MATEO - Mannheimer Texte Online


Hansmeier: Hypermediale Programme


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2 Moderne Medien im Fremdsprachenunterricht

2.1 Videoeinsatz

Die Möglichkeit des gleichzeitigen Ansprechens mehrerer Sinneskanäle ist schon seit dem 17. Jahrhundert bekannt. Einer der ersten Theoretiker des Medieneinsatzes im Fremdsprachenunterricht war Johann Amos Comenius, der 1658 sein Werk Orbis sensualium pictus schrieb. In diesem bebilderten Wörter-buch veranschaulichte er, wie seinerzeit moderne Hilfsmittel, die des Buch-drucks und des Holzschnittes, dem Lerner bei dem Erlernen einer Fremd-sprache behilflich sein sollten. In seinem Vorwort zu Orbis sensualium pictus erklärt Johann Amos Comenius die Wichtigkeit, mit den Sinnen zu lernen:

"Klar / auch dannenhero / stät und fäst / wird sie seyn [die Weisheit] / wann alles / was gelehret oder gelernet wird / nicht dunkel oder verwirrt / sondern deutlich / wohlunterschieden und abgetheilet ist / wann die sinnbare Sachen den Sinnen recht vorgestellet werden / damit man sie mit dem Verstand ergreiffen könne [...] Es ist aber nichts in dem Verstand / wo es nicht zuvor im Sinn gewesen. Wann nun die Sinnen / der Sachen Unterschiedenheiten wohl zu ergreiffen / fleissig geübet werden / das ist so viel / als zur ganzen Weisheit Lebensverrichtungen den Grund legen" (Comenius 1964: 5).

Die Kombination von Bild und Wort vermittelten Zusammenhänge und Wirklichkeit oder, um die Beobachtungen von Alice im Wunderland auf-zunehmen:

"Alice was beginning to get very tired of sitting by her sister on the bank, and of having nothing to do: once or twice she had peeped into the book her sister was reading, but it had no pictures or conversations in it, ‘and what is the use of a book’ thought Alice, ‘without pictures or conversations?" (Carrol 1934: 2).

Mit dem ‘Laufenlernen der Bilder’ vor ca. 100 Jahren durch die Gebrüder Lumière und Skladanowsky, der seit ca. 50 Jahren bestehenden Mög-lichkeit des regelmäßigen Fernsehens, der dann folgenden Speicherung der sich bewegenden Bilder auf Film, der wiederum die Entwicklung und Verbreitung der Videotechnik folgte, wurde der Unterricht, insbesondere der Fremd-sprachenunterricht in nicht-zielsprachiger Umgebung, um die audiovisuelle Komponente bereichert. Die Bildkomponente bietet dem Rezipienten eine zusätzliche Erinnerungs- und Verstehenshilfe:

"Untersuchungen haben ergeben, daß der Mensch über 80% seiner Eindrücke über die Augen, zu weniger als 10 % durch die Ohren aufnimmt. Von dem, was er hört, behält er nur 20%, jedoch beinahe 50% von dem, was er sieht" (Apelt 1976: 196).

Mit der Integration des Videos in den Unterricht wurden von Seiten der Lehrenden oft die Befürchtungen des passiven Konsumierens des Gezeigten durch die Lernenden geäußert. Dem ist jedoch entgegenzusetzen, daß die Linea-rität des Mediums zwar keine Interaktion des Lernenden vergleichbar mit der in einer realen kommunikativen Situation ermöglicht, die Videotechnik jedoch durch ihre Flexibilität und Manipulationsmöglichkeiten (das beliebige An-halten, Zurück- und Vorwärtsspulen von Sequenzen, die Trennung der Kanäle - Bild ohne Ton, Ton ohne Bild - das Standbild und die Zeitlupe) einen sofor-tigen unmittelbaren interpersonellen Austausch und eine reflektierte und kriti-sche Auseinandersetzung mit den Bildwelten zuläßt. Auf die verschiedenen methodisch-didaktischen Konzepte zum Einsatz und zur Nutzung des Videos im Fremdsprachenunterricht wird hier nur verwiesen,(28) sie werden jedoch nicht ausführlich vorgestellt.

Der Einsatz von Video bringt authentisches Material und Informationen in den Fremdsprachenunterricht, verlebendigt und veranschaulicht die fremd-sprachliche Wirklichkeit und die Fremdsprache. Die gespeicherten Ausschnitte geben alle Komponenten der dargestellten Wirklichkeit wieder. Diese Präsentation der totalen Situation, in der Gestik und Mimik, die phonetischen, prosodischen und suprasegmentalen Phänomene sowie die zeitlichen und geographischen Faktoren für den Lerner wahrzunehmen sind, lassen ihn nicht nur das Gesagte, sondern auch das Implizierte verstehen. Diese totale Situation kann ihm Einblicke in eine fremde Kultur gewähren und ihm wichtige interkulturelle Unterschiede bewußt machen.

"Der (Fernseh-) Film führt Menschen, Dinge und Sprache sichtbar vor, er knüpft an die Seh-/ Hörgewohnheiten der Lernenden an und übermittelt Geschichten, Umstände, Fakten und Meinungen mit Unterstützung von Bildern. Sprache wird so in ihrem sozialen Kontext und in ihren Begleitumständen abgebildet. Man sieht, wo die sprechenden Menschen sind, wie sie aussehen, wie sie gekleidet sind, wie alt sie sind, welchen Stimmungen und Einstellungen sie unterliegen, welche Verhaltensweisen und Gesten ihre sprachliche Interaktion beeinflussen, man nimmt zeitliche, räumliche und geographische Faktoren unvermittelt wahr. Der Film ist hierbei kein Lehrer, sondern erfüllt das Klassenzimmer mit fremder Sprache und ihrem Kontext" (Edelhoff 1986: 18).(29)

Videos werden überwiegend in den Fremdsprachenunterricht integriert, um bestimmte sprachliche und landeskundliche Aspekte zu veranschaulichen und um diese vermittelten Informationen abzufragen, wodurch das Medium zum medialen Ersatzlehrer gemacht wird und seine für den Fremd-sprachenunterricht förderlichen Potenzen nicht total ausgeschöpft werden.

