschaft und damit auch im Familien- und Berufsleben hin: Die berufstätige Ehefrau und Mutter hat es eilig, ihr traditioneller Platz am Frühstückstisch wird vom Vater übernommen, der Person, die die Familienglieder mit dem Frühstück versorgt.

Der Knoppersfernsehspot zeigt zuerst eine Kirchenuhr, die gerade halb zehn Uhr schlägt. Der Sprecher gibt bekannt:

"Morgens halb zehn in Deutschland. Einfach mal abschalten, den Hammer hinlegen, Kaffeepause, ‘nen Happen essen, nicht zu süß, nicht zu schwer. Knoppers, das Frühstückchen, frisch und knusprig gebacken. Genau richtig: morgens um halb zehn in Deutschland. Knoppers, das Frühstückchen".

Zu dem Gesagten werden Personen verschiedener Berufs- und Altersgruppen eingeblendet, die gerade gutgelaunt Knoppers genießen. Die Gesten und Mimik der Leute untersteichen das Genießen, was dem heutigen Essenden wichtig ist.

Die Caro Landkaffee-Werbung wird mit einem Lied angestimmt:

"Ich mag das Schöne dieser Welt. Ich mag den Wind im Roggenfeld. Ich mag es, wenn der Tag erwacht und die Sonne dazu lacht. Ich mag plaudern am Nachmittag, Obstkuchen mit Schlag. Ich mag die Lichter meiner Stadt, diskutier’n bis in die Nacht. Laß mich von Deinem Duft verführ’n, Deine Wärme spür’n."

Zu dem Lied werden die entsprechenden Sequenzen eingeblendet: das Roggenfeld, in dem ein junges Paar Carokaffee trinkt, die am See carotrinkende und kuchenessende Familie und das auf der Dachterrasse bei einer Tasse Kaffee glücklich diskutierende Paar. Der Werbespot vermittelt den Eindruck einer intakten Umwelt, in der zufriedene, junge, erfolgreiche und muntere Menschen leben, Aspekte, die die Wirkung dieses Produkts unterstreichen. Der Sprecher verkündet schließlich: "Caro, ich mag Dich, Du bist einfach gut. Caro, der korngesunde Landkaffee". Der Slogan "Caro, der korngesunde Landkaffee" und die am Anfang gezeigten Sequenzen, die ein Roggenfeld zeigen, würden von dem Lerner anders rezipiert, wenn dieser wüßte, daß Carokaffee aus Zutaten wie Malz, Gerste, Zichorie und Roggen besteht, die in Deutschland wachsen und angebaut werden. Die Caro-Werbung der Nachkriegszeit, sie stammt aus dem Jahr 1953, böte sich an dieser Stelle als ein weiteres Textangebot an. Ein junger Mann sitzt lächelnd während eines windigen Tages mit einer Tasse Caro auf einer Schaukel. Die linke Hand in der Hosentasche, ‘schwebt’ er über den kursiv gehaltenen Werbeslogan, das Werbegedicht, das wie folgt lautet:

"Vorüber ist der Sonne Glut. Wie wärmt Freund Caro uns jetzt gut. Er schmeckt, ist kerngesund und rein, er soll des Winters Sonne sein. Ja, Caro ist blitzschnell bereit! Versäumt sie nie, die Caro-Zeit. Caro Instant, der Erste in seiner Art".

