MATEO - Mannheimer Texte Online


6. Mittelbairisch und die "Tegernseer Zeitung/Münchner Merkur"

6.1. Oberbayern

Bayern ist nicht gleich Bayern. Das, was oft als das typische Bayern dargestellt wird, ist zumeist Oberbayern. Der Freistaat Bayern ist flächenmäßig das größte deutsche Bundesland, er konstituiert sich aus den Regierungsbezirken Oberfranken, Mittelfranken, Unterfranken, Schwaben, Oberpfalz, Niederbayern und Oberbayern. Die drei letztgenannten bilden das sogenannte Altbayern, in dem bairisch gesprochen wird. Das Zentrum Oberbayerns ist die Landeshauptstadt München mit ihren 1,26 Millionen Einwohnern (CANIBOL 1995, 303). Zu den bekanntesten Fremdenverkehrsregionen gehört das Tegernseer Tal mit den Orten Tegernsee, Gmund, Bad Wiessee und Rottach-Egern. Kreisstadt ist Miesbach, im Kreis leben rund 89 000 Menschen (CANIBOL 1995, 303) zuzüglich zahlreicher Touristen.

Die Heimatverbundenheit der Oberbayern braucht wohl nicht aus Heimatlyrik hergeleitet zu werden, denn die Region gilt geradezu als "Refugium für Bodenständigkeit" (OTT 1980, 84). Das, was als bayerische Kultur in Film, Theater, Fernsehen und Musik erscheint - und das ist im Vergleich zu den Kulturerzeugnissen anderer Regionen ja sehr viel - kann vordergründig als Zeichen von Heimatverbundenheit, Selbstbewußtsein und Regionalstolz angesehen werden. Volkskundler sehen das bisweilen ganz anders: Sie erkennen "ein regionales Minderwertigkeitsgefühl", welches "durch eine erbauliche Selbstproduktion wettgemacht" ist. Ursache sei der im 19. Jahrhundert gering gewesene Industrialisierungsgrad und der Fremdenverkehr. Das Ergebnis ist Folklorismus, also ein künstliches Konstrukt aus Teilen der traditionellen Volkskultur, das zur Selbstbespiegelung herhalten muß (KORFF 1980, 40-42). Der echte Bayer ist eben nicht die Seppl-Figur der Bauerntheater und Heimatfilme, auch wenn Nichtbayern vermuten, es handele sich um eine echte Selbstdarstellung. Die Verbundenheit zu den Österreichern ist nicht nur wegen der dialektalen Nähe der beiden "Stämme" größer als die Verbundenheit mit den als "Preußen" bezeichneten Norddeutschen (GOCKERELL 1974, 301), Bayern war immer mehr nach Süden orientiert als in Richtung Norden (GOCKERELL, 1974, 87).

6.2. Das (Mittel-) Bairische

Das Bairische kann lautgeographisch in drei Gebiete eingeteilt werden: Nordbairisch (Oberpfalz, nördliches Niederbayern), Mittelbairisch (Oberbayern, Niederbayern, Oberösterreich, Niederösterreich, Burgenland) und Südbairisch (der Raum südlich des Mittelbairischen) (MITZKA 1968, 185; vgl. Karte 4 im Anhang). Während München zum mittelbairischen Sprachraum zählt, gehört das Tegernseer Tal zu einer Übergangszone zwischen Mittel- und Südbairisch, die man südmittelbairisch nennen kann (MAIER 1965, 233-236).

Zehetner verweist auf die Existenz einer süddeutschen Hochsprache, die das gleiche Lebensrecht habe wie die norddeutsche schriftliche Ausdrucksweise. Akzeptabel auch für die Schule soll der Wortschatz sein, der im Duden zu finden ist (einschließlich der zum Beispiel als oberd., landsch., südd. gekennzeichneten Wörter) und solche, die eine "eingeführte Schreibung" haben, also beispielsweise Begriffe, die in der Lokalzeitung verwendet werden (Schwammerl, Schmankerl usw.). Zehetner gibt eine lange Liste solcher "einheimischer Bezeichnungen" an (ZEHETNER 1977, 132-135). Die regionale Hochsprache gelte nicht nur schriftlich, sondern auch in bezug auf die Aussprache. So bedürfe beispielsweise das dunkle "a" keiner Korrektur in der Schule, da dies regionale Hochlautung sei. Ein bühnensprachliches "a" solle nicht erzwungen werden, da es in Bayern als "gestelzt und sogar lächerlich" klinge (ZEHETNER 1977, 30).

Es gibt sogar Bücher, die die Regionalsprache - damit ist nicht die Mundart gemeint - lehren, so zum Beispiel Bekhs Richtiges Bayerisch. Im Vorwort des Buches wünscht sich der verstorbene bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß, jeder Leser möge mithelfen, "im Konzert der europäischen Völker unsere bayerische Art und die so klang- und farbenreiche Sprache unserer schönen Heimat zu erhalten" (BEKH 1973, 10). Bekh meint in seiner Einleitung, die Sprache, die in Bayern Hochsprache war, werde durch eine "Flut nord- und niederdeutscher Mundartausdrücke" überschwemmt. Dadurch würden die "hochsprachlichen Unterschiede der Regionen" eingeebnet, "in der Regel auf Kosten der bayerischen Besonderheiten". Bekh wundert sich, daß die bayerische Schriftsprache bis dato nicht in Wörterbüchern behandelt wurde und nicht Gegenstand wissenschaftlicher Arbeiten war (BEKH 1973, 12).

Bairisch gilt bei den Bairischsprechern durchaus als angesehen. Ris meint, Altbayern gäben es nur im äußersten Notfall auf, zudem habe es schöpferische Kraft und dürfe nicht von Nichtbayern gesprochen werden (RIS 1978, 97). Eichhoff schreibt, im Süden des deutschen Sprachgebiets sei im Gegensatz zum Norden ein "durchaus aktives Verhältnis zur Sprache zu treffen". Es gebe "Stolz auf die heimischen Sprachformen" und das "Bestreben, sie gegen eine vermeintliche ‘Verpreußung’ zu verteidigen". Diesen sprachlichen Reaktionsseparatismus gebe es vor allem in Bayern (EICHHOFF 1977/78).

Bei einer Befragung in Bayern äußerten knapp die Häfte der Personen, in den Medien werde zu selten Mundart verwendet, der gegenteiligen Meinung war niemand. Frauen und Jüngere zeigten sich weniger an dieser Frage interessiert. Nur unter Jüngeren war ein nennenswerter Anteil (18 Prozent) der Meinung, es sei nicht schade, wenn der Dialekt unterginge (REIN/SCHEFFELMANN-MAYER 1975, 280). Weiterhin kam bei der Befragung heraus, daß der Dialekt als ein gemeinschaftsbildendes, solidaritätserzeugendes Medium angesehen wird. Die Befragten gaben zu einem nicht unerheblichen Teil an, daß Menschen, die absichtlich keine Mundart reden, Angeber seien. Einige forderten sprachliche Anpassung, um zu verhindern, daß jemand Außenseiter bleibt (REIN/SCHEFFELMANN-MAYER 1975, 276). Vor allem Bauern und Hausfrauen hegen Mißtrauen gegenüber Standardsprechern, stellten Rein/Scheffelmann-Mayer fest. Sie könnten vermutlich nicht verstehen, wie sich jemand seiner Mundart schämen kann (REIN/SCHEFFELMANN-MAYER 1975, 279). In Bayern ist nach einer anderen Untersuchung Dialekt höher angesehen als die Standardsprache, während das in Berlin und Hamburg umgekehrt ist. Dies zeigt die hohe soziale Akzeptabilität der Mundart im Freistaat (REIN/SCHEFFELMANN-MAYER 1975, 263).