Die Breite und Vielfalt des Videos liefert genauso wie die traditionellen Printmedien unterschiedliche Textsorten (Spielfilme, Dokumentarfilme, Nach-richten, Reportagen, Unterhaltungssendungen etc.), deren Decodierung mit adäquaten und filmspezifischen Übungen und Arbeitsformen(30) geübt werden muß. Es handelt sich bei Filmen um eine spezielle Sorte von Text,(31) deren Informationen sich aus der Bild- und der Tonebene und aus der Verbindung der beiden zusammensetzen. Diese Informationsebenen verhalten sich nicht immer komplementär zueinander, sondern können sich auch redundant, parallel, komplementär oder kontrastiv zueinander verhalten. Eine Trennung von Bild und Ton sensibilisiert den Lerner für beide Informationsebenen. Die Bild-informationen werden vom Lerner eher rezipiert, da sie einprägsamer als die sprachlichen sind, die in diesem Fall nicht mehr angemessen vom Lerner aufgenommen und decodiert werden.

Der rein visuelle Aspekt läßt den Lerner über das Gesehene spekulieren, er interpretiert und stellt Hypothesen über dargestellte Personen auf. In der Zusammenführung der beiden Ebenen erfährt er, wie sehr die Bildinforma-tionen von den Toninformationen abweichen, wie subjektiv seine Wahr-nehmung ist und wie diese durch eigene Erfahrungen und sein Vorwissen beeinflußt ist.

Gerade bei dokumentarischem landeskundlichen Material wird die Realität nur in Ausschnitten präsentiert. Diese wurde mehrfach bearbeitet und gefiltert,(32) wodurch ein bestimmtes Bild der fremden Gesellschaft gemalt wird. Bei dokumentarischen Produktionen wird nach den Dreharbeiten vom Filme-macher das gefundene Material bestimmten Intentionen folgend bearbeitet.

Wie gehen die Rezipienten mit der filmischen Wirklichkeitsdarstellung um? Nehmen sie das Präsentierte als wahr auf? Welche Assoziationen löst das Gezeigte aus, was wird wahrgenommen und wie werden dieselben Bilder und Kommentare von verschiedenen Lernern mit unterschiedlichen Lernerbio-graphien interpretiert?

Die dem Rezipienten vorenthaltenen Aspekte der fremden Lebenswelt müssen ihm durch Begleitmaterial zugeführt werden, damit er sich der Komplexität der fremden Wirklichkeit bewußt ist und er die filmischen Aussagen erweitern, ergänzen und in Frage stellen kann. Die filmsprachlichen Mittel, wie z.B. Kameraführung, Zoom, Musik, sind wichtiger Analyse-gegenstand des Fremdsprachenunterrichts, da sie den Zugang zum fremd-sprachlichen Text verschließen oder öffnen können. Das kulturvergleichende Reflektieren eines Filmes sensibilisiert den Lerner für die Wertorientierungen einer anderen Kultur, wobei er sich oft erst im Vergleich der eigenen bewußt wird, er lernt die Wahrnehmung anderer und die eigene besser zu verstehen.

Die Möglichkeit der Lerner, ein eigenes Video zu produzieren, ein Thema zu suchen und dieses filmisch umzusetzen, ist eine motivierende Aufgabenstellung und schafft die Voraussetzungen für einen emanzipierten, kritischen Umgang mit dem Medium und mit der Realität. Auch die Neubearbeitung von bereits vorhandenem filmischen Material durch Schneiden (Re-Montage, Neuvertonung) bringt interessante Ergebnisse und Einsichten. Wolfgang Bufe (1993) weist auf das gefilmte Interview zwischen fremdsprach-lichen Sprechern hin, das zu einer ‘interkulturellen Begegnungsdidaktik’ wird.

Neben dem authentischen Material, d.h. neben den für Muttersprachler produzierten Filmen und Videos, gibt es auch die speziell für den Fremdsprachenunterricht adaptierten, produzierten Videos, wie z.B. die Sen-dungen des Schulfernsehens, die Sprachlernvideos des Goethe-Instituts und die in verschiedenen Verlagen für Deutsch als Fremdsprache erschienenen Filme.(33)

Im folgenden werden zwei in den USA für englischsprechende Lernende entstandene Sprachlehrkurse vorgestellt, die auf hohe Resonanz stoßen und das sowohl auf Seite der Lernenden als auch auf der der Lehrenden. Es handelt sich um den für den Französischanfängerunterricht konzipierten Videosprachkurs French in Action, der auch als Capretz-Methode bekannt ist, und den für den Spanischanfängerunterricht entwickelten namens Destinos. Beide Videos arbeiten mit fortlaufenden Geschichten, die nach dem Genre der Seifenoper konzipiert sind.(34)

In French in Action spielt die Handlung in Paris. Die Heldin ist die junge Pariser Universitätsstudentin Mirelle Belleau, die sich in den Helden Robert Taylor, einen Amerikaner, verliebt. Beide werden von einem ‘Mann in Schwarz’ verfolgt. Romanzen, Eifersucht, Verfolgungen und Fluchten bestim-men die Handlung. Die Lerner lernen im Verlauf der Geschichte Frankreich,

die französischen Sitten, Eigenarten, französische Kleidung, Essen und Städte aus französischer Perspektive kennen. In French in Action tauchen die Lernen-den in die französische Sprache und Kultur ein. Der Sprachlehrkurs setzt sich aus Videokassetten, Audiokassetten und Printmedien (Text- und Arbeitsbuch) zusammen.