Der Werbetext reflektiert die Verhältnisse der Nachkriegszeit: Freunde werden gebraucht und da kommt Freund Caro gerade richtig. Er wärmt in dieser schweren Zeit, ist kerngesund und rein sowie leicht und schnell zuzubereiten, da er im amerikanischen Instantverfahren angeboten wird. Caro soll die Nachkriegsrealität erleichtern. Weiterhin würde sich hier ein Einblick in die Sozialgeschichte der Warmgetränke insbesondere in die des Kaffees anbieten, durch den der Lerner erfahren würde, daß früher Kaffeesurrogate aus anderen Gründen als heute getrunken wurden. Die Geschichte des Kaffeekonsums beschreibt auch die Entwicklung zur bürgerlichen-industriellen Gesellschaft. Das Kaffeetrinken diente früher als Stimulans für das Nervensystem, heute signalisieren Werbesprüche vor allem die Lebenssituationen ‘Ausruhen und Entspannen’. Die Kaffeepause unterbricht unseren Tagesrhythmus. Es domi-nieren die sozialkommunikative und affektive Funktion. Die ernährungs-physiologische Relevanz des Kaffees spielt heutzutage eine sehr geringe Rolle.(166)

"[...] dagegen verbindet die Werbung heute - ohne ihre Macht in irgendeiner Weise zu verleugnen - den Kaffee immer wieder mit Bildern der Pause, der Erholung, ja sogar der Entspannung. Warum? Der Kaffee wird weniger als Substanz, denn als Situation wahrgenommmen: Er ist ein anerkannter Anlaß, die Arbeit zu unterbrechen, wobei diese Unterbrechung einem präzisen Protokoll der Störung unterworfen wird" (Barthes 1982: 73)

Die Kaffeesorte Jacobs Krönung setzt sich nach Aussage ihrer Werbesprache von anderen Kaffeeangeboten durch ihren Geschmack und ihr Verwöhnaroma ab. Dies bestätigen zwei schlückchenweise Genießende, denen der Genuß sprichwörtlich am Gesicht abzulesen ist. Die Gesichter der Frau und des Mannes werden uns in Großaufnahme gezeigt, so daß wir die Details, wie das langsame Schließen der Augen und ihr tiefes Einatmen, die das Genießen veranschaulichen, miterleben und uns mit ihnen in diese Atmosphäre begeben. In einem anderen Werbespot für Jacobs Krönung, wurde eine Hochzeit gewählt, um das Produkt anzupreisen. In der ersten Sequenz sehen wir die junge Braut, die in ihrem langen weißen Hochzeitskleid mit einem Blumenkranz im Haar vor dem Spiegel steht. Das Lied kommentiert diese Szene mit "Hochzeit ist das Fest des Lebens, ein Tag den keiner je vergißt. Man verwöhnt das Paar, teilt das Glück mit ihm, das in aller Herzen ist." Der Brautvater und die Braut kommen per Kutsche zur Kirche, er geleitet sie in die Kirche zum Altar, wo ihr zukünftiger Mann auf sie wartet. Der Ehemann streift ihr nach der Trauung den Schleier zurück und küßt sie, wonach beide dann vor dem Altar tanzen. In der nachfolgenden Szene hat die Hochzeitsgesellschaft an der Kaffeetafel Platz genommen, die im Garten, mit Blick auf einen See, aufgebaut ist. Eine Hausangestellte öffnet eine Packung Jacobs Krönung und prüft das Aroma. Eine Bilderbuchhochzeit! Eine Hochzeit wie sie uns aus Filmen bekannt ist. Die Krönung paßt in dieses Ambiente: der Anlaß, die exklusive Gesellschaft, ein Haus mit Blick auf einen See, die Hausangestellte und als I-Tüpfelchen wird Jacobs Krönung serviert. Am Ende des Werbespots wendet sich der Bräutigam mit einem Ausdruck des Genießens und Lobes an seine Schwiegermutter: "Mmh! Dieses Aroma! Wie immer vom Besten, Mama". Der vertonte Slogan hebt dann noch einmal das Exquisite dieses Produktes hervor: "Ja, die Krönung der schönsten Stunden, ist die Krönung von Jacobs Kaffee". Dem Konsumenten wird suggeriert, daß er sich durch den Kauf und das Trinken des Produktes Erlebnisse dieser Art, vergleichbare schöne und außergewöhnliche Stunden in die eigenen vier Wände holen kann.