Bekh hingegen beobachtete anderes: "Sprachlich nicht aufgeklärte Bayern (...) leiden bezüglich der eigenen Sprache unter Minderwertigkeitsgefühlen (...)" (BEKH 1973, 81). In der schon mehrfach erwähnten Untersuchung Hundts zu Einstellungen gegenüber dialektal gefärbter Standardsprache war das "Bairische" nach dem "Hamburgischen" die interregional beliebteste Varietät. Probanden gaben ihren Eindruck über das Bairische wider: "klingt weich und gediegen, gemütlich, riecht nach warmer Holzstube und knarrenden Dielen", meinte jemand; eine andere Person nannte die Sprachform schlicht "kraftvoll, derb"; jemand, der die Bayern offensichtlich nicht mag, urteilt über die Varietät, sie sei "schneidend, scharf, durchdringend, faschistoid" (HUNDT 1992, 64-66). Daß das Bairische als recht beliebt gilt, zeigen auch die schon in einem früheren Kapitel zitierten Beliebtheitslisten und wohl auch die Einschaltquoten von Fernsehsendungen, in denen bairische Varietäten verwendet werden. Die Denkweise mancher Standardsprecher hat ein Reporter aufgezeichnet: Als Bundespräsident Roman Herzog vor Studenten in Hessen eine Rede "in sympathisch niederbayerisch gesättigtem Idiom" gehalten habe, mußte er sich den Zuruf "Lärn doch erst emoh Deutsch!" gefallen lassen (MÜLLER 1995, 3).

Wie ist es nun um Vitalität und damit um die Zukunft des Bairischen in Bayern bestellt? Laut Rein/Scheffelmann-Mayer gilt Dialekt in Bayern nicht als sozial diskriminierendes Merkmal. Dennoch gebe es Situationen, in denen "Hoch- oder zumindest Umgangssprache üblich ist oder sogar gefordert wird" (REIN/SCHEFFELMANN-MAYER 1975, 279). Dialektgebrauch ist in den untersten Schichten am verbreitetsten und nimmt zu den oberen Schichten hin ab. Nach einer Umfrage wurden für untere Unterschicht 92%, für obere Unterschicht ebenso wie für untere Mittelschicht 82% und für obere Mittelschicht 59% Dialektsprecher festgestellt. Mit denjenigen, die "ein wenig" Dialekt sprechen, ergeben sich die Werte 96%, 96%, 93% und 89% für die vier Schichten. Die Oberschicht wurde zur oberen Mittelschicht gezählt, da sie statistisch nicht relevant sei (REIN 1991, 32). Nach den hier und den in einem früheren Kapitel angegebenen Zahlen kann man von einer recht hohen Vitalität des Bairischen ausgehen. 60 Prozent der Bayern wollen die Mundart an ihre Nachkommen weitergeben, was zumindest für ein begrenztes Fortbestehen des Dialekts spricht (REIN 1991, 32).

Dialektsprecher benutzen diese Sprachform in Familie, Nachbarschaft, Freundes- und Bekanntenkreis, im Verkehr mit örtlichen Behörden und Geschäften, auch größtenteils am Arbeitsplatz. Mit zunehmender Öffentlichkeit tritt die Mundartbenutzung zurück (REIN/SCHEFFELMANN-MAYER 1975, 276-279). Nach Meinung Otts hat die soziale Tolerierung der Mundart in Bayern deren "sukzessive Angleichung an die Hochsprache" zur Folge. Weiter führt er aus: "Wer heute noch Dialekt spricht, ist entweder in keinen überregionalen Kommunikationsverbund eingegliedert, oder er spricht ihn als Zweit- oder Drittsprache. Dann aber verflacht er mehr und mehr zur bloßen Dialektfärbung der Umgangssprache. Echter bairischer Dialekt, der sich nicht in phonetischer Umwandlung neuhochdeutscher Wort- und Satzbildungen erschöpft, ist selten geworden. Der eigenständige bairische Wortschatz, die vom Neuhochdeutschen oft abweichende Grammatik sterben zunehmend aus." (OTT 1980, 85) Durch die bundesweite Beliebtheit bayerischer Volksstücke werde die Integrität der Sprache gefährdet, da überregional Zugeständnisse zwecks Verständnisses nötig seien, meint Ott (OTT 1980, 89).

Zum Schluß noch ein Blick auf die Sprachsituation in München und am Tegernsee. In München, so ist aus einer Arbeit von 1961 zu erfahren, ermahnten die Eltern ihre Kinder, Standardsprache zu reden, obwohl sie selbst Dialekt redeten. Der Einfluß der Standardsprache auf den Dialekt gelte als so stark, daß sein Aussterben vorausgesagt werde (KUFNER 1961, 6-8). Die Mundart am Tegernsee wiederum werde, so eine andere Arbeit aus dem Jahr 1965, durch den Fremdenverkehr und die Münchner Umgangssprache bedrängt (MAIER 1965, 9). Die vom Tourismus heimgesuchten Gebiete seien sehr stark von sprachlichen Neuerungen erfaßt, das gilt nach Maier besonders für das Tegernseer Tal (MAIER 1965, 237). Die "neuzeitlichen Einflüsse" (Schule, Kirche, Medien sind standardsprachlich; Vertriebene; Tourismus; Arbeiten außerhalb des Wohnortes, in der Großstadt) bewirken eine Umstellung hin zur regionalen Umgangssprache (Verkehrssprache) (MAIER 1965, 21).

6.3. Die "Tegernseer Zeitung/Münchner Merkur"

Die "Tegernseer Zeitung/Münchner Merkur" (TZ/MM) erscheint im Zeitungsverlag Oberbayern GmbH&Co. Technik KG Wolfratshausen. Der Mantelteil stammt vom "Münchner Merkur, der rund um München Hauptteil für die Blätter der Zeitungsgruppe "Münchner Merkur/tz" ist. Während der MM in München natürlich nicht ohne Konkurrenz ist - ja sogar Konkurrenz aus dem eigenen Haus mit dem Boulevardblatt "tz" hat -, gibt es am Tegernsee nur die TZ/MM. Im Landkreis Miesbach gibt es die drei MM-Titel "Miesbacher Merkur", "Holzkirchner Merkur" und eben TZ. Die drei Titel haben manche Lokalseiten gemeinsam - so gibt es in der TZ Seiten über den Raum Tegernsee ("Seegeist") sowie täglich je eine Seite "Holzkirchner Merkur/Oberbayerischer Gebirgsbote" und "Miesbacher Anzeiger". Nach Verlagsangaben hat der MM eine Auflage von 135 600. Der Rest der Zeitungsgruppe zusammen 161 000, samstags 182 000, die drei Titel des Landkreises Miesbach haben eine Auflage von 18 000, samstags 21 000 (ZEITUNGSGRUPPE MÜNCHNER MERKUR/TZ 1994, 4; Zahlen gerundet).

Laut Impressum haben die drei Lokaltteile des Landkreises Miesbach zusammen fünf Redaktionsmitglieder. Der TZ-Lokalteil hat insgesamt acht bis neun Seiten, darunter die Termin-Seite Schwarzes Brett sowie, wie schon erwähnt, Seiten über Holzkirchen und Miesbach, außerdem die Seite(n) Heimatsport. Für die Untersuchung wird die Zeitung so betrachtet, wie sie vorliegt, also unter Einschluß der Seiten der Nachbarstädte. Der Mantelteil hat die Seiten Titelseite, Politik, Blickpunkte, Bayern, Oberbayern, Weltspiegel, Kultur, Leserbriefe, München, Wirtschaft, Sport, Tele-Merkur (Fernsehprogramm). Samstags erscheint "Der Merkur zum Wochenende JOURNAL" mit den Seiten Titelseite, Journal, Frau und Familie, Wissenschaft-Technik. Nicht alle erwähnten Seiten erscheinen täglich. Die Seiten Reise&Erholung erscheinen dienstags und samstags. Samstags gibt es noch Kfz-, Immobilien- und Stellenanzeigen sowie die Hörfunk-Woche, Kunst&Antiquitäten und Heiraten&Bekanntschaften. Donnerstags gibt es die Kleinanzeigenseiten Fundgrube sowie Wühltisch/Hits für Kids.

6.4. (Ober)bayerisches Regionalbewußtsein durch den MM

Die Titelseite ist in der Aufmachung wenig regionalorientiert. Aber es wird häufig aus der Region berichtet, teilweise mit Bild, und auf regionale Themen im Innenteil verwiesen. Die Seite Politik enthält neben Kommentaren und Nachrichten auch Wetterkarten. Eine ist mit "Das Wetter in Bayern" überschrieben, zeigt aber nur Ober- und Niederbayern vollständig. Darunter befindet sich eine Karte "Wetterpanorama", die das Wetter in Bayern und in den Alpen vergleicht (unterschiedliche Höhenlagen). Der Vorhersagetext ist unterteilt in Alpengebiet, Südbayern und Nordbayern. Eine vergleichende Wettertabelle informiert über die Temperaturen des Vortages in Deutschland; wiederum sind einige bayerische Orte angegeben.