In Destinos werden die Lerner zuerst auf eine Hacienda außerhalb von Mexiko City versetzt, wo ein alter Mann lebt, der Spanien am Ende des Bürger-kriegs verließ. Er erhält eines Tages einen Brief aus Spanien, in dem eine Frau Behauptungen bezüglich seiner Vergangenheit aufstellt. Er spricht daraufhin mit seiner Familie, offenbart dieser eines seiner Geheimnisse: er war schon einmal verheiratet, seine von ihm als totgeglaubte Frau lebt und hat einen Sohn von ihm. Er gibt bekannt, daß er eine Person nach Spanien schicken wird, die mit der Verfasserin dieses Briefes sprechen wird. Diese Person ist Raquel Rodriguez, eine Anwältin aus Los Angeles.

Worin besteht das Geheimnis des alten Mannes und was werden Raquel und die Lerner auf ihrer Reise entdecken und erfahren? Die Untersuchungen führen Raquel zuerst in verschiedene Städte Spaniens, dann nach Argentinien, Puerto Rico und wieder zurück nach Mexiko. In den jeweiligen Ländern begegnen Raquel und den Lernern Personen unterschiedlicher Alters- und Berufsgruppen, sie hören die verschiedenen Akzente der spanischsprechenden Welt, besuchen Museen und historisch wichtige Gebäude und erfahren dabei mehr über die Geschichte, die Gebräuche und Künste des Landes. Die einzelnen Episoden enden mit einem Cliffhanger.(35)

Der Kurs setzt sich aus den Videoepisoden, Audiokassetten, einem Text- und Arbeitsbuch, einer Computersoftware, die die Übungen des Text- und Arbeitsbuches ergänzt, und fachsprachlichen (gesetzlichen, medizinischen, tou-ristischen, erziehungs-, sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen) Ergänzun-gen, die bei Bedarf eingesetzt werden können, zusammen. Alle Materialien basieren auf den Videoepisoden. Als Lehrerhandreichungen stehen Video-, Audiotranskripte und Videomodule zur Verfügung, die bestimmte Aspekte herausstellen, wie z.B. den Gebrauch fiktionaler Sprache, bestimmte Vokabeln verdeutlichen und spezielle Informationen über die spanischsprechenden Kultu-ren vermitteln.

Worin bestehen die Nachteile dieses Mediums, das den Fremdsprachen-unterricht um die essentiellen Komponenten des Visuellen und des Authen-tischen bereichert? Als die zwei großen Nachteile des Einsatzes von Video werden erstens die relativ langen Vor- und Rückspulzeiten, um auf eine gewünschte, wichtige Sequenz zugreifen zu können, gesehen, was den ad hoc-Dialog zwischen Lerner und Lehrendem beeinträchtigt, und zweitens, daß die direkte Interaktion zwischen Bild, Ton und dem Lerner nicht vorhanden ist. Diese mangelnde Flexibilität des linearen Präsentationsmediums Video wird jedoch durch seine ‘Heirat’, die Koppelung mit dem Computer (die Steuerung des Videos durch den Computer), aufgehoben und ergibt somit eine optimale Verbindung mit eindrucksvollen Möglichkeiten für den Fremdsprachen-unterricht, auf die im folgenden eingegangen wird.

2.2 Der computergestützte Fremdsprachenunterricht

Grundlegend für die Entwicklung von hypermedialen Lernprogrammen ist der Computer, ein zu einem zentralen Bestandteil unserer Gesellschaft gewordenes Medium. Diese Technologie gewann an Stärke durch die soge-nannte Computerrevolution Mitte der 70er Jahre. Bis dahin war der Zugang zu Computern, einer damals noch ‘exotischen’ Technologie, aufgrund der hohen Kosten nur einem kleinen Kreis Privilegierter vorenthalten. Durch die Entwicklung der Personal Computer sank der Preis der für den Lehr- und Lernbetrieb in Frage kommmenden Systeme jedoch radikal, und die Bemühungen intensivierten sich, Computer auch im Fremdsprachenunterricht einzusetzen. Dort hielt er Einzug als ‘Computer-Assisted Language Learning’ (CALL):

"Zu den größten Stolpersteinen auf dem Weg zum computergestützten Unterricht gehörten die hohen Anfangskosten der Hardware und der Programmentwicklung sowie die unbefriedigende Qualität der Pro-gramme selbst. Nach Darstellung von Holmes und Kids hatten die Probleme verschiedene Ursachen: Anfälligkeit der Maschinen, Rück-gang der Finanzierung durch die Industrie, unklare empirische Befunde bezüglich der Effektivität computergestützten Lernens. Auch bestand der Eindruck, daß viele CAI [Computer-Assisted Instruction] – Programme lediglich kopierten, was mit anderen Lehrmitteln besser und normalerweise auch billiger zu haben war. Diese Faktoren trugen dazu bei, daß Begeisterung und Unterstützung für viele Programme zu wünschen übrig ließen" (Hope/Taylor/Pusack/ 1985:12).

