Der drastische
Strukturwandel seit der Wiedervereinigung hat
neben Landwirtschaft und Bergbau v. a. die
Industrie der neuen Bundesländer betroffen.
"Massive Verluste sind vor allem in jenen
Industriebereichen aufgetreten, die dem internationalen
Wettbewerb ausgesetzt sind, wie Textilien und Bekleidung,
Leder und Schuhe, Schiffbau und Maschinenbau"
(WEGNER 1996, S. 18). Vom Schiffbau abgesehen, waren
Betriebe gerade dieser Branchen auch in Erfurt ansässig
und zählten teilweise zu den Hauptarbeitgebern der
Stadt. Die Industriebeschäftigten waren vom schnellen
Strukturwandel somit am stärksten betroffen. Die Stadt
Erfurt hatte 1990 etwa den gleichen Beschäftigtenanteil
im produzierenden Gewerbe wie Leipzig und Dresden. 31
Prozent aller Industriebeschäftigten waren 1990 in der
Wirtschaftsgruppe Elektrotechnik/Feinmechanik/Optik
tätig. Nach dem Wegfall der Kurzarbeiterregelung im Juli
1991 machte sich die Arbeitslosigkeit insbesondere unter
den Beschäftigten der Elektrotechnik und des
Maschinenbaus bemerkbar (vgl. Abb. 24). |
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Das Kombinat Umformtechnik |
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Die Keimzelle der Erfurter Umformtechnik (vgl. WERNER
1985, S. 366f.; BOSE 1993) wurde 1900 als Zweigwerk der
Berlin-Erfurter Maschinenfabrik Henry Pels & Co. am
Stadtrand gegründet. 1922 wurde das Unternehmen in eine
Aktiengesellschaft umgewandelt und erweitert. Unter der
nationalsozialistischen Herrschaft wurde das Werk 1936
als jüdisches Eigentum eingezogen und der Deutsche
Waffen- und Munitionsfabriken AG (Quandt-Gruppe)
angeschlossen. Bis 1939 wuchs die Belegschaft auf ca.
1000 Beschäftigte an. Nach Kriegsende wurde das
Unternehmen bis 1953 als sowjetisch-deutscher Betrieb
geführt und danach unter dem Namen Pressen und
Scherenbau "Henry Pels" in deutsche Hände
übergeben. Im Jahre 1970 erfolgte Gründung, 1979 die
Erweiterung des Kombinats Umformtechnik "Herbert
Warnke", in dem zunächst die acht Hauptproduzenten
des Umformmaschinenbaus der DDR und später 19 Betriebe
in 25 Werken in 16 Städten zusammengefaßt waren. Am
Standort Erfurt waren 1985 5.500 Mitarbeiter
beschäftigt, hier wurden 40 % der
Produktionsleistung erbracht. Neben dem Stammbetrieb
zählte auch der Erfurter VEB Starkstromanlagenbauwerk
zum Kombinat. 90% der Erzeugnisse des Kombinats wurden
exportiert, darunter zu 80 % in die UdSSR und die
übrigen Ostblockstaaten. Die Zulieferbeziehungen zu den
großen westlichen Automobilherstellern hatten eine
große Bedeutung als Devisenquelle für die DDR. Durch
hohe Investitionen in den Jahren 1988/89 wurde der
Erfurter Stammbetrieb mit moderner Technik ausgestattet,
so daß "das Kombinat und besonders der Stammbetrieb
... zweifelsfrei zu den Sahnehäubchen in der
DDR-Industrie" (BOSE 1993, S. 285) gezählt werden
konnten. |
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Bereits im Mai 1990 wurde das Kombinat in
die Umform- und Kunststofftechnik AG als Finanz- und
Verwaltungsholding der Kombinatsbetriebe umstrukturiert.
Da der Stammbetrieb schon vor der Wende am
internationalen Markt präsent war und die Erben der
ehemaligen Besitzer ihren Rückübertragungsanspruch nach
Verhandlungen in einen Entschädigungsanspruch
umwandelten, erschien die Privatisierung des Unternehmens
zunächst als eher unproblematisch. Durch den hohen
Exportanteil war das Kombinat bzw. seine Teilbetriebe
jedoch in besonderem Maße vom Zusammenbruch der
Ostmärkte betroffen. Mehrere Übernahmeverhandlungen,
u a. mit der kanadischen Magna Inc., scheiterten,
und die Zahl der Beschäftigten mußte schrittweise
reduziert werden. 1994 erfolgte schließlich der Verkauf
an den tschechischen Maschinenbaukonzern Skoda Plzen AG.
