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Hansmeier: Hypermediale Programme
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Die Frage stellt sich nun, wie ein hypermediales Programm konzipiert sein müßte, um den fremdkulturellen Verstehensprozeß zu unterstützen, d.h. den Lerner mit Hilfe von Sprache eine neue Kultur entdecken und die eigene neu sehen lernen zu lassen, oder, wie von Claire Kramsch formuliert:
"How can we create conditions under which learners can themselves put cultural events in relation with one another, find their hidden patterns, interpret their links, and have enough diversity of perspectives available to avoid stereotypical generalizations?" (Kramsch 1993: 196).
Wie schon in Kapitel 1 ausführlich diskutiert, läßt sich aus der Perspektive der Hermeneutik Fremdes grundsätzlich und partiell verstehen . Für Bredella (1992), der ein hermeneutisches Verstehenskonzept postuliert, erwächst Fremdverstehen aus der dynamischen Wechselwirkung von Eigenem und Fremdem. Verstehen ist ein dynamischer Prozeß, der über die Teilprozesse von Assimilation und Akkommodation verläuft. Die hermeneutische Forderung nach Interaktion und Dialog zwischen dem Lernenden und dem Verstehens-subjekt führt zu dem Hinterfragen des eigenen Vorverständnisses. Der Lernende verändert seine Vorstellungen und erweitert seinen Erfahrungs- und Verstehens-horizont. Die Klärung von auftretenden Ungereimtheiten in der Interaktion erfordert eine aktive und kreative Mitwirkung des Lernenden. Diese Forderungen können durch ein hypermediales Programm in mehrfacher Hinsicht umgesetzt werden.
Die Fremdsprache wird den Lernern in ihrer Ganzheit präsentiert. Sprachliches und landeskundliches Lernen wird als Einheit und Wechsel-beziehung erfahren, und das sprachliche Material wird durch das landeskund-liche vorgegeben.
Die einzelnen Aspekte der Sprache, die
- die funktionale Dimension (Variationen im Sprachgebrauch in verschiedenen Situationen),
- die nonverbale Dimension (die Aussage durch Intonation, Mimik und Gestik ausdrücken),
- die interaktionale/konversationale Dimension (das Paraphrasieren, Turn-Taking) und
- die kulturelle Dimension (soziale Beziehungen, Normen, die Situation, die die Interaktion beeinflussen) (Furstenberg/Malone 1993a: 49)
umfassen, werden dem Lerner nicht isoliert, sondern in Bezug aufeinander dargestellt und zugänglich gemacht.
Die in dem Programm integrierten überwiegend authentischen Materialien, die eine Kombination unterschiedlicher Textsorten bilden, eröffnen dem Lerner unterschiedliche Zugänge (wissensvermittelnde, sachliche, objekti-vierende, subjektiv-positionelle und emotional ansprechende) zu dem Thema. Der Lerner wird mit einer Perspektivenvielfalt konfrontiert, die ihm die wider-sprüchliche und komplexe fremde Realität veranschaulicht.
Er tritt auf diesem Weg mit der ihm fremden Kultur, in diesem Fall der deutschen, in Kontakt. Er interagiert mit ihren Vertretern und kann sich mit den Inhalten und Bedeutungen des Dargebotenen vor dem Hintergrund seines Vor-verständnisses auseinandersetzen. Die Gegenüberstellung verschiedener Materialien ermöglicht ein aktives Experimentieren mit Hypothesen. Das Lern-system sollte kein abgeschlossenes interaktives Programm darstellen, sondern der Lerner sollte aktiv an der Bearbeitung der Dokumente und der Weiterentwicklung der Datenbank beteiligt werden (der Lerner als Autor), wie z.B. durch das Hinzufügen von Annotationen oder durch das Herstellen neuer Verknüpfungen, die eigene Sinnzuweisungen und neue assoziative Bezüge illustrieren.
Die Möglichkeiten, die das Internet bietet, wie z.B. E-Mail, Chat Rooms und das World Wide Web (WWW) müssen berücksichtigt und ausgeschöpft werden.