Viele der heute eingesetzten computergestützten Unterrichtsprogramme bestehen immer noch aus ‘Drill- and Practice’-Übungen und erinnern uns an den Wein des Behaviorismus in neuer Verpackung. Diese Art der computer-gestützten Lernprogramme und ihr Einsatz rufen Kritik hervor, da sie uns in die Steinzeit des Fremdsprachenunterrichts zurückfallen lassen. In diesen Program-men wird die fremde Sprache eindimensional betrachtet und bezieht sich nur auf isolierte Elemente. Im Mittelpunkt des heutigen Fremdsprachenunterrichts stehen Lernziele wie kommunikative Kompetenz, interkulturelles Lernen, exploratives Lernen und kritisches Denken. In den letzten Jahren wurden neue Möglichkeiten der Interaktion zwischen Lerner und Lernsystemen entwickelt. Diese neue Generation von Computerprogrammen ist nach dem Hypertext-system(36) gestaltet.

Für Seymour Papert wird der Computer durch die entsprechende Software zum Alleskönner. Er bezeichnet ihn als Proteus der Maschinen.

"The computer is the Proteus of machines. Its essence is its universality, its power to simulate. Because it can take on a thousand forms and can serve a thousands functions, it can appeal to a thousand tastes" (Papert 1993: XXI).

Durch den Computer und seine Vielseitigkeit gewinnen der Fremdsprachenunterricht und der Lerner an geistiger und psychischer Mobilität: morgens nehmen wir an einer Führung im Louvre teil, danach begeben wir uns auf Literaturrecherche, da wir mehr über einen Maler wissen möchten, wir tauschen uns mit Freunden oder mit anderen Kunstinteressierten über das Gesehene aus.

Wo liegen die Potentiale dieses Mediums für Unterrichtszwecke und ganz speziell für den Fremdsprachenunterricht?

Das Neue und die Stärken der computergestützten Lernmaterialien liegen in den Begriffen Individualisierung, Flexibilität, Interaktivität und Reaktionsgeschwindigkeit. Ein weiteres Potential des Computers liegt in dem mehrkanaligen Lernen. Die Lerninhalte werden über mehrere Sinnkanäle auf-genommen. Untersuchungen bestätigten, daß die multimediale Präsentation von Lernmaterialien die Aufmerksamkeit, die Ausdauer und das Behalten fördern:

"Den Lernstoff über möglichst viele Eingangskänale anbieten, einprägen und verarbeiten. Je mehr Wahrnehmungsfelder im Gehirn beteiligt sind, desto mehr Assoziationsmöglichkeiten für das tiefere Verständnis werden vorgefunden, desto größer werden Aufmerksamkeit und Lernmotivation, und desto eher findet man die gelernte Information wieder, wenn man sie braucht" (Vester 1978: 142).

Computergestützte Lernmaterialien eignen sich besonders für das individualisierte Lernen außerhalb des Klassenraumes. Der Computer ermög-licht dem Lerner, sein eigenes Arbeits- und Lerntempo zu finden. Anders als in der Klasse gibt es keinen Zeitdruck. Er besitzt außerdem endlose Geduld und behandelt jeden Lerner gleich.

Die im folgenden beschriebenen computergestützten Lernprogramme gehören der ersten Generation an. Bei den im individualisierten Lernprozeß benutzten computergestützten Lernprogrammen handelt es sich um Drills und Übungen, mit denen der Lerner das im Unterricht eingeführte Wissen festigen und Kapitel wiederholen kann, in denen er sich noch nicht sicher fühlt. Er ist dabei nicht an einen festen Zeitpunkt gebunden. Die Programme erteilen auf die Eingabe spontan eine Rückmeldung, die je nach Computerprogramm eine mehr oder weniger umfangreiche Fehleranalyse(37) liefert. Wichtig ist, daß das Computerprogramm nicht verachtend auf die Fehler reagiert, da sonst die Lern-motivation gefährdet ist.

In den am Anfang benutzten einfachen Drill-Übungen,(38) die nach den Grundlagen des behavioristisch angelegten Lernens ablaufen, übernimmt der Computer die Rolle des ‘page-turners’ (Higgins 1983). Im Gegensatz zu den Drill-Übungen präsentieren die Tutorials(39) dem Lerner neue Informationen und üben diese ein. Tutorielle Übungen können aus Erklärungen, Regeln, Grund-sätzen, Graphiken, Tabellen, Begriffsdefinitionen bestehen. Diese Programme sind sehr stark strukturiert, bieten dem Benutzer aber oft die Möglichkeit, zwischen einzelnen Übungen zu wählen oder leiten ihn abhängig vom erhaltenen Input zu bestimmten Übungen.(40)

Computerprogramme, die als Anreiz und Ausgangspunkt für Gruppenaktivitäten eingesetzt werden, sind Worträtselspiele und Buchstabier-aufgaben, wie z.B. Scrabble und Kreuzworträtsel. Der Computer wird hier als elektronische und ‘intelligente Tafel’ (Higgins/Johns 1985: 35) benutzt. Weitere in diesem Bereich eingesetzte Typen von Lernprogrammen sind Problemlösungsaufgaben in Form von Simulationen, Rollen- und Abenteuer-spielen,(41) die graphisch dargestellt werden oder mittels eines kurzen Textes beschrieben werden. Simulationen sind Programmtypen, die reale Situationen darstellen, in denen der Lerner durch Hinzufügen oder Änderung der Variablen das System ändern oder besser verstehen lernt. Diese Lernprogramme bieten dem fachsprachlich ausgerichteten Fremdsprachenunterricht viele Möglich-keiten. In Rollenspielen nimmt der Lerner Meinungen und Rollen an, die jedoch nicht seine eigenen sein müssen. Die Aufgabe besteht darin, trotz der vielen verschiedenen aufeinanderprallenden Meinungen zu einem Entschluß zu kommen. Durch CD-ROM erreichten die Abenteuer- und Rollenspiele eine neue Qualität der Darstellung und der Interaktion.(42)