Das Land Thüringen übernahm über die Thüringer
Industriebeteiligungsgesellschaft 5 % des
Unternehmens. Zusätzlich wurde eine Sanierungshilfe der
Treuhand in Höhe vom 320 Mio. DM gewährt.
Auftragsrückgang und personelle Reduzierung des
Unternehmens waren auch mit einer räumlichen
Verkleinerung der Betriebsfläche bzw. dem Brachfallen
von Werkhallen verbunden. Zudem mußten betriebseigene
Sozialeinrichtungen geschlossen werden. Nur im Falle der
Betriebsberufsschule gelang die Umwandlung in ein
Bildungszentrum zur Umschulung entlassener Mitarbeiter. |
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VEB Optima Büromaschinenwerk |
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Die Anfänge des Optima-Werkes (vgl. GUTSCHE 1962;
ROSCHER, D. 1989; PASZKOWSKY/HILDEBRANDT 1993; PALAN
1994) reichen zurück bis ins Jahr 1862, als die
"königlich preußische Gewehrfabrik" von Saarn
bei Mühlheim nach Erfurt verlegt wurde. Nach dem Ersten
Weltkrieg erfolgte eine durch den Versailler Vertrag
bedingte Teilumstellung auf zivile Produkte, u. a.
Schreibmaschinen. 1923 wurde das Unternehmen zu
50 %, 1929 vollständig durch den AEG-Konzern
übernommen. Dieser gründete 1936 die AEG Olympia AG in
Erfurt. Nach dem Zweiten Weltkrieg stand das Werk
zunächst unter sowjetischer Aufsicht, wurde jedoch
bereits 1950 als VEB Optima Büromaschinenwerk Erfurt in
deutsche Verwaltung übergeben. Der Betrieb, der in den
sechziger Jahren etwa 6.900 Beschäftigte umfaßte, wurde
1978 Teil des Kombinats Robotron. Im Zuge der Auflösung
des Kombinates wurde 1991 Robotron Optima GmbH
gegründet. Nachdem die Privatisierungsbemühungen der
Treuhandanstalt nicht erfolgreich waren, gewährte man im
Juli 1992 entgegen der ursprünglich bekundeten
Absicht einigen leitenden Angestellten die Chance
zum management buy-out und der Gründung der
Optima Büromaschinentechnik GmbH. Bereits ein Jahr
später erzielte das Unternehmen mit 250 Beschäftigte
einen Umsatz 40 Mio DM. 100.000 Schreibmaschinen wurden
verkauft, davon 50 % ins Ausland. Die Gebäude des
ehemalige Optima-Betriebsgeländes (ca. 122.000 m²)
sowie benachbarte Flächen des Kombinats Mikroelektronik
(ca. 93.000 m²) wurden zunächst neben der
Optima-Büromaschinentechnik AG die ihre
Produktionsstätte 1996 in einen Neubau nach Peterborn
verlagerte durch weitere kleinere MBO-Firmen
ehemaliger Mitarbeiter in Form eines Gewerbehofes
genutzt. |
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Brachfläche des ehemaligen VEB
Büromaschinenwerks "Optima" |
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Die ehemals durch Optima und Funkwerk belegten
Industrieareale werden zusammen mit anderen Flächen der
Brühler Vorstadt unter Federführung der
Landesentwicklungsgesellschaft in eine "neue
Innenstadt" (FAZ 1994) umgebaut. Der neue Stadtteil
soll auf einer Gesamtfläche von 28 Hektar, von denen die
LEG 22 Hektar von der Treuhandanstalt erworben hat,
wachsen. "Das Brühl ... soll Funktionen erfüllen,
die die Altstadt aufgrund ihrer kleinstteiligen Struktur
nicht aufnehmen kann. (...) In der neu zu planenden
Ia-Lage sollen Kaufhäuser, Verkaufs- und
Büroflächen, Hotels, jeweils ein Justiz-, Kongreß- und
ein Medienzentrum sowie 50.000 Quadratmeter Wohnraum
entstehen" (FAZ 1994). Die Gesamtinvestitionen
werden sich, verteilt auf fünf Jahre, auf
voraussichtlich 1,5 Milliarden DM belaufen (vgl. FAZ
1996a, S. 43). |
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Kombinat Mikroelektronik "Karl
Marx" |
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Das Kombinat Mikroelektronik "Karl Marx"
war mit einem Marktanteil von 80 % größter
Produzent mikroelektronischer Bauelemente der DDR.
