Während die Schwächen der Männer gewöhnlich der menschlichen Natur schlechthin zugerechnet wurden, waren diejenigen der Frauen im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit Gegenstand einer lebhaften Debatte über Wert und Unwert des weiblichen Geschlechts. Die Diskussion, in die sich seit Christine de Pisan (ca. 1364 - ca. 1431) vereinzelt auch weibliche Stimmen einmischten, hatte viele Facetten. Themen waren die physische Konstitution, die emotionale Verfassung und die geistigen Fähigkeiten der Frau sowie ihre Festlegung auf einen vom Mann her definierten Wirkungskreis. Die Querelle des femmes manifestierte sich in den unterschiedlichsten Textgattungen. Grobe Schwänke und Invektiven hatten im 15. Jahrhundert Konjunktur. Die Humanisten behandelten das dankbare Sujet in Deklamationen pro et contra. Mit den Mitteln der Dialektik argumentierten Autorinnen und Autoren gegen das misogyne Vorurteil. Lyrisches und panegyrisches Frauenlob blühte vor allem im Umkreis adliger Damen, oft am Hofe regierender Fürstinnen. Hierfür boten Petrarca, Bembo und Castiglione berühmte Beispiele.
Von besonderem Interesse sind die Meinungen über die gelehrte Bildung der Frau. Da der Geist als der Teil des Menschen galt, der berufen ist, das Verhalten und Handeln überhaupt zu lenken, wurde er als vornehmster Besitz des Mannes, der ja zur Herrschaft in Haus und Gemeinde bestimmt war, begriffen. Diese Annahme wurde durch die traditionelle medizinische Lehre von den Temperamenten gestützt: Sie ordnete dem männlichen Geschlecht das Feuer des Geistes bzw. die Hitze des sanguinischen und des cholerischen Temperaments zu und sah im weiblichen die Kälte des phlegmatischen Temperaments. Andererseits sprach die Erfahrung, die man in Familien von Gelehrten und Fürsten mit der gelehrten Erziehung von Mädchen machte, deutlich gegen die Annahme einer geistigen Unterlegenheit der Frau. Viele Gelehrte schwankten daher zwischen der alten Doktrin und der bewundernden Anerkennung talentierter Schülerinnen und gebildeter, geistreicher Damen.
Die hier präsentierte "Erörterung über die gelehrte Bildung der Frauen" ist 1671 an der Universität Leipzig vorgetragen worden. Wie die vorliegende Neuauflage von 1676 zeigt, fand sie über den Anlaß der akademischen Prüfung hinaus Beachtung. Der Zeitpunkt ihres Entstehens ist durch die wachsende Teilnahme von Frauen am literarischen Leben in Deutschland gekennzeichnet. Anders als in Italien und Frankreich, wo die Gelehrten schon in der Epoche der Renaissance Wissenschaft und Dichtung auch in der Volkssprache gepflegt und damit den Frauen einen leichteren Zugang zur Bildung eröffnet hatten, geschah dies in Deutschland erst im Zeitalter des Barock. So traten hier auch erst relativ spät schreibende Frauen in größerer Zahl in Erscheinung. Die deutschen Gelehrten beeilten sich, diese Zierden ihrer Heimat den gelehrten Italienerinnen und Französinnen an die Seite zu stellen.
Als Verfasser beider Disputationen ist Johannes Sauerbrei anzusehen. 1644 in Hildburghausen geboren, erwarb er mit der ersten Diatribe den Magistergrad, während er bei der zweiten bereits als Praeses fungierte. Er wirkte später als Pastor und Schulrektor in Coburg und Erfurt. Noch 1699 promovierte er in Altdorf. Er starb 1721 in Erfurt. Seine Arbeit über die gelehrte Frau zeigt ihn als bibliographisch und historisch informierten Kenner der Materie und geübten Dialektiker. Er führt rund 140 gelehrte Frauen des abendländischen Kulturkreises an. In 246 Anmerkungen gibt er eine Fülle von Literaturhinweisen. Wie so manche Kompilationen barocker Polyhistoren stellt auch Sauerbreis Arbeit eine Fundgrube für die heutige Forschung dar. Eine übersichtliche Disposition und die begriffliche Klarheit erleichtern die Orientierung. Sie lassen auch die Position, die der Autor zu dem kontroversen Thema einnimmt, klar erkennen. Wie aus unseren Inhaltsangaben hervorgeht, hält er an der traditionellen Auffassung, daß Vernunft und Wissenschaft vor allem Männersache seien, fest, räumt aber immerhin ein, daß Frauen, die den Mühen des Alltags enthoben sind, in der gelehrten Bildung einen wohlanständigen Zeitvertreib finden. Sein Ehrgeiz, viele gelehrte Frauen deutscher Nation zu nennen, und seine preisende Aufzählung großer intellektueller Leistungen von Frauen verschiedener Zeiten und Völker schießen freilich über die Beschränktheit seines theoretischen Standpunkts hinaus. Wie so viele Autoren vor ihm, will Sauerbrei nur einige wenige Frauen zu wissenschaftlichen und literarischen Studien, denen sie sich allein um der Tugend und des Ruhmes willen widmen sollen, anspornen. Ein berufliches, öffentliches Wirken wird ihnen nicht in Aussicht gestellt. Gleiche Bildungs- und Berufschancen für beide Geschlechter sind in der frühen Neuzeit kaum jemals thematisiert worden.
Inhalt
(Seitenzählung nicht in der Vorlage):
Titel
der 1. Disputation (fol. A 1 r.)
Vorrede: Nicht nur als Kriegerinnen haben sich Frauen ausgezeichnet,
sondern auch als Gelehrte - und zwar nicht nur in anderen Ländern,
sondern auch in Deutschland.
