MATEO - Mannheimer Texte Online


3. Die regionale Tageszeitung, ihre Rolle in der Gesellschaft und ihre Sprache

3.1. Die Rolle der Tageszeitung in der deutschen Gesellschaft

Von der modernen Bevölkerungsexplosion genügten traditionelle Formen der Nachrichtenübermittlung und der interne Informationsfluß der wesentlichen sozialen Gruppen. Die Massenmedien sind systemtheoretisch betrachtet das "Ergebnis einer funktionalen Differenzierung in modernen Industriegesellschaften" (BAACKE 1973, 187f).

Mit verbesserter Technik und der "Entfaltung des kapitalistischen Systems" stieg die Presse bis zum Ende des vorigen Jahrhunderts zu einem Massenmedium auf (MEYN 1994, 16). Im Nationalsozialismus war die Presse gleichgeschaltet, sie sollte vor allem die NS-Politik propagieren (MEYN 1994, 19f). Nach dem Zweiten Weltkrieg verboten die Alliierten erst die Zeitungen, dann gaben sie Militärzeitungen heraus. Unter ihrer Kontrolle konnten politisch Unbelastete Zeitungen publizieren. Vorrangig erfolgte der Aufbau einer lokalen/regionalen Presse. Die Westalliierten vergaben Lizenzen an Mitglieder und Sympathisanten der neu entstandenen Parteien, die Sowjets an Parteien und Organisationen. In der SBZ wurden kommunistische Zeitungen durch großzügigere Papierzuteilungen bevorzugt. Die anfänglich opponierende bürgerliche Presse in der SBZ wurde gleichgeschaltet. Die Zeitungen in den westlichen Besatzungszonen unterlagen der Nachzensur, waren also nicht frei in ihrer Berichterstattung. Dazu kam, daß die Zeitungen auf die Meldungen der alliierten Nachrichtenagenturen angewiesen waren. Dadurch sollten die Deutschen zur Demokratie erzogen werden. Erst 1949 konnte in der Bundesrepublik jeder ohne vorherige Genehmigung eine Zeitung herausgeben (MEYN 1994, 40-43).

Nach dem Niedergang der DDR wandelte sich auch die Pressestruktur in diesem Gebiet. Im wesentlichen gehen die dortigen Zeitungen aber auf ehemalige DDR-Blätter zutück oder sie sind mit ihnen verflochten. Neugründungen sind im Westen wie im Osten chancenlos, glaubt Schütz (SCHÜTZ 1994, 171).

Die Struktur der Presse in der Bundesrepublik Deutschland ist gekennzeichnet durch Privateigentum, zahlreiche Zeitungstitel, lokale Bindung der Tageszeitungen, starke Stellung der Regionalblätter, großes Zeitschriftenangebot, Abhängigkeit von Anzeigen und Konzentration. Lokale und regionale Abonnementzeitungen haben 1993 eine Auflage von 18,4 Millionen, überregionale Zeitungen eine von 1,5 Mio. und Straßenverkaufszeitungen eine von 6,1 Mio. Rechnet man noch Wochen- (2,2 Mio.) und Sonntagszeitungen (5 Mio.) hinzu, erhalten wir eine Zeitungsgesamtauflage von 33,2 Mio. (MEYN 1994, 47f)

Die Medien haben in unserer Gesellschaft verschieden Aufgaben zu erfüllen. Sie sollen informieren, an der Meinungsbildung mitwirken, Exekutive, Legisative und Judikative kontrollieren beziehungsweise kritisieren. Dies sind die politischen Funktionen. Daneben gibt es noch die gesellschaftlich-sozialen Funktionen: soziale Orientierung. Sozialisation, Integration der Rezipienten. Auch Rekreation durch Unterhaltung, Erziehung und politische Bildung kann man als Aufgaben der Medien sehen (JONSCHER 1991, 47).

In unserem politischen System sehen sich die Massenmedien unterschiedlichen Erwartungshorizonten ausgesetzt. Zum einen wollen die in der Gesellschaft existierenden Interessen wahrgenommen werden. Zum anderen müssen die politischen Autoritäten genau und umfassend informiert werden, dasselbe gilt für Bürger- und Interessengruppen. Die Autoritäten wünschen sich zudem eine positive Wiedergabe ihrer Entscheidungen (BENZINGER 1980, 56).