Da das sprachliche Material durch das authentische landeskundliche vorgegeben wird und die sprachliche Komplexität der gesprochenen und geschriebenen Sprache beibehalten wird, muß dem Lernenden eine Palette von Hilfsmitteln zur Verfügung gestellt werden, wie z.B. Transkripte in Deutsch, eine Zusammenfassung des Gehörten und Gesehenen, ein abrufbares Wörter-buch, kurze grammatische Erklärungen und ein Glossar.
3.2. Auswahl des Themas"Jede Nahrung ist ein Symbol."
(Jean-Paul Satre)(85)
"Dis-moi ce que tu manges, je te dirai ce que tu
es."
(Jean-Anthèlme Brillat-Savarin)(86)
"[..] warum wir im physiologischen Sinne uns
ernähren müssen, und warum wir essen (ist) nicht der gleiche Grund."
(Walter Benjamin)(87)
"Der Mensch ist, was er ißt."
(Ludwig Feuerbach)(88)
"Das Tier frißt, der Mensch ißt."
(Volksmund)
"Was der Bauer nicht kennt, frißt er
nicht."
(Volksmund)
Diese Zitate und Sprichwörter über das Essen, derer es viele gibt, transportieren Einstellungen, Bewertungen und kulturelle Werte. Sie verdeut-lichen, wie eng Ernährung, der menschliche Körper und die Gesellschaft miteinander verflochten sind. Ihr semantischer Mehrwert ist ein Indikator für die Relevanz und die Dichte des Themas Essen.
Essen und Trinken ist in aller Munde, es ist ein alltägliches Gesprächsthema,(89) mehr als ein bloßes Sich-Ernähren, um biologische Bedürf-nisse zu befriedigen und auch mehr als das Verhältnis zwischen dem, was die Natur uns Menschen bietet, und dem, was unser Organismus braucht.
"Essen war immer auch eine besondere Lust- und Leidquelle menschlicher Existenz, bedeutete Genuß und erregte Ekel, förderte Gemeinschaft und Individuation, stiftete Krieg und Frieden, war Zei-chen der Liebe und des Hasses, spiegelte Armut und materiellen Wohlstand, galt als Integral des Alltags und des Festtags, fungierte als Herrschaftsinstrument und Sozialisationsinstrument, Medium und Experimentierfeld sinnlicher, sozialer und ästhetischer Erfahrungen oder Sehnsüchte. Nicht zuletzt war das Essen immer auch ein Mittel der Erkenntnis, wie außer der Geschichte der Feste und Künste, besonders der poetischen Literatur oder der Malerei, die zahlreichen Mythen (Religionen) klarmachen, in denen, der biblischen Erzählung vom Sündenfall vergleichbar, Essen und Erkennen in ihrem Ursprung miteinander verknüpft sind" (Wierlacher 1993: 5).
Die Beschäftigung der Menschheit mit dem Thema "Essen und Trinken" wurde schon in der Antike durch Höhlenmalereien dokumentiert. Das Thema zieht sich durch literarische Texte von Homer bis zur Gegenwart.(90) Es existieren eine Poesie,(91) Philosophie,(92) Theologie des Genusses(93) und eine Dar-stellung des Essens und Trinkens im Film,(94) in der Musik,(95) im Tanz, im Gemälde (96) und in der Oper.(97)
Hunger und Durst sind biologische Grundbedürfnisse, ebenso wie die Ernährung eine täglich wiederkehrende Handlung unseres Alltags darstellt. Ohne die Sicherung dieser physiologischen Notwendigkeit können die Menschen nicht existieren. Als Existentiale wird die Nahrung zu einer univer-sellen, elementaren Daseinserfahrung, die zu unserer alltäglichen selbsterfahrenen Wirklichkeit gehört, unabhängig vom Kulturkreis, dem wir angehören. Diese banalen Feststellungen offenbaren jedoch nicht die Kom-plexität, die das Grundbedürfnis "Essen und Trinken" charakterisiert.
