Thomas Ott: Ein interaktives Modell zum Flächennutzungswandel im Transformationsprozeß am Beispiel der Stadt Erfurt

Der Erfurter Gartenbau


Eine Betrachtung des Flächennutzungswandels muß neben Gewerbe und Wohnen auch die Landwirtschaft und insbesondere den Erwerbsgartenbau einbeziehen, die in den oft ländlich geprägten Vororten der Kernstadt, aber auch in Erfurt selbst, vor 1989 ein wichtiges Beschäftigungsangebot stellten. 1988 waren rund 8.000 Beschäftigte im Gartenbau und den damit verbundenen Wirtschaftszweigen tätig. Von den 5.506 ha landwirtschaftliche Nutzfläche im Erfurter Stadtgebiet entfielen 2.874 ha (52,2 %) auf LPG und GPG, 230 ha auf das "VEG Saatzucht/Zierpflanzen Erfurt" und lediglich 20 ha auf private Gartenbaubetriebe. Gerade im Raum Erfurt ist der primäre Sektor nicht zu vernachlässigen, da die Region auf eine weit zurückreichende Tradition im Gartenbau blicken kann und hervorragende naturräumliche Voraussetzungen bietet.    
     
Die Entwicklung der Stadt Erfurt zu einem Zentrum des deutschen Gartenbaus, insbesondere des Gemüse- und Kräuteranbaus, der Blumen- sowie der Samen- und Saatzucht beruhte auf den günstigen naturräumlichen Gegebenheiten im südlichen Thüringer Becken. Zu erwähnen ist, neben den fruchtbaren Lößböden (Bodenwertzahlen 70-100) an den Hängen der Fahnerschen Höhen und des Steigers sowie den guten Lehmböden in der Geraaue, insbesondere das Klima im Regenschatten von Thüringer Wald, Eichsfeld und Harz. Der Regenschatteneffekt wird besonders in den Monaten September und Oktober spürbar, wodurch sich die besondere Eignung des Raumes für die Samenzucht und -vermehrung erklärt.    
     
Die Geschichte des Erfurter Gartenbaus
     
Die Anfänge des Erfurter Gartenbaus gehen zurück auf mehrere Klöster, die im Hochmittelalter in Erfurt gegründet wurden. Es waren inbesondere Benediktinermönche, die agrarische Innovationen aus Westeuropa mitbrachten und an die heimischen Bauern weitergaben. Durch Melioration der sumpfigen Geraniederung konnten die Gartenflächen erweitert werden. Bis Mitte des 12. Jahrhunderts hatte der Wein-, Kräuter- und Gemüseanbau bereits eine gewisse Bedeutung im Wirtschaftsleben der Stadt erlangt, wenngleich der Anbau von und Handel mit Färberwaid (isatis tinctoria) insbesondere im Umland dominierte. Während der Weinanbau an den Hängen des Petersberges, der Cyriaksburg, des Ringelberges und des Roten Berges bereits im 10. Jahrhundert einsetzte (Mitte des 19. Jh. endgültig aufgegeben), wurde mit dem Brunnenkresseanbau erst in der Mitte des 15. Jahrhunderts begonnen. Der Anbau dieser vitaminreichen Salatpflanze profitierte von der gleichbleibenden Wassertemperatur (10-11° C) im Dreibrunnenfeld am südwestlichen Hang des Steigers. Ende des 17. Jahrhunderts entstanden hier die ersten Klingen, künstliche Wassergräben zum planmäßigen Anbau der Kresse.    
     