Trotz der Verbreitung der elektronischen Medien behält die Presse ihre Stellung in der Gesellschaft. Untersuchungen zeigten, daß sich Presse und Fernsehen nicht gegenseitig verdrängen, sondern ergänzen. Der Vorteil des gedruckten Wortes ist die geringere räumliche und zeitliche Bindung: Eine Zeitung kann man lesen, wo und wann man möchte (MEYN 1994, 163-165).

An der Tageszeitung interessiert die Leser (1991) vor allem die Lokalberichterstattung (84%). Mit Abstand folgt die politische Berichterstattung (Inland 58%, Ausland 44%), der Anzeigenteil (51%). Tatsachenberichte aus dem Alltag (50%), Leitartikel (44%), Leserbriefe (46%), Sport (45%). Für Gerichtsbericht interessieren sich nur noch 35%, ebenso wie für die Frauenseite. Der Wirtschaftteil erregt das Interesse zu 30%, das Feuilleton zu 33%, Wissenschaft/Technik zu 25% (MEYN 1994, 52).

Auflagenstärkste Tageszeitung war 1993 mit Abstand Bild mit 4,5 Mio. Exemplaren. Dann folgen die Westdeutsche Allgemeine (Essen, 621 000), die Freie Presse (Chemnitz, 501 100), die Mitteldeutsche Zeitung (Halle, 438 800), die Sächsische Zeitung (Dresden, 428 400), die Süddeutsche Zeitung (München, 402 900) und die Frankfurter Allgemeine (Frankfurt/Main, 383 700). Auf Rang 17 dieser Liste steht die zu untersuchende Rheinpfalz (Ludwigshafen, 243 700), auf Rang 58 der Münchner Merkur (Wolfratshausen, 135 600) (SCHÜTZ 1994, 187f).

3.2. Die regionale/lokale Tageszeitung

Ende Oktober 1993 gab es 1 601 Zeitungsausgaben, die von 137 Vollredaktionen (Publizistische Einheiten) gemacht wurden (SCHÜTZ 1994, 168f). Diese Zahlen zeigen, daß die deutschen Zeitungsunternehmen nicht nur je eine einzige Ausgabe eines Blattes herausgeben. Vielmehr gibt es für unterschiedliche Lokalteile (von Lokalredaktionen produziert) gemeinsame Mantelteile. Man spricht auch von Mutter- und Tochterblatt, die sich rechtlich und ökonomisch im selben Besitz befinden. Daneben gibt es auch Redaktionsgemeinschaften. Hier bleiben die Verlage rechtlich und ökonomisch selbständig, nur redaktionell nicht (MEYN 1994, 51).

1993 waren 55,1 Prozent aller Kreise in Deutschland Ein-Zeitungs-Kreise, d.h. den Bürgern stand als lokale Informationsquelle nur eine einzige Tageszeitung zur Verfügung. Dies sind 38,2 Prozent der Bürger. Die doch recht hohe Quote von 61,8 Prozent der Bevölkerung mit der Möglichkeit, die regionale Zeitung auszuwählen, ergibt sich vor allem durch die Großstädte, in denen lokal berichtende Straßenverkaufsblätter erscheinen. Die abonnierten Zeitungen haben im Westen seit Jahren eine gleich hohe Auflage, inden neuen Bundesländern ging die Auflage nach der Wiedervereinigung nach unten (SCHÜTZ 1994, 172f).

Trotz des Ausbaus lokaler und regionaler elekronischer Medien bleibt die Lokalzeitung in den meisten Regionen "mittelfristig die Hauptinformationsquelle im kommunalen Bereich", so Jonscher. Die Printmedien besitzen "informations- und vermittlungstechnische Vorteile gegenüber Hörfunk und TV im Lokalbereich". Für die Neuen Medien ist es nicht einfach, sich wirtschaftlich und publizistisch zu etablieren, meint Jonscher. Obwohl die meisten Blätter ihren Schwerpunkt auf die überregionale Berichterstattung legen, wird eine "Tendenz zur Lokalisierung von Zeitungsausgaben evident". In Konkurrenzsituationen ist der Umfang des Lokalteils größer als bei Zeitungen, die eine Monopolstellung innehaben (JONSCHER 1991, 119-125).