Zwischen dem Bedürfnis nach Nahrung (Hunger und Durst) und der Befriedigung dieses Bedürfnises (Essen und Trinken), setzt der Mensch den psychisch-sozio-kulturellen Aspekt der Ernährung.(98) Jedes Nahrungsmittel besitzt neben seinem Nährwert auch einen sogenannten Genußwert und Sozialwert.
Warum ziehen wir jedoch ein Nahrungsmittel einem anderen mit ähnlichem Nährwert, aber unterschiedlichem Geruch oder Geschmack (99) vor? Warum essen wir so, wie wir essen: wer ißt was, wie wird dieses zubereitet, was gilt als eßbar und was als ungenießbar, wie verzehren wir es, wann, in welcher Reihenfolge, wo und mit wem essen wir, und in welcher Ordnung sitzen wir am Tisch?
Die Formen und Bedingungen der menschlichen Nahrungsaufnahme sind sowohl von physischen Faktoren wie Klima, Beschaffenheit der Böden als auch von Normen, Konventionen, Werten und Gewohnheiten geprägt, die uns meist nicht bewußt sind, die wir als gegeben hinnehmen und über die wir nicht
weiter nachdenken, die jedoch Bestandteile unserer kulturellen Identität darstellen. Sie dienen ethnischer, sozialer, beruflicher und religiöser Gruppen-identifikation. Unsere Speisegewohnheiten erwerben wir durch Enkulturation und Sozialisation, sie sind in unserer frühesten Kindheit verwurzelt und erweisen sich als sehr stabil.(100)
Daß das Essen nicht nur Ernährung ist, sondern auch
"an enormously important subject treated quite wrongly as an aspect of our material life, whereas it is the prime model for communication, assessment, clarification and regulation and the more informative because it is verbal"
betont die englische Sozialanthropologin Mary Douglas in einem Gespräch mit Passariello (1990: 53). Douglas spricht an anderer Stelle auch von dem Entziffern eines Mahles (101) (deciphering a meal) und sieht in jeder Mahlzeit (102) ein soziales Ereignis.(103)
"If food is treated as a code, the message it encodes will be found in the pattern of social relations being expressed. The message is about different degrees of hierachies, inclusion and exclusion, boundaries and transactions across the boundaries. Like sex, the taking of food has a social component as well as a biological one. Food categories therefore encode social events" (Douglas 1972: 61).
Die Mahlzeit als soziales Ereignis und als gemeinschaftstiftendes Moment unterstrich auch Georg Simmel am Anfang des 20. Jahrhunderts in seiner "Soziologie der Mahlzeit". Durch "die allen Menschen gemeinsame Notwendigkeit des Essens und Trinkens" wird das "Sichzusammenfinden zur gemeinsamen Mahlzeit" ermöglicht, und "an der so vermittelten Sozialisierung entfaltet sich die Überwindung des bloßen Naturalismus des Essens" (Simmel 1957: 250):
"[...] in dem Maße, in dem die Mahlzeit eine soziologische Angelegenheit wird, gestaltet sie sich stilisierter, ästhetischer, überindividuell regulierter. Nun entstehen all die Vorschriften über Essen und Trinken, und zwar nicht in der hier unwesentlichen Hinsicht auf die Speise als Materie, sondern bezüglich der Form der Konsumierung" (Simmel 1957: 245).(104)
Der französische Soziologe Marcel Mauss bezeichnete die Nahrung als totales gesellschaftliches Phänomen,(105) da es bis zur Unkenntlichkeit mit der Gesellschaft verwoben sei. Die soziale Totalität spiegele sich in dem Lebens-bereich der Ernährung. Das Ernährungshandeln hängt seiner Meinung nach mit allen anderen Lebensbereichen zusammen, die nicht isoliert werden dürfen, wenn das Totalphänomen Nahrung begriffen werden soll:
"In diesen (wie wir sie nennen möchten) totalen gesellschaftlichen Phänomenen kommen alle Arten von Institutionen gleichzeitig und mit einem Schlag zum Ausdruck: religiöse, rechtliche und moralische [...]; ökonomische [...]; ganz zu schweigen von den ästhetischen Phänomenen [...]" (Mauss 1968: 17-18).