Die Zahl der registrierten Gärtnereien stieg innerhalb von 80 Jahren von neun im Jahre 1569 auf 115 (1650). Nach der Überwindung der Folgen des Dreißigjährigen Krieges nahm der Gartenbau in Erfurt einen weiteren Aufschwung, wobei der Erwerbscharakter immer deutlicher hervortrat. Dies lag nicht zuletzt an der zielstrebigen Förderung durch die kurmainzischen Statthalter im Rahmen der merkantilistischen Wirtschaftspolitik. In dieser Zeit entstanden auch einige der namhaften Erfurter Gartenbaubetriebe (z. B. Haage), deren Tradition bis heute andauert. Als eigentlicher Begründer des Erfurter Erwerbsgartenbaus gilt der Ratsmeister Christian Reichart (1685-1775), der den Gartenbau auf wissenschaftlicher Grundlage betrieb und durch zahlreiche Neuentwicklungen und Erfindungen (u. a. Geräte) vorantrieb. Mit Unterstützung des Kurfürsten war er am Aufbau eines Botanischen Gartens der Universität Erfurt beteiligt, der auch nach der Schließung der Hochschule als Gartenlehranstalt bestand. Die Gartenstraße im Westen der Stadt erinnert mit ihrem Namen bis heute an den Standort. Reichart hatte zudem wesentlichen Anteil an der Gründung der "Erfurter Blumen-Association", die die Blumen- und Blumensamenzucht in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu einem großen Aufschwung führte. So umfaßte beispielsweise der erste Samenkatalog (1784) der Fa. J. Platz 1355 verschiedene Artikel.    
     
Der siebenjährige Krieg sowie die napoleonische Herrschaft fügten dem Erfurter Gartenbau schwere Rückschläge zu. Erst mit der Bildung des Deutschen Zollvereins und der Eröffnung der Eisenbahn konnte der Wiederaufschwung eingeleitet werden. Bedeutende Namen haben den Erfurter Gartenbau in diesen Jahren geprägt: Neben den älteren Betrieben der Familien Platz und Haage, wurden neue Gärtnerein u. a. durch Johann Christoph Schmidt ("Blumenschmidt") 1823, Ernst Benary 1843, Franz Carl Heinemann 1848 und Niels Lund Chrestensen 1867 gegründet. Die Stimmung jener Jahre dokumentiert auch die Gründung des Erfurter Gartenbauvereins (1838) und des Gartenbauvereins "Flora" (1861). Ebenfalls in dieser Zeit wurde 1867 die bis heute erscheinende Fachzeitschrift TASPO (Thalackers Allgemeine Samen- und Pflanzen-Offerte) erstmals herausgegeben und das erstes Fleuropgeschäft Deutschlands in Erfurt eröffnet. Mitte des 19. Jahrhunderts kam der Samenvertrieb in kleinen Papiertütchen in Mode, die auch an Klein- und Freizeitgärtner in aller Welt vertrieben werden konnten. Die Erfurter Samenzuchtbetriebe stiegen zu bedeutenden Unternehmen mit saisonal mehr als 1.000 Beschäftigten auf. Die Samenvermehrung blieb jedoch nicht nur auf Erfurt und Thüringen beschränkt, vielmehr wurden Gärtner in ganz Deutschland und auch im Ausland mit dem Vermehrungsanbau beauftragt und von Erfurt aus kontrolliert. Um die Jahrhundertwende entstanden auch die teilweise bis heute erhaltenen repräsentativen Firmengebäude und Verkaufspavillons in der Innenstadt, wie das Palmenhaus der Firma Blumenschmidt in der Schlösserstraße. Aufbauend auf die Bedeutung der Erfurter Gärtnereien wurden mehrere internationale und nationale Gartenbauaustellungen organisiert, die den Ruf Erfurts als Blumenstadt festigten und weithin bekannt machten. Der auch nach Übersee verschickte Katalog der Firma Haage & Schmidt listete beispielsweise um 1900 fast 13.000 Samenarten auf.    
     