Die Seite Blickpunkte berichtet teilweise über Geschehnisse in Bayern, die Seite Bayern natürlich nur über den Freistaat. Die Seite Oberbayern zeigt gerne schöne Landschaftsbilder und gibt die "Temperaturen oberbayrischer Seen" an. Samstags erscheint auf dieser Seite die Rubrik "Bairischer Wochenkalender", die über regionale Traditionen informiert. MM-Eigenanzeigen für den Immobilienmarkt zeigen die Region mit den Landkreisen in verschiedenen Größen. Die Region ist auch auf der ersten Immobilienmarkt-Seite abgebildet. Die Seite Wirtschaft bietet ein "Bayerisches Börsen-Barometer", die Seiten Sport informieren ausführlich über bayerisches Sportgeschehen. Die Seite Tele-Merkur gibt die Programme der Sender ORF und TV München. Der Platz, der ORF 1 und Bayern (gemeint ist das dritte Programm B 3) zukommt, ist fast so groß wie der von ARD und ZDF. Samstags erscheint die "Bayerische Hitparade der ‘Top Ten’" - wohlbemerkt mit internationalen Titeln.

Auf der Titelseite des Journals werden häufig bayrische Persönlichkeiten vorgestellt. In der Porträtrubrik "Offen gesagt..." wird unter anderem gefragt: Leben Sie gerne in Bayern? Und warum? Die Stellenseiten nennen sich "Stellenmarkt im Oberland" - Oberland ist die Bezeichnung für den südlichen Teil des Verbreitungsgebiets. Die Kfz-Anzeigen sind auf der ersten Seite mit "Bayerns größter Kfz-Markt" überschrieben, der gleiche Schriftzug ziert die MM-Eigenwerbung für Kfz-Anzeigen. Die Seite Hörfunk-Woche informiert über die regionalen Sender Bayern 1, 2 Wort, 3, 4 Klassik, 5 aktuell, Salzburg, Radio Charivari, Antenne Bayern und Radio Gong 2000. Die Kolumen "Gedanken zur Zeit" vom 4. Juli ist mit Kein schöner Land überschrieben, womit natürlich Bayern gemeint ist. Der Text endet mit einem Mundartgedicht, das ein Loblied auf die Heimat ist.

6.5. Sprachbewußtsein und Einstellungen zu nichtmittelbairischen Varietäten

Sprachliche Fragen, die nichts mit Bairisch zu tun haben, sind nicht so häufig im MM. Am 3. August findet sich auf der Seite Blickpunkte ein Artikel über moderne Etikette und sprachliche Umgangssprachen, am 9. Februar wird an derselben Stelle über die deutsche Sprache in Ost und West berichtet. Am 4. Juli informiert die Seite Weltspiegel über die französische Sprachpolitik. Leserbriefe thematisieren hin und wieder sprachliche Fragen. Am 7. und 16. Februar sowie am 3. August wird die "Verenglischung" der deutschen Sprache beklagt. Am 5./6. Februar und am 6./7. August monieren Leserbriefschreiber den "Verfall der deutschen Sprache".

Nichtmittelbairische Varietäten kommen seltener vor als fremde Sprachformen in den beiden anderen Zeitungen. Konrad Adenauer wird in einem Kommentar auf der Politik-Seite am 11. Januar auf Kölsch zitiert, der Spruch ist allerdings recht verständlich. Ein Kommentar über Niederdeutsch im Bundestag findet sich auf derselben Seite am 13. Januar. Der Journalist ist fremden Varietäten gegenüber freundlich eingestellt, er überlegt sich folgendes: Die Parlamentarier (...) könnten (...) am Montag den Unterkiefer zu anmutigem Sächseln vorschieben, am Dienstag hessisch babbeln, am Mittwoch Kölsch parlieren. Auch des Finanzminister Theo Waigels Schwäbisch und das Fränkische (jo werchli) werden wohlwollend erwähnt. Der Kommentar ist im Anhang als Dokument 26 zu finden. Am gleichen Tag findet sich ein schwäbischer Wallfahrergruß der bayerischen Politikerin Renate Schmidt.

Die Überschrift Zunft der Käsemännle bezieht sich auf einen Artikel über die Basler Fastnacht, auf der Bayern-Seite vom 10. Februar. Bauernregeln aus anderen Regionen werden in der Kolume "Bairischer Wochenkalender" auf der Seite Oberbayern, so zum Beispiel 19./20. Februar, wo die Wörter han und erscht in Bauernregeln auftauchen, zitiert. Alemannisch kommt am 22. Februar in einem Artikel über die Basler Fastnacht vor. Die Überschrift des Artikels auf der Seite Weltspiegel lautet Morgestraich, marsch! Auf der München-Seite am 30./31. Juli wird in einem Artikel erwähnt, daß es unter Touristen immer stärker "sächselt". Auf derselben Seite findet sich am 30. August ein Bericht über Fabelwesen mit dem Hinweis auf die "Elwetritche" in Rheinland-Pfalz. Die Seite Reise&Erholung bringt Wienerisches am 5. Juli in einem Bericht über die österreichische Hauptstadt. Die Überschrift ist ein mundartliches Zitat aus dem Text: Ka Angst - mia ham doch an Sprechfunk.

Berlinert wird in einem "Spruch des Tages" auf der Sport-Seite am 5./6. Februar. Sächsisch gibt es am 21. Februar zu lesen. Ein MM-Sportreporter weilte zum Bundesliga-Fußballspiel des FC Bayern München in Leipzig, wo er, um eine authentische Atmosphäre zu erzeugen, den Stadionsprecher und einen Taxifahrer sprechen läßt, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. Am 26./27. Februar wird ein schwäbischer Skispringer in seiner Mundart zitiert. In einem Leserbrief am 13. Januar, der sich mit der Abneigung der Österreicher gegen deutsche Sportler befaßt, werden typisch österreichische Begriffe verwendet. Am 28. Juli taucht in einem Leserbrief ein Witz aus Köln auf, in dem auch Kölsch benutzt wird.

Im Lokalteil sind nichtmittelbairische Varietäten kaum zu finden. Im Untersuchungszeitraum wird nur einmal an jemanden erinnert, der schwäbisch grüßte (11. Februar), der schwäbische Häuslebauer taucht am 12. Juli auf.

6.6. Mittelbairisch im Mantelteil

Die Titelseite berichtet am 11. Januar über ein sprachliches Thema: Der Stier solle in Zukunft auch in Bayern Bulle heißen, beschwert sich der Förderverein Bayerische Sprache und Dialekte. Das Thema wird weitere Diskussionen zur Folge haben (vgl. BEKH 1973, 74-79; schon damals war das Thema diskutiert worden). Das Wort Zehnerl (Groschen) ist am 1. Februar in einer Überschrift zu lesen, am 4. Februar ist von einem Fleckerl, am 8. Februar von einem Schneeglöckerl die Rede. Ministerpräsident Stoiber wird am 21. Februar zitiert, er nennt Anschuldigungen hinterfotzig, das Wort wird auch in der Überschrift benutzt. Zwergerl tauchen am 12. Juli auf, Frau Kornmandl (Frauenvogelscheuche) grüßt am 21. Juli in einer Überschrift. Das Wort Schifferl ist am 28. Juli in einer Unterüberschrift zu lesen, Hannelore Kohl darf am 2. August ein Milchflascherl halten. "Kloana Kirta" (Kirchweihtag) liest man am 8. August, eine mundartliche Überschrift ist am 27./28. August zu finden, sie ist das Motto des Roßtages in Rottach-Egern: D’Fuhrleut kemman zamm. Schon auf der ersten Seite ist eine Besonderheit festzustellen: der bairische Diminutiv (MOSER 1969, 199, weist auf die große Zahl von festen Diminutiven im Bairischen hin, also Diminutiven ohne Diminutivbedeutung - das sei geradezu ein Kennzeichen der bairischen Mundarten).

Die Seite Politik bringt am 12. Januar die Kommentar-Überschrift Würstl statt Steaks. Einen Tag darauf ist der schon erwähnte Niederdeutsch-Kommentar zu finden, in dem auch die Bayern mit ihren Mundarten erwähnt werden. Der Kommentar endet mit der eher bedauernden Vermutung, daß der Versuch. sprachliche Vielfalt in den Bundestag zu bringen, scheitern würde (Dokument 26 im Anhang). Am 28. Juli wird das Wort Schifferlfahrten benutzt, am 30./31. Juli lautet eine Kommentar-Überschrift Heißer Bursch.

