Ortelius, Abraham:


Aurei saeculi imago, sive Germanorum veterum vita, mores, ritus et religio.


Antwerpen: P. Galle, 1596. 14 Bl., Ill.; 22,5 x 15 cm



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"Ein Bild des goldenen Zeitalters" nennt Abraham Ortelius seine Darstellung des Lebens, der Sitten, Gebräuche und Religion der alten Germanen. Wie konnten die Feinde Roms, die barbarischen Vorfahren der Deutschen ausgerechnet von den Humanisten, die in der antiken Zivilisation das Urbild der Humanität verehrten, gerühmt und idealisiert werden?

Die deutschen Humanisten, die im 15. und 16. Jahrhundert in Italien studierten, litten an der Rückständigkeit ihrer Heimat und dem Vorwurf der Barbarei, den ihnen die Italiener (und bald auch die Franzosen) machten. Die Wiederentdeckung der um 100 n. Chr. verfaßten "Germania" des großen römischen Historikers Tacitus um 1450 erhellte die dunkle Vorzeit Deutschlands und warf ein rühmliches Licht auf die "Barbaren". Diese antike Autorität erlaubte es den Deutschen, ihre Herkunft aufzuwerten. Ein nüchterner Leser des Tacitus wird zwar genug Schatten in seinem Germanenbild finden; doch den Lesern nördlich der Alpen genügten seine mahnenden Hinweise auf die Sittenreinheit, den Kampfesmut, den Familiensinn, die Körperstärke und die Gastfreundschaft ihrer Vorfahren, um ihren eigenen Ursprung nun im Lichte des Mythos vom goldenen Zeitalter zu sehen. Sie machten sich die versteckte Polemik des römischen Historikers gegen die dekadente Zivilisation Roms gern zu eigen.

Der aus einer in Antwerpen ansässig gewordenen Augsburger Familie stammende Abraham Ortelius (Oertel, 1527-1598) gehörte dem handeltreibenden Großbürgertum der blühenden niederländischen Metropole an. Seine Passion für die humanistische Bildung und die Geschichte Europas weckte sein Interesse an der historischen Kartographie und ließ ihn zu dem neben Gerhard Mercator hervorragendsten Kartographen seiner Zeit werden. Sein "Theatrum Orbis Terrarum" vereinte die besten älteren Karten in handlicher und korrigierter Form. Ortelius zog mit seiner liebenswürdigen Persönlichkeit und seinen reichen antiquarischen Sammlungen viele Gelehrte in sein Haus.

In dem hier wiedergegebenen kleinen Werk faßt Ortelius zusammen, was die antiken Schriftsteller in griechischer und lateinischer Sprache über die Lebensweise der alten Germanen mitgeteilt haben. Er schöpft vor allem aus Tacitus und schreibt ihn teilweise wörtlich aus. Die einfache, für junge Leser gedachte Darstellung wird an wenigen Stellen durch quellenkritische Bemerkungen unterbrochen, in denen sich der gelehrte Autor zu erkennen gibt.

Der bedeutende Kupferstecher Philipp Galle (1537 Haarlem - 1612 Antwerpen) hat das Werkchen seines Freundes in kindgemäßer Weise illustriert. Die Widmung gilt dem jungen Sohn des Breslauer Gelehrten Jakob Monau (Monavius, 1546-1603), Friedrich. Das Grußgedicht stammt von Jacobus Colius (1563-1628), einem jüngeren Verwandten des Ortelius. Er empfiehlt Friedrich, sich die Sitten der alten Germanen vor Augen zu führen. Das werde ihn wie im Spiel auf künftige Aufgaben vorbereiten. Das konnte der gelehrte Großstadtmensch Ortelius kaum im Ernst meinen. Hatte er es vielleicht auf eine spielerische Adaption des Germanenmythos für den sonst so trockenen Lateinunterricht abgesehen?

Wir geben im folgenden die Erläuterungen zu den zehn Illustrationen verkürzt wieder:

1. INFANTIA. Kindheit: Die Neugeborenen werden zur Abhärtung in fließendes Wasser getaucht. Die Knaben üben sich nackt in Waffenspielen.

2. INDOLES. Charakter: Die Germanen sind wild, kampfeslustig, nicht verschlagen (wie Caesar und andere behaupten), sondern (nach Tacitus) aufrichtig und zuverlässig. Sie gehen lieber auf die Jagd, als Ackerbau zu treiben. Auf dem Wasser fahren sie mit Einbäumen.

3. VITA FAMILIARIS. Häusliches Leben: Sie wohnen inmitten der Wälder in schnell errrichteten Hütten aus Holz und Zweigen. Sie wechseln oft den Ort, führen ihre Habseligkeiten im Wagen mit sich, wohnen nicht dicht aufeinander, sondern lieber allein. Städtische Siedlungen kennen sie nicht.

4. FRUGALITAS, & GULA. Sparsames Essen und unmäßiges Trinken: Ihre Nahrung sind Fleisch, Milch, Käse, Körnerbrei, Kräuter und wilde Früchte. Sie trinken vor allem Bier, daneben auch unvermischten Wein. Sie lieben endlose Gelage und sind gastfreundlich, müssen oft aber auch Hunger leiden.

5. CONNUBIA. Die eheliche Verbindung: Sie bleiben bis zur Heirat nach dem 20. Lebensjahr unberührt und halten die eheliche Treue. Die Mitgift bringt der Mann der Frau dar - nicht Schmuck oder Hausrat, sondern Zugtiere und Waffen.

6. BELLANDI MOS. Ihre Art zu kämpfen: Ihr ganzes Leben ist auf den Krieg oder auch den Raub ausgerichtet. Die Kämpfenden werden von ihren Frauen und Müttern angefeuert. Vor der Schlacht vollführen sie einen ohrenbetäubenden Lärm. Die Schande, besiegt zu werden, können viele von ihnen nicht ertragen.

7. FUNERALIA. Leichenfeiern: Beim Begräbnis treiben sie keinen großen Aufwand. Die Toten werden mit ihren Waffen, manche auch zusammen mit einem Pferd auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Totenklagen sind nur den Frauen erlaubt, doch auch ihnen nicht lange.

8. LEGUM ADMINISTRATIO. Die Bestrafung: Nach Tacitus hängen die Germanen Verräter und Überläufer an Bäumen auf, während Feiglinge und Schandkerle ins Moor versenkt werden. Für Totschlag wird mit Vieh Buße geleistet. Die Kinderzahl zu begrenzen, gilt als Schande. Die guten Sitten wirken bei ihnen stärker als anderswo gute Gesetze.

9. RELIGIO. Religion: Sie bemühen sich nicht, den Göttern zu opfern. Außer der Sonne, dem Mond und dem Feuer verehren sie auch Gottheiten wie die der Römer und prophetische Jungfrauen. Sie wahrsagen aus dem Vogelflug, Eingeweiden und dem Wiehern der Pferde.

10. DOTES. Naturschätze: Nach Plinius u.a. finden sich in Germanien folgende Mineralien, Pflanzen, Tiere, Wasserquellen und Bodenschätze: (...) Bernstein gibt es nur an den Gestaden Germaniens.


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Mannheim, 12. November 1996