Weitere Computerprogramme, deren Einsatz sich sowohl für den Selbstlernbereich als auch für Gruppenaktivitäten eignet, sind Textbearbei-tungs- und -manipulationsprogramme. Dabei wird zwischen vier verschiedenen Textmanipulationsprogrammen unterschieden, d.h. zwischen der Streichung, der Einfügung, der Ersetzung und der Zerwürfelung von Textteilen. Beispiele für diese Art von Lernprogrammen sind Hangman, Strip Story etc. und Übungs-formen wie Jumbler und Cloze.(43) In diesen Computerprogrammen, die für Gruppenarbeit ausgelegt sind, ist der Lerner aktiv und für sein Lernen selbst verantwortlich. Er interagiert mit dem Programm, er spielt z.B. Detektiv oder Spion. Er trifft Entscheidungen und entwickelt Initiative beim Arbeiten mit dem Programm.(44)

Ein weiterer Einsatzbereich des Computers ist der als mechanische Arbeitshilfe. Hier nutzt man seine Fähigkeit zur Informations- und Textver-arbeitung und zur Generierung von Wortschatzdateien, die dem Lerner bei der Verarbeitung der verschiedensten computerunabhängigen Materialien für den Unterricht dienen. Textverarbeitungsprogramme, deren Einsatz den Computer in eine elekronische Schreibmaschine verwandeln, bieten sich als Hilfe des Lerners bei dem Verfassen eigener Texte an. Der Lerner profitiert von den Ver-einfachungen, die die Textprozessoren bieten. Er kann seinen Text durch Einfügung, Ersetzung, Streichung und Zerwürfelung umformen. Der elektro-nische Text ist ‘lebendig’. Er wird von dem Lerner in der Form gesehen, in der er später ausgedruckt wird. Der Prozeß des Überarbeitens von Aufsätzen ist daher nicht mehr so arbeits- und zeitaufwendig wie früher. Rechtschreib-programme helfen dem Fremdsprachenlerner bei der Orthographie bzw. bei der Suche von Tippfehlern, es können auch Wörterbücher und Enzyklopädien, die sich auf CD-ROM befinden,(45) beim Schreiben eines Textes geladen werden. Durch die Flexibilität des elektronischen Textes fällt die Schwellenangst vor dem weißen Papier weg. Diese Art von Produktion geschriebener Sprache erlaubt dem Lerner, in der Fremdsprache zu experimentieren und ein spielerisches Verhältnis zur Textproduktion aufzubauen.

Eine weitere Funktion des Computers ist die der Datenübertragung und -aufbereitung. Das Internet, das globale Kommunikationsnetz, die umfassendste Beratungs- und Informationsbörse, erlaubt den weltweiten, schnellen und kostengünstigen Austausch von Informationen aller Art. Im Gegensatz zu den herkömmlichen Medien, die Informationen nur weitergeben und diese vorher filtern, kann jeder im Internet beliebig Informationen konsumieren und diese auch produzieren, was auch interessante Optionen für den Fremdsprachen-unterricht bereitstellt. Durch den Gebrauch des Internets mit all seinen Service-Funktionen und Diensten wird der Computer zum Mittler zwischen der eigenen und der fremden Kultur, er öffnet den traditionellen Unterricht und kann interkulturelle Lernprozesse initiieren.

Die Lerner haben Online (46)-Zugang zu aktuellem Material. Das WWW (World Wide Web), der momentan komfortabelste und leistungsfähigste Informationsdienst im Internet, ist multimedial und basiert auf dem Hypertext-Prinzip. Es bietet Zugang zu Bibliotheken, Museen, Tageszeitungen und Zeitschriften (TAZ, Die Zeit, Focus, Die Welt. Der Spiegel etc.), Universitäten, Diskussionsgruppen etc. Den Zugang zum WWW bieten Browser wie Netscape, Mosaic oder Internet Explorer, und damit für den Benutzer das Finden von Informationen nicht der Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen gleicht, gibt es unterschiedliche Suchmaschinen, die ihm behilflich sind. Die Lernenden entdecken und sammeln Lernmaterial selbständig. Sie müssen die gefundenen Informationen auf das Wesentliche reduzieren und dieses dann sinnvoll verknüpfen, um die Aufgabenstellung zu meistern.(47)

Als Gesprächs- und Kommunikationsmittel (Telekommunikation, elektronische Post oder E-Mail) ermöglicht der Computer den direkten Kontakt über räumliche und zeitliche Distanz. Lerner in den verschiedensten Ländern können schriftlich via E-Mail zu bestimmten Themen in der Zielsprache in echten, nicht gestellten Lernsituationen miteinander kommunizieren. Diese schnelle Kommunikation ist eine Bereicherung und Ergänzung der auf dem Lehrplan vorgesehenen Themen, produziert authentisches, aktuelles Material, läßt dabei die unterschiedlichsten Texte entstehen und fördert interkulturelles Lernen. Ein Experiment, das in Israel von Moshe Cohen und Margaret Riel gemacht wurde, verglich das von den Lernenden als Leistungsnachweis schriftlich Verfaßte mit dem von Studenten via E-Mail an Brieffreunde Geschriebene. Die Untersuchung ergab, daß die an die Peers gerichteten Texte sowohl inhaltlich als auch stilistisch um einiges besser waren, als die für die Lehrer zwecks Benotung produzierten:

"[...] the students’ composition written for an audience were more fluent, better organized, and their ideas were more clearly stated and supported than in those written for a grade. Their content was more substantive and the thesis better developed. The use of the language was more effective, incorporating more complex constructions and having less agreement errors" (Cohen/Riel 1989: 150)

Das Schreiben von Texten via E-Mail an eine ganz spezielle Leserschaft motiviert die Lernenden. Die Fremdsprache wird von ihnen in dieser Situation primär als ein Vehikel zur Mitteilung und zum Austausch ihrer Gedanken und Meinungen wahrgenommen.

