Abstract
Das von der DFG geförderte Projekt CAMENA (=
Corpus Automatum Manhemiense Electorum Neolatinitatis Auctorum) verfolgt
das Ziel, eine repräsentative Auswahl der lateinischen Dichtung
deutscher Autoren im Umfang von ca. 50.000 Seiten online zur Verfügung
zu stellen. Wir werden folgende Arbeitsschritte erläutern:
1. Auswahl der Primärtexte: Da bisher nur Ansätze zu einem Kanon der
neulateinischen Literatur existieren und eine kritische Recensio alter
und, sofern vorhanden, neuerer Ausgaben zumeist noch aussteht, war hier
philologische Vorarbeit zu leisten.
2. Wiedergabe der Texte: Um die Texte in ihrer historisch wirksamen Form zu
dokumentieren, werden Werkausgaben des 16. bis 18. Jahrhunderts durch
Seitenabbildung (Farbscan) reproduziert. Zugleich stellt CAMENA den
Volltext in standardisierter Version bereit, um das Lesen, Durchsuchen
und Weiterverarbeiten zu erleichtern. Diese 'Verbundedition' (compound
edition) überwindet das Dilemma des modernen Herausgebers, entweder
der Quelle oder aber dem heutigen Leser (oder mit einem Kompromiß
beiden) nicht gerecht zu werden.
3.
Der Codierung liegt eine für CAMENA definierte Teilmenge von 50 TEI
Lite tags zugrunde. Mit ihnen werden vor allem strukturelle und
semantische Merkmale des Textes sowie editorische Eingriffe
hervorgehoben, weniger die im Faksimilebild sichtbaren Phänomene wie
Typographie und Layout der Vorlage. Weil die Texte in erster Linie für
das Web gedacht sind, werden sie dem XML-Format entsprechend
aufbereitet.
4. Die manuelle Erfassung lateinischer Texte nach Ausgaben des 16. bis 18.
Jahrhunderts steht vor besonderen Schwierigkeiten: Abbreviaturen und
Ligaturen, fehlende Zwischenräume zwischen Buchstaben (besonders in der
Antiquakursive) und Wörtern, inkonsequente Setzung von Akzenten und
Satzzeichen, fluktuierende (Ortho)graphie. Daher haben wir Transkription,
Standardisierung und Codierung in einem Durchgang durch
Lateinstudierende (mit Werkvertrag) durchführen lassen. Da der
Arbeitsfortschritt in diesem Verfahren zu langsam ist, wählen wir jetzt
ein gestuftes Vorgehen: Einfacherfassung durch Dienstleister;
Rechtschreibkorrektur und partielle Codierung mit Programmen, die uns
das Perseus Project zur Verfügung stellt; Kontrolle, Korrektur und Ergänzung
durch Latinisten der CAMENA-Redaktion.
5. Document Management System: Im Rahmen der von uns seit 1996 in MATEO
(Mannheimer Texte Online) herausgegebenen Reihe von
Faksimilereproduktionen alter Drucke wurde CAMENA als Sammlung mit
eigenem Webdesign etabliert. Von einer Randleiste mit Autorennamen
gelangt man durch Mausklick zur Titelanzeige der reproduzierten
Werkausgabe(n) eines Dichters und weiter zu einer Gliederung der
jeweiligen Ausgabe in Portionen von 50 bis 100 Seiten. Diese werden als
Vorschautableaus von Miniaturbildern sichtbar. Ein Klick auf das thumbnail
image ruft das Vollbild der Seite auf. Reduziert man das Fenster auf
die Breite einer Seite, so kann man daneben den entsprechenden Abschnitt
des Volltextes ins Bild bringen. Der Volltext wird derzeit mitsamt
seiner Markierung entsprechend TEI Lite und XML im ASCII-Format
dargeboten. Darüber hinaus wird nach einem von uns entwickelten
Konvertierungsverfahren ein HTML-Text bereitgestellt, der Verknüpfungen
zu den Bildseiten enthält und durch ein automatisch generiertes
Inhaltsverzeichnis ergänzt wird.
6.
Vorgesehener Ausbau des Angebots: Um dem Leser von heute den Zugang zu
dieser für Gelehrte einer vergangenen Epoche geschriebenen Literatur zu
erleichtern, soll in Zusammenarbeit mit dem Perseus Project ein reading
environment aufgebaut werden, das als virtueller Kommentar der Primärtexte
dienen kann. Neben modernen Hilfsmitteln wie dem lateinisch-englischen Wörterbuch
von Lewis & Short, das in der Perseus Digital Library bereits die
einzelne Wortform mit Lemma und Artikel des Wörterbuchs verknüpft und
so auch die klassischen Parallelstellen erschließt, und der Cambridge
Modern History, deren vor knapp 100 Jahren erschienene Bearbeitung 5000
Seiten faktenreicher Darstellung der europäischen Geschichte des 15.
bis 18. Jahrhunderts bietet, werden auch frühneuzeitliche Handbücher
und Repertorien digitalisiert, die den versunkenen Wissenshorizont der
Autoren und ihrer zeitgenössischen Leser dokumentieren.
7. Vorhaben, für die CAMENA Vorarbeit leistet: Ein digitales Bildarchiv
ausgewählter alter Editionen, das die Textgeschichte der Werke
dokumentiert; eine Aufarbeitung weiterer nationaler Segmente der
neulateinischen Dichtung sowie der Prosaliteratur; eine
Volltextdatenbank der gesamten lateinischen Literatur vom Zwölftafelgesetz
bis heute; ein neulateinisches Wörterbuch; eine offene Werkstatt der
neulateinischen Philologie, die Miszellen und größere Beiträge, deren
konventionelle Publikation zu aufwendig wäre, aufnimmt; neue
Textausgaben mit Übersetzung und Kommentar; multimediale Aufbereitung
ausgewählter Texte mit Ton und Illustration zu didaktischen Zwecken.
Wolfgang Schibel
Last modified: Tue Oct 16 22:37:44 MEST 2001