Auf der Seite Blickpunkte erscheint die Mundart-Serie Bairisch gredt zehnmal im Untersuchungszeitraum. Die Serie erscheint seit drei Jahren, sie stammt aus der Feder von Professor Johann Höfer. Am 15. Februar nennt Höfer die Mundart Teil unseres Lebens, auf sie verzichten hieße, uns von uns selbst entfremden. Er ist sich sicher, daß die bairische Sprache nicht bedroht ist:: Ob Landratsamt, Finanzamt oder Rathaus - ma redt boarisch und boarisch weadma bediend (...) Wenn der Beamte nicht bairisch kann, wird er sich hüten, einen einheimischen Bürger grob zu behandeln (...) der Gebrauch der Mundart ist ein Naturrecht. Hier erfährt der Nichtbayer etwas über die Verbreitung und das positive Ansehen der Mundart. Diese Folge ist als Dokument 27 im Anhang zu finden. Meist lehren die Folgen bairisch, indem Menschen zitiert werden. Am 15./16. Januar wird der Leser in einen Skikurs versetzt, der Skilehrer redet nur bairisch - Dokument 28 im Anhang. Überschriften und Bildunterschriften sind immer im Dialekt. Die Bilder zeigen manchmal typischen Bayern in Tracht. Ohne Bairischkenntnisse können einige Mundartzitate in der Serie nicht verstanden werden, standardsprachliche Übersetzungen sind nur bei schwer verständlichen Wörtern angegeben. Höfer, so die immer angehängte redaktionelle Anmerkung, trete in dem schon erwähnten Dialekt-Förderverein auch für die Pflege der im südlichen deutschen Sprachraum heimischen Hochsprache ein. Die Häufigkeit und herausragende Plazierung der Serie, aber auch der Inhalt der Texte zeigt die Bedeutung, die die Redaktion den bairischen Varietäten beimißt. Daß die Leser das Thema ebenso für wichtig erachten, zeigen zahlreiche Leserbriefe, die weiter unten behandelt werden.

Der Kurzbericht über die Begriffe Stier und Bulle, der am 11. Januar auf der Titelseite erschien, führt zu einer Reihe von Leserbriefen, aus denen in einem Artikel auf der Seite Blickpunkte vom 15./16. Januar zitiert wird. Der Autor des Artikels gibt zu, daß sich die Redaktion zu diesem Thema Zuschriften gewünscht hat: Doch wenn der Stier zum Bullen wird, geht (wir haben es insgeheim erhofft!) ein schmerzlicher Aufschrei durchs bairische Land. Die erwähnte Meldung habe eine Flut von Leserbriefen ausgelöst. Zitiert wird aus acht Leserbriefen, die sich alle gegen den plattdeutschen Begriff "Bulle" aussprechen. Norddeutscher Sprachgebrauch werde übernommen. Der Förderverein für Bayerische Sprache wird von den Lesern ausdrücklich gelobt, einer schrieb: "Er ist anscheinend der einzige Verein, der gegen die unsinnige Umbenennung unserer bayrischen Ausdrücke vorgeht. Bitte weiter so!" Die sprachliche Identität im eigenen Land werde zerstört, meint ein anderer Leser. Aufmachung und inhaltliche Tendenz zeigen deutlich, daß die Redaktion sich hinter die Kritik der Leser stellt und das Bairische erhalten will. Der Text ist als Dokument 29 im Anhang zu finden.

Daß auch bayerische Politiker bairische Ausdrücke in ihren Reden benutzen, zeigt sich beispielsweise in einem Artikel am 8./9. Januar, in dem Zitate mit den Ausdrücken Schmarrn und Laßts vorkommen.Am 21. Januar erscheint ein Bericht über Stoiber, in der Überschrift wird er mit dem Wort hinterfotzig zitiert. Am 9./10. Juli wird ein Landwirt, der den abgesagten Besuch des chinesischen Politikers Li Peng am Tegernsee kommentiert, im Dialekt zitiert. Am13.-15. August darf sich in einem Artikel jemand narrisch freuen.

Die Landesseite Bayern berichtet am 7. Januar über zwei Heimattheaterstücke, deren Dialekttitel erwähnt werden. Eine Überschrift am 26. Januar spricht vom Hendl-Essen. In einem Fastnachtsartikel am 7. Februar kommt mehrfach Mundartliches vor. Daß Dialekt in Bayern kein Stigma-Soziolekt ist, zeigt die Tatsache, daß auch ein Museumsdirektor Mundart gegenüber der Presse verwendet (16./17. Juli). Am 19. August wird ein Mesner bairisch zitiert. Bairisch kommt des öfteren in der Kolumne "Maßgeschneidert" vor, die sich meist auf der Oberbayern-Seite befindet. Am 26./27. Januar und 2./3. Juli ist die Kolumne auf der Bayern-Seite, auch hier kommt Mundartliches vor. Aus Platzmangel kann das alles nur angedeutet werden.

Die Regionalseite Oberbayern bringt häufig Mundart. Einmal wöchentlich erscheint die Rubrik "Bairischer Wochenkalender", die eine laut Duden 9 standardsprachlich nicht korrekte Grammatik benutzt (BIBLIOGRAPHISCHES INSTITUT, 1985, 471): 1. mit 7. August (am 30./31. Juli) anstatt "1. bis 7. August". Die Kolumne nennt die Namestage und das Brauchtum der kommenden Woche sowie Bauern- und Wetterregeln. In Bauernregeln und bei den Brauchtumsbeschreibungen kommt häufig Dialekt vor. Die Kolumne "Maßgeschneidert" bringt Mundartzitate und Bavarismen am 7./8. und 14. Januar sowie am 12./13. Februar. Dialektbegriffe gibt es in einem Veranstaltungskalender und in dessen redaktionellem Vortext am 4. Januar. Am 7. Januar wird ein Landwirt mundartlich zitiert. Das Wort Hemadlenz wird in einer Überschrift am 9. Februar verwendet, im Text geht es um Fastnachtsbrauchtum. Der Stammtischspezl kommt am 12./13, Februar in einer Unterüberschrift vor. Um die Namen bayerischer Orte geht es in einem Beitrag der Regierungspräsidenten Oberbayerns am 14. Februar. Jener wundert sich über die Aussprache mancher Orte. Am 25. Februar werden in zwei Berichten Dialektzitate verwendet: Einmal darf sich der Sportler Wasmeier bairisch freuen, dann der Vater einer Skifahrerin sich mundartlich äußern. Von einer Watschn ist in einer Überschrift am 26./27. Februar die Rede.

Dialektzitate gibt es auch am 6. Juli in einem Bericht über Volkstheater. Bei regionalen Festen ist selbstverständlich Bairisch im Spiel: Am 25. Juli werden die "Boarischen" des 10. Internat. Badewandl-Rennen angekündigt. Das Werdenfelser Land wird am 30./31. Juli "’s Goldene Landl" genannt. Ein Dialektzitat kommt am 8. August vor, am 11. August lautet eine Überschrift 300 Bauern auf Spuren des ‘Kini’, eine andere Mit Radln über Alpen und Venedig ("Radl" ist für MOSER 1969, 199, eines der Beispiele für feste Diminutive, es heißt in den bairischen Mundarten so viel wie "Fahrrad", ist also zum Grundwort geworden). Das schon klassische "O’zapft is" steht unter einem Bild am 16. August, einen Tag später wird eine Wirtin im Dialekt zitiert, am 18. August wird in einer Überschrift das Wort Brez’n benutzt. Am 22. August wird die Forderung des schon mehrfach erwähnten Dialekt-Vereins gemeldet, an den Schulen die Mundart zu fördern: (...) im Unterricht würde die süddeutsche Hochsprache immer mehr durch den norddeutschen Jargon verdrängt. Lehrer sollten Mut und Verantwortungsbewußtsein zeigen, sich zur bayerischen Identität bekennen. Eine Überschrift am 29. August verwendet das Wort "Fuhrleit".