"Writing for content - communicating ideas and problems that matter to writers and their reading community - is the best way to keep writing from devolving into grammar practice and help it to be a critical intellectual exercise for all concerned" (Greenia 1992a: 34).

In den von mir unterrichteten Landeskundekursen gehörte neben dem WWW (s. Fußnote 47) auch der Austausch der Studentinnen via E-Mail zum Curriculum. Die Studentinnen führten ein elektronisches Tagebuch, in das sie wöchentlich einen Eintrag machten. In diesem Tagebucheintrag kommentierten sie einen deutschsprachigen Zeitungs-, Zeitschriftenartikel oder die Deutsche Welle-Nachrichten, die aufgenommen wurden und den Studentinnen zur Verfügung standen. Sie adressierten ihre Einträge an die extra für diesen Kurs eingerichtete E-Mail-Adresse "Germ209/210" und verschickten so nicht nur Produziertes, sondern erhielten auch Nachrichten, die sich dann auch schon teilweise auf das Veröffentlichte bezogen. Die Studentinnen wurden durch die erhaltenen E-Mails über aktuelle Ereignisse in der deutschsprachigen Welt informiert. Oft endeten die E-Mails mit der Frage "Was hältst du davon?" oder "Weißt du mehr darüber?". Ein Beispiel für eine derartige E-Mail Kommu-nikation folgt. Studentin 1 emailte: "Ich habe viele Dinge an Deutsche Welle heute gesehen, die mich gewundert hat. Es gab viele Dinge diese Woche über Steuerreform und Arbeitslosigkeit u.s.w. und ich habe gedacht, wie in die Jahren während des "Wirtschaftswunders" in Deutschland, viele Leute in der U.S.A haben gedacht, dass Deutschland etwas, was immun gegen diese Dinge, Arbeitslosigkeit u.s.w. war. Es ist interessant zu sehen, dass Deutschland wie andere Laender jetzt ist. Aber ich weiss nicht, ob Deutschland diese Probleme ohne die Vereinigung haben wuerde. Es ist schwer zu sagen, weil jetzt haben wir die Vereinigung und wir koennen nie sehen, wie die Zukunft ohne die Vereinigung waere." Eine andere Studentin, die auf diese E-Mail reagierte, kommentierte: "Ich stimme mit dir, dass es schwierig zu wissen ist, ob Deutschland die Arbeitslosigkeit haette, wenn es keine Vereinigung gab. Aber wenn ich denke das Fall von Japan, ich denke darueber, weil Japan auch hatte "Wirtschaftswunder" Zeit - vielleicht die Arbeitslosigkeit nicht zu schlimm waere, aber Deutschland koennte eine "recession" haben. Ciao!" Studentin 1 antwortete darauf: "Du hast Recht. Japan, war auch ein Land, das immun gegen Arbeitslosigkeit, Rezession, und andere wirtschaftliche Probleme scheint. Aber ich I glaube, dass die Rezession in Japan war nicht so gross als die Probleme in Deutschland. Alle Laender haben Rezession aber die Probleme in Deutschland scheint groesser als etwas, was nur eine Rezession ist". In dem darauf folgenden Unterricht wurden die E-Mails noch einmal aufgegriffen und diskutiert, was zu sehr lebendigen und kontroversen Diskussionen führte. Margaret Riel sagt,

"that educational power of telecommunications [...] lies not in its ability to provide an alternate to phone or postal mail or an efficient mass distribution mechanism, but in its potential to enable new forms of group interaction" (Riel 1990: 448).

Eine Umfrage am Ende des Semesters ergab, daß die Studentinnen sich zukünftig einen Austausch mit Gleichaltrigen in Deutschland wünschten.

Seit 1995 gibt es das Online-Pilotprojekt Das Transatlantische Klassen-zimmer der Körber-Stiftung in Hamburg für Schulen in Deutschland, den USA, Frankreich und dem Rest der Welt. Es bietet Schülern und Lehrern den direkten Kontakt in alle Welt, um den Unterricht zu erweitern und um mit Personen zu kommunizieren, die man sonst nie kennengelernt hätte. Das Transatlantische Klassenzimmer bietet neben offenen Diskussionsgruppen,(48) denen sich jeder interessierte Schüler anschließen kann, sogenannte Themenkonferenzen.(49) An Themenkonferenzen nehmen Klassen über einen bestimmten Zeitraum teil, die während dieser Zeit an einem gemeinsamen Projekt arbeiten und deren Ergebnisse dann als WWW-Page oder als Reader (in Form eines E-Mail-Dokumentes) publiziert werden.

Eine weitere Kommunikationsform im Netz sind die "virtual communities", clubartige Diskussionsforen, die sich bestimmten Themen widmen und in denen sich ‘Gleichgesinnte’ versammeln, um zu fachsimpeln und um sich auszutauschen. Im Unterschied zu der Kommunikation via E-Mail laufen diese Dialoge zeitgleich ab, eine sofortige Reaktion auf das Geschriebene erfolgt. In deutschsprachigen Literaturforen werfen sich z.B. die Teilnehmer Gedichtzeilen und Dialoge an den Kopf: "So entstehen spontan Texte, die sich ihrer Banalität nicht zu schämen brauchen - wichtig ist das gemeinsame Schreiberlebnis und der Spaß am auf dem Bildschirm gedruckten Worte" (Stillich 1997). Foren könnten z.B. von fortgeschrittenen Fremd-sprachenlernern mit einem Spezialgebiet aufgesucht werden. Deutschsprachige Chat-Gruppen (MOOs (50)) sind für Fremdsprachenlerner exzellente Orte, um Muttersprachler kennenzulernen und an ihren informellen Konversationen teilzunehmen. Sie üben sich im Gebrauch der Fremdsprache und erfahren, welche Themen gerade im Gespräch sind. Das Tandem-Lernen per E-Mail (51) ist eine weitere Bereicherung für den Fremdsprachenunterricht. Partner verschiedener Muttersprachen kommunizieren via Electronic Mail, um die jeweilige Sprache und Kultur des anderen zu lernen. Sie sind beide gleichzeitig Lehrer und Muttersprachler. Die Form und die Inhalte des Tandem-Lernens werden von den Tandem-Partnern bestimmt.(52)