Daneben zählten zu seinem Produktsortiment aber auch
Leuchtstoffröhren aus Bad Liebenstein oder
Schiffschronometer der Uhrenwerke Ruhla. Das Kombinat,
das in seiner Blütezeit in 22 Betrieben etwa 60.000
Mitarbeiter beschäftigte, wurde lediglich von den
Kombinaten Carl Zeiss Jena und Robotron übertroffen. Der
Erfurter Kernbetrieb ging aus dem ehemaligen Funkwerk
hervor. Seine ursprünglichen Produkte waren
Rundfunkröhren und Meßtechnik. 1984 wurde auf einem
unerschlossenen Gelände am südöstlichen Stadtrand die
erste (ESO I) von zuletzt drei modernen Chipfabriken
in Betrieb genommen. 1988 folgten ESO II und 1989/90
ESO III. Die Situation zum Zeitpunkt des
Zusammenbruchs der DDR beschreibt POLLEI (1993, S. 330): Die Mikroelektronik der DDR "war ... in
Anlehnung an technisch-technologische
Entwicklungstendenzen in der Welt entwickelt worden, aber
zu keiner Zeit wurde sie als Teil der Welt-Elektronik
gestaltet, sie stand immer neben dieser. Im abgegrenzten
RGW-Raum war eine Insel nachgeahmter
Elektronik-Produktion entstanden, für die es
folgerichtig in der Welt keinen Interessenten mehr gab,
sobald sich der RGW aufgelöst hatte." |
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Gelände der Chipfabriken des ehemaligen
Kombinats Mikroelektronik "Karl-Marx" |
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Nach der "Wende" bildete sich im Jahre 1990
aus dem Erfurter Stammbetrieb die ERMIC GmbH und aus der
Kombinatsleitung die PTC-electronic-AG, eine Holding
über eine Reihe von Unternehmen des ehemaligen
Kombinates. Hundertprozentiger Aktionär der Holding war
die Treuhandanstalt. Mit ihrer Unterstützung wurde die
Produktion von Wafersiliziumscheiben aufgenommen. Weitere
kleine Unternehmen die z. T. auf die
Infrastruktur der Chipfabrik ESO II aufbauten
, wie z. B. freie Ingenieurbüros oder
Softwarefirmen, wurden durch ehemalige Mitarbeiter
gegründet und nutzen die Technik und Produktionshallen. |
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Am 22. Oktober 1992 wurde aus dem Kernbereich des
ehemaligen VEB, basierend auf dem neuen Werk
ESO III, die Thesys Gesellschaft für
Mikroelektronik mbH gegründet. Gesellschafter waren
zunächst das amerikanische Unternehmen LSI Logic mit
einem Anteil von 19,8 % sowie die
Hessisch-Thüringische Landesbank mit 80,2 %. Im
November 1995 hat sich AMS (Austria Mikro Systeme AG) mit
51,25% an Thesys beteiligt. Die restlichen Anteile werden
vom Freistaat Thüringen gehalten. Eine weitere
Privatisierung ist mittelfristig vorgesehen. Thesys
beabsichtigt, in den Jahren 1995/1996 rund 50 Mio. DM in
den Ausbau von Entwicklungs- und Fertigungsstätten zu
investieren. Die Zahl der Beschäftigten (500) konnte in
den letzten Jahren konstant gehalten werden. Für die
nähere Zukunft sind jedoch Betriebserweiterung und auch
der Neubau von Firmengebäuden auf dem ehemaligen
Kombinatsgelände geplant. |
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Tab. 24:
Veränderung der Beschäftigten Zahlen in wichtigen
Unternehmen der Stadt Erfurt 1989-1995 |