Auch die Sport-Seite bringt hin und wieder mundartliche oder regional-umgangssprachliche Zitate. Eine Überschrift am 17. Januar lautet "Des Schießen is a bisserl mei Leiden", im dazugehörigen Artikel finden sich ebenfalls bairische Zitate. Am 26 Januar sind in einem Artikel wieder mehrere Bairisch-Zitate, die Überschrift enthält den Ausdruck "A Eisprinzessin". Franz Beckenbauer wird am 3., 11. und 26./27. Februar bairisch zitiert, am 25. Februar wird in mehreren Artikeln bairisch zitiert. Wasmeier wird am 18. Februar mundartlich zitiert, Hackls Spruch in schönstem Bavarian-English wird am 11. Februar erwähnt. Vom olympischen "Stockerl" ist am 16. Februar die Rede, eine Watsch’n taucht am 6./7. August in der Meinungskolumne "Lupenrein" auf. Die zur Olympiade erscheinende Sonderseite Olympische Winterspiele läßt zwei norwegische (!) Maskottchen am 21. Februar bairisch reden. Wasmeier wird am 14. Februar mehrfach bairisch, Hackl und Lenz werden am 15. Februar bairisch zitiert. Letztgenannter Text ist im Anhang als Dokument 30 zu finden.

Die Seite München bietet des öfteren in Artikeln Bavarismen, darunter einige bairische Diminutive. Am 8./9. Januar dürfen Passanten in der Kolumne "Moment bitte" mundartlich reden, am 20. Januar schließt der Kolumnist seinen Beitrag bairisch: Also sagt’s auch amal "Dankschön" (...). In der Kolumne am 25. Januar hat jemand einen "Platterten". Bairisch verwendet der Kolumnist auch am 4. und 11. Februar. In der Kolumne vom 4. Juli wird ein bairisches Straßenbahngespräch wiedergegeben, die Kolumnenüberschrift am 18. Juli lautet Narrische Leut’. Am 21. Juli wird das Wort Spezln benutzt. Auch in den August-Kolumnen gibt es wieder Bairisch: Am 6. August lautet die Überschrift "Stangerl-Not", das auch im Text vorkommende Wort Stangerl meint eine Vorrichtung, um sein Rad abzuschließen. Bayerische Gerichte werden auch bairisch geschrieben, könnte ein Motto in Oberbayern sein, in der Kolumne vom 24. August tauchen denn auch einige Regionalspeisen auf: Hendln, Haxn, Brezn, Leberkäs. Am 31. August ist in der Kolumne in einem fiktiven Zitat von Markl-Briefmarken, also solchen für eine Mark, die Rede.

Am 10. Januar wird ein Pfleger bairisch zitiert. Am 13. Januer erscheint ein Artikel über Rad-Abstellplätze, bei dem durchgehend, auch in der Überschrift vom Radl die Rede ist. Der feste Diminutiv wird in zahlreichen Zusammensetzungen gebraucht, der Text ist im Anhang als Dokument 31 zu finden. Am 18. und 28. Januar werden Menschen bairisch zitiert, der CSU-Politiker Gauweiler am 19./20. Februar. Überschriften am 7. Februar enthalten die Bavarismen Filserbuam und Wadl. Spezln tauchen am 9./10. Juli und am 22. August auf, am 15. Juli redet ein Händler von Packerl Kaffee. Am 16./17. Juli werden regionale Tänze aufgeführt: Landler, Boarischer beim Kocherlball. Bairisch in Überschriften kommt am 25. und 26. Juli vor: Hoagart’n, Singstund’. Der Bundespräsident verratschte sich, heißt es in einem Artikel am 29. Juli. Am 1. August gibt es g’standene bayerische Mannsbilder, am 8. August die Gemüsesorten Radi und Radieserl, am 20./21. August "ein Schmarrn" in einer Überschrift zu lesen. Derselbe Ausdruck wird auch in einem Artikel am 30. August zitiert. Am gleichen Tag wird ein Maurer bei einer Gerichtsverhandlung mundartlich zitiert.

Das samstags erscheinende Journal bringt hin und wieder unter der Rubrik "Die gute Eß-Adresse" Berichte über bayerische Restaurants. Das häufig vorkommende Wort Schmankerl vermerkt der Duden als Standard, wenn es im Sinne von Leckerbissen gebraucht wird. Das bairisch korrekte Speisenkarte (eben nicht "Speisekarte", vgl. BEKH 1973, 84) steht am 15./16. Januar in der Oberüberschrift. Zahlreiche bayerische Gerichte werden in den Texten erwähnt, so zum Beispiel Kalbszüngerl (15./16. Januar), Reiberdatschi (26./27. Februar), Ripperl (16./17. Juli), Knödl (4. Juli). Auch das Journal hat seine wöchentliche Meinungskolumne, sie nennt sich "Gedanken zur Zeit". Am 15./16. Januar wird das Wort Haferl (Tasse) benutzt, am 12./13. Februar will der Autor einen "Pfui Deife Orden" vergeben. Am 30./31. Juli thematisiert der Wissenschaftler Helmut Zöpfl das Bairische. Er bedauert: Es ist schon traurig, daß man langsam den Eindruck gewinnt, daß immer weniger junge Leute die Mundart sprechen. Das Schlimme daran ist aber, daß es auch kein richtiges Hochdeutsch ist, das an die Stelle der Mundart getreten ist, sondern ein entsetzliches Kauderwelsch. Für dieses "Neudeutsch" bringt er zahlreiche Belege aus eigener Erfahrung mit Universitätsprüfungskandidaten: nich, ham wa, solln se, könn se, wolln se, ne. Für Zöpfl ist das Sprachverfall, da es sich weder um Standardsprache noch um Bairisch handelt. Der Text ist als Dokument 32 im Anhang zu finden. In der Kolumne vom 4. Juli (montags erschienen wegen eines Streiks) wird die bayerische Heimat gelobt, der Beitrag endet mit einem Gedicht in bairischer Mundart. In einem Artikel über eine ehemalige bayerische Sängerin am 9./10. Juli wird diese im Dialekt zitiert.

Die Plattenecke am 7. Januar rezensiert eine Schallplatte der Gruppe "Well-Buam": (...) herrlich hinterfotzig. Auf geht’s Buam!, meint der Rezensent dazu. Auf der Weltspiegel-Seite vom 8./9. Januar taucht in einer Überschrift das schon bekannte Radl auf. In einer Bildunterschrift wird am 2. Februar ein Skateboardfahrer "Brettl-Künstler" genannt. In einem Artikel über Pilze wird das Wort Schwammerl benutzt (12. August). Eine Fernsehkritik bemerkt in Überschrift und Text über eine Moderatorin, daß sie das "r" schon fast genauso prägnant wie die Vorgängerin rolle - diese Bemerkung über eine bairische Eigentümlichkeit findet sich auf der Seite Tele-Merkur am 20. Januar. Das Wort Vogerl wird in einer Überschrift auf der Seite Kultur am 28. Februar benutzt. Die samstags erscheinende Seite Hörfunk-Woche verwendet den Ausdruck Montag mit Freitag.

Am 14. Februar und 18. Juli gibt es die Sonderseite Bayerische Heimat mit Gedichten, Zitaten und Überschriften in Mundart. Ein Artikel der im Anhang als Dokument 33 befindlichen Seite vom 18. Juli befaßt sich sprachkundlich mit dem Mundartwort Hader(n)krah. Die Seite Reise&Erholung benutzt am 1. Februar das Wort Zuckerl. Am 18. Januar wird Münchens amerikanische Partnerstadt vorgestellt unter der überraschenden Überschrift Buam, Brezn und Bier in Cincinnati. Im Text erfährt man dann, daß beim "Octoberfest" in der US-Stadt Münchner und ihre Spezialitäten dabei sind. Die Seite Frau&Familie bringt am 5./6. Februar eine Rezension über das Backbuch "Bayrische Kuchl", der Autor wird bairisch zitiert.

Zahlreiche Leserbriefe im MM benutzen Mundart oder thematisieren diese, zumeist als Reaktion auf die Serie "Bairisch gredt" oder als Beitrag zur Stier/Bulle-Diskussion. Ein Leser dichtet bairisch anläßlich Wasmeiers Goldmedaille am 23. Februar. Die Dialektserie findet vornehmlich Lob, ein Leser zählt am 30./31. Juli Wörter aus der ‘roten Liste’ der bedrohten Dialektizismen auf - der Brief ist im Anhang als Dokument 34 zu finden. Ein Mundartgedicht erscheint am 29. Juli, ein Leserbrief am 25. Juli empfiehlt, keinen Genitiv zu verwenden, da es ihn im Bairischen nicht gibt. Eine Leserin nimmt in ihrem Brief vom 4. Februar Radiomoderatoren in Schutz, die sich mit "Tschüs" verabschieden. Ein Leser fordert die Bayerische Staatsregierung am 16./17. Juli zum Handeln auf, um die sprachlichen Grundwerte zu bewahren. Der Autor der Mundartserie erhält neben viel Lob auch Korrekturen, so am 14. Juli und 26. August. Ein Dialektgedicht taucht am 9./10. Juli auf, am 31. August bedauert jemand, daß in der Schule ‘Hochdeutsch’ unterrichtet wird. Ein Briefschreiber am 24. August bietet eine Konjugation an, die ein Preuße, der bairisch gelernt hat, können müsse. Dieser Brief ist im Anhang als Dokument 35 zu finden. Am 20./21. August erscheint ein Leserbrief, in dem beklagt wird, der Autor der Dialektserie ziehe die deutsche Hochsprache ins Lächerliche. Insgesamt erscheinen 30 Leserbriefe, die Mundart thematisieren oder benutzen, bis auf wenige Ausnahmen wird für das Bairische und gegen die "Verpreußung" gekämpft.