2.3 Das Hypertext-Prinzip

Das Hypertextkonzept geht auf Vannevar Bush (53) zurück, der 1945 in seinem Artikel "As we may think" im Atlantic Monthly sein System Memex (memory extender) vorstellte.

Memex sollte das Auffinden von Informationen nach individuellen und assoziativen Gesichtspunkten ermöglichen und somit das menschliche Denken imitieren:

"Man cannot hope fully to duplicate this mental process artificially, but he certainly ought to be able to learn from it. [...] Selection by association, rather than by indexing, may yet be mechanized. One cannot hope thus to equal the speed and flexibility with which the mind follows an associative trail, but it should be possible to beat the mind decisively in regard to the permanence and clarity of the items resurrected from storage. Consider a future device for individual use, which is a sort of mechanized private file and library. [...] A memex is a device in which an individual stores all his books, records, and communications, and which is mechanized so that it may be consulted with exceeding speed and flexibility. It is an enlarged intimate supplement to his memory" (Bush 1945: 106-107).

Der Memex- Benutzer durchstöbert die vorhandenen Dokumente oder sucht gezielt nach Informationen. Er verbindet die informationellen Einheiten (54) nach individuellen Gesichtspunkten und kombiniert sie zu neuen Texten. Er fügt Kommentare, Annotationen oder Analysen hinzu und baut individuelle Lesewege durch den Dschungel der Materialien (Bush: 107).(55)

Ein Paradigmenwechsel findet hier statt. Der Leseprozeß als reiner Rezeptionsvorgang wird aufgehoben. Der Benutzer wird zum ‘aktiven’ Leser; durch die Übernahme von Funktionen wie dem Hinzufügen von Dokumenten, dem Herstellen von Verbindungen und dem Ordnen der Materialien nach individuellen Gesichtspunkten, wird der Benutzer aktiv an der Gestaltung beteiligt; er schlüpft in die Rolle des Autors. Die wichtigsten Eigenschaften des Hypertext-Prinzips sind Nicht-Linearität, Intertextualität und Multiperspek-tivität. Alle späteren Konzepte bauen auf Vannevar Bushs Überlegungen auf. Das Konzept Memex wurde allerdings nie umgesetzt und erst 1965, 20 Jahre nach dem Erscheinen von Bushs Aufsatz, prägte Theodor Nelson den Begriff Hypertext.(56)

Der Computerwissenschaftler Nelson versuchte mit seinem System Xanadu(57) die ganze Weltliteratur (58) in einem universellen Hypertextsystem zu vereinigen. Er sieht in Hypertext ein literarisches Medium und ist der Ansicht, daß alles miteinander vernetzt ist (Nelson 1981). Hypertext, so die Vision der Xanadu-Gemeinde, sei die Chance der Menschheit, sich Wissen gemein-schaftlich über immense Informationsquellen mit unzähligen Verknüpfungen verschiedener Medien zu erschließen:

"There is no Final Word. There is always a new view, a new idea, a reinterpretation. Windowing hypertext offers the possibility that all writings (never mind the word "knowledge") may be forever revised and reinterpretated by new scholars, summarizers, popularizers, anthologizers" (Nelson 1981: 2/56).

Die klassische Definition von Hypertext impliziert, daß es sich bei diesem System um Nur-Text handelt. Heutzutage existieren jedoch viele Hyper-textsysteme (59) für die unterschiedlichsten Anwendungsgebiete (60), und dement-sprechend variieren die Definitionen von Hypertext.

Jakob Nielsen (1990) betont in seiner Definition von Hypertext die Eigenschaft der Nicht-Linearität:

"Hypertext is nonsequential; There is no single order that determines the sequence in which the text is to be read. [...] Hypertext presents several different options to the reader, and the individual reader determines which of them to follow at the time of reading the text. That means that the author of the text has set up a number of alternatives for readers to explore rather than a single stream of information" (Nielsen 1990: 1-2).

George D. Landow und Paul Delany (1991) erläutern, in welcher Weise sich Hypertext von traditionellem Text unterscheidet:

"We can define Hypertext as the use of the computer to transcend the linear, bounded and fixed qualities of traditional written text. Unlike the static form of the book, a hypertext can be composed, and read, non-sequentially: it is a variable structure, composed of blocks of text (or what Roland Barthes termes lexia) and the electronic links that join them"(61) (Landow/Delany 1991: 3).(62)

Jakob Nielsen vergleicht das Lesen eines Hypertextes mit dem Wechsel zwischen Buchtext, Fußnoten und Glossar und sieht in Hypertext ein

Computerphänomen (Nielsen 1995: 16). Die Intermedia-Designer (63) sehen in Hypertext:

"Both an author’s tool and a reader’s medium, a hypertext document system allows authors or groups of authors to link information together, create paths through a corpus of related material, annotate existing texts, and create notes that points readers to either bibliographic data or the body of the referenced text [...] Readers can browse through linked, cross-referenced, annotated texts in orderly but nonsequential manner"(64) (Yankelovich/Meyrowitz/Van Dam 1985: 18).

