Thomas Ott: Ein interaktives Modell zum Flächennutzungswandel im Transformationsprozeß am Beispiel der Stadt Erfurt

Industriegebiete


Der drastische Strukturwandel seit der Wiedervereinigung hat – neben Landwirtschaft und Bergbau – v. a. die Industrie der neuen Bundesländer betroffen. "Massive Verluste sind vor allem in jenen Industriebereichen aufgetreten, die dem internationalen Wettbewerb ausgesetzt sind, wie Textilien und Bekleidung, Leder und Schuhe, Schiffbau und Maschinenbau" (WEGNER 1996, S. 18). Vom Schiffbau abgesehen, waren Betriebe gerade dieser Branchen auch in Erfurt ansässig und zählten teilweise zu den Hauptarbeitgebern der Stadt. Die Industriebeschäftigten waren vom schnellen Strukturwandel somit am stärksten betroffen. Die Stadt Erfurt hatte 1990 etwa den gleichen Beschäftigtenanteil im produzierenden Gewerbe wie Leipzig und Dresden. 31 Prozent aller Industriebeschäftigten waren 1990 in der Wirtschaftsgruppe Elektrotechnik/Feinmechanik/Optik tätig. Nach dem Wegfall der Kurzarbeiterregelung im Juli 1991 machte sich die Arbeitslosigkeit insbesondere unter den Beschäftigten der Elektrotechnik und des Maschinenbaus bemerkbar (vgl. Abb. 24).    
     
Das Kombinat Umformtechnik    
     
Die Keimzelle der Erfurter Umformtechnik (vgl. WERNER 1985, S. 366f.; BOSE 1993) wurde 1900 als Zweigwerk der Berlin-Erfurter Maschinenfabrik Henry Pels & Co. am Stadtrand gegründet. 1922 wurde das Unternehmen in eine Aktiengesellschaft umgewandelt und erweitert. Unter der nationalsozialistischen Herrschaft wurde das Werk 1936 als jüdisches Eigentum eingezogen und der Deutsche Waffen- und Munitionsfabriken AG (Quandt-Gruppe) angeschlossen. Bis 1939 wuchs die Belegschaft auf ca. 1000 Beschäftigte an. Nach Kriegsende wurde das Unternehmen bis 1953 als sowjetisch-deutscher Betrieb geführt und danach unter dem Namen Pressen und Scherenbau "Henry Pels" in deutsche Hände übergeben. Im Jahre 1970 erfolgte Gründung, 1979 die Erweiterung des Kombinats Umformtechnik "Herbert Warnke", in dem zunächst die acht Hauptproduzenten des Umformmaschinenbaus der DDR und später 19 Betriebe in 25 Werken in 16 Städten zusammengefaßt waren. Am Standort Erfurt waren 1985 5.500 Mitarbeiter beschäftigt, hier wurden 40 % der Produktionsleistung erbracht. Neben dem Stammbetrieb zählte auch der Erfurter VEB Starkstromanlagenbauwerk zum Kombinat. 90% der Erzeugnisse des Kombinats wurden exportiert, darunter zu 80 % in die UdSSR und die übrigen Ostblockstaaten. Die Zulieferbeziehungen zu den großen westlichen Automobilherstellern hatten eine große Bedeutung als Devisenquelle für die DDR. Durch hohe Investitionen in den Jahren 1988/89 wurde der Erfurter Stammbetrieb mit moderner Technik ausgestattet, so daß "das Kombinat und besonders der Stammbetrieb ... zweifelsfrei zu den ‘Sahnehäubchen’ in der DDR-Industrie" (BOSE 1993, S. 285) gezählt werden konnten.    
     
Bereits im Mai 1990 wurde das Kombinat in die Umform- und Kunststofftechnik AG als Finanz- und Verwaltungsholding der Kombinatsbetriebe umstrukturiert. Da der Stammbetrieb schon vor der Wende am internationalen Markt präsent war und die Erben der ehemaligen Besitzer ihren Rückübertragungsanspruch nach Verhandlungen in einen Entschädigungsanspruch umwandelten, erschien die Privatisierung des Unternehmens zunächst als eher unproblematisch. Durch den hohen Exportanteil war das Kombinat bzw. seine Teilbetriebe jedoch in besonderem Maße vom Zusammenbruch der Ostmärkte betroffen. Mehrere Übernahmeverhandlungen, u a. mit der kanadischen Magna Inc., scheiterten, und die Zahl der Beschäftigten mußte schrittweise reduziert werden. 1994 erfolgte schließlich der Verkauf an den tschechischen Maschinenbaukonzern Skoda Plzen AG. Das Land Thüringen übernahm über die Thüringer Industriebeteiligungsgesellschaft 5 % des Unternehmens. Zusätzlich wurde eine Sanierungshilfe der Treuhand in Höhe vom 320 Mio. DM gewährt. Auftragsrückgang und personelle Reduzierung des Unternehmens waren auch mit einer räumlichen Verkleinerung der Betriebsfläche bzw. dem Brachfallen von Werkhallen verbunden. Zudem mußten betriebseigene Sozialeinrichtungen geschlossen werden. Nur im Falle der Betriebsberufsschule gelang die Umwandlung in ein Bildungszentrum zur Umschulung entlassener Mitarbeiter.    
     
