Thomas Ott: Ein interaktives Modell zum Flächennutzungswandel im Transformationsprozeß am Beispiel der Stadt Erfurt

Einkaufszentren am Stadtrand


In der ersten Nachwendezeit überstieg die Flächennachfrage der Investoren das Angebot der Städte um ein Vielfaches (vgl. GAULKE/HEUER 1992, S. 73ff.). Neben dem Problem der ungeklärten Eigentumsfrage bemängelten potentielle Investoren das Fehlen von größeren Einzelhandelsflächen (> 100 m²) in den Innenstädten. "Dies führt[e] teilweise zu deutlicher Überteuerung in City- und Innenstadtlagen und verstärkt[e] den Trend, Großflächenobjekte im Umland der Städte entstehen zu lassen" (SCHMIDT 1995b, S. 89). Bevorzugt wurden zudem Standorte, deren planungs- und eigentumsrechtliche Gegebenheiten geklärt waren. Die Zahl solcher Flächen war in den Innenstädten stark begrenzt, d. h. nur am Stadtrand und im Umland waren kurzfristig Grundstücke und Baugenehmigungen für großflächige Einzelhandels- und Gewerbeeinrichtungen zu erhalten.    
     
Angesichts teilweise großflächiger innerstädtischer Industrie- und Gewerbebrachen stellt sich die Frage, warum sich im Raum Erfurt ebenso wie in anderen Stadtregionen der neuen Bundesländer trotz des städtebaulichen Leitbildes der "Innenentwicklung" eine solche auf die Peripherie konzentrierte Entwicklung vollzog. Neben der oben genannten zeitlichen Lücke zwischen der Etablierung der kommunalen Selbstverwaltung und dem Aufbau der übergeordneten Planungs- und Genehmigungsinstanzen sowie den ungelösten Eigentumsproblemen sind folgende Punkte zu nennen (vgl. u. a. HEUER 1990; SINN/SINN 1992, S. 194f.):    
  • In der unmittelbaren Nachwendezeit, als der der Ansturm der Investoren und Spekulanten am intensivsten war, existierten viele der heute stillgelegten Betriebe noch, d. h. ihre Betriebsflächen standen nicht zur Disposition.
  • Vor allem die Industrie-, aber auch Konversionsflächen sind nicht selten mit Altlasten kontaminiert (vgl. BANSE/SCHMIDT/WIRTH 1993, S. 13; WIEGANDT 1993, S. 76f.).
  • Die kommunalen Behörden waren mit der Neubeplanung der Areale überfordert und Zielkataloge zur Reintegration dieser Flächen in den Stadtorganismus mußten erst entwickelt und diskutiert werden.
  • Der Neubau auf unbebauten Flächen im Umland ließ kostengünstigere Lösungen als in den Kernstädten zu. Die Erreichbarkeit der innerstädtischen Flächen war vollkommen unzulänglich, eventuell notwendige Flächenerweiterungen nicht möglich, die bestehende Bausubstanz verschlissen, und die vorhandene Infrastruktur genügte den Ansprüchen der Investoren nicht. Zudem verhindern heute Umweltauflagen die Ansiedlung bestimmter Industrien in unmittelbarer Nachbarschaft zu Wohngebieten (vgl. Breuste 1994, S. 512).
  • Die Hoffnung auf durch Investoren anzusiedelnde neue Industriebetriebe erfüllte sich vielerorts nicht: "Es zeichnet sich auch deutlich ab, daß die Nachfrage nach neuen Produktionsflächen erheblich geringer ist, da es in vielen Bereichen einfacher ist, die Produktionskapazitäten in den alten Bundesländern voll auszunutzen oder sogar zu erweitern, als neue Produktionseinheiten in Ostdeutschland zu errichten. Dies hat jedoch zur Folge, daß die Nachfrage nach Lagerflächen, besonders zu Distributionszwecken, sehr groß ist und hauptsächlich in verkehrsgünstiger Lage im Umland der Städte besteht" (SCHMIDT 1993a, S. 48).
   