Bei dem Produkt Bresso handelt es sich um einen Weichkäse, dessen Werbeslogan "Bresso, mit allen Sinnen genießen" durch ein junges flirtendes und dabei Bresso verspeisendes Paar umgesetzt wurde. In Großaufnahme werden ihre Gesichter präsentiert, denen wir bei ihrem spielerischen und erotischen Verspeisen des Käses zusehen. Unkonventionell, formlos wie das Frühstück bei McDonalds’s, so auch der Werbespot, der den Zuschauer mit dem gerade eingeführten Frühstück und den dazugehörenden Öffnungszeiten vertraut machen will. Ein noch schlafendes Ehepaar wird von einem Fernseh-team in seinem Schlafzimmer überrascht. Der Ansager setzt sich ungezwungen auf das Ehebett, gibt von dort aus die Öffnungszeiten bekannt und stellt das Frühstück vor, das vielseitig und appetitanregend präsentiert wird. Zu wählen ist zwischen warmen Muffins, Ham and Eggs, McMuffins und McCroissants belegt mit Käse und Schinken. Zwischendurch flirtet der Ansager mit der noch schläfrigen Frau, was ihrem Mann sichtbar mißfällt und ihn munter macht.

3.4.9 Phraseologismen

"Es geht um die Wurst!", "Alles in Butter!", "Sie sieht wie aus dem Ei gepellt aus", "Da haben wir den Salat!", "Er steckt seine Nase in jeden Quark!", "Ich habe dies für ein Butterbrot gekauft", "Selber essen macht fett!", "Sie ist zum Anbeißen schön!", "in den sauren Apfel beißen", diese Redewendungen und viele mehr sind uns allgemein bekannt; sie kennzeichnen unsere Umgangssprache und sind aus unserer alltäglichen Kommunikation nicht mehr wegzudenken. Die deutsche Sprache ist reich an solchen festen Wendungen, und es werden immer neue produziert. Sie stammen aus den unterschiedlichsten Lebensbereichen (die obengenannten wurden wissentlich nur dem Bereich Essen und Trinken entnommen) und beziehen sich teilweise auf Lebens-umstände vergangener Zeiten, die uns nicht ohne weiteres bekannt sind, da sich die gesellschaftlichen und kulturellen Umstände geändert haben. Heutzutage signalisiert der Gebrauch von Phraseologismen eine bestimmte Sprecher- und Schreibereinstellung: es wird gewertet, verstärkt, resümiert, verallgemeinert, abgeschwächt, verwischt, manipuliert. Phraseologismen sind sprachlich vorgeformte Phänomene, zu denen Sprichwörter, sprichwörtliche Redensarten und Routineformeln zählen. Sie haben eine Gesamtbedeutung, die nicht an eine bestimmte Situation gebunden ist und die nur schwer aus der Bedeutung der einzelnen Elemente zu erschließen ist. Diese sprachlichen Erscheinungen werden vermehrt in Textsorten wie Zeitungskommentaren, Ratgebern, Horoskopen und Werbeanzeigen eingesetzt.

Es existieren viele Phraseologismen, die in dem Bereich Essen und Trinken, im Genießen und in der Zubereitung von Speisen ("in die Pfanne hauen") ihren Ursprung haben und die ein Indiz für die Bedeutsamkeit dieses Themas im Leben der Menschen sind. Mit dem Nahrungserwerb, der Existenzsicherung verbrachten die Menschen, als die Lebensformen noch simpler waren, den größten Teil des Tages und ihres Lebens.

Lutz Röhrich (1991) zählt unter anderem sprichwörtliche Redensarten auf, die übermäßiges Essen kritisieren ("er ißt für sieben") oder aber zum Essen auffordern ("Essen und Trinken hält Leib und Seele zusammen"), Sprichwörter, die das Essen und das Arbeiten in Relation zueinander setzen ("Wie das Essen so die Arbeit"), Gesundheitsregeln enthalten ("Frühstücke wie ein König, iß mittags wie ein Edelmann, am Abend wie ein Bettler") und zur Sozialisation der Kinder, wie dem Einüben der Tischsitten, beitragen ("Gemüs’ und Fleisch bekommt nur der, der seine Suppe aß bevor").