Der Erste Weltkrieg und die Inflation führten zu einem erneuten Einbruch des Gartenbaus, da die internationalen Absatzbeziehungen gekappt wurden. Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten führten zu Konzentrationsprozessen unter den Betrieben, so wurden beispielsweise die Firmen Blumenschmidt und Benary miteinander verschmolzen. RAABE (1930, Tabellenanhang) zeigt, daß in Erfurt 1925 2.976 Personen im Gartenbau und der Landwirtschaft beschäftigt waren. Im Landkreis waren es zur gleichen Zeit 13.303 Beschäftigte. Nachdem die Auslandskontakte mühsam wieder aufgebaut worden waren, führten die Weltwirtschaftsdepression und der Zweite Weltkrieg erneut zur Krise. Zudem mußten viele Gartenbauflächen (ebenso wie die städtischen Parks und Grünflächen) zum Kartoffel- und Getreideanbau genutzt werden. Die Krise des Erfurter Gartenbaus setzte sich auch nach 1945 fort. Die Gründung einer Fachschule für Gartenbau und die Veranstaltung mehrerer Gartenbauaustellungen – darunter die iga (1961) – auf dem Gelände an der Cyriaksburg konnten die negativen Auswirkungen der Kollektivierung und Verstaatlichung nicht wettmachen. 1958 ging aus sechs Privatbetrieben mit insgesamt 36 ha Fläche die erste GPG hervor. Bis 1960 wurden bis auf wenige Ausnahmen alle Erfurter Gärtnereien zu insgesamt elf GPG zusammengefaßt. Die großen Privatbetriebe wie Chrestensen oder Heinemann wurden gezwungen, staatliche Beteiligungen aufzunehmen. Im Rahmen der letzten großen Verstaatlichungswelle 1972 mußten binnen weniger Monate alle Anteile an den Staat veräußert werden, wobei z. T. die ehemaligen Besitzer als Betriebsleiter in den Unternehmen verbleiben konnten. Die sozialistische Mißwirtschaft und die Vernachläßigung anderer Wirtschaftsbereiche gegenüber der Industrie zeigte sich auch 1963, als mehrere Tiefbohrungen die Quellschüttung des Dreibrunnenfeldes dramatisch reduzierte und so das einzigartige System der Klingen wertlos wurde. Bis auf einen kleinen denkmalgeschützten Bereich wurden die Klingen zugeschüttet und in Gemüseanbauflächen umgewandelt. Über alle Entwicklungsphasen des Erfurter Gartenbaus hinweg wurden die Gartenbaubetriebe und Anbauflächen durch das Wachstum der bebauten Stadtfläche in die weitere Stadtrandzone gedrängt. Vor dem Baubeginn der großen Plattenbausiedlungen betrug die gärtnerisch genutzte Fläche 642 ha und somit rund 8,5 % der administrativen Stadtfläche (vgl. SAITZ 1973, S. 57).    
     
"Nach der demokratischen Wende des Herbstes 1989 und der Vereinigung der beiden deutschen Staaten ... wurden die erzwungenen Eigentumsveränderungen im Erfurter Gartenbau rückgängig gemacht, verstaatlichte Gartenbaubetriebe wie die Firma N. L. Chrestensen privatisiert und den Genossenschaftsgärtnern die Möglichkeit eröffnet, ihre Betriebe wieder als Familienbetriebe zu betreiben" (GUTSCHE 1992, S. 48f.).    
     
Das VEG Saatzucht/Zierpflanzen
     
Als Beispiel sei das ehemalige VEG Saatzucht/Zierpflanzen Erfurt genannt, das 1949 aus mehreren verstaatlichten bzw. enteigneten Erfurter Gärtnereien (darunter bedeutende Betriebe wie Chrestensen und Benary) hervorging. In den siebziger Jahren wurde in Mittelhausen nördlich von Erfurt eine 16,5 ha umfassende Gewächshausanlage errichtet, die zweitgrößte der ehemaligen DDR. Darüber hinaus bewirtschaftete das zuletzt über 1.000 Mitarbeiter beschäftigende VEG größere Freilandflächen zwischen Binderslebener Landstraße und der Marbacher Flur. Nach der Wende wurde das VEG in eine GmbH umgewandelt, diese mußte jedoch zum 1.12.1992 in Liquidation gehen. Am 30.6.1993 wurde die gärtnerische Produktion eingestellt. Aus dem ehemaligen VEG wurden die Firmen Haage Kakteenzucht und N. L. Chrestensen reprivatisiert, weitere 40 ha Gewächshäuser und Freiflächen übernahm die Thüringer Landgesellschaft mbH. Diese Beteiligungsgesellschaft des Landes unterstützte den (Wieder-) Aufbau von acht Gärtnereien in Mittelhausen und Erfurt. Weitere Flächen und einige Gebäude wurden verkauft und z. T. durch nicht gärtnerische Gewerbebetriebe genutzt (vgl. Abb 42). Die gärtnerisch genutzte Unterglasfläche am Standort Mittelhausen reduzierte sich von 17 auf 13 Hektar. Soweit die Stadt Erfurt keine vordringlichen Nutzungsansprüche stellt, wird der Restbestand an Gewächshausanlagen und Ackerflächen durch das Thüringer Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen an Alteigentümer zurückgegeben.   Abb. 42: Nutzung der Gewächshausanlage des ehemaligen VEG Saatzucht/Zierpflanzen 1996