     
Auch im Raum Erfurt wurden nach der Wende mehrere großflächige, oft städtebaulich nicht integrierte Einzelhandelsstandorte geplant und realisiert. Der Entwurf des Flächennutzungsplanes (vgl. Stadtverwaltung Erfurt 1996) weist ca. 37 ha für Standorte des großflächigen Einzelhandels aus. Die größten Vorhaben sind:
  • Thüringenpark, Gispersleben,
  • Thüringer Einkaufs Center (TEC), Daberstedt,
  • Allkauf / Stinnes-Baumarkt / Multipolster, Schmira,
  • Komm (Lebensmittel- und Baumarkt), Linderbach-Azmannsdorf,
  • Globus, Mittelhausen,
  • Kaufland, Herrenberg,
  • Kaufland, Mittelhausen
   
Im Vergleich zu anderen ostdeutschen Stadtregionen und insbesondere zum Raum Leipzig läßt sich feststellen, daß die genannten Einzelhandelskomplexe bei weitem nicht die gigantischen Ausmaße dortiger Einkaufszentren einnehmen.    
     
Der Thüringen Park, das nach eigenen Angaben größte Einkaufcenter Thüringens, wurde nach knapp zweijähriger Bauzeit am 5.10.1995 eröffnet. Das Einkaufszentrum befindet sich mit ca. 1.500 Pkw-Stellplätzen in verkehrsgünstige Lage an der B4 und der zukünftigen A81 am nordwestlichen Stadtrand. Es handelt sich dennoch nicht um einen "klassischen" Standort auf der grünen Wiese, da 10.000 Einwohner der Großwohnsiedlung Moskauer Platz in fußläufiger Entfernung leben und eine Straßenbahnhaltestelle unmittelbar vor dem Haupteingang zu finden ist. Die Gesamtgröße des Parks beläuft sich auf 300.000 m², wobei zwei Teilbereiche – das eigentliche Einkaufszentrum mit 45.000 m² Bruttogeschoßfläche und ein Büropark mit 175.000 m² Bürofläche – unterschieden werden können. Neben großen Investitionen in die öffentliche Infrastruktur verpflichtete sich der Investor zu umfangreichen ökologischen Ausgleichsmaßnahmen (Renaturierung des Borntalgrabens, Pflanzung von 2.500 Bäumen, Dachbegrünung), so daß das Projekt auch in dieser Hinsicht Maßstäbe setzt. Während im Einkaufszentrum etwa 1.000 Personen einen Arbeitsplatz gefunden haben, sind im Büropark bislang 600 Personen beschäftigt.  
Das 1995 eröffnete Einkaufszentrum "Thüringen Park"
     
Hinsichtlich des Branchen-Mix sowie des Filialisierungsgrades unterscheidet sich das Einkaufszentrum nicht von herkömmlichen, auch aus den alten Bundesländern bekannten Einrichtungen (vgl. Abb. 57). Interessant ist jedoch die Frage, in wieweit sich die Eröffnung des Centers auf den innerstädtischen Einzelhandel ausgewirkt hat. Von den 95 Eizelhandels- und Gastronomiebetrieben, stammen 25 aus Erfurt und Umgebung. Nur in zwei Fällen wurden zuvor bestehende Innenstadtfilialen zugunsten des Standortes Thüringen Park geschlossen. 27 Betriebe verfügen über mindestens eine weitere Filiale in der Innenstadt, so daß hier – abgesehen von den Verkaufsstellen für Güter des täglichen Bedarfs – durchaus eine gewisse Konkurrenzsituation gegeben ist. Seitens der Stadtplanung befindet man sich in einem Zielkonflikt. Während man einerseits die Attraktivität der Großwohnsiedlungen durch solche Einzelhandelskomplexe erhöhen will, muß man andererseits angesichts der auf diese Weise gebundenen Kaufkraft um die Entwicklung des innerstädtischen Einzelhandels bangen.    

   
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