Huet, Pierre Daniel:

Poemata latina et graeca.

- Utrecht: Broedelet, 1694. [6],62,[2] S.; beigebunden: Elegia, [3] S.; Handschrift, 21 S.; 19 x 11 cm



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Öffnen wir den unscheinbaren Oktavband aus der Büchersammlung des gelehrten Jesuiten F.J.T. Desbillons (1711-1789), so finden wir auf dem vorderen Einbanddeckel den Hinweis des Sammlers: pièces latines et françoises de M. Huet, qui n'ont jamais été imprimées. Blättern wir weiter, sehen wir lateinische Gedichte und Prosa, auf 8 Seiten sauber geschrieben. Die anschließende gedruckte Ausgabe weist eine Anzahl handschriftlicher Ergänzungen und Varianten auf. Nach einem dreiseitigen, separat gedruckten Gelegenheitsgedicht folgen 13 Seiten, die eng mit französischen Gedichten beschrieben sind.- Wir haben ein singuläres Zeugnis einer literarischen Kultur vor uns, die von der heutigen gänzlich verschieden ist.

Pierre Daniel Huet (1630-1721) verkörperte in der Epoche Ludwigs XIV. den Typus des vielseitigen Humanisten. Als Prinzenerzieher und Philologe gab er Klassikerausgaben "in usum Delphini" (d.h. für den Kronprinzen) heraus; als Mann der Kirche (Abt von Aulnay 1678, Bischof von Soissons 1685 und später bis 1701 von Avranches) und als Philosoph edierte er den Kirchenvater Origenes und kämpfte gegen Cartesianismus und Spinozismus; nicht zuletzt vermittelte er als Literaturkritiker und Berater von Autorinnen wie z.B. der Madame de Lafayette zwischen Altem und Neuem. Heute wird seine Theorie der Entstehung des Romans stark beachtet.

Der kleine Band gewährt uns einen unmittelbaren Einblick in die literarische Gesellschaftskultur der französischen Klassik. Er läßt erkennen, wie damals poetische Übung und gesellige Mitteilung einander stimulierten, wie weit sich die Gelehrten - und selbst die Geistlichen unter ihnen - auf das ("mondäne") Treiben der "Welt" und die von Damen geprägte Kultur der Salons einließen, und wie sehr noch in der Zeit der "Querelle des anciens et des modernes" (1. Phase 1688-1694) die humanistische Tradition in die Entwicklung der klassischen Literatur Frankreichs einbezogen war.

Auf dem Titelblatt des Buchs, das hier vollständig reproduziert ist, hat der Sekretär Huets, Simon de Valhébert, vermerkt, daß er es vom Autor selbst Anfang 1695 zum Geschenk erhalten habe. Der Sekretär hat die von dem großen Altertumswissenschaftler Johann Georg Graevius in Utrecht herausgegebene Sammlung durch Texte Huets, die ihm handschriftlich vorlagen, ergänzt. Glauben wir dem gutinformierten Sammler Desbillons, so sind die handschriftlichen Texte nicht in den späteren Ausgaben der Huet'schen Gedichte - die letzte erschien 1729 - enthalten. Mögen sie nun durch die Editio Theodoro Palatina interessierte Literarhistoriker erreichen!

Wie die neulateinische Gelegenheitsdichtung im allgemeinen, so gibt auch diese Sammlung wertvolle Aufschlüsse - über Denkweise und Verhältnisse des Autors selbst, aber auch über seine Freunde, Lehrer und Mäzene. Freilich muß der Leser bei dieser Art von Quellen den prägenden Einfluß der klassischen Stilmuster und die Art der Beziehung von Autor und Adressat in jedem einzelnen Fall berücksichtigen. So erklärt sich auch die große Variationsbreite: Wir finden in den Gedichten bald sorglosen Scherz, bald bemühte Würde und neben stilistischem Paradieren auch das persönliche Bekenntnis.

Ein Schlaglicht auf die Rolle der Frau in der Gesellschaft der Gelehrten wirft das kleine lateinische Gedicht, das Huet in einen Brief an Mademoiselle Dupré eingefügt hat. Es findet sich sowohl in der gedruckten Sammlung (S. 59, hier übersetzt) als auch - in veränderter Fassung - in der Handschrift (S. Hs 6).

An das gelehrte Fräulein Marie Dupré
Daß sie von den ernsten Beschäftigungen ablassen
und sich den vergnüglichen widmen solle

Die ungepflegten Mädchen mit gerunzelter Stirn mögen wir nicht leiden; uns gefällt eine, die zu scherzen weiß. (3) Wir Dichter sind ein fröhliches Völkchen; so hat Apoll es befohlen. Auch die Muse hat uns befohlen, die feine Würze des Witzes zu streuen. (5) Die du die Wissenschaften der strengen Minerva im Übermaß betreibst, o Dupré, laß die hochgezogenen Brauen sinken. (7) Gelacht hat im Altertum die Gattin des Pythagoras, des Wiedergeborenen, obgleich sie den weisen Männern Italiens nicht nachstand. (9) Gelacht hat auch Erinna; gelacht hat die schöne Korinna, die so gelehrt war, daß sie so manches Mal über Pindars Leier den Sieg davontrug. (11) An Reiz kann dich das heitere Altertum wohl kaum überbieten. Gleiche dich auch in deinem Verhalten den bekannten Namen der Antike an. (13) Von Fräulein Dupré wird es heißen, daß sie mit mir gelacht hat, sie, die Dupré, ein Vorbild den anderen Mädchen.




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Mannheim, 15. Juni 1996