Quelle: eigene Erhebungen

     
Auch einige innerstädtische Gartenbaustandorte wurden in den letzten Jahren zu Gunsten von Gewerbeansiedlungen oder Wohnungsbauprojekten aufgegeben. Langfristig sind innerstädtische Gartenbaustandorte eher als Sonderfall anzusehen, da der Wert der innerstädtischen Flächen die wichtigste Kapitalquelle für die erforderlichen Investitionen in moderne Produktionsanlagen darstellt. Weitere Betriebsverlagerungen sind im Zuge des Wiederaufbaus der Universität zwischen Nordhäuser Straße und B4 geplant. Als Ausgleich ist eine Gärtnersiedlung nordöstlich des Stadtteils Marbach vorgesehen, für die bereits eine agrarstrukturelle Vorplanung (Thüringer Ministerium für Landwirtschaft und Forsten 1994) durchgeführt wurde (vgl. Abb. 54). Auf der etwa 300 ha umfassenden Fläche, die derzeit durch die Agrargenossenschaft Elxleben bewirtschaftet wird, sollen etwa 20 Gartenbaubetriebe angesiedelt werden. Ein Teil der Grundstücksbesitzer weigert sich, die Flächen zum Ackerlandpreis zu verkaufen, da sie in den Flächen potentielle Wohnbauflächen sehen. Die beteiligten Ämter von Land und Kommune verweisen jedoch auf ein Klimagutachten, welches eine Bebauung des Gebietes auch für die Zukunft ausschließt (vgl. MARUSCHKE 1995).    
     
Als wichtige Voraussetzung für den Erhalt und Ausbau des Gartenbaustandorts Erfurt wurde frühzeitig die Notwendigkeit eines zentralen Großmarktes zur Vermarktung der Erzeugnisse erkannt. Nach dem die UGA Niederrhein bereits 1992 einige provisorische Hallen angemietet hatte, wurde im Februar 1996 im Gewerbegebiet Sulzer Siedlung der 6.400 m² Hallenfläche umfassende Blumengroßmarkt Thüringen eröffnet.    
     
Nach Vollendung der Gebietsreform zum 1.7.1994 werden etwa zwei Drittel (ca. 17.640 ha) der Erfurter Fläche landwirtschaftlich genutzt. Bilanziert man alle aus dem Flächennutzungsplanentwurf (vgl. Stadtverwaltung Erfurt 1996) ableitbaren Bauvorhaben, reduziert sich die landwirtschaftlich bzw. gartenbaulich genutzte Fläche der Stadt in den kommenden Jahren um weitere 4,5 %. Unter den insgesamt 57 landwirtschaftlichen Betrieben der Stadt sind nur sechs Wiedereinrichter, bei der Mehrzahl handelt es sich um Genossenschaften oder GmbH (vgl. EIERT 1996).    
     
Erwähnt sei schließlich noch die Entwicklung der Erfurter Gartenbauausstellung. Die Zukunft des ega-Geländes mit einer Grundstücksfläche von etwa 90 ha (davon 40 ha städtisch, 40 ha in Landes- und 10 ha Privateigentum) wurde in der Nachwendezeit zum Gegenstand heftiger Diskussionen. Die Parkanlage, die auch Standort des Deutschen Gartenbaumuseums ist, wurde gegen den Willen vieler Bürger zum Standort des Landesstudios des Mitteldeutschen Rundfunks. Zudem ist geplant die Messe- und Ausstellungsfunktion des Geländes, zu Lasten des Parkanteils auszubauen.    
     

   
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