Festzuhalten bleibt an dieser Stelle die Tatsache der positiven Einstellung der MM-Redaktion zu den bairischen Varietäten. Mundart wird gefördert durch eine Serie auf der dritten Seite, bairische Begriffe werden in Schutz genommen, bairische Diminutive verwendet. Leser kämpfen gegen die sprachliche "Verpreußung" und bekennen sich zur bairischen Mundart und zur regionalen Hochsprache. Durch zahlreiche Zitate wird deutlich, daß es mehrere Varietäten gibt: einmal eine standardnahe Varietät mit Regionalismen, einmal eine Art regionaler Umgangssprache und schließlich den Dialekt. Als Beispiele verwende ich Zitate aus einem Bericht über die Olympischen Winterspiele (15. Februar), auf ein standardsprachliches Beispiel wird hier verzichtet:

Standardnah: "Des is eigentlich nix"; "Des Glück war mir hold" (Rodler Georg Hackl)

Eher standardnah: "I hab nicht daran geglaubt, aber des Glück hab ich auch noch ghabt" (Rodel-Bundestrainer Sepp Lenz)

Eher dialektnah: "den hamma grad no hingebogen"; "I war erkältet, mit a Rotznasn schlaft sich net so guat" (Hackl)

Dialekt: "So a Musi, des taugt mir" (Hackl)

Der MM zitiert wohl immer authentisch und gibt so ein Bild verschiedener bairischer Varietäten. Dadurch, daß Spitzensportler und manchmal auch Politiker sich bairischer

Varietäten bedienen, wird deutlich, daß ein sprachliches Selbstbewußtsein herrscht und bairische Varietäten intraregionales Prestige besitzen. Vor allem in weniger formellen Kolumnen wird häufig Bairisches verwendet, und zwar anstelle von Standardbegriffen.

6.7. Mittelbairisch im Lokalteil

Täglich gibt es im Gesamtlokalteil Tegernsee/Miesbach/Holzkirchen eine Kolumne "Stichel-Hex", abwechselnd in den drei Teillokalteilen. Auf den Seiten für Tegernsee und Miesbach ist die Kolumne immer mundartlich verfaßt. Der Raum Tegernseer Tal hat so etwa acht Mundartglossen im Monat. Zwei Beispiele, eines für Tegernsee, eines für Miesbach, sind im Anhang als Dokumente 36 und 37 zu finden.

Auf einen ausführlichen Überblick wird aufgrund der großen Zahl an Zitaten in bairischen Varietäten hier verzichtet. In rund 180 für sich alleinstehenden redaktionellen Beiträgen im Gesamtlokalteil (Kolumnen mit eingerechnet) kommt Bairisch in Form von Zitaten, Regionalismen und Dialektizismen vor, 25mal in Überschriften. In 41 Beiträgen tauchen Dialektzitate auf, oft mehrere gleichzeitig.

Am 5./6. Januar liegt der TZ das Rottach-Egerner Mitteilungsblatt bei, in dem ein mundartlich verfaßter Brief abgedruckt ist. Ein Dialektbrief ist auch am 6./7. August zu finden: Ein grüner Kreisrat aus Schliersee reagiert auf eine "Stichel-Hex" über Verkehrspolitik. Dieser Brief ist als Dokument 38 im Anhang zu lesen. Auch die Lokalredaktion sorgt sich um süddeutsche Begriffe, am 11. Januar hat ein Artikel folgende Überschrift/Unterüberschrift: Droht dem ‘Bullen’ im Freistaat der Garaus? / Sprachpfleger wehren sich gegen Wortgebrauch. Daß die Redaktion in weniger formellen Texten gerne Bavarismen und sogar Mundart benutzt, zeigt ein Blick in die samstags erscheinende Kolumne "Die Redaktion an den Seegeist". Hier Beispiele aus der Kolumne vom 6./7. August, die im Anhang als Dokument 39 zu finden ist: in die Tirolfroasen fallen, "deachten der Deifl" (...) Mauracher Schützenmoid mit ihrem Bernhardiner-Fassl (...) Tegernseer Kaibiplärrer (...) zum Derbremsen (...) "Zillertal, du warst mei Freid" (...) derlahnert. Ohne Bairischkenntnisse hat man Verständnisschwierigkeiten. Derlei Schreibweise zeigt aber deutlich das intraregionale Prestige mittelbairischer Varietäten: Sie sind es wert, im Standardtext verwendet zu werden. In der Kolumne vom 19./20. Februar bemerkt der Autor, daß ihm an Sportler Wasmeier sein Bekenntnis zur Heimatsprache gefalle, was auf Mundartstolz in der Redaktion schließen läßt.

Am 28. Februar wird der Bürgermeister von Gmund mehrfach zitiert, wie er in einer Bürgerversammlung Dialekt redet: "Wenn’s jetzt staad seid’s, kenna ma ofanga...", meinte er anfangs. Wobei der Journalist beim bairischen Begriff bleibt: Und die 230 Gmunder waren 70 Minuten staad. Auch am 12. und 23./24. Juli werden Bürgermeister des Raumes Tegernsee mundartlich zitiert. Dies zeigt, daß der Dialekt in Oberbayern auch in öffentlichen Situationen verwendet wird, was wiederum Sprachstolz voraussetzt. Dialektzitate gibt es auch im Lokalsportteil, so wird am 28. Februar beispielsweise ein Stadionsprecher zitiert. Jede Menge Mundartzitate gibt es auch beim Empfang von Olympiasieger Wasmeier in seinem Heimatort Schliersee. Sowohl der Sportler als auch der 2. Bürgermeister Schliersees und teilweise der Landrat reden Dialekt. Letzterer würdigt verschmitzt, daß Wasmeier bayerisch als Weltsprache populär gemacht habe. Das große lokale Vorbild Wasmeier wird auch noch an anderen Tagen mundartlich zitiert.

Über einen Bunten Abend heißt es am 12./13. Februar, daß eine auf lateinisch gehaltene Aussprache vom anwesenden Dolmetscher in einwandfreies Bayerisch übersetzt worden sei. Am 29. Juli und am 1. August wird über Gerichtsverhandlungen berichtet. Mundartzitate aus den Prozessen zeigen, daß in Oberbayern auch vor Gericht Dialekt nicht unüblich ist. Daß ein Zitat dialektalisiert wird, kommt gewiß deutlich seltener vor als umgekehrt. Aus der Aussage ein wenig Gewissensbisse in einem Artikel am 3. Februar wird in der Überschrift die Aussage Ob des Faulenzens "schon ein bisserl Gewissensbisse". Auch bairischer Grammatik ist man nicht generell abgeneigt, in einem Artikel über ein Brauchtumsfest ist die Rede vom Jackl Sepp. Überhaupt kommen viele Dialektzitate, Regionalismen und Dialektizismen bei lokalen Kultur- und Festveranstaltungen vor. Als Beispiel findet sich im Anhang als Dokument 40 ein lokaler Artikel über die Waakirchner Festtage. Schon die Überschrift ist sehr bairisch: Faßl doch nicht "mit Hand einidruckt". Der Text beginnt natürlich mit "Ozapft is!", im Text sind dann bayerische Gerichte und Musikgruppen mit Mundartnamen zu finden.

6.8. Anzeigen im Dialekt

Nichtmittelbairisch, würde man vermuten, kommt in TZ/MM-Anzeigen bestimmt nicht vor. Tatsächlich findet man aber doch etwas: Am 24. Januar ist eine Grußanzeige saarländisch verfaßt, am 28. Januar gibt es eine Anzeige des Bayerischen Rundfunks auf der Seite Tele-Merkur. Geworben wird für eine Sendung über Franken, ein Gedicht in fränkischer Mundart, gewiß nicht allen Oberbayern verständlich, ist dort zu finden. Am 17. Februar ist eine Grußanzeige in einem mir unbekannten, jedenfalls nichtmittelbairischen Dialekt verfaßt. Servus Schifans ist schließlich in einer österreichischen Tourismuswerbung zu lesen.