VEB Optima Büromaschinenwerk    
     
Die Anfänge des Optima-Werkes (vgl. GUTSCHE 1962; ROSCHER, D. 1989; PASZKOWSKY/HILDEBRANDT 1993; PALAN 1994) reichen zurück bis ins Jahr 1862, als die "königlich preußische Gewehrfabrik" von Saarn bei Mühlheim nach Erfurt verlegt wurde. Nach dem Ersten Weltkrieg erfolgte eine durch den Versailler Vertrag bedingte Teilumstellung auf zivile Produkte, u. a. Schreibmaschinen. 1923 wurde das Unternehmen zu 50 %, 1929 vollständig durch den AEG-Konzern übernommen. Dieser gründete 1936 die AEG Olympia AG in Erfurt. Nach dem Zweiten Weltkrieg stand das Werk zunächst unter sowjetischer Aufsicht, wurde jedoch bereits 1950 als VEB Optima Büromaschinenwerk Erfurt in deutsche Verwaltung übergeben. Der Betrieb, der in den sechziger Jahren etwa 6.900 Beschäftigte umfaßte, wurde 1978 Teil des Kombinats Robotron. Im Zuge der Auflösung des Kombinates wurde 1991 Robotron Optima GmbH gegründet. Nachdem die Privatisierungsbemühungen der Treuhandanstalt nicht erfolgreich waren, gewährte man im Juli 1992 – entgegen der ursprünglich bekundeten Absicht – einigen leitenden Angestellten die Chance zum management buy-out und der Gründung der Optima Büromaschinentechnik GmbH. Bereits ein Jahr später erzielte das Unternehmen mit 250 Beschäftigte einen Umsatz 40 Mio DM. 100.000 Schreibmaschinen wurden verkauft, davon 50 % ins Ausland. Die Gebäude des ehemalige Optima-Betriebsgeländes (ca. 122.000 m²) sowie benachbarte Flächen des Kombinats Mikroelektronik (ca. 93.000 m²) wurden zunächst neben der Optima-Büromaschinentechnik AG – die ihre Produktionsstätte 1996 in einen Neubau nach Peterborn verlagerte – durch weitere kleinere MBO-Firmen ehemaliger Mitarbeiter in Form eines Gewerbehofes genutzt.  
Brachfläche des ehemaligen VEB Büromaschinenwerks "Optima"
     
Die ehemals durch Optima und Funkwerk belegten Industrieareale werden zusammen mit anderen Flächen der Brühler Vorstadt unter Federführung der Landesentwicklungsgesellschaft in eine "neue Innenstadt" (FAZ 1994) umgebaut. Der neue Stadtteil soll auf einer Gesamtfläche von 28 Hektar, von denen die LEG 22 Hektar von der Treuhandanstalt erworben hat, wachsen. "Das Brühl ... soll Funktionen erfüllen, die die Altstadt aufgrund ihrer kleinstteiligen Struktur nicht aufnehmen kann. (...) In der neu zu planenden ‘Ia-Lage’ sollen Kaufhäuser, Verkaufs- und Büroflächen, Hotels, jeweils ein Justiz-, Kongreß- und ein Medienzentrum sowie 50.000 Quadratmeter Wohnraum entstehen" (FAZ 1994). Die Gesamtinvestitionen werden sich, verteilt auf fünf Jahre, auf voraussichtlich 1,5 Milliarden DM belaufen (vgl. FAZ 1996a, S. 43).    
     
Kombinat Mikroelektronik "Karl Marx"    
     