In seiner Ausführung auf die Frage, was Nahrung sei, nennt Roland Barthes noch einmal die Charakteristika, die sie zu einem sozialen Total-phänomen machen:
"Was ist Nahrung? Nicht nur eine Reihe von Produkten, die statistischen und diätetischen Studien unterworfen sind. Sondern zugleich auch ein Kommunikationssystem, ein Vorrat an Bildern, ein Regelwerk des Gebrauchs, des Reagierens und sich Verhaltens. [...], daß jede Nahrung als Zeichen zwischen den Mitgliedern einer bestimmten Gruppe fungiert. [...] Sie ist von einem (übrigens völlig abstrakten) anthropologischen Standpunkt aus zweifellos das erste Bedürfnis; aber seitdem der Mensch sich nicht mehr von wilden Beeren ernährt, ist dieses Bedürfnis immer deutlich strukturiert worden: Substanzen, Techniken, Gebräuche bringen ihrerseits ein System bedeutungs-erzeugender Differenzen (différences significatives) hervor, und von diesem Augenblick an ist die alimentäre Kommunikation begründet" (Barthes 1982: 67).
Zusammenfassend läßt sich sagen, daß seine fundamentale Bedeutung das Essen für uns Menschen zu einer zentralen Thematik macht. Es stellt nicht nur die Sicherung des Primärbedürfnisses dar, sondern die menschliche Nahrungsaufnahme ist zugleich ein Indikator gesellschaftlicher Zustände und gewährt Einblicke in gesellschaftliche Beziehungen. In unserer Eßkultur offenbart sich das Zusammenwirken historischer, politischer, ökonomischer, technischer, religiöser und moralischer Faktoren; es handelt sich, wie schon Mauss so treffend feststellte, um ein soziales Totalphänomen Das Essen als Spiegel unserer Zeit (106) und der Vergangenheit.
Das Thema "Essen und Trinken" bietet sich als Unterrichtsgegenstand im fremdsprachlichen Unterricht sehr gut an, um an diesem exemplarisch nicht nur sprachliches und landeskundliches/alltagskundliches Wissen zu vermitteln, sondern auch den Lerner für kulturelle Unterschiede auf den unterschiedlichen Ebenen des Handelns zu sensibilisieren und ihm die Komplexität, Dynamik und Heterogenität von Kulturen zu veranschaulichen. Diese Begegnung und Ausein-andersetzung vergegenwärtigen dem Lernenden die eigene Kultur, die ihn zur Reflektion über die eigenen Verhältnisse und Gewohnheiten anregt und die er daraufhin relativiert.(107)
Weitere Gründe, die für die Wahl dieses Bereiches sprechen, wurden schon in Kapitel 3.2 genannt, wie z.B. die Nahrungsaufnahme als Existentiale, als eines unserer Grundbedürfnisse, deren Befriedigung jedoch in den unter-schiedlichen Kulturen anders aussieht. Die Ernährung ist geprägt von Normen und Gewohnheiten, in ihr spiegeln sich Einstellungen und Werthaltungen der Essenden und ihrer Gesellschaft und in ihr manifestiert sich das komplexe Zusammenspiel vieler Faktoren.
"Von allem nun, was den Menschen gemeinsam ist, ist das Gemeinsamste: daß sie essen und trinken müssen. Und gerade dieses ist eigentümlicherweise das Egoistische, am unbedingtesten und auf das Individium beschränkte: was ich denke, kann ich andere wissen lassen; was ich sehe, kann ich sie sehen lassen; was ich rede, können Hunderte hören - aber was der einzelne ißt, kann unter keinen Umständen ein anderer essen" (Simmel 1957: 243).
