Mikrokosmos = Parvus mundus.


Embleme, graviert von Gèrard de Jode, mit begleitenden Versen von Laurentius Haechtanus [Haecht Goidtsenhoven, Laurens van].
- Antwerpen: de Jode, 1579. - [157] S.; Titelill., 74 Embleme. 4° - Mit handschriftl. Übers. ins Franz.


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Mit ihrem "Mikrokosmos" haben Gerard de Jode (geb. 1509 oder 1517 in Nimwegen, gest. 1591 in Antwerpen, bekannter Kupferstecher, Kartograph und Verleger) und Laurentius van Goidtsenhoven (Laurentius Haechtanus, geb. 1527 in Mecheln, gest. 1603 in Antwerpen, Verfasser einer Geschichte des Herzogtums Brabant) ein ebenso erbauliches wie unterhaltsames Werk geschaffen. Sie nutzen die Struktur des Emblems, also die regelmäßige Abfolge von Überschrift (inscriptio, lemma, motto), Bild (pictura, icon, imago, symbolum), Epigramm und - in der erweiterten Form der Gattung - Erläuterung, um Lebensweisheiten anschaulich zu vermitteln. Dabei beziehen sie neben Sinnbildern (z.B. Nr. 8), wie sie für die emblematische Gattung typisch sind, auch mythologische und historische Exempla (z.B. Nr. 3, Nr. 52), Anekdoten (z.B. Nr. 33), Apophthegmata (pointierte Aussprüche, z.B. Nr. 24) und Sprichwörter (z.B. Nr. 42) ein. Jedes Emblem findet innerhalb desselben Layout-Schemas auf zwei einander gegenüberliegenden Seiten Platz, was die Anschauung begünstigt, den Autor aber zur Anpassung an den vorgegebenen Rahmen zwingt. Thema ist zumeist das sittliche Verhalten des Einzelnen, doch werden auch politische, religiöse und ästhetische Fragen illustriert.

Das Werk ist dem Regenten der Niederlande, Matthias von Habsburg (1557-1619, Kaiser 1612-1619), gewidmet. Damit ist der katholische Standpunkt der Autoren ebenso angezeigt wie das Publikum, das sie im Auge haben, nämlich die humanistisch gebildeten Angehörigen der gesellschaftlichen Elite. Die Bibelzitate, die den überwiegend aus der heidnischen Antike entnommenen Motiven unterlegt werden, überblenden die natürliche Weisheit der Philosophie der Alten mit dem Licht der geoffenbarten Religion. Beide Quellen der Erkenntnis, so betont der Autor in seinem Vorwort an den Leser, haben ihren Ursprung in Gott.

Die Erläuterungen umfassen jeweils 8 bis 16 Verse, überwiegend in der Form des elegischen Distichons. Der knappe Raum, so der Autor, habe ihn manchmal daran gehindert, den Gedanken klar zu entwickeln; auch mit dem Mangel an Zeit möge der Leser die eine oder andere Unvollkommenheit entschuldigen. In der Tat zeigen seine Verse Spuren der Flüchtigkeit sowohl in der inhaltlichen Konzeption als auch in der Formulierung. Von den zahlreichen Druckfehlern scheinen nicht wenige auf die Vorlage des Verfassers selbst zurückzugehen (so z. B. Bl. A 1 r. Z. 14 maioris statt minoris). Wir haben in der Inhaltsübersicht einige der Druckfehler korrigiert, ohne eine vollständige Emendation anzustreben.

Trotz seines kompilatorischen Charakters hat das Werk den Reiz der Frische. Eine gewandte, an den besten Vorbildern (Vergil, Ovid) geschulte Versifikation verbindet sich mit gedanklicher Improvisation, die auch Abschweifungen und Unstimmigkeiten nicht scheut. Text und Bild sind aufeinander abgestimmt; der Künstler und der Autor haben offenbar aufs engste zusammengearbeitet. Die im Nachwort Ad Lectorem in Aussicht gestellte Fortsetzung ist offenbar nie realisiert worden. Doch gab es mehrere Neuausgaben (Antwerpen: Jan Keerbergen, 1592; Arnheim: Johannes Jansonius und Theodor Petri, 1609 [?]; Frankfurt a.M., 1618; Frankfurt a.M.: Jakob de Zetter, 1644; Frankfurt a.M.: Fievet, 1670, bearb. v. Martin Meyer), die bezeugen, daß Kupferstecher und Verfasser den Geschmack des Publikums getroffen hatten. In den modernen Reprintreihen emblematischer Werke taucht unser Titel nicht auf, was einmal mehr beweist, daß viele alte Drucke noch auf die verdiente Beachtung warten.

Besonderen Wert erhält das hier reproduzierte Exemplar durch die französische Übersetzung, die eine alte Hand hinzugefügt hat. Leider ist ehedem beim Beschneiden des Buches der handschriftliche Text am rechten Rand der rechten Seite teilweise gekappt worden. Um dem Leser die Entzifferung der Handschrift des uns unbekannten Schreibers zu erleichtern, transkribieren wir die ersten drei Bibelzitate:

Nr. 1: L’homme né de femme vivant petite espace de temps est rempli de beaucoup de calamités et miseres

Nr. 2: Nostre seigneur donnera force et vertu a son peuple et il le benira en paix

Nr. 3: Comment es-tu decheu du ciel Lucifer qui te monstrois tousiours au matin tu es cheu en terre

Manche Stellen unserer Transkription bleiben zweifelhaft. Nach Edmond Huguet (Dictionnaire de la langue française du seizième siècle) wäre in folgenden Fällen eine andere Schreibung zu erwarten: beniera, decheut, cheut. Gehört die Handschrift vielleicht einer etwas späteren Sprachstufe (1. Hälfte des 17. Jahrhunderts?) an?


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Heinz Kredel, E-mail: kredel@rz.uni-mannheim.de

Wolfgang Schibel, E-mail: Schibel@bib.uni-mannheim.de

Emir Zuljevic, E-mail: zuljevic@rummelplatz.uni-mannheim.de

Mannheim, 25. Mai 1998