Phraseologismen transportieren Einstellungen, Bewertungen, Stereo-typen, sie besitzen einen semantischen Mehrwert (Kühn 1985) oder wie Földes es ausdrückt, es gibt Phraseologismen

"deren Bedeutung diese oder jene nationalspezifische Sachverhalte der betreffenden Kultur reflektiert [...]. Alte Traditionen, Sitten, und Bräuche, geschichtliche Fakten, Erscheinungen des gesellschaftlichen, politischen Lebens sowie sozioökonomische Verhältnisse und kulturelle Werte finden also regulär ihren Niederschlag in der Phraseologie" (Földes 1990: 11).

Das Identifizieren, das Verstehen und Anwenden von Phraseologismen sind für den Fremdsprachenlerner nicht leicht. Vergleiche mit Entsprechungen in der eigenen Sprache können für den Lerner jedoch sehr spannend sein und ihn dazu motivieren, den Ursprung dieser zu ermitteln.

Eingegrenzt wurde die Auswahl der Phraseologismen durch den Aspekt des Frühstücks, seiner Bestandteile und den Utensilien für das tägliche Essen. Phraseologismen, die die Wörter Quark, Kaffee, Kakao, Wurst, Käse, Brot, Brötchen, Semmel, Brotkorb, Butterbrot, Honig, Honiglecken, Butter, Ei, Wasser, Magen, Messer, Gabel, Löffel, das Essen, das Wortfeld essen und eines seiner Synonyme, das des Verbs fressen, wurden berücksichtigt, mit dem Hinweis, daß diese Liste keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. Die verwendeten "festen Ausdrücke" werden in ihrer Bedeutung, mit einer Verwendung im Kontext und wenn möglich mit einer Literaturangabe angegeben, des weiteren wird ihr geschichtlicher Hintergrund thematisiert. Ein Beispiel für eine umgangssprachliche Redensart und ihre Kontextualisierung, ist "kleine[re] Brötchen backen [müssen]", mit der Bedeutung des sich bescheiden und des zurückstecken müssen. "Wenn die Wirtschaftslage sich nicht bessert, werden wir alle kleinere Brötchen backen müssen. Zunächst, so heißt es hier, müssen in der Europapolitik noch kleinere Brötchen gebacken werden"(167) wie es im Mannheimer Morgen vom 18. Februar 1969 stand oder "[...] hat vielleicht der Justitiar in Düsseldorf die Firmenleitung aufgeklärt, daß sie kleinere Brötchen backen muß".(168)

Ein Verweis bei den Phraseologismen könnte den Lerner z.B. zu dem Rätsel führen, bei dem es um Redensarten geht, die alle mit dem Essen und Trinken zu tun haben.(169)

