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7. Resümee: Drei Regionalzeitungen und ihr regionaler Sprachgebrauch

Hier sollen die aus unterschiedlichen Regionen stammenden Zeitungen miteinander verglichen werden in bezug auf die Thesen, die in Kapitel 1 aufgestellt wurden.

These 1 lautete: Gibt sich die Zeitung regionalbewußt, so wird sie sich auch der Förderung regionaler Varianten und Varietäten annehmen. Diese Förderung vermute ich in Bayern am stärksten, weil die Bayern als sehr heimatverbunden gelten. Eine Förderung regionaler Varietäten durch Zeitungen wird dort stärker sein, wo die Varietät interregionales und intraregionales Prestige besitzt, die Sprecher sprachliches Selbstbewußtsein haben und der Dialekt noch vital ist.

Zu These 1:

Alle drei Zeitungen geben sich regionalbewußt. Bei der oberbayerischen Zeitung führt das erwartungsgemäß zu einer starken Förderung regionaler Varianten und Varietäten: Es wird ausschließlich der bairische Diminutiv gebraucht (Bsp. Flascherl statt Fläschchen), vor allem im Lokalteil wird in zahllosen Artikeln Dialekt und regionale Umgangssprache zitiert, eine Dialektserie im Mantelteil setzt sich vehement für den Erhalt bairischer Varianten und Varietäten ein, eine ausführliche Diskussion über eine regionale Variante findet im Mantelteil statt (Stier-Bulle-Diskussion). Auch bei der pfälzischen Zeitung zeigt man sich regionalbewußt, man fühlt sich der pfälzischen Mundart verpflichtet: Im Mantelteil wird eine ausführliche und emotionsgeladene Diskussion über pfälzische Dialektliteratur entfacht, in einem redaktionellen Kommentar wird das Fehlen pfälzischer Varietäten im Ludwigshafener "Tatort" beklagt, regelmäßig erscheint die Rubrik Pfälzische Wortkunde, die Dialektwörter erklärt, täglich erscheint ein Witz in Mundart. Im Lokalteil ist, besonders bei regionalkulturellen Veranstaltungen und in Glossen pfälzischer Dialekt zu finden - allerdings deutlich geringerem Umfang als bei der oberbayerischen Zeitung.

Bei der sächsischen Zeitung wird das Regionalbewußtsein ebenfalls sehr stark durch die Redaktion gefördert; schon die Titelseite ist regional geprägt, stärker als die beiden anderen Zeitungen. Dies führt aber nicht in gleichem Umfang zu einer Förderung regionaler Varianten oder Varietäten. Nur in einer Werbeanzeige des Verlages taucht ein sächsischer Satz auf, einem Landwirt in den Mund gelegt. Erzgebirgische Mundart taucht öfter auf, wenn es um Regionalkultur und -brauchtum geht. Im Lokalteil erscheint immerhin eine Serie über vogtländische Mundart.

Das Regionalbewußtsein führt also nicht automatisch zu einer Förderung regionaler Varianten und Varietäten. Regionalsprachen müssen eine gewisse Vitalität besitzen und von Sprechern selbstbewußt verwendet werden, um in einer Zeitung zitiert zu werden. Dem Vogtländischen mangelt es wohl auch an Vitalität: Es wird wenig gesprochen und daher auch kaum zitiert. Dem Sächsischen fehlt vielleicht das Prestige - das ist im Untersuchungszeitraum allerdings so nicht festzustellen. Auch in der Pfalz kann mangelndes Prestige der Grund sein, warum der Dialekt nicht noch öfter auftaucht. Oberbayern hingegen verwenden regionale Sprachformen und Begriffe selbstbewußt, das zeigen die vergleichsweise vielen dialektalen Anzeigen und die unzähligen Zitate in redaktionellen Artikeln. Auch Leserbriefe verdeutlichen die Bindung der Oberbayern zu ihrem Dialekt und ihr sprachliches Selbstbewußtsein.

These 2 lautete: Hat die Redaktion Interesse an sprachlichen Themen, so wird sie auch regionale Varietäten thematisieren.