S.1
Forts.: In der ersten Abhandlung soll gezeigt werden, daß weder die Natur noch der Brauch der Völker weiblicher Gelehrsamkeit entgegenstehen; in der zweiten, daß vom weiblichen Geschlecht weder aufgrund der Natur noch nach dem Brauch der Völker Gelehrsamkeit verlangt werden könne, daß diese aber einzelnen Frauen von der Vernunft nahegelegt werde.
1. These: Weiblicher Gelehrsamkeit steht die Natur nicht entgegen.
S.2
Erläuterung der Begriffe "weibliches Geschlecht" und "Gelehrsamkeit".
S.3
Frauen als vernunftbegabte Wesen.
S.4
Geringere geistige Begabung der Frau.
S.5
Es gibt Ausnahmen von dieser Regel.
S.6
Vertreter der These von der geistigen Überlegenheit des weiblichen
Geschlechts.
S.7
(fol. B 1 r.)
Heinrich Cornelius Agrippa von Nettesheim.
S.8,
S.9
Gegen einen französischen Vertreter der These von der geistigen
Überlegenheit des weiblichen Geschlechts.
S.10
Gegen französische Autoren, die dem weiblichen Geschlecht geistige
Befähigung absprechen.
S.11,
S.12,
S.13,
S.14,
S.15
(fol. C 1 r.)
Beweis der 1. These durch Beispiele aus der Philologie: Kenntnis der
klassischen Sprachen und Literaturen.
S.16,
S.17,
S.18
Forts.: Kenntnis des Hebräischen und anderer orientalischer Sprachen.
S.19
Forts.: Beherrschung der Redekunst.
S.20
Forts.: Beherrschung der Dichtkunst.
S.21,
S.22,
S.23
(fol. D 1 r.)
Beweis der 1. These durch Beispiele aus der Philosophie.
S.24
Beweis der 1. These durch Beispiele aus der Medizin.
S.25
Beweis der 1. These durch Beispiele aus der Jurisprudenz. Beweis der
1. These durch Beispiele aus der Theologie.
S.26
2. These: Weiblicher Gelehrsamkeit steht der Brauch der Völker
nicht entgegen.
S.27
Das beweisen die Kataloge gelehrter Frauen.
S.28
Ergänzung: Gelehrte Frauen aus Deutschland.
S.29,
S.30,
S.31
(fol. E 1 r.), S.32
Forts.: Henrietta Catharina von Friesen.
S.34
Titel der 2. Disputation
S.35
(fol. A 1 r.)
Widmung an Henrietta Catharina von Friesen und Margaretha Sibylla Löser.
S.36,
S.37,
S.38,
S.39,
S.40
3. These: Das Gesetz der Natur verlangt Gelehrsamkeit von den
Männern, nicht aber von den Frauen. Definition der Gelehrsamkeit.
S.41,
S.42.,
S.43
(fol. B 1 r.), S.44
Das Gesetz der Natur verlangt von den Männern theologische Gelehrsamkeit:
Beweis.
S.45
Das Gesetz der Natur verlangt von den Männern Rechtsgelehrsamkeit:
Beweis.
S.46
Das Gesetz der Natur verlangt von den Männern philosophische Gelehrsamkeit:
Beweis. Das Gesetz der Natur verlangt Gelehrsamkeit nicht von den Frauen:
Beweis im Allgemeinen.
S.47
Forts.: Beweis im Besonderen: theologische Gelehrsamkeit.
S.48,
S.49,
S.50,
S.51
(fol. C 1 r.), S.52
Forts.: Rechtsgelehrsamkeit.
S.53,
S.54
Forts.: Philosophische Gelehrsamkeit. In Teilbereichen der medizinischen
Kunst (Gynäkologie, Geburtshilfe und Kinderheilkunde) sind auch Frauen
tätig. Die medizinische Wissenschaft aber wird vor allem von Männern
vertreten.
S.55
4. These: Gesetz und Herkommen der Völker verlangen Gelehrsamkeit
in der Regel von den Männern, nicht aber von den Frauen.
S.56
Belege für diese These. Widerlegung eines das Gebiet der Theologie
betreffenden Einwands.
S.57,
S.58
Widerlegung eines das Gebiet der Jurisprudenz betreffenden Einwands.
S.59
(fol. D 1 r.)
Widerlegung eines das Gebiet der Medizin betreffenden Einwands.
S.60
Widerlegung eines das Gebiet der Philosophie betreffenden Einwands.
S.61
5. These: Wohlhabende Frauen, die von häuslichen und sonstigen
Pflichten frei sind, rät die Vernunft, ihre Muße lieber gelehrter
Bildung als anderem Zeitvertreib zu widmen, zumal wenn sie die Neigung
dazu verspüren. Begriffsbestimmungen.
S.62,
S.63
Von der Muße in Ehren und von guter Literatur.
S.64,
S.65
Widerlegung von Einwänden.
S.66
Katalog gelehrter Frauen, die oben keine Erwähnung fanden (in alphabetischer
Folge - zumeist der Vornamen): A-C.
S.67,
(fol. E 1 r.) S.68
Katalog H-Io.
S.71,
S.72.,
S.73,
S.74
Katalog Is-L.
S.75
(fol. F 1 r.)
Hinweis auf entsprechende Kataloge von anderen Autoren.
S.80
Schlußwort.
S.81
Glückwunschgedichte von L. Val. Alberti und J. Sauerbrei an den
Respondenten.
S.82
Heinz Kredel, E-mail: kredel@rz.uni-mannheim.de
Wolfgang Schibel, E-mail: Schibel@bib.uni-mannheim.de
Emir Zuljevic, E-mail: zuljevic@rummelplatz.uni-mannheim.de
Mannheim, 25. September 1997