3.4.10 Speisekarten

Speisekarten als authentische Textsorte geben durch ihr Äusseres und ihr Speiseangebot Informationen über den Typ Restauration und dessen Preis-klasse, die regionale Lokalisation und über die erwünschten Gäste. Der Deutschlernende gewinnt Informationen über den Aufbau von Speisekarten, ihre Einteilungen in z.B. Vor-, Hauptspeise und Nachtisch und ihre Variationen in den unterschiedlichen Restaurationen. Die verwendeten Sprachbildungs-muster in einer Speisekarte geben dem Lernenden Auskunft über die Zubereitungsart und die Zutaten, die er erkennen, einordnen und verstehen muß, um gegebenenfalls ein Gericht nach seinem Geschmack, seinem Wunsch und seiner Zufriedenheit auswählen zu können. Neuere Wortbildungen, die überwiegend aus dem Französischen stammen, wie glacé, Crème, geben den Speisen noch eine weitere Nuance, machen das Gewohnte und Alltägliche noch schmackhafter und edler und wecken bestimmte Assoziationen.(170) Wie jedoch sind die sprachlichen Abläufe einer Bestellung? Die Einbeziehung der relevanten Sprechakte sind für den Lernenden wichtig, um sich bei einem Restaurant- oder Kneipenbesuch verständlich zu machen. Je nach Art, Klasse des Restaurants differieren die Sprechakte von formell bis ungezwungen. Integrierte Videosequenzen oder Texte, die dieses exemplizieren, könnten an dieser Stelle dem Lerner angeboten werden. Eine sich anbietende Übungsform wäre hier die Produktion, Simulation eines Restaurantbesuches mit einer Bestellung unter Vorgabe sprachlichen Materials zum Verlauf.(171) Die Möglichkeit, via Internet mit einer anderen Person ein Gespräch anzufangen, zu talken, könnte hier eingesetzt werden.

Die in das Konzept des Programms einbezogenen Frühstückskarten machen den Lerner mit einer weiteren Form des Frühstückens, dem Frühstückengehen bekannt. Die angegebenen Uhrzeiten, zu denen man in der Woche frühstücken kann, lassen Rückschlüsse auf die angesprochenen Personengruppen ziehen. Die Möglichkeit des Frühstückens in einer Kneipe oder einem Café verdeutlicht auch, daß das Frühstück nicht nur die Funktion des Hungerstillens am Morgen hat, sondern auch der Kommunikation dient, denn wo Menschen zusammen frühstücken, wird auch immer gesprochen.

Die Frühstückskarten, die in das Programm aufgenommen wurden, stammen aus Restaurationen verschiedener Städte in Deutschland (Lemgo, Bielefeld, Bochum, Freiburg). Bei den durch die Speisekarten repräsentierten Gaststätten handelt es sich um drei Studentenkneipen, von denen zwei (wegen ihrer Lage neben dem Universitätsgebäude), hauptsächlich von Studenten aufgesucht werden, die dritte befindet sich in Süddeutschland und wird neben Studenten auch von dem jüngeren Teil der heimischen Bewohner frequentiert. Die vierte Speisekarte gehört zu einer sogenannten Szenekneipe, ein weiteres Frühstücksangebot stammt aus einer Kneipe, die von allen sozialen Schichten besucht wird und die letzte Speisekarte aus einem alteingesessenen Café, das sehr gemischten Publikumsbesuch hat.

Eine der ausgewählten Speisekarten läßt sich aufgrund ihrer Preise, ihres Speiseangebots und ihrer witzigen, wortspielerisch und assoziativ angelegten Speise- und Getränkegruppierungen wie z.B. "Mafia-Torten, Flüssig-Brot, Shake Me Baby, Heisse Sachen" schnell als eine Studentenkneipe iden-tifizieren. Das in dieser Kneipe täglich als Buffet angebotene Frühstück variiert am Wochenende in Preis und Leistung. Die Karte einer anderen Kneipe bietet ihr Frühstücksangebot, länderspezifisch klassifiziert, nur an Sonn- und Feiertagen von 10 bis 15 Uhr an. Der Gast hat die Qual der Wahl zwischen dem französischen, holländischen, deutschen, italienischen, norwegischen und dem europäischen Frühstück. Das europäische Frühstück zeichnet sich dadurch als ein europäisches aus, daß es aus je einem Nahrungsmittel der anderen Frühstücksvarianten besteht. Für den Lerner kann diese gewählte länder-spezifische Frühstücksunterteilung in mehrerer Hinsicht aufschlußreich sein, da er zum einen die aufgeführten Bestandteile mit seiner vielleicht schon ‘im Kopf’ vorhandenen Liste vergleichen kann und des weiteren sieht, daß die Menschen in Deutschland nicht alle das Gleiche essen, die Geschmäcker nicht identisch sind, und es somit auch nicht das deutsche wie es auch nicht das englische oder schweizerische Frühstück geben kann.

