Blanckaert, Steven (1650-1702): Lexicon medicum / Ioann. Henrici Schulzii (Schulze, Johann Heinrich, 1687-1744) Opera Insigniter Auctum Et Emendatum, Nunc Denuo Recognitum Variisque Accessionibus Locupletatum Curante Mich. Gottl. Agnethlero (1719-1752). Praefationem Praemisit Andreas Elias Büchner. - Halae Magdeburgicae: Apud Io. Gottl. Bierwirth, 1748. - [22], 726, [48] S., Frontispiz ; 8° - Satzspiegel 16,3 x 8,6 cm - Signatur: Sch 108/227
Einführung:
Das vorliegende Lexikon beschreibt den medizinischen Fachwortschatz der Frühen Neuzeit, ohne das gesamte medizinische Wissen der Epoche darzustellen. Die mehr als 4000 Artikel bieten zu jedem Stichwort seine Etymologie, das griechische Äquivalent bzw. Ursprungswort, eine Beschreibung des bezeichneten Gegenstands, die das Phänomen schildert, in der Regel aber Fragen der medizinischen Praxis und Theorie ausklammert, ferner sprachliche Varianten und Alternativen zum Stichwort mit Hinweis auf ihr Vorkommen bei bestimmten Autoren sowie das deutsche Äquivalent des Lemmas. Es handelt sich also um ein Wörterbuch der Fachsprache, das allerdings mit seinen teils ausführlichen Beschreibungen zugleich Fachwissen vermittelt. Dies geschieht vor allem zu dem Zweck, die Lernenden zur korrekten lateinischen Formulierung medizinischer Gegenstände anzuleiten. Selbst um die Korrektheit der Aussprache sorgen sich die Herausgeber, indem sie einen Index prosodicus beigeben, der Zweifelsfälle bzw. häufig falsch ausgesprochene Vokabeln mit Angabe der Silbenlänge aufführt.
Zwei Vorworte geben Rechenschaft über die Absichten, die die vorliegende Bearbeitung leiteten. Das zweite ist der Vorgängerausgabe von 1739 entnommen. Hier wird als vornehmlicher Adressat der Student der Medizin genannt (fol. b3r. Consulere in eo tironibus artis volui, quibus huiusmodi libri maxime scribuntur). Seinetwegen sei auf Korrektheit größte Sorgfalt verwendet worden (fol. b2v. id in primis operam dedi, ut recte scripta essent). Diese sei besonders den griechischen Vokabeln und Etymologien zugute gekommen. Die im Mittelalter eingeführten Fachwörter werde mancher hier vermissen, "zumal jemand, der die Bücher der ein barbarisches Latein schreibenden Schriftsteller des Mittelalters studieren will. Doch daß diese inzwischen ungebräuchlichen Wörter, die ohnehin eines speziellen Glossars bedürfen, nicht in unsere Zeit passen, weiß jeder Kenner der Medizin." (Fol. b5r. praesertim si quis barbarorum medii aevi scriptorum volumina tractare voluerit. Enimvero istiusmodi omnino obsoleta, quae singulare utique glossarium postulant, non esse nostri [fol. b5v.] saeculi, noverunt omnes medicae artis gnari.) Die (von den Humanisten angestrebte) Reinigung der lateinischen Sprache sei im Bereich der Medizin und Pharmazie noch nicht vollendet, zumal den Praktikern oft das Wissen und der Wille zur sprachlichen Korrektur fehlten. In jüngster Zeit aber werde die Latinität der Mediziner auch noch durch die französischen Fachtexte, die weithin Verbreitung gefunden hätten, bedroht. (Fol. b4v. Videtur nostro aevo cogitandum esse de eiusmodi indice antibarbaro, quum fere plerique ex libellis potius gallica lingua scriptis, quam puris fontibus, principia nunc hauriant, & ad usum Gallorum etiam Latine loquuturi se accommodent.) Es mag überraschen, daß hier, gegen Ende der Herrschaft der lateinischen Wissenschaftssprache, zudem in einem Zentrum fortschrittlicher Medizin wie der Universität Halle (geprägt durch Friedrich Hoffmann, 1660-1742, und Georg Ernst Stahl, 1660-1734), das humanistische Programm noch einmal bekräftigt und mit ebenso viel Engagement wie philologischem Wissen weiter verfolgt wird.
Das "Lexicon Blancardianum" war Generationen von Medizinern ein willkommenes Hilfsmittel. Seinen Ursprung verdankt es dem in niederländischer wie auch lateinischer Sprache produktiven medizinischen Publizisten und Praktiker Steven Blanckaert (auch Blanckaart, Blankaart, Stephanus Blancardus, 1650-1702) aus Amsterdam. Er verfaßte das "Lexicon medicum Graeco-Latinum, in quo termini totius artis medicae, secundum neotericorum placita definiuntur : Graecae voces ex origine ... deducuntur, Belgica nomina adiunguntur" (Amsterdam, 1679). In der mehrsprachigen Anlage dieses Wörterbuchs spiegelt sich die Priorität der griechischen Medizin, von der die Römer einen großen Teil des Fachvokabulars übernahmen. Wie die enthaltenen niederländischen Übersetzungsäquivalente anzeigen, war das Lexikon keineswegs nur für Philologen bestimmt. Welch große Nachfrage nach einem solchen Fachwörterbuch bestand, läßt sich z.B. aus der gegenüber der Erstausgabe mehr als doppelt so umfangreichen Bearbeitung von 1690 ablesen: "Lexicon novum medicum Graecum-Latinum : Caeteris editionibus longè perfectissimum... adjungitur Belgica, Germanica, Gallica & Anglica interpretatio ... cum Indicibus ..." (Leiden, 1690). In Deutschland erschien das Werk von 1683 (Jena) bis 1832 (Leipzig) etwa zehnmal.
Die Bearbeitung dieses Standardwerks durch J. H. Schulze (zuerst 1739) war ein Zufall (fol. b1v.), der sich als Glücksfall erwies. Denn dieser brachte ein selbst für damalige Verhältnisse ungewöhnlich weites Spektrum unterschiedlicher Kompetenzen für diese Aufgabe mit. Seit 1732 als Professor nicht nur der Medizin, sondern auch der Rhetorik und der Altertümer in Halle tätig, hatte er 1720-1732 in Altdorf Medizin und Griechisch gelehrt und war zuvor Lehrer am Pädagogium in Halle gewesen, wo er neben der Medizin auch Theologie und Philologie studiert hatte. Bereits als Schüler der Franckeschen Waisenhausschule hatte er Arabisch gelernt. Seine profunde Kenntnis der antiken Medizin ließ ihn zum ersten bedeutenden Medizinhistoriker werden (Compendium historiae medicinae a rerum initio ad Hadriani Augusti excessum. Halle, 1741). Er begrenzte zunächst den Umfang des Buchs, das für Studenten erschwinglich bleiben sollte: Die französischen, niederländischen und englischen Übersetzungsäquivalente ließ er beiseite; Wiederholungen vermied er, indem er sie durch Verweisungen ersetzte; er strich Erörterungen, die seiner Ansicht nach in Handbücher der Spezialdisziplinen (wie Anatomie, Physiologie, praktische Medizin) gehörten (fol. b2r.); er verzichtete darauf, den botanischen Wortschatz zu vermehren, wie es leicht möglich gewesen wäre. Andererseits verwandte er viel Arbeit auf die Klärung philologischer Fragen, so daß er die Vorlage in erheblichem Umfang verbessern konnte. Der Artikel "Carotides" gibt nicht nur ein Beispiel für seine Kompetenz als Gräzist (s. am Ende seinen Vorschlag zur Etymologie des Ursprungsworts), sondern auch für seine Beachtung neuerer medizinischer Forschungen. (Allerdings findet sich im letzten Wort des Artikels auch einer der eher seltenen Druckfehler.)
Neun Jahre nach der noch von Schulze selbst besorgten Ausgabe von 1739 brachte deren Verleger eine wiederum vermehrte neue Ausgabe heraus. Sie wurde bearbeitet von Michael Gottlieb Agnethler (1719-1752) aus Hermannstadt (Siebenbürgen), der in Halle 1750 zum Dr. phil., 1751 zum Dr. med. promovierte und bereits 1752 in Erfurt, wohin er als Professor der Humaniora berufen worden war, starb. Er fand in Schulzes Nachlaß dessen Bearbeitung von:Borch, Ole (Olaus Borrichius, 1626-1690): Lingua Pharmacopoeorum, Sive De Accurata Vocabulorum in Pharmacopoliis usitatorum pronunciatione. Hafniae 1670, und seinen Entwurf eines entsprechenden Werks zum Fachwortschatz der Anatomie und Chirurgie. Diese Materialien arbeitete er in den Text von 1739 ein, dem er außerdem den schon genannten Index prosodicus hinzufügte. Der Mentor dieser Bearbeitung, Prof. Dr. med. Andreas Elias Büchner (1701-1769), Schulzes Nachfolger in Halle und Präsident der "Academia Caesarea Leopoldino-Carolina Naturae Curiosorum", äußert in seinem Geleitwort den Wunsch, "daß die Medizin allezeit von energischen Verfechtern der humanistischen Studien bereichert und [der Allgemeinheit] empfohlen werden möge" (ut medicinam omni porro tempore ornent commendentque strenui studiorum ad humanitatem spectantium vindices).
Frontispiz Titel Praefatio (Büchner) Praefatio (Schulze)
AA-AB AC AD AE AG AH-AI-AL AM AN AO AP AQ AR AS AT AU AX AZ
BA BD-BE BI BL BO BR BU BY CA CE CH CI CL CN-CO CR CU CY
DA DE DI DO DR DU DY EC ED-EF EL EM EN EP EQ ER ES ET EU EX EZ
F-FA FE FI FL FO FR FU GA GE GI GL GN GO-GR GU GY
HA HE HI HO HU-HY IA IB-IC ID-IG IL IM IN