Das Thema Essen kann also sprichwörtlich nicht ohne den Blick über den Tellerrand behandelt werden, denn in keinem anderen Bereich erfahren wir Fremdheit so sinnlich und affektiv: "das Fremde gibt sich am ehesten an frem-den Tischen zu erkennen" (Wierlacher 1987: 16).
Wer von uns hat nicht schon selbst die Erfahrung gemacht, im eigenen Land oder im Ausland, daß durch das Verlassen der vertrauten sozialen und ökonomischen Umgebung das Eigene und das Fremde am offensichtlichsten werden. Uns serviertes unbekanntes Essen und die uns angebotenen neuen Getränke wecken Emotionen, positive oder negative Vorurteile, Stereotypen über ein Land oder eine Region entstehen oder die schon existierenden werden bestätigt. Seit alters her boten sich Nahrung und Getränke an, die Bewohner von Regionen und Nationen zu charakterisieren und zu qualifizieren: Spaghetti-, Makkaroni- , Kartoffel- , Spätzle- und Knoblauchfresser, Frogeaters, Krauts, Kümmeltürke, Patate, Knödelbayer, um nur einige zu nennen. Daß über das Essen, das oft die erste Erfahrung ist, die man in einem anderen Land macht, Sympathien zu anderen Ländern, Regionen aufgebaut werden, daß es über das Gelingen einer positiven Kontaktaufnahme entscheidet, findet sich auch in der Literatur. Der Autor Wolfgang Koeppen schreibt: "Ich bin neugierig. Die erste Mahlzeit in einem fremden Land entscheidet, ob die Gegend einem gefallen wird" (1958: 26).(108)
Wir bevorzugen das uns Vertraute, Bekannte, das uns das Gefühl von Heimatlichkeit vermittelt und halten es für das Normale und Richtige. Ein Beispiel dafür ist Kaffee, der in dem deutschen Film Out of Rosenheim (Percey Adlon, 1988; in den USA läuft er unter dem Titel Bagdad Café) thematisiert wurde und für den deutsch-amerikanischen Kulturkontakt sorgt. Jasmin, eine deutsche Hausfrau, ist mit ihrem Mann in den USA auf Urlaub. Sie verläßt ihren Mann auf ihrem Weg nach Las Vegas in der Mojave-Wüste, woraufhin er im Bagdad Café, einem heruntergekommenen Motel und Café einkehrt, das einzige in dem Ort Bagdad. Auf seinen Wunsch nach einem Kaffee bekommt Jasmins Ehemann einen, der aus Jasmins und seiner Thermoskanne stammt und auf Umwegen ins Bagdad Café gelangte. Dieser wird von ihm mit: "Endlich ein guter Kaffee! Good. Very good coffee" kommentiert. Mr. Cox, Amerikaner und Stammgast im Bagdad Café, der den gleichen Kaffee serviert bekommt, spuckt diesen angeekelt aus und äußert entsetzt: "You call this coffee. Hope it was not poisoned!" Nachdem er mit Wasser verdünnt wurde, trinkt er ihn dann mit sichtbarem Genuß: "Thats how I like it!" Jasmin, die den Rest des von ihr zubereiteten Kaffees trinkt, protestiert, als Mr. Cox ihr diesen zuvorkommend mit Wasser verdünnen will: "Its good so!" Bei der Beobachtung der Zubereitung des Kaffees auf "amerikanische" Art, wenig Kaffeepulver und viel Wasser, bemerkt sie: "That is not coffee! That is brown water." Am Ende des Filmes wird der Kaffee im Bagdad Café in Erinnerung an Jasmin auf deutsche Art zubereitet: mit Filter und mehr Kaffeepulver als gewohnt. Wer normaler-weise starken Kaffee trinkt, regt sich in einem anderen Land auf, wo der Kaffee schwach getrunken wird oder vice versa. Ein anderes Beispiel für die kulturelle Bindung von Mahlzeiten ist der Film Man spricht Deutsch (109) (1987). In diesem Film überkommt die deutschen Urlauber, des italienischen Weißbrotes überdrüssig, die Sehnsucht nach einem richtig herzhaften Stück duftenden deutschen Schwarzbrots.
