Thomas Ott: Ein interaktives Modell zum Flächennutzungswandel im Transformationsprozeß am Beispiel der Stadt Erfurt

Magistrale und zentraler Platz


Die idealtypischen Vorstellungen der sozialistischen Stadtplaner ließen sich in ihrer Gesamtheit nur in neuen Städten oder in Städten mit großflächigen Kriegszerstörungen verwirklichen. Kennzeichnend für die Stadtanlage waren klare Ordnungsprinzipien, Achsen und Magistralen sowie ein zentraler Platz (vgl. KARGER/WERNER 1982, S. 521f.). Das Zentrum wurde häufig durch ein Hochhaus hervorgehoben, das in symbolische Konkurrenz zu den Sakralbauten der vorindustriellen Zeit trat. Ein vermeintliches Paradoxon bestand zwischen dem großzügigen Umgang mit öffentlichem Raum und der sparsamen Zuweisung von Wohnfläche an die einzelnen Haushalte. Im Hintergrund stand jedoch das kollektivistische Menschenbild, das die Privatsphäre so gering wie möglich halten und ein Höchstmaß von Aktivitäten in die Gemeinschaft verlagern wollte.    
     
In den Stadtmodellen der sozialistischen Städtebautheoretiker der frühen Phase waren zunächst keine Zentralzonen vorgesehen, denn "diese wurden mit ‘kapitalistischen Verwaltungs- und Bankencities’ gleichgesetzt, als ‘Zentren ökonomischer Ausbeutung der Werktätigen’" (ROSENBERG/ HRUŠKA 1969, S. 72). Die Praxis zeigte jedoch bald, daß ein sozialistischer Staatsaufbau ohne zentralisierten Verwaltungsapparat nicht möglich war. Grundsätzlich waren also auch in den sozialistischen Städten die höchstrangigen Institutionen, d. h. Verwaltungs-, Kultur-, Handels- und Dienstleistungseinrichtungen in den historischen Stadtzentren angesiedelt (vgl. LICHTENBERGER 1983, S. 8). Der Unterschied zu den kapitalistischen Städten ergab sich jedoch nicht primär durch die Funktionsmischung selbst, sondern durch die Trägerstruktur und die Differenzierung innerhalb der Funktionen: "Weil es keine Konkurrenz zwischen Handels- und Dienstleistungseinrichtungen und kaum private Unternehmer gab, fehlte die kleinteilige Vielfalt und Mischung von Funktionen weitgehend, die die Stadtzentren in den westlichen Ländern kennzeichnet" (Häußermann 1995, S. 5). Die Innenstädte in den sozialistischen Staaten verloren durch die Ausschaltung der kapitalistischen Konkurrenz an Ausdehnung und Bedeutung, da die verbliebenen Funktionen den unter marktwirtschaftlichen Bedingungen entstandenen Rahmen nicht mehr ausfüllten. "Hinzu traten Konzentrationstendenzen, die die Standorte von Handel und Dienstleistungen weiter verminderten. Banken und Versicherungen, Arzt- und Rechtsanwaltspraxen gehör[t]en im sozialistischen System nicht mehr zum Grundgerüst der Zentrenausstattung. Darüber hinaus sind Warenhäuser, Läden für spezielle Konsumgüter, Buchhandlungen und Reisebüros weitgehend auf einzelne größere Standorte konzentriert worden" (SCHÖLLER 1987, S. 458). Außerdem war "das Fehlen der ‘freien’ Berufsgruppen und Kleinbüros bedeutsam, weil dadurch entsprechende Wohnverdrängungen entfallen" (WERNER 1980, S. 415). Die Entwicklung der Wohnfunktion im Zentrum stand somit ebenfalls im Gegensatz zu den kapitalistischen Städten. Während dort die steigenden Bodenpreise und der Umnutzungsdruck i. d. R. zu einem Sinken der Einwohnerzahl führen, blieben die sozialistischen Innenstädte bedeutende Wohnstandorte, teilweise wurden auch neue Wohngebäude errichtet.   Abb. 4: Durch "städtebauliche Dominanten" überformte Silhouetten ostdeutscher Städte
     
Das physiognomische Pendant zu den Bürohochhäusern und Hauptgeschäftsstraßen kapitalistischer Cities bildete "ein Ensemble ... dem Vorbild der Sowjetunion entlehnter Dominanten sozialistischer Stadtkerne: die breite Hauptmagistrale als Stadtachse für Aufmärsche und Paraden, den großen Zentralen Platz für Staatsfeiern und Parteikundgebungen, demonstrative Kultur- und Parteihochhäuser und mächtige Verwaltungsgebäude als monumentalen Ausdruck der Staatsmacht" (SCHÖLLER 1987, S. 445).    
     
Es wird kolportiert, daß Walter Ulbricht persönlich anläßlich eines Besuches in Erfurt den ausstehenden Aufbau eines sozialistischen Stadtzentrums anmahnte (vgl. REIMANN 1968, S. 31; WERNER 1985, S. 359). 1967 wurde ein Wettbewerb zur Umgestaltung der Innenstadt ausgeschrieben, auf dessen Ergebnis 1968 eine neue Bebauungskonzeption ausgearbeitet wurde, die u. a. den geschlossenen Abriß von 5.000 Wohnungen im Andreasviertel vorsah. An ihrer Stelle sollte die doppelte Zahl von Wohnungen in mehrgeschossigen Wohnblocks errichtet werden. Ein großes Hotelhochhaus auf dem Petersberg sollte als "neue Stadtkrone" Dom und St. Severi überragen. Ziel war es, den Komplex Petersberg/Domplatz zum städtebaulichen Höhepunkt der "modernen sozialistischen Bezirksstadt" zu machen und "den Sieg der sozialistischen Ordnung über die Vergangenheit" (REIMANN 1973, S. 162) zu symbolisieren. Das Hotel sollte über eine breite Treppenanlage mit dem Domplatz verbunden werden. Die Realisierung des Projektes scheiterte einerseits am gewandelten städtebaulichen Leitbild (vgl. Kap. 2.2.2), jedoch vor allem am mangelnden Kapital. Lediglich die der Stadt zugewandte Bastion Leonhard war bereits in den Jahren 1964-67 zur Aussichtsplattform umgebaut worden.    

   
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