Grußanzeigen sind bei den Lesern der TZ/MM sehr beliebt. Im Gegensatz zu den wenigen Grußanzeigen in den beiden anderen Zeitungen gibt es hier kaum einen Tag ohne solche Texte. Sprachlich sind sie sehr unterschiedlich. Die Mehrzahl ist standardsprachlich verfaßt, einige im Dialekt, manche eher regional-umgangssprachlich oder gemischt. Im August beispielsweise erscheinen in 13 von 22 Ausgaben Grußanzeigen, die bairisch enthalten. Dies entspricht 59 Prozent aller Ausgaben. In dem Monat erschienen insgesamt 120 Grußanzeigen, davon enthielten 20 bairisch, also knapp 17 Prozent. Drei Beispiele, alle vom 24. August, sind im Anhang als Dokumente 41, 42 und 43 zu finden. Eines davon ist ein längeres Gedicht, das den Stellenwert der Mundart in höheren Schichten aufzeigt:

(...)

und da Vorstand und Geschäftsführer,

der liegt eahm im Bluat, des hoder gern

und macht er guad,

‘s Telefon leit ohne Ruah und vom Autofahrn

kriagt er nia gnua.

(...)

Auch mundartliche Bekanntschaftsanzeigen finden sich in der TZ/MM. Im Vergleich mit der Gesamtzahl haben zwar nur sehr wenige bairische Sätze oder Ausdrücke, was im Vergleich zu den beiden anderen Zeitungen aber viel ist, denn dort wird nur die Standardsprache verwendet. Einmal findet sich sogar ein Gedicht, verfaßt von einer Dame (19./20. Februar):

Suachst a zünftige, sportl. Henna?

Mechast a nimma alloans durch d’Woit renna?

Vielleicht mogst mi und mir kemma zsamm

u. wern mitanand a mords Gaudi ham

(...)

Am 26./27. Februar inseriert ein älterer Herr wie folgt: Guad schaug i aus, aba arm bin i wia Maus, wer mog mi wi i bin, 62 Jor wer i oid, 162 bin i groß u. a Auto hob i a. Am 13.-15. August schreibt ein Mann: I bin ned da Monaco-Franze und ned da Stoiz von da Au. I bin a normaler Mo (...). Andere Bekanntschaftsanzeigen sind nur teilweise mundartlich, vor allem am Textanfang, um Aufmerksamkeit zu erregen. So am 5./6. Februar: Jetzt reicht’s. I mog nimmer alloa sei. Am 9./10. Juli inseriert ein Mann: Wennst’ jetzt scho mei’ Anz. liest, na kannst ma a glei schreib’n!? Ein Nichtbayer nimmt sich am 2./3. Juli auf den Arm: A’ "Saupreiß" bin i (...) su. gu. Spezl (...). Frauen suchen häufig ein "gstandnes Mannsbild" (so beispielsweise zweimal am 16./17. Juli). Ein Mann am 9./10. Juli sucht eine Partnerin, um ratschen, radl’n zu können, auch ein Bavarismus wie "ein bisserl" wird manchmal im Standardtext verwendet.

Immobilienanzeigen sind weniger geeignet für Mundart, da es sich um formelle, monetäre Dinge dreht. Dennoch finden sich bairischen Diminutive Häusl (8./9. Januar), Zuhäusl (9./10. Juli) oder Wochenendhäusl (23./24. Juli).

Auch Kleinanzeigen eignen sich nicht unbedingt für lokale oder regionale Begriffe, weil sie eindeutig und verständlich sein müssen. Immerhin bietet jemand ein Schrankerl (7. Januar) oder ein Leiterwagerl (7. Juli) an. Ein Burenbock sowie Geißen bieten jemand am 15./16. Januar an. Am 23./24. Juli sucht jemand einen Stadel, ein anderer beitet eine Kalbin an. Obligatorisch ist die Mundart bei der Kleinanzeige einer Volkstheaterbühne am 9./10. Juli. Darin heißt es: Ja wo san’s denn - unsere zukünftigen Volksschauspieler? Das Sendlinger Komödienbrettl e. V. bräucht e paar Laienschauspieler - egal, ob jung, alt, Weiberl od. Manderl. Meldet’s Euch halt (...).

Normale Anzeigen sind wesentlich häufiger mit bairischem Wortschatz ausgestattet. Eigenanzeigen des MM, die mit Reinschau’n überschrieben sind, sollen auf die Seite Reise&Erholung hinweisen. Am 31. August gibt es eine Eigenwerbung mit längerem Text, in dem wieder einige bairische Diminutive vorkommen: Ohne Zeitung, ohne Blattl ist man bloß ein halber Mensch. Verglichen wird das Leben ohne die Heimatzeitung mit einer Brille ohne Glasl, selbst die Standlfrau auf dem Markt benötige die Zeitung.

Bairisch in Anzeigen benutzen vor allem Gaststätten und sonstige Nahrungsverkaufsstätten. Geworben wird mit regionaler Küche. Am 21. Januar wird auf ein Kaffeekranzl hingewiesen, am 27. Januar bietet eine Gaststätte: Unser gemütliches Stüberl und "a" herzhafte Brotzeit! Am 8. Februar wird ein Hax’nessen angeboten, am gleichen Tag wirbt ein Restaurant mit längerem mundartlichen Text und bairischer Überschrift: Auf geht’s beim Schandl! Einen Tag später erscheint erneut eine Anzeige der Gaststätte, diesmal mit anderem Dialekttext:

Auf paßt’s liebe Leid

Heut, um 10e in da Früah macht

da neue Schandl auf.

Mia ham uns a par Schmankerl

füa Eich oifoin lass’n

laßt’s Eich überrasch’n

und schaugt’s einfach nei.

Am 11. Februar wirbt eine Gaststätte wie folgt:

Zum "Ruaßig’n Freitag"

spuit da Kreuzmayr-Sepp

auf d’Nacht in da Gaststub’n auf.

Ein "Münchner Gaststättenführer" wirbt am 26./27. Februar auf bairisch:

Wo trifft ma Leid’ zur Fast’nzeit?

Beim Starkbierfest

(...)

nach dem Motto

>A Gaudi und a Musi,

a Brotzeit und a Gspusi<

Bei einem Waldfest gibt es einen Hendlgrill und eine Würstlbraterei (1. Juli). Am 7. Juli liest man in Anzeigen Brezen sowie Hendl- und Hax’nbraterei, am 9./10. Juli wiederum Brezen und Stüberl, dasselbe sowie ein Bier- und Brotzeitstanderl gibt es beim Hotel/Café Helenenschlößl. Eine Backstube bietet am 22. Juli Vollkornzwergerl an, am 27. Juli wirbt eine Gaststätte mit folgendem Spruch:

>Des schmeckt allen guat>

ob zur Brotzeit oder als Mitbrings’l!

Für ein Volksfest wird am 29. Juli wiederum mit bairischen Begriffen wie Wies’n und Speisen wie Kas vom Loab geworben, letzteres gibt es beim Brotstand des Glöckl Klaus im Zelt. Am selben Tag inserieren auch ein Café mit Weinstüberl und ein Brotzeitsüberl. Bei einem Bürgerfest gibt es Vintschgerl (5. August), bei einer Metzgerei Kasseler Ripperl (8. August), in einer Gaststätte Pflanzerl (9. August), beim "Alpen-Großmarkt" Currywürstl und Kalbsbratwürstl (10. August), für ein Volksfest wird mit den Ausdrücken Wiesnabend und "Boarisch zünftig und fetzig" geworben (11. August). Reherl in Rahm gibt es unter anderem in der Werbung einer Gaststätte (13.-15. August), Schweine-Hax’n, Wammerl, Fleischpflanzerl und andere bayerische Speisen werden in Anzeigen am 17., 18. und 22. August angeboten.

Auch Non-Food-Produkte werden mit Bairisch beworben. Hand d’rauf lautet das Versprechen eines Küchencenters (3. Januar und öfter). für einen Herzal-Ball wird am 12. Januar geworben, Haferlschuhe werden am 13. Januar feilgeboten. Am 15./16. Januar erscheint die Anzeige eines Autohändlers, der einen Abverkauf anbietet und die eines Händlers, der bairisch wirbt (Dokument 44 im Anhang):

Video/TV auf GROSSBILD

Spatz’l geh ma ins Kino?