Rainer Kuhlen (1991) beschreibt Hypertext wie folgt:

"Die Grundidee von Hypertext besteht darin, daß informationelle Einheiten, in denen Objekte und Vorgänge des einschlägigen Weltaus-schnittes auf textuelle, graphische oder audiovisuelle Weise dargestellt werden, flexibel über Verknüpfungen manipuliert werden können. Manipulation bedeutet hier in erster Linie, daß die Hypertexteinheiten vom Benutzer leicht in neue Kontexte gestellt werden können, die sie selber dadurch erzeugen, daß sie ihnen passend erscheinenden Verknüpfungsangeboten nachgehen. Die Einheiten selber bleiben dabei in der Regel unverändert"(Kuhlen 1991:13).

Die folgende Abbildung zeigt komplexere Verknüpfungsmöglichkeiten des Ausdrucks "Nicht - Linearität" (Kuhlen 1991: 7):

Hypertextsysteme werden in den Geisteswissenschaften an verschiedenen Universitäten in den USA eingesetzt. Dazu gehören Hypertext-systeme im Bereich Englische Literatur an der Brown University (Rhode Island),(65) das Shakespeare-Projekt (66) für Studenten an der Stanford University und das Perseus-Projekt,(67) eine Hypertextapplikation für klassische griechische Literatur, Archäologie und Geschichte an der Harvard University.

Der Begriff Hypertext ist um den der Hypermedia erweitert worden. Die Texte werden heute mit Bildern, Filmen, Ton, Musik etc. verbunden. Hyper-media als Terminus hebt die Multimedia-Eigenschaften und das Konstruktions-prinzip hervor: "Hypermedia is simply an extension of Hypertext that incor-porates other media in addition to text" (Yankelovich, Haan et al 1988: 81).

Die Begriffe Multimedia und Hypermedia sind nicht synonym zu benutzen, da Multimedia-Systeme nicht unbedingt die nicht-lineare Vernetzung von Informationen beinhalten. Nielsen geht der Frage nach, was ein Multimedia-System zu einem Hypertext-System macht. Er kommt zu dem Ergebnis:

"Only when users interactively take control of a set of dynamic links among units of information does a system get to be hypertext. It has been said that the difference between multimedia and hypermedia is similar to that between watching a travel film and being a tourist yourself" (Nielsen 1995:13).

Im folgenden werden die Strukturelemente eines Hypertextes kurz dargestellt.(68) Hypertext ist vergleichbar mit einem Behälter für zahlreiche Texte, Textblöcke, Textdokumente.(69) Diese informationellen Einheiten, wie Kuhlen (1991) sie auch nennt, werden als Knoten (nodes) bezeichnet. Sie unterscheiden sich in Größe und Inhalt. Die Größe der einzelnen Knoten wird als Granularität oder Korngröße (grain size) bezeichnet. Sind die Hypertexteinheiten zu groß, wird das Hypertextsystem als ein "integrated pageturner and audio or videoplayer" (Lowyck/Elen 1992: 142) benutzt, bei einer zu kleinen Segmentierung besteht die Gefahr, daß die Informationen atomisiert werden und der Benutzer keine Zusammenhänge mehr erkennt. McAleese schreibt zu dem Aspekt der Granularität:

"The information content [...] depends on the granularity or "chunk size" of the information units or nodes. Different nodes will have different amounts of information. The granularity of information in hypertext is not determined by the hypertext metaphor but rather by the way information is organized by the designer of the system. As such systems allow the size of nodes to vary from large chunks of text, graphics, etc. and pictures at one end of the continuum to concept labels. Such an entity is defined as ‘the minimum entity that signifies or denotes an understanding by a user and has meaning by itself’" (McAleese 1989/90: 97).

Die Knoten können andere Texte, Bilder, Töne, Filme oder Annotate enthalten (Lehrmeister 1996). Sie werden in einem Hypertext-System nicht isoliert präsentiert, sondern durch Kanten/Verweise (links) miteinander verknüpft. Diese Verknüpfungen bestehen aus den eigentlichen Kanten/ Verweisen und den Ankern (anchors), die je nach Hypertext-System unterschiedlich repräsentiert werden: als Knöpfe, als markierter Text, durch Blinken, Fontwechsel, modifizierter Cursor etc. Die Begriffe Navigieren und Browsing beschreiben das Verhalten des Benutzers im Hypertext. Im Programm schon vorgegebene Wege durch das Geflecht der Materialien werden Pfade (paths, trails)(70) genannt. Die unterschiedlichsten hypertextspezifischen Orien-tierungs- und Navigationsmittel (71) stehen dem Benutzer zur Verfügung, um ihm den Umgang mit dem System und dessen Funktionen zu erklären und die kognitive Überbelastung abzubauen. Hypertextautoren versuchen mittels dieser Orientierungshilfen dem Hypertext immanenten Phänomen der Desorien-tierung,(72) das auch mit der Metapher des "getting lost in hyperspace" bezeichnet wird, entgegenzuwirken. Ein anderes bei der Navigation auftauchendes Phänomen ist der Serendipity-Effekt. Bei der Suche nach Informationen ist der Benutzer so gefesselt von dem Gefundenen, daß er sein ursprüngliches Ziel aus den Augen verliert.

Knoten, Verweise/Kanten, Anker und Pfade bilden zusammen das Netz. Dem gegenüber stehen auf der Benutzerseite Notizbücher, Instrumente zum Anlegen von eigenen Verknüpfungen und Pfaden, die das aktive Arbeiten und Lernen im Hypertext unterstützen.


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