Wir erweisen uns als sehr geschmackskonservativ; der Magen gewöhnt sich leichter als der Kopf an neue Speisen.(110) Diese fehlende Flexibilität gegenüber unbekannten, fremden Speisen kommt in dem ironisch - spöttischen Kommentar was der Bauer nicht kennt, das frißt er nicht zum Ausdruck, und der Schweizer Volkskundler Richard Weiss stellt fest:
"Für den einzelnen bedeuten die heimatlichen Speisen [...] einen wesentlichen Teil seiner Heimatbindung, welcher ihm bewußt wird, sobald er in eine andere Umgebung kommt [...]. Heimatliche Speisen und Getränke in der Fremde genossen, können die ganze Heimat vergegenwärtigen" (Weiss 1946: 188).(111)
Das Fehlen der bekannten Nahrung und die damit verbundene Nahrungsumstellung lösen viele spontane und abwertende Gefühlsäußerungen aus, verursachen Kummer (112) und führen oft zu psychischen und physischen Problemen (Großkopf 1982: 98) oder wie Wierlacher schreibt:
"Jeder Austauschstudent, jeder Tourist weiß ein Lied von fremden Speisen zu singen. Der Alltag multikultureller Gesellschaften lehrt uns, daß erhebliche Kontaktschwierigkeiten und Sympathiesperren durch unterschiedliche Küchen entstehen können; daß durch Normenfragen des Essens häufig auch Lernbarrieren aufgebaut werden, hat die Nahrungsethnologie aufgedeckt" (Wierlacher 1987: 17).
Als alltägliches und universales Thema liegt die Handlung des Essens so nah am Erfahrungsraum des Lernenden, daß es automatisch sein Interesse weckt, denn, "was man tagtäglich am eigenen Leib neu erfährt, darf als
Lernstoff von vornherein als Vorgabe in bezug auf die Motivation rechnen, umso mehr, als sich jeder Lerner für kompetent hält" (Ehnert 1981: 75).
Die Thematik des Essens wird in den Themenkatalogen der Lehrbücher für Deutsch als Fremdsprache berücksichtigt, seine Erörterung dagegen ist inhaltlich defizitär, und beschränkt sich überwiegend auf grammatische Aspekte.(113) Dietrich Sturm, der das Thema Essen und seine Darstellung in den Lehrwerken Deutsch als Fremdsprache analysierte, kritisierte diese, da das Essen bis in die späten 60er Jahre eine Domäne trivialisierter Possen und Anekdoten gewesen sei, in den 80er Jahre würden die Lernenden zum kritischen Gespräch über das Essen angeregt, und 1987 enthält das "deutsche Essen neben den üblichen Chemikalien vor allem reichlich Grammatik: Präpositionen, Nebensätze und den Imperativ" (Sturm 1990: 331). Sturm sieht in der Kulinarik eine der wichtigsten landeskundlichen Informationsquellen, an denen interkulturelle Begegnung sich orientiert (Sturm 1990: 339), und folgert, daß eine Behandlung dieses Themas unter rein sprachmethodischen Gesichts-punkten den Bedürfnissen interkultureller Begegnung nicht entspricht und diese nicht befriedigt: (114)
"Zwar dürfen wir, wie im vorhergehenden angesprochen, als gesichert annehmen, daß die Kulinarik im weitesten Sinne eine der wichtigsten landeskundlichen Informationsquellen darstellt, an denen interkulturelle Begegnung sich orientiert. Die Bemühungen, Codierungs- und Decodierungszusammenhänge unter interkulturellen Gesichtspunkten zu analysieren und zu beschreiben, können jedoch bisher nur als punktuell bezeichnet werden" (Sturm 1990: 339).