Super na klar wo treff ma uns?

Bei mia im Wohnzimma in da ersten Reih!!!

(...)

Ein Motorradhaus lädt am 26. Januar zur Brotzeit ein. Mehrfach bairisch ist in Anzeigen am 4. Februar zu finden. Ein Möbelgeschäft bietet Fleckerl-Teppiche an, ein Münchner Bekleidungsgeschäft wirbt mit dem groß gedruckten Wort Zwergerlpreise auf einer ganzseitigen Anzeige. Ein Münchner Bettengeschäft wirbt am gleichen Tag in großen Worten für den Winterschlußverkauf: "I hab mei Sach!" Als Text ist darunter zu lesen: Und Sie? Also wenn’s heuer noch ned beim WSV beim Betten Rid waren, dann sollten’s Eahna aber schick’n. So ein Angebot zu solche Preise haben’s noch ned g’sehn. Also auf gehts. Am 11. Februar wirbt die Cilly vom G’schirrlad’n in mehreren Zeilen mundartlich um Liabe Brautleut. In einer Anzeige am 12./13. Februar ist von München narrisch zu lesen.

Eine zweiseitige Anzeige Miesbacher Jäger ist mit Jagabladl überschrieben (8. Juli). Für die Wolfratshausener Kulturtage wird zweisprachig geworben (9./10. Juli): "Summer in the City - Sa ma in da Stod". In einem Freizeitführer am 12. Juli steht folgendes geschrieben: Mit’m Radl oder z’Fuß alle Wege führen zum Biergartln nach Münster. Ein Münchner Mercedes-Benz-Autohaus wirbt am 22. Juli mit Leberkäs, Brez’n, Bier und eine(r) Menge Jahreswagen. Das schon erwähnte Münchner Bettengeschäft wirbt wieder am 25. Juli, diesmal läßt man die Münchner Figur Aloisius sprechen: "Es gibt nix Besser’s als was Guad’s!" Drei kleinere Anzeigen erscheinen am 29. Juli: Ein Bauernmöbelgeschäft benutzt den Satz Was G’scheits halt, Bekleidungsgeschäfte werben mit s’ Trachtengwand und s’ boarische Gwand.

Eine deftige bayerische Brotzeit mit Leberkäs (...) bietet ein Küchencenter am 5. August an. Begriffe wie Fuiznfest, Stadlfest, Schupfenfest tauchen in Festanzeigen am 6./7. August auf. Seine Betriebsferien kündigt ein Foto-Atelier am 12. August mit Mia dean nix! an. Ein Bad Tölzer Teppichgeschäft wirbt am 19. August in großen Lettern mit dem Ausdruck G’sund samma! Am 25. August liest man in einer Anzeige eines Bekleidungshauses das Wort Lodeng’wand, am 27. August wirbt ein Autohaus mit dem Satz "Schaun’S doch mal vorbei". Eine Brauerei lädt am 27./28. August zu ihrem Hoffest, bei dem es einen Trödl-Markt gibt, ein: Ihr seids alle ganz herzlich eingeladen.

Bairischer Dialekt und Regionalismen sind anscheinend gute Werbemittel in Oberbayern. Nicht nur kleine Trachtengeschäfte und Gaststätten in kleinen Gebirgsortschaften, sondern auch große Münchner Geschäfte mit Tradition haben Bairisch in ihren Anzeigen. Sowohl rein Mundartliches kommt vor als auch Regionalsprachliches, vor allem in Form von Diminutiven und Regionalspeisen. Von sprachlichem Selbstbewußtsein zeugen vor allem Gruß- und Kontaktanzeigen in/mit Mundart.

6.9. Gibt es eine schriftliche Regionalsprache?

Eher als bei den anderen in dieser Arbeit vorkommenden Sprachregionen kann man im Falle Oberbayerns durchaus davon sprechen, daß eine regionale Varietät in schriftlicher Form vorliegt. Die regionalen Kennwörter werden den Konkurrenzbegriffen fast ausnahmslos vorgezogen. Die Kennwörter für München/Bad Tölz sind: Metzger, Schreiner, Samstag, gelbe Rübe, Porree, Bub, Zugehfrau/Putzfrau, Fasching und Semmel. Der Bub wird in beiden Zeitungsteilen im gleichen Sinne verwendet wie der nicht vorkommende Junge, im Gegensatz zur RP wird in Oberbayern kein semantischer Unterschied gemacht. Die gelbe Rübe scheint als schriftsprachliches Wort unüblich zu sein, auch in der TZ/MM kommt der Ausdruck nicht vor. Zahlreiche andere Wörter sind typisch für die Region und weichen in der Schreibweise anderer Regionen ab: Brez’n, Hax’n, Würstl, Hendl. Die beiden letzten Wörter sind feste Diminutive, ein Würstchen oder Hähnchen gibt es nicht, höchstens einmal in einer überregionalen Anzeige einer Lebensmittelkette, als Produktnamen des Herstellers. Grundsätzlich sind die Diminutive bairisch: Radl, Stangerl, Vogerl, Faßl, Standl, Blattl und zahllose andere tauchen auf. Weder Faß noch Fäßchen sind zu finden, auch nicht Stand oder Vöglein. Häufig werden Begriffe wie Schmankerl, Gaudi, Dirndl gebraucht, die offensichtlich als typisch bairisch angesehen werden, vom Duden aber nicht regional eingeschränkt werden, da sie auch in anderen Regionen verwendet werden. Selbst der Wortschatz der Todesanzeigen unterscheidet sich von dem der beiden anderen untersuchten Regionen. Immer wiederkehrende Wörter sind: Seelengottesdienst, Rosenkranz, Seelenmesse, Vergelt’s Gott. Hin und wieder verraten auch andere sprachliche Eigenheiten die Region: Montag mit Freitag, Jackl Sepp, zum Derbremsen.

6.10. Fazit

Mantel-, aber auch Lokalredaktion fördern das Bairische in seinen Ausprägungen. Geachtet wird auf regionale Begrifflichkleiten und Diminutive. Zitiert wird authentisch, so daß Zitate teils eher regional-umgangssprachlich, teils dialektal sind. In weniger formellen Kolumnen wird noch häufiger Bairisch im laufenden Standardtext verwendet, oft ohne Anführungszeichen und ohne Erklärung. Die Mundart wird weiter gefördert durch eindeutige Stellungnahmen, einer Mundartserie und durch die nur hin und wieder erscheinende Seite "Bayerische Heimat", die Dialektgedichte und Wortkunde bringt. Das intraregionale Prestige des Bairischen wird erkennbar durch zahlreiche Leserbriefe, die sich für den Erhalt bairischer Varietäten und Varianten aussprechen. Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens wie Spitzensportler oder Bürgermeister verwenden auch öffentlich Mundart, zahlreiche Zitate belegen dies. Die Grenzen zwischen den bairischen Varietäten sind fließend, mit ihnen wird locker umgegangen, Sprachebenen werden in Kolumnen oder bei Zitierten gewechselt.

Die vielen Zitate weisen auch auf eine gewisse Vitalität hin. In einer Kolumne allerdings heißt es über Münchner Studenten, sie redeten weder Bairisch noch Standardsprache, sondern ein "Kauderwelsch". Dies könnte ein Anzeichen für eine zurückgehende Vitalität und für ein geringeres Prestige bairischer Varietäten bei Jüngeren sein. Insgesamt gesehen kann man aber schließen, daß Bairisch ein intraregionales Prestige besitzt und seine Sprecher ein sprachliches Selbstbewußtsein haben. Explizite Aussagen zum interregionalen Ansehen bairischer Varietäten sind nicht zu finden. Die Redaktion hat eine positive Einstellung zu den bairischen Varietäten, ist anderen Varietäten ebenso wohlgesonnen, sogar dem Sächsischen gegenüber. Sprachbewußtsein ist vor allem in bezug auf die bairischen Varietäten und Varianten ausgeprägt, die Zeitung ist sprachlich als mittelbairische deutlich erkennbar. Mundartliches kommt im Lokal- wie im Regionalteil häufig vor, auch im allgemeinen Teil wird das Thema diskutiert und Wert auf regionale Spracheigenheiten gelegt. Auch das Regionalbewußtsein ist erwartungsgemäß ausgeprägt.


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