Bei dem umfangreichsten Fühstücksangebot sind seine Früh-stücksvarianten nicht nur nach Ländern, sondern auch nach bekannten Persön-lichkeiten wie Einstein, Berufsgruppen wie das Bauernfrühstück oder den Hauptbestandteilen wie das Steak-, Käsefrühstück benannt worden. Die gesund-heitsbewußten Esser finden z.B. ein Fitnessfrühstück, Joghurt mit frischen Früchten und Honig, Cornflakes mit Milch und Joghurt mit Müsli vor. Sehr auf-fallend bei dieser Frühstückskarte ist die Mischung von Deutsch und Englisch in der Bezeichnung der Varianten. Es finden sich Ham und Eggs mit Brötchen und Butter als auch ein Pfannkuchen mit Ahornsirup. Kosmopolitisch geht es auf der nächsten Speisekarte zu. Dort stößt der Lerner unter anderem auf das Paris-, Montpellier-, Dallas-, Milano-, das Cosmopolitan 1 und 2 Frühstück, welches der Gast auch bis 18 Uhr bestellen kann. Die Frühstücksbezeichnungen der beiden letzteren angeführten Frühstückskarten sind von Amerikanisierungen und Internationalisierungen gekennzeichnet und geben vielleicht die Vorstel-lungen wieder, die man aus einem Urlaub in diesen Ländern mitgebracht hat.

In dem nächsten Lokal kann der Lerner laut Speisekarte von 7 bis 14 Uhr frühstücken, hat die Wahl zwischen dem Schülerfrühstück, dem Kleinen und Großen, dem Vollkornigen, dem Schlemmer-Frühstück und kann das Gewählte dann noch nach Wunsch ergänzen. Diese Karte bietet dem Gast neben den sonst noch aufgeführten heißen Getränken, den Kaffee- und Kakao-spezialitäten auch einen kurzen Abriß der Geschichte des Kaffees.

Die letzte Frühstückskarte hebt sich durch ihre Aufmachung und ihren Inhalt von den bisherigen ab. Neben fünf Frühstückstypen wie dem Müsli mit Milch, dem Joghurt mit Früchten, den Buttermilchpfannkuchen mit Ahornsirup und Fruchtkompott, der gebackenen Putenbrust mit Sonnenblumenkernen an Salat etc. stellt sich der Gast ganz individuell sein Frühstück nach Gusto, Hunger und Geldbeutel selbst zusammen. Auf einem Blatt Papier, das bei dem Kellner abzugeben ist, trägt der Gast das Gewünschte und die gewünschte Menge ein. Zu wählen sind aus den Kategorien Brot, Aufstrich, Süsses, Käse, Fleisch, Eier und Joghurt/Quark.

Abschließend ist zu sagen, daß das große Frühstücksangebot, die Bezeichnung der einzelnen Frühstücke und die Tageszeiten, zu denen es eingenommen werden kann, auf eine zunehmende Popularität des Frühstückens außerhalb der eigenen Wohnung und auf den momentanen Stellenwert dieser Mahlzeit in bestimmten sozialen Gruppen der deutschen Gesellschaft schließen lassen. Die Speisekarten und ihr Angebot verdeutlichen die Übernahme von ausländischen Eßgewohnheiten in die alltägliche deutsche Eßkultur, der Essende kann sich durch seine Wahl in die Ferne, in die Heimat und in die Vergangenheit versetzen lassen.

3.4.11 Rezepte

Beschreibungen, nach denen man Essen zubereitet, findet man nicht nur in Kochbüchern, sondern auch in den unterschiedlichsten Zeitschriften, Tageszeitungen, Broschüren (von Krankenkassen, Produktherstellern oder sonstigen Institutionen herausgegeben), und sie werden sogar per Telefon, Fernsehen, beim Kauf einer CD und im Internet (172) per Computer geliefert. Das Kochen und Essen boomt!