Nach Reinhard Ammer (1988), der das Deutschlandbild in den Lehr-werken für Deutsch als Fremdsprache untersuchte, erfuhr die Behandlung des Themas Essen und Trinken in den letzten Jahren zwar eine quantitative Erweiterung: die Palette der Lebensmittel wurde vielfältiger und Rezepte und Statistiken wurden aufgenommen, aber zu einer Differenzierung der inhaltlichen Aspekte kam es nicht. Die DaF-Lehrbücher Sprachbrücke und Sichtwechsel, die Ammer nicht in seiner Analyse berücksichtigte, benutzen das Thema "Essen und Trinken" nicht nur zur Grammatik- und Wissens-vermittlung. Sie beziehen die Fremdperspektive und die fremdkulturellen Erfahrungen des Lerners mit ein. Die Lernenden werden angeleitet, das Eigene und das Fremde mit anderen Augen zu betrachten. In Lektion 9 des Lehrwerkes Sprachbrücke wird das "Essen und Trinken" thematisiert. Behandelt werden Einladungen, Konventionen bei sozialen Zusammenkünften,(115) Mahlzeiten und Eßsitten, ausländisches und deutsches Essen, wobei auch Tabus und Vorurteile, der emotionale Bereich des Essens und Trinkens und Geschmacksfragen erörtert werden: "Die Deutschen essen schwarzes Brot - igitt! Gutes Brot ist weiß" etc..
Unser Alltag ist also nicht alltäglich und auch keine ahistorische Gegenwart, denn in Eßkulturen offenbaren sich ihre wirtschaftlichen, sozialen, ästhetischen, moralischen und religiösen Dimensionen in ihrer historischen Bedingtheit (Picht 1979). Gerade die Komplexität des Zusammenwirkens der unterschiedlichsten Faktoren, die sich bei der Beschreibung, Präsentation und
Deutung des Themas Essen und Trinken offenbart, macht es zu einem anspruchsvollen interdisziplinären Projekt.(116)
Picht weist auf die Ansprüche von Alltagssituationen hin:
"Gerade weil er [der Alltag; A.H.] spontan und nicht durchdacht verläuft, enthält er die ganze Komplexität weitgehender unbewußter kultureller Beziehungsgeflechte, ist also, je weniger diese sublimiert sind, wesentlich weniger universal als Wissenschaft, Literatur und Kunst" (Picht 1995: 69-70).
Das Konzept des Programms Essen und Trinken in Deutschland, das exemplarisch und in vereinfachter Form zum Teilaspekt "Frühstück" vorliegt, wurde für den Deutsch als Fremdsprache-Unterricht entwickelt und für unterschiedliche Sprachniveaus und Lernertypen konzipiert. Diesen flexiblen Einsatz würden bei einer Umsetzung die nach Sprachstand gestaffelten Hilfsmöglichkeiten (Glossare, Wörterbuch, Transkripte etc.) ermöglichen,(117) die Mehraktivierung der Lernenden auf allen Kanälen und das Korpus interdisziplinären und multiperspektivischen Materials.
Das Programm richtet sich sowohl an erwachsene Deutschlerner in nicht-deutschsprachigen Ländern als auch in deutschsprachigen Regionen. Je nach Bedarf kann dieses Programm in das Curriculum von allgemein-sprachlichem, berufs- und fachsprachlichem Deutsch als Fremdsprache-Unterricht und in die Lehrer-Fortbildung integriert werden. Das Material kann individuell oder in Kleingruppen erarbeitet werden. Hinzuzufügen ist auch die Einsatzmöglichkeit im Selbststudium, der ich persönlich jedoch eher kritisch gegenüberstehe, da die bei einer Einbettung des Programmes in ein Gesamt-curriculum vorhandenen sozialen Komponenten wie Gespräche und Gesprächs-austausch wegfallen und die potentielle Gefahr einer Isolation des Lerners besteht. Wie Claire Kramsch es schon herausstellte: "[Hypermedia] doesnt in itself lead to intercultural understanding" (Kramsch 1993: 203).
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