Desbillons, François-Joseph Terrasse:


Annibal Tragoedia

Um 1745? (59) S., 20 x 14 cm.
Von Wolfgang Schibel edierte Fassung.

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Als der französische Jesuit F.J.T. Desbillons (geb. 1711) im März 1789, am Vorabend der Großen Revolution, in Mannheim starb, hatte er schon lange vorausgeahnt, daß seine Welt - die der französischen Monarchie und der christlich-humanistischen Bildung - bald untergehen werde. Am Schicksal des Jesuitenordens, der ihm seit seiner Jugend zur Heimat, ja zur Familie geworden war, hatte er die Zeichen der Zeit erkannt. 1762 gebot der französische König dem Orden, seine Tätigkeit einzustellen. Zwei Jahre später verlangte er von den Ordensmitgliedern, sich von der Gesellschaft Jesu förmlich loszusagen. Vor dieser Zumutung entwich Desbillons nach Mannheim, wo ihm das in der Nachbarschaft des Schlosses florierende Jesuitenkolleg auf Wunsch Kurfürst Karl Theodors ein ehrenvolles Asyl anbot.

Aus Paris brachte der Exulant, der sich durch seine humanistische Gelehrsamkeit bereits hohes Ansehen erworben hatte, neben 6.000 Büchern auch die Manuskripte seiner dichterischen und philologischen Arbeiten in lateinischer und französischer Sprache mit. In den 25 ruhigen Jahren, die ihm in Mannheim noch vergönnt waren, konnte er seine Büchersammlung auf den außergewöhnlichen Umfang von 17.000 Bänden vermehren. Auch seine kritische und produktive Tätigkeit erlahmte nicht. In lateinischen Fabeln, die bald schon in den Gymnasien Europas gelesen wurden, stellte er als traditionsverhafteter Moralist Zeiterscheinungen kritisch dar. Seine Mahnungen und Befürchtungen sprach er auch in lateinischen Lehrgedichten größeren Umfangs aus. Diese späten Ausläufer der Jesuitendichtung und Denkmäler eines unzeitgemäßen Geistes wurden 1788, 1789 und 1792 in Heidelberg und Mannheim publiziert. Wie andere Manuskripte des Autors blieb die druckreife Fassung seiner lateinischen Hannibaltragödie bis heute unbeachtet in seinem Nachlaß liegen. N. Caux de Cappeval (ca. 1710-1793), der französische Hofdichter Karl Theodors und gleichgesinnte Freund des Jesuiten, hat auf dem Umschlag des Papierbündels resigniert vermerkt, daß eine "gute lateinische Tragödie" wie diese nicht dem gegenwärtigen Geschmack entspreche. Man müsse auf eine bessere Zeit warten, die sich nicht bloß als "philosophisches Zeitalter" ausgebe, sondern "ein wirkliches Zeitalter der Literatur" sei. - Was würde er wohl dazu sagen, daß dieses Werk nun endlich, 250 Jahre nach seiner Entstehung, dank neuester Technik in einem nicht primär der "Literatur" (wie er sie verstand) gewidmeten Medium erscheint?

Die Tragödie "Annibal" ist ein typisches Beispiel des von den Jesuiten intensiv gepflegten Schultheaters. Als Professor der Rhetorik an der bedeutenden Jesuitenhochschule in LaFlèche (1743) und später der Universität in Bourges (1744-1748) hatte Desbillons für den festlichen Höhepunkt des Jahres eine lateinische Tragödie, eine französische Komödie und sogar ein Ballett zu schaffen und mit den Schülern einzustudieren. Die Tragödie zeigt den karthagischen Feldherrn (247/6-183), den größten Feind der Römer, 19 Jahre nach seiner Niederlage bei Zama (202) in aussichtsloser Lage: Römische Gesandte fordern von dem König von Bithynien, der ihm Asyl gewährt hat, seine Auslieferung. Hannibal bäumt sich in seinem unbeugsamen Haß auf Rom, die neue Herrin des Erdkreises, noch einmal auf: Mit einigen Rom feindlichen Anführern aus Makedonien und Gallien unternimmt er einen Ausbruchsversuch, der jedoch von dem römischen Gesandten Scipio Nasica schnell zurückgeschlagen wird. Von ihm erwirkt Hannibal noch die Freiheit für seine Bundesgenossen; dann beendet er, ohne etwas anderes zu bereuen als ein kurzes Erschlaffen seines Kampfeswillens in dem üppigen Capua (216/5), mit Gift sein Leben.

Das Theaterstück bot den Jesuitenschülern, von denen sich viele, ihrer vornehmen Herkunft entsprechend, auf eine Rolle im öffentlichen Leben vorbereiteten, die Gelegenheit, Staatsmänner, Heerführer und Hofleute darzustellen und deren Überlegungen, Pläne und Prinzipien in einprägsamen Sentenzen auszusprechen. Die stoische Beständigkeit Hannibals, die uneigennützige Prinzipientreue Scipio Nasicas, der eigensüchtige Opportunismus der beiden anderen römischen Gesandten, die würdelose Willfährigkeit des Königs von Bithynien und der verwegene Mut der jungen Heerführer werden in didaktischer Deutlichkeit dargestellt. Die Sprache ist erhaben, wie es das Trauerspiel fordert, vermeidet jedoch das allzu Gesuchte und Gewagte. Auch darin ist dieses Werk aus der späten Blütezeit der französischen Jesuitenschulen ein Muster seiner Gattung.

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Mannheim, 24. Mai 1996