Zu These 2:

Die Vermutung hat sich bestätigt: Das Bewußtsein für allgemein-sprachliche Dinge ist bei der pfälzischen Zeitung am stärksten ausgeprägt, auch pfälzischer Dialekt wird häufig thematisiert. Das Bewußtsein für die eigene regionale Varietät ist hingegen in Oberbayern am größten, allgemein-sprachliche Themen kommen dort nur selten vor. Beide Zeitungen sind Diskussionsforen für regionale Varietäten im weitesten Sinne. In der Zeitung aus Sachsen/Vogtland ist Sprachbewußtsein gering ausgeprägt, auch die regionalen Varietäten kommen seltener vor als in den Zeitungen der beiden anderen Regionen. Ein ausgeprägtes Interesse an sprachlichen Fragen führt also auch zur redaktionellen Beschäftigung mit regionalen Varietäten. Bemerkenswert bleibt, daß die Oberbayern sich weniger für Standardsprache als für bairische Varietäten interessieren, was auf eine emotionale Bindung der Menschen zu ihrem Dialekt schließen läßt..

These 3 lautete: Das interregionale Prestige einer Varietät kann durch Zeitungen vermittelt werden.

Zu These 3:

Hinweise auf interregionales Prestige oder Stigma sind zwar zu finden, aber nur selten. Indizien einer möglichen interregionalen Stigmatisierung einer regionalen Varietät waren nur in der pfälzischen Zeitung zu finden: In einem Kommentar wird das Fehlen des Dialekts in einem in Ludwigshafen spielenden Fernsehkrimi scharf kritisiert, ein weiterer Text weist auf die Vernachlässigung rheinland-pfälzischer Varietäten durch das Fernsehen hin. Zwei Leserbriefe, die sich über die Behandlung des Pfälzischen in Deutschland beklagen, dienen ebenfalls als Zeichen einer interregionalen Stigmatisierung des Pfälzischen. Derartige Hinweise sind in den beiden anderen Zeitungen nicht zu finden. In der sächsischen Zeitung wird einmal kritisiert, daß Volksstücke im Fernsehen nur aus Bayern und aus Norddeutschland stammten. In diesem Kommentar fehlt allerdings ein expliziter Hinweis auf das Thema Regionalsprache, obwohl der Zusammenhang auf der Hand liegt.

Das Benutzen fremder Varietäten ist meines Erachtens ein Zeichen für das interregionale Prestige der benutzten Sprachform. Vor allem das Bairische kommt in den beiden nichtbayerischen Zeitungen vor, sowohl redaktionell als auch in Anzeigen - das spricht für das interregionale Prestige bairischer Varietäten. Hin und wieder ist in den Zeitungen auch Kölsch oder Alemannisch zu finden, am häufigsten in der Fastnachtszeit. Das möchte ich aber noch nicht als Zeichen interregionalen Prestiges dieser Varietäten ansehen, vielmehr scheint hier das Exotische und Authentische eine Rolle zu spielen.

These 4 lautete: Auch das intraregionale Prestige kann in Regionalzeitungen deutlich werden. Aufgrund der interregionalen Stigmatisierung des Sächsischen und Pfälzischen sowie der kleinräumigen Begrenztheit des Vogtländischen erwarte ich vor allem bei der Zeitung aus dem bairischen Sprachraum Zeugnisse eines intraregionalen Prestiges.

Zu These 4:

Intraregionales Prestige regionaler Varietäten wird in der pfälzischen und oberbayerischen Zeitung deutlich: Das größte intraregionale Prestige besitzen die mittelbairischen Varietäten, denn in der oberbayerischen Zeitung sind unzählige Zitate in regionalen Varietäten und unzählige Texte mit regionalen Varianten zu finden. Auch Personen des öffentlichen Lebens werden dialektal zitiert. Die Pfalz folgt mit deutlichem Abstand, immerhin noch 140 Beiträge im Untersuchungszeitraum enthalten pfälzische Mundartzitate oder verweisen auf die Existenz des Dialekts (hier ist der tägliche Dialektwitz nicht mitgezählt). Die Region Sachsen/Vogtland besäße demzufolge Varietäten mit weniger intraregionalem Prestige, nur selten ist in Zeitungsartikeln oder Anzeigen regionales Sprachgut zu entdecken. Zieht man nur die Texte in Betracht, die die regionale Varietät positiv darstellen, ergibt sich ein ähnliches Bild: Während sich für Sachsen so gut wie nichts finden läßt, können die Vogtländer immerhin eine im Untersuchungszeitraum begonnene Mundartserie lesen. Regelmäßige Kolumnen gibt es in der pfälzischen und vor allem in der oberbayerischen Zeitung. Das intraregionale Prestige des Mittelbairischen wird zudem durch zahlreiche Leserbriefe und andere nichtredaktionelle Meinungsäußerungen (gewerbliche und private Anzeigen) deutlich. Nonstandard-Anzeigen sind in der pfälzischen Zeitung selten, hier dominiert die wohl prestigereichere Standardsprache ebenso wie in der Region Sachsen/Vogtland. Immerhin sind in der pfälzischen Zeitung Leserbriefe zu finden, die zum Pfälzischen positiv Stellung nehmen.