Das Kombinat Mikroelektronik "Karl Marx" war mit einem Marktanteil von 80 % größter Produzent mikroelektronischer Bauelemente der DDR. Daneben zählten zu seinem Produktsortiment aber auch Leuchtstoffröhren aus Bad Liebenstein oder Schiffschronometer der Uhrenwerke Ruhla. Das Kombinat, das in seiner Blütezeit in 22 Betrieben etwa 60.000 Mitarbeiter beschäftigte, wurde lediglich von den Kombinaten Carl Zeiss Jena und Robotron übertroffen. Der Erfurter Kernbetrieb ging aus dem ehemaligen Funkwerk hervor. Seine ursprünglichen Produkte waren Rundfunkröhren und Meßtechnik. 1984 wurde auf einem unerschlossenen Gelände am südöstlichen Stadtrand die erste (ESO I) von zuletzt drei modernen Chipfabriken in Betrieb genommen. 1988 folgten ESO II und 1989/90 ESO III. Die Situation zum Zeitpunkt des Zusammenbruchs der DDR beschreibt POLLEI (1993, S. 330): Die Mikroelektronik der DDR "war ... in Anlehnung an technisch-technologische Entwicklungstendenzen in der Welt entwickelt worden, aber zu keiner Zeit wurde sie als Teil der Welt-Elektronik gestaltet, sie stand immer neben dieser. Im abgegrenzten RGW-Raum war eine Insel nachgeahmter Elektronik-Produktion entstanden, für die es folgerichtig in der Welt keinen Interessenten mehr gab, sobald sich der RGW aufgelöst hatte."  
Gelände der Chipfabriken des ehemaligen Kombinats Mikroelektronik "Karl-Marx"
     
Nach der "Wende" bildete sich im Jahre 1990 aus dem Erfurter Stammbetrieb die ERMIC GmbH und aus der Kombinatsleitung die PTC-electronic-AG, eine Holding über eine Reihe von Unternehmen des ehemaligen Kombinates. Hundertprozentiger Aktionär der Holding war die Treuhandanstalt. Mit ihrer Unterstützung wurde die Produktion von Wafersiliziumscheiben aufgenommen. Weitere kleine Unternehmen – die z. T. auf die Infrastruktur der Chipfabrik ESO II aufbauten –, wie z. B. freie Ingenieurbüros oder Softwarefirmen, wurden durch ehemalige Mitarbeiter gegründet und nutzen die Technik und Produktionshallen.    
     
Am 22. Oktober 1992 wurde aus dem Kernbereich des ehemaligen VEB, basierend auf dem neuen Werk ESO III, die Thesys Gesellschaft für Mikroelektronik mbH gegründet. Gesellschafter waren zunächst das amerikanische Unternehmen LSI Logic mit einem Anteil von 19,8 % sowie die Hessisch-Thüringische Landesbank mit 80,2 %. Im November 1995 hat sich AMS (Austria Mikro Systeme AG) mit 51,25% an Thesys beteiligt. Die restlichen Anteile werden vom Freistaat Thüringen gehalten. Eine weitere Privatisierung ist mittelfristig vorgesehen. Thesys beabsichtigt, in den Jahren 1995/1996 rund 50 Mio. DM in den Ausbau von Entwicklungs- und Fertigungsstätten zu investieren. Die Zahl der Beschäftigten (500) konnte in den letzten Jahren konstant gehalten werden. Für die nähere Zukunft sind jedoch Betriebserweiterung und auch der Neubau von Firmengebäuden auf dem ehemaligen Kombinatsgelände geplant.    
     
Tab. 24: Veränderung der Beschäftigten Zahlen in wichtigen Unternehmen der Stadt Erfurt 1989-1995

Unternehmen

Produkte

Arbeitsplätze

DDR-Betrieb

Nachfolger

 

1989

1991

1992

1995

VEB Mikroelektronik "Karl-Marx" Thesys, ERMIC GmbH, Erfurt Electronic GmbH Halbleiter, Computerchips

8.700

3.000

500

500

VEB Optima Büromaschinenwerk Optima Büromaschinentechnik GmbH Schreibmaschinen, Bürogeräte

6.400

3.000

400

250

VEB Starkstrom Anlagenbau Klöckner-Moeller Elektronische Steuerungen

2.000

800

600

k. A.

VEB Kombinat Umformtechnik "Herbert Warnke" Umformtechnik Erfurt GmbH (Skoda) Pressen, Scheren

3.800

2.850

2.750

900

Thüringer Elektromaschinenbau und Instandhaltung Siemens Elektromaschinenbau und Instandhaltung GmbH Elektrische Antriebe und Generatoren

1.200

670

700

k. A.

VEB Schuhkombinat "Paul Schäfer" Lingel Schuhfabrik GmbH Schuhe

2.200

1.500

400

VEB Bekleidungskombinat Textilien

k. A.

VE Wohnungsbaukombinat Beton-Fertigbau Erfurt GmbH  

k. A.

VEG Saatzucht Zierpflanzen Erfurt Liquidation, Reprivatisierung u. Neugründung mehrerer Betriebe Zierpflanzen, Gemüse, Samen

1.100

k. A.

k. A.

k. A.

Quelle: Deutscher Industrie- und Handelstag (1990); HLT (1991, S. 22); HBS Consulting Partners (1992, S. 37); HENCKEL et al. (1993, S. 509); eigene Erhebungen

   
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