Der Markt an diesen gastrosophischen Schriften ist unüberschaubar. Es gibt regionale und internationale Rezeptsammlungen, die neben den Zutaten und den Zubereitungsschritten auch noch über Geschichte und kulturellen Hintergrund der Gerichte unterrichten. Weiter gibt es Kochbücher für einzelne Zutaten, für spezifische Zubereitungsweisen, für besondere Anlässe, Rezept-sammlungen berühmter Köche oder von Politikerfrauen wie Hannelore Kohl und Christiane Rau. Rezeptsammlungen, die sich an ein ganz spezifisches Publikum wie z.B. Sportler, Studenten, Singles, Kinder, Leute mit schmalem Budget (173) etc. richten, die Vollwert- und die Diätküche, Anleitungen zum kreativen Kochen (!74) sowie eine ständig wachsende Zahl an Getränkebüchern über die Zubereitung von Kaffee, Tee und Schokolade bis zu den phantasievollsten Aperitifs (175) finden sich in den Regalen der Buchhandlungen. Diese Aufzählung vermittelt einen Eindruck der Diversifikation und Spezialisierung dieses Marktes. Heutige Rezeptsammlungen heben das Genießen der Speisen und das Vergnügen bei der Zubereitung hervor und stellen dieses in den Mittelpunkt. Sie geben Einsicht in die Lebensstile und die Eßgewohnheiten bestimmter Regionen, Gruppen, Schichten, Gesellschaften zu einer bestimmten Zeit.

"Der Kochbuchmarkt kann also, sowohl was die Themenvielfalt als auch was die die Themenschwerpunkte angeht, als ein Trendbarometer auf dem Ernährungssektor und im Bereich der Ernährungsideologie angesehen werden" (Ehlert 1993: 333).

Heutzutage versuchen wir uns durch den Kauf und Gebrauch von Rezeptsammlungen fremder Länder fremde Essensgewohnheiten anzueignen, die während einer Urlaubsreise kennengelernten Speisen und die damit verbun-denen Erlebnisse wieder aufleben zu lassen, oder wir folgen bei der Wahl eines Kochbuches oder eines Rezeptes traditionellen Werturteilen über bestimmte Küchen, die, wie z.B. die französische, Vorbildcharakter besitzen. Regionale Rezeptsammlungen pflegen Traditionen und verstärken diese. Dazu kommt ein gestiegenes Gesundheitsbedürfnis, das Schönheitsideal Schlankheit und die vielen technischen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte, die das Kochen er-leichtern und es als Tätigkeit nicht mehr so zeit- und energieaufwendig machen, unsere heutigen materiellen Gegebenheiten und die vermehrte Freizeit. Das Kochen wird zur Kunst deklariert, bietet Freiraum für eigene Originalität und Kreativität, und wird so zu einem Element der Selbstverwirklichung. Diese Kunst erlaubt es auch Anfängern, sie zu meistern. Die detaillierten Anweisungen und Darstellungen der einzelnen Zubereitungsschritte stehen ihnen dabei zur Seite.

Rezeptsammlungen sind einem Funktionswandel unterworfen. Im 19. Jahrhundert war das bekannteste deutsche Kochbuch das von Henriette Davidis, (176) ein Lehrbuch, das die Frauen in die Kochkunst einführt und viele einfache Gerichte, unter anderem auch Rezepte zur Resteverwertung enthält. Zudem appelliert Henriette Davidis an die Frauen des Kleinbürgertums, den bürgerlichen Tugenden wie Sparsamkeit, Ordnung und Fleiß zu folgen. Andere während dieser Zeit erschienene Kochbücher versuchten den Frauen der Arbei-terklasse die Zubereitung preiswerter und schmackhafter Gerichte zu vermitteln, da ihre Ernährung durch Einseitigkeit und Eintönigkeit charakterisiert war.