These 5 lautete: Im Lokalteil wird mehr Nonstandard zu finden sein als im Mantelteil, da die Themen weniger formell sind und nicht überörtlich verständlich sein müssen. Der Regionalteil dürfte dazwischen liegen.

Zu These 5:

Die Vermutung, daß Nonstandard eher im Lokalteil vorkommt als im Mantelteil, hat sich als richtig erwiesen. Dialektzitate in redaktionellen Artikeln sind im Mantelteil und Regionalteil selten. Der Mantelteil bietet dafür aber Raum für Sprachdiskussionen, bei denen aber auch Dialekt benutzt wird.

Bei der Zeitung aus Sachsen/Vogtand kommt im Mantelteil kaum Sächsisch vor, dafür aber Erzgebirgisch in der Wochenendbeilage: Man widmet sich regionalem Brauchtum und regionaler Kultur, dabei werden Dialektlieder zitiert. Vereinzelt finden sich im Lokalteil Zitate in vogtländischer Mundart. Durch die Dialektserie wird die Dialektquote im Lokalteil aber erhöht. Der tägliche Regionalteil hat eine sehr geringe Nonstandardquote. Zählt man die Saxonia-Seite der Wochenendbeilage zum Regionalteil, so kann man aber schon eine höhere Quote als im restlichen Mantelteil konstatieren.

Auch bei der pfälzischen Zeitung ist das Verhältnis der Zeitungsteile zueinander abhängig von der Sichtweise. Zählt man die Regionalseiten mit dem täglichen Dialektwitz zum Mantelteil, so gibt es im Mantelteil regelmäßiger und häufiger Pfälzisch als im Lokalteil. Zählt man die Regionalseiten als eigene Einheit, so findet sich dort immer noch mehr Dialekt als im Lokalteil und deutlich mehr als im Mantelteil. Nonstandard im Lokalteil taucht vor allem in zahlreichen Zitaten auf, wenn über das regionale Kulturgeschehen berichtet wird. Durch die Diskussion über Dialektdichtung im Feuilleton und die vierzehntägliche Wortkunde gelangt Pfälzisch in den Mantelteil.

Bei der bayerischen Zeitung ist die Nonstandardquote im Lokalteil quantitativ und qualitativ im Lokalteil höher. Zwar findet sich im Mantelteil durch den bairischen Diminutiv, die Dialektserie, Berichte über regionales Brauchtum, Zitate bayerischer Sportler, bayerische Speisen und Leserbriefe häufig Bairisch. Der Lokalteil bietet dennoch mehr Bairisch, vor allem durch Zitate, den bairischen Diminutiv und Mundartglossen. Die regionalen Seiten (Bayern, Oberbayern, München) haben für Bairisch mehr Platz als der Rest des Mantelteils, aber lange nicht soviel wie der Lokalteil.

These 6 lautete: Das sprachliche Selbstbewußtsein der Sprecher einer regionalen Varietät wird direkt sichtbar an der Zahl der Nonstandardäußerungen in Zeitungsartikeln sowie an eventuell auftretenden Meinungsäußerungen. Rückschlüsse können vielleicht auch auf die Vitalität der regionalen Varietäten gezogen werden. Das größte sprachliche Selbstbewußtsein und die stärkste Vitalität erwarte ich für das Bairische, da den Sprechern wohl das interregionale Prestige ihrer Varietät bekannt ist.