Die Lokalzeitung befindet sich in einem Interessenkonflikt: Sie bezieht ihre Einnahmen zu 60 Prozent aus dem Anzeigengeschäft, sprich von Unternehmen. Diese hat die Zeitung im Interesse der Öffentlichkeit aber eigentlich zu kontrollieren und, falls nötig, zu kritisieren. Großinserenten haben damit ein Sanktionsmittel in der Hand - die Androhung von Anzeigenboykotts (JONSCHER 1991, 131).

Andererseits haben Zeitungen mit einem starken Anzeigenteil auch eine größere Lokalberichterstattung. Auch höhere Auflagen haben einen umfangreicheren Lokalteil zur Folge. Verleger haben erkannt, daß die wirtschaftliche und publizistische Zukunft im Lokalen liegt. Der größte Teil der Lokalzeitungen berichtet nicht auf einen einzigen Ort bezogen, sondern auf einen Kreis. Dies und eine Zunahme überregionaler Anzeigen legen eine Regionalisierungstendenz nahe, meint Begemann (BEGEMANN 1982, 85f). Benzinger empfiehlt den Zeitungen Lokalkolorit, um für die Zukunft überlebensfähig zu bleiben. Auch der Nachfrage und Unterhaltung im Lokalteil solle entsprochen werden (BENZINGER 1980, 16f).

Die Regionalzeitungen sind in allen Schichten der Bevölkerung gleichmäßig verbreitet. Bei höherem Bildungsniveau ist die Wahrscheinlichkeit des Zeitunglesens höher. In einer Untersuchung wurde festgestellt, daß knapp 64 Prozent der Personen, die die Volksschule besucht und keine Lehre absolviert haben, Regionalzeitungen lesen. Bei Personen mit Abitur oder weiterführenden Abschlüssen lag der Anteil bei rund 72 Prozent. Nichtberufstätige und Arbeiter lesen weitaus weniger (63-65%) als Selbständige (74%) und Landwirte (78%). Den höchsten Anteil haben leitende Angestellte und Beamte (80%). Auf das Alter bezogen, wird die Regionalzeitung am stärksten von den 30-69jährigen gelesen (nämlich von knapp 70%), Jugendliche unter 19 Jahren lesen am wenigsten, nämlich nur zu 63 Prozent (BENZINGER 1980, 13-15; vgl. Tabellen 2, 3, 4 im Anhang).

Im ländlichen Raum wird die lokale Tageszeitung intensiver genutzt. Aufgrund des Bedeutungsverlusts traditioneller ländlicher Kommunikationsformen und des Einbußens von Integrationsfunktionen lokaler Institutionen gewannen die Zeitungen an Bedeutung. Nur sie sind noch in der Lage, die vielfältigen Informationen zu erfassen und weiterzugeben, meint Jarren. Durch die häufig städtisch orientierten Tageszeitungen wird die Landbevölkerung mit Informationen aus den Zentren versorgt. Nebenbei werden durch Werbung und Berichterstattung auch städtische Wertvorstellungen vermittelt (JARREN 1985, 23f). Lokale Entscheidungsträger haben nach Jarren ein Interesse am Bild einer kommunalen Interessengemeinschaft und damit an einem Heimatbewußtsein "im Rahmen des vorgegebenen institutionellen Geflechts und der damit verbundenen Wertvorstellungen" (JARREN 1985, 27).

Die "informationelle Überlastung und Desorientierung vieler Menschen" führt, so Jonscher, "zum Wunsch nach sozialer Orientierung, nach persönlicher Identitätsfindung, gesellschaftlicher Integration und Geborgenheit innerhalb des unmittelbaren überschaubaren Lebensbereichs". Die altersunabhängige Präferenz der Leser für den Lokalteil zeige eben diese menschlichen Grundbedürfnisse (JONSCHER 1991, 10). Jonscher verweist auch auf die zentrale Position der Lokalmedien in der lokalen Öffentlichkeit. Sie geben die politischen Entscheidungen weiter und ermöglichen den politischen Institutionen, mit Bürgern in Kontakt zu treten (JONSCHER 1991, 20).

Die Wissenschaft spricht von einer Leser-Blatt-Bindung bei den regionalen/lokalen Zeitungen, die in der Art bei den anderen Massenmedien nicht gegeben ist. Die Zeitung ist umfassender, berichtet über Weltgeschehen wie über Ereignisse in der Heimat. Zudem gibt sie Orientierungshilfen für den Leser (TONNEMACHER 1975, 53f). Regionalen Medien kommt "eine wichtige Vermittlerrolle bei der Konstituierung eines regionalen Gesamtbildes" zu (STROHMANN 1991, 7). Die Zeitung vermittelt "soziale Orientierungsdaten" und spricht "Sozialisationsinhalte" an. Von daher spricht Meister davon, daß "die Zeitung ihrem Leser die Integration " in ihr Verbreitungsgebiet erleichtert (MEISTER 1984, 81). Die Wissenschaftlerin stellt fest, daß Medien "nur innerhalb gegebener räumlicher Grenzen" verstanden und akzeptiert werden, denn sie beziehen sich inhaltlich "auf die im Rahmen dieser Grenzen vorhandenen Bedürfnisse, Interessen und Ereignisse". Die Verbreitungsgebiete sind nicht willkürlich entstanden, sondern beruhen unter anderem auf Dialekträumen, Verwaltungsgrenzen, Traditionssräumen (MEISTER 1984, 123-126).

Die Integrationsleistung des Mediums ist nicht das Ziel, aber Folge ihrer räumlich abgegrenzten Tätigkeit (MEISTER 1984, 144 und 153). "Je mehr das Verbreitungsgebiet eine sozial und wirtschaftlich geschlossene Region bildet, um so größer sind die Möglichkeiten der Zeitung, sei es beabsichtigt oder nicht, integrierend zu wirken, da auf bereits bestehenden gesellschaftlichen Strukturen aufgebaut werden kann", befindet Meister (MEISTER 1984, 261f). Regionales Bewußtsein kann durch die Berichterstattung geschaffen werden: die positiven Seiten der Region können hervorgehoben werden, die Zeitung kann sich zum Sprachrohr regionaler Belange machen (MEISTER 1984, 265f). Eine Möglichkeit für die Zeitung, integrierend zu wirken, erwähnt sie nicht: die Förderung regionaler und lokaler Sprachformen.

3.3. Zeitung und Sprache

Die deutschen Zeitungen waren immer standardsprachlich verfaßt; somit haben sie einen Beitrag zur Verbreitung der Standardsprache geleistet, aber auch regional ausgleichend gewirkt und am Zurückdrängen der Dialekte mitgearbeitet. Im 17. Jahrhundert waren die Zeitungen im wesentlichen voll von auswärtigen Meldungen, lokale Meldungen waren weniger verbreitet, weil die Städte noch klein waren und somit den Menschen wenig hätten bieten können, was sie noch nicht wußten. Der auswärtige Korrespondent bediente sich der Standardsprache, wobei er unbekümmerten Gebrauch von Wörtern und Ausdrucksweisen seiner Heimat machte (MACKENSEN 1961, 234-236). Die Zeitungen waren daher in ihrer Sprache nicht einheitlich, lokale und regionale Sprachformen unterschiedlicher Landschaften tauchten überall auf. Auf diese Art und Weise verbreiteten sie Mundartwörter oder Regionalismen im ganzen deutschen Sprachraum (MACKENSEN 1961, 241f). Ende des 17. Jahrhunderts regte sich Kritik an den "Provincialismen", besonders die Schweizer mußten sich anhören, sie seien unfähig, sich "hochdeutsch" auszudrücken (Gottsched) (STRASSNER 1983, 1510f). Die überregionale Schriftsprache setzte sich schließlich im 18. Jahrhundert durch - trotz Rettungsversuche für regionale Besonderheiten.

Reitmajer weist darauf hin, daß nicht nur die Boulevardpresse und Magazine, sondern auch seriöse Zeitungen "zu einem hohen Prozentsatz" sich der "überregionalen Umgangssprache" bedienen. Nur Kulturteil und wissenschaftliche Artikel neigten mehr zur Standardsprache (REITMAJER 1979, 44). Je nachdem, wie man die "überregionale Umgangssprache" von der Standardsprache abgrenzt, kann man auch eine andere Meinung vertreten.Genausowenig wie es eine einheitliche Presse gibt, gibt es eine einheitliche Pressesprache. Schon in einer einzigen Zeitung gibt es verschiedene Stile. So unterscheidet sich die Sprache des Politikteils von dem des Wirtschaftsteils und der wiederum von den Anzeigen (MÜLLER 1991, 232).

Nicht ohne Einfluß ist die Sprache, die in Form von Pressemeldungen auf dem Redaktionstisch landet. Ein sprachlich nicht versiertes Vereinsmitglied liefert natürlich einen ganz anders formulierten Text ab als ein Referent für Öffentlichkeitsarbeit einer Behörde oder eines Unternehmens. Nicht immer machen sich die Redakteure die Mühe, einen Pressetext vollkommen umzuschreiben (Das konnte ich bei einem Zeitungspraktikum selbst beobachten).

3.4. Zeitung und Dialekt

Nachdem regionaler Sprachgebrauch im 18. Jahrhundert zugunsten der Standardsprache zurückgedrängt wurde, wurde der Dialekt in der Zeitung im 19. Jahrhundert wiederentdeckt. In den jungen Sparten Feuilleton und Lokalteil gab es mundartliche Nachrichten, Glosse, Satiren, Anekdoten, Besprechungen, Kulturbericht. Lokale Figuren wie der Kölner Tünnes oder die Mannheimer Stadtbaas wurden den Lesern im Dialekt serviert. Auch heute ist Mundart in der Zeitung im wesentlichen auf die erwähnten Bereiche beschränkt: Zu finden sind nach Straßner "Mundart-Plaudereien oft in Wochenendausgaben, mit tagesbezogenen Themen des lokalen Alltags oder allgemeinen Ereignissen, die aber das Lesepublikum oder bestimmte Teile davon berühren können". Durch den Dialekt wird eine "Atmosphäre von Familiarität, Vertrautheit" und sozialer Nähe geschaffen. Aussagen sind dann möglich, die in der normalen Berichterstattung nicht möglich wären. Dialekt taucht auf in heimatlicher Geschichte, Mundartdialogen in Berichten, Dialektdichtung, Schwänken, Witzen, Comics, Beiträgen zur Fastnachtszeit wie Büttenreden oder ähnlichem. In manchen Gegenden gibt es auch mundartliche Privat- oder Familienanzeigen. Zeitungen veranstalteten Autorenwettbewerbe und Leseabende. Leserbriefe im Dialekt kommen vor als Antworten auf Mundartbeiträge. Straßner, der keinerlei regionale Unterscheidung in seinem Aufsatz trifft, faßt seine Ergebnisse wie folgt zusammen: "Gemessen am Gesamtumfang der Zeitungen und Zeitschriften ist der Anteil dialektaler Schreibprodukte gering, was nicht unbedingt in der Interessenlage des Lesepublikums begründet sein muß." Für Straßner besitzt der Dialekt in der Presse nur noch die Funktion des "Romantisch-Konservierenden". Problematisch ist die fehlende Schreibverbindlichkeit der Dialekte. Straßner sieht auch noch Probleme mit dem Drucksatz, doch dürften die heutzutage angesichts moderner Drucktechniken nicht mehr vorhanden sein (STRASSNER 1983, 1511-1514). Nach einer Umfrage befürchtet man auch in Verlagen, daß die Zeitung mit mehr Mundartanteil schlechter lesbar und damit weniger attraktiv sein könnte (STRASSNER 1983, 1522).

Auch für die Sprache der Zeitung gilt, daß Formelles standardsprachlich abgefaßt ist, so zum Beispiel Todesanzeigen/Nachrufe. Informelles wie Geburts- oder Heiratsanzeigen sind nach Görlachs Anschauung eher auch mundartlich zu finden (GÖRLACH 1992, 142). Für die Akzeptanz gedruckter Dialekttexte hält Görlach es für wichtig, daß die Mundart noch vital ist (GÖRLACH 1992, 146). Dialektale Werbung in Zeitungen ist bereits im vorigen Jahrhundert zu finden. Kleinanzeigen und Werbung kleiner Unternehmen dominieren, so Straßner. Vor allem Nahrungs- und Genußmittel werden mit mundartlichen Texten angepriesen (STRASSNER 1986, 315f).

Straßner bezeichnet den "Medien-Dialekt" als "fast immer unecht, synthetisch, simuliert, heruntergekommen im allgemeinen Missingsch, wird zum Versatzstück, kann überall dort eingesetzt werden, wo anspruchslose Unterhaltung und unterschwelliger Kaufanreiz gefordert sind". Seiner Meinung nach paßt Dialekt als "Garnierung" in die heutige Zeit, "in der alles verpackt werden muß" (STRASSNER 1986, 323). Tatsächlich kann in Rundfunk und Fernsehen Sprache vorkommen, die als Dialekt verkauft wird, eigentlich aber nur eine Art (künstliche) regionale Umgangssprache ist. Ich denke hier an bayerische Volksstücke oder Heinz Schenks "Pidgin-Hessisch".

Herz unterscheidet vier Bereiche, in denen der Dialekt in der Zeitung vorkommt: "Als Zitat in hochsprachlichem Kontext; in der Werbung; als redaktioneller Mundart-Beitrag; als Leserbrief". Herz beschränkt seine Untersuchung auf Dialekt in abgeschlossenen redaktionellen Beiträgen, was seiner Meinung nach die "am weitesten verbreitete Art mundartlicher Texte" in der Zeitung ist (HERZ 1983, 15f).

Er fragte die Autoren nach ihren Beweggründen, im Dialekt zu schreiben. Genannt wurden die naiv-spielerische Freude an der Sprachform, die Ansicht, mit dem Dialekt näher an Problemen und Menschen zu sein, gewisse Themen besser behandeln zu können und sprachpflegerisch tätig zu sein. Als Intentionen gaben die Autoren an, daß sie unterhalten, bewußt die Alltagssprache in die Zeitung bringen, Optimismus ausstrahlen sowie Emotionen glätten wollen (HERZ 1983, 91-97). Nach Herz sind die Themen der Beiträge zweitrangig; appelliert wird an ein Wir-Bewußtsein, Heimatgefühl. Befragte Redaktionen gaben an, worin sie die Bedeutung der Mundartbeiträge sehen: Sprachpflege, Schaffung von Identifikationsmöglichkeiten, Stärkung der Leser-Blatt-Bindung (HERZ 1983, 105-107). Herz meint, es werde duch Dialektbeiträge "suggeriert, hier komme ‘der kleine Mann’ zu Wort". Die Qualität liegt für ihn "nicht in der Offenlegung neuer Fakten, sondern in der andersartigen (mundartlichen) Aufbereitung eines Themas" (HERZ 1983, 110).

Herz fragte auch schwäbische Zeitungsleser, ob sie die Mundartbeiträge lesen. 29 Prozent antworteten mit "immer" oder "meistens", ein Drittel mit "manchmal", 37 Prozent mit "nie" oder "Kolumne unbekannt". 83% der Umgangssprache-Sprecher, 61 Prozent der Mundartsprecher und 44 Prozent der Hochsprachesprecher lesen die Beiträge (HERZ 1983, 119f). Immerhin 54% der Befragten finden es gut, daß es Mundarttexte in der Zeitung gibt, nur vier Prozent finden es nicht gut, der Rest hat keine Meinung. 20 Prozent der Befragten äußerten den Wunsch nach mehr Dialekttexten, 30 Prozent waren dagegen, 49 Prozent ohne Meinung dazu (HERZ 1983, 122f). Über die Problematik der Autoren betreffs Sprachform in ihren Texten, urteilt Herz: "Zwischen der Skylla der völligen Unleserlichkeit und der Charybdis der hochsprache-nahen Schriftform versuchen sich die meisten der Autoren über Wasser zu halten" (HERZ 1983, 148). Ihre Beliebtheit verdanken die Mundarttexte ihrer sprachlichen Form, daraus möchten die Zeitungen Gewinn schlagen - sagt Herz (HERZ 1983, 150).

Ganz anders klingt es, wenn ein Kölner Zeitungsmensch 1951 schreibt, daß echter Journalismus große Verpflichtungen hat gegenüber "den gemeinschaftlichen Idealen der Menschheit, gegenüber dem eigenen Volk, seiner Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, gegenüber Landschaft und Heimat". eine gute Zeitung müsse auch die Sprache ihrer Region sprechen: "Und wenn es auch überall dieselbe hochdeutsche Sprache ist: ein feines Ohr vernimmt die Unterschiede auch in der Klangfarbe des gedruckten schriftdeutschen Wortes. In der Mundart prägt sich das Volkstum einer Landschaft am stärksten aus und darum hat sie ein Recht auf ihren Platz in der Zeitung." (HEINEN 1951, 2f)

Reinert-Schneider weist darauf hin, daß "der Anteil dialektaler Äußerungen in den Medien zugenommen hat" (REINERT-SCHNEIDER 1987, 7). Sie stellt fest, daß Phasen des Modernisierungsprozesses und Verfallskrisen der Dialekte parallel zu den Abschnitten medialer Mundartbenutzung verläuft: "Die Höhepunkte industriellen Wachstums sind gleichzeitig die Höhepunkte medialer Dialektverwendung." (REINERT-SCHNEIDER 1987, 38) In einer Untersuchung über Dialekt in Kölner Medien erkannte sie, daß Zeitungsglossen unterhaltend sind, aber nicht so stark der emotionalen Identifikation dienen (REINERT-SCHNEIDER 1987, 133). Für die ältere Generation ist diese Identifikation durchaus Lesemotiv, für die jüngere nicht (REINERT-SCHNEIDER 1987, 151; vgl. Tabelle 5 im Anhang).

Für Leser mit "wenig schriftorientierter Berufstätigkeit" ist der Hauptbeweggrund für das Lesen von Dialektglossen der Erhalt der Mundart, für solche mit "schriftorientierter Berufstätigkeit", die die quantitativ größte Rezipientengruppe darstellt, ist der Wunsch zu lachen und das Erzählte selbst ein Leseanreiz (REINERT-SCHNEIDER 1987, 161; vgl. Tabelle 6 im Anhang). Die Autorin kommt zu dem Schluß, daß die Mundart in Glossen "nur noch äußere Hülle von Kommentaren" ist, die auch standardsprachlich sein könnten. Sie gibt der Dialektglosse (ebenso wie der Dialektliteratur!) noch 30-40 Jahre Lebenszeit, da der entsprechende "Rezipientenkreis, der sich mit Versatzstücken als Reminiszenz an alte Zeiten zufrieden gibt, aus Gründen des Alters nicht mehr vorhanden sein wird" (REINERT-SCHNEIDER 1987, 179).

Das Journalisten-Handbuch ABC des Journalismus empfiehlt Mundart noch immer als direkten "Draht zum Gesprächspartner": "Mundart bietet so viel Modulationsmöglichkeiten, Zwischentöne und Nuancenreichtum, wie wir sie in der Hochsprache vergeblich suchen." Es wird zugegeben, daß den Medien nicht ganz zu unrecht vorgeworfen wurde, "zur Verschluderung und Nivellierung unserer Sprache beizutragen". Kritisch wird geäußert, daß viele Zeitungen zu spät bemerkten, daß Dialekt "wieder hoffähig und zu einem lebendigen Beitrag geworden war. Allzu lange galt ihnen Dialekt als provinziell und war deshalb sogar in vielen Lokalteilen verpönt." (PROJEKTTEAM LOKALJOURNALISTEN 1990, 333) Dialektautoren erreichen, so das Handbuch weiter, "meist einen überdurchschnittlich hohen Identifikationgrad beim Leser!" Empfohlen wird allerdings, Mundartbeiträgen "nicht länger als 50 Druckzeilen" zu geben, denn bei "der anstrengenden Lektüre phonetisch außergewöhnlich geschriebener Sprache treten sehr rasch Ermüdungseffekte und damit Langeweile ein!" Journalisten wird vorgeschlagen, ein Mundartquiz zu veranstalten, eine Bestandsaufnahme des Dialekts zu bringen, ein Mundartlexikon zu erstellen, einen Mundartsstammtisch zu organisieren, Autorenlesungen anzubieten oder einen Dialektwettbewerb zu gestalten. Eine Mundartkolumne könne entweder standardsprachlich Dialektbegriffe erklären oder mundartlich lokale Vorgänge schildern (PROJEKTTEAM LOKALJOURNALISTEN 1990, 334-338).


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