Kochanleitungen verschiedener Zeiträume und gesellschaftlicher Kontexte, ob sie nun aus dem Deutschem Reich, dem Nationalsozialismus oder der Nachkriegszeit stammen, enthalten neben der Zubereitung von Speisen auch Aussagen über Werte und Regeln dieser Zeit, über die Rollenverteilung und zeigen die Auswirkungen von technischen bzw. lebensmittel-technischen Änderungen.

Es sind sowohl Frühstücksrezepte verschiedenster Quellen als auch Rezepte für die morgens getrunkenen Warmgetränke wie Kaffee-, Tee- und Schokolade aufgenommen worden, die jedoch nur einen kleinen Ausschnitt der Rezeptpalette präsentieren. Unter den Frühstücksrezepten befinden sich einige, die älteren Zeitschriften oder Kochbüchern entnommen wurden, um so dem Lerner einen Vergleich verschiedener Zeitabschnitte zu ermöglichen, durch den er Rückschlüsse auf Veränderungen, Entwicklungen und Trends ziehen kann. Für diesen Prozeß muß der Fremdsprachenlerner die Rezeptsprache ‘lesen’ können. Er sollte die einzelnen Zutaten, die Zubereitungsmethode, die Maßein-heiten, die Adjektive und Befehle identifizieren können. Anhand der Über-schrift des Rezeptes, seiner Zutaten, der Zubereitungsmethode, seiner Präsen-tation und der Sprache, in dem es verfaßt ist, kann der Lerner Folgerungen über die Art des Kochbuches und der damit angesprochenen Gruppe ziehen.

In einer von der Union Deutsche Lebensmittelwerke GMBH herausgegebenen Broschüre mit dem Titel "Frühstücken in Europa" fehlt die deutsche Frühstücksvariante. Das Angebot reicht vom französischen über das schwedische bis zum sowjetischen Frühstück, um so laut Broschüre mehr Abwechslung auf dem Frühstückstisch zu schaffen oder die im Urlaub kennen-gelernten Rezepte zu Hause selbst ausprobieren zu können. Der in jedem dieser Rezepte genannte Brotaufstrich ist Rama. In zwei weiteren Beilagen, die auch von der UNION Deutsche Lebensmittelwerke herausgegeben wurden, werden Frühstücke, ‘wie sie sein sollen’ und Varianten für Frühstück und Pause vorgestellt: Schlemmer-Frühstücke, Lebenswecker-Frühstücke, Bürobrot mit Hühnchenbrust und für die Jüngeren und Schulpflichtigen unter uns gibt es das Schulbrot Sweety, das Kinderfrühstück Schmetterling, das Klappbrot Karen (die speziell für diese Gruppe gemachten Vorschläge wurden nach Alter geordnet), um nur einige aus dem Angebot zu nennen. In einer von der Firma Kölln herausgegebenen Broschüre werden die Frühstücksvorschläge als die ‘für Gewinner’ bezeichnet. Die einzelnen Frühstücksvarianten wurden nach Sportarten benannt; die Auswahl reicht vom Leichtathletik- über das Fechter- bis zum Weltmeister-Frühstück.

Die Zubereitungsanweisungen in diesen Rezepten beschränken sich sprachlich auf das Minimum und sind sehr leicht zu befolgen. Bei den Frühstücksangeboten für Sportler finden sich unter den Ingredienzen immer eine Sorte Obst, ein Milchprodukt und Haferflocken..Gekoppelt sind die jeweiligen Frühstücks-Rezepte in den Broschüren mit Hinweisen auf die Wichtigkeit dieser ersten Mahlzeit als Energiespender für den ganzen Tag, weiterhin werden Ausgewogenheit und Abwechslung bei der Zusammenstellung betont.


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