Zu These 6:

Wird die Häufigkeit von Mundartzitaten als Maßstab für sprachliches Selbstbewußtsein genommen, so müssen Oberbayern und mit Abstand auch die Pfälzer als selbstbewußte Nonstandardsprecher gelten, Sachsen und Vogtländer hingegen nicht. Derselbe Maßstab gilt für die Vitalität regionaler Varietäten, denn nur wenn eine Sprachform benutzt wird, ist sie vital. Die Zeitungen spiegeln das wider, da sie auch private und informelle Aussagen der Bürger aufgreifen. Hier kann erneut die Reihenfolge Oberbayern-Pfalz-Vogtland konstatiert werden. Das Sächsische möchte ich wegen seiner Standardnähe nicht in den Vergleich mit einbeziehen. Denn zitiert wird es so gut wie nie, daß es vital ist, wird aber aus redaktionellen Äußerungen deutlich. Redaktionelle Äußerungen über eine zurückgehende Vitalität findet sich bei der oberbayerischen Zeitung und im Vogtland-Lokalteil, ein pfälzischer Leserbrief befürchtet gar das Aussterben der dortigen Mundart.

These 7 lautete: Die Sprache der Zeitungen läßt nur eine bedingte regionale Verortung erkennen. Am ehesten erwarte ich bei der Zeitung des bairischen Sprachraums, daß regionale Varianten in einer Häufigkeit benutzt werden, daß eine regionale Verortung möglich ist.

Zu These 7:

Für den Nichtlinguisten läßt sich höchstens die oberbayerische Zeitungssprache als solche erkennen. Die Sprachform der beiden anderen Zeitungen ist für den Laien nicht verortbar. Nur in Bayern gab und gibt es wohl noch in gewissem Umfang eine regionale Form der Schriftsprache, regionale Varianten und der bairische Diminutiv sind häufig zu finden.

These 8 lautete: Sofern neben dem Dialekt weitere regionale Varietäten existieren, ist das beispielsweise in authentischen Zitaten erkennbar. Diese Varietäten wären dann unterschiedliche Anpassungsgrade von Dialektsprechern an die Standardsprache.

Zu These 8:

Für die Regionen Oberbayern, Pfalz und Vogtland sind verschiedene regionale Varietäten zu erkennen, die sich in authentischen Zitaten widerspiegeln. In puncto Häufigkeit und Deutlichkeit gilt wiederum die Reihenfolge Oberbayern-Pfalz-Vogtland. In Oberbayern werden Zwischenstufen bewußt und auch öffentlich verwendet, zudem sind sie schriftwürdig. Das gilt für die Varietäten der beiden anderen Regionen weniger.

These 9 lautete: Als Gründe für die Verwendung von Nonstandard in Zeitungsartikeln vermute ich den Wunsch der Redaktionen, sprachliche Abwechslung zu bringen und eine Vertrautheit des Lesers mit seiner Varietät zu bewirken. Zitate in Nonstandard sollen Authentizität vermitteln, den Redakteuren liegt vielleicht auch an einer Förderung der regionalen Varietät(en).

Zu These 9:

Die Redaktionen der oberbayerischen und pfälzischen Zeitung sowie des vogtländischen Lokalteils der sächsischen Zeitung scheinen an einer Förderung beziehungsweise einer Erhaltung des regionalen Dialektes interessiert zu sein. Mundartserien in den Zeitungen könnten als Beweis dafür gelten. Während die oberbayerische und die pfälzische Zeitung Wert auf sprachliche Abwechslung und eine Vertrautheit mit dem Leser setzen, scheint bei der vogtländischen Lokalredaktion nur ein konservatorisches Interesse an der Mundart zu bestehen. Denn außer der Serie eines Mitarbeiters findet man nur wenige Zeugnisse vogtländischer Mundart(förderung). Die sächsische Mantelredaktion verwendet kaum Sächsisch, vermutlich wegen der Standardnähe der Varietät und der geringen Schriftwürdigkeit.

Die Vermutungen (Arbeitsthesen) haben sich zum großen Teil bestätigt. Die regionalen Unterschiede in bezug auf regionalen Sprachgebrauch wurden sichtbar, ebenso die Existenz unterschiedlicher gesprochener Varietäten. Das Bairische stellte sich als die interregional prestigereichste Sprachform dar. In Oberbayern herrscht offensichtlich der stärkste Sprachstolz, die Varietät ist wohl auch die intraregional prestigereichste der untersuchten Regionen. Als interregional stigmatisiert stellte sich das Pfälzische heraus, folgt man den Aussagen in der dortigen Zeitung. Erwähnen möchte ich noch einmal die Notwendigkeit eines internationalen Sprachbewertungsvergleichs in den Medien und die Notwendigkeit, nach regionalen Varianten in den Medien anderer Regionen zu suchen, so beispielsweise in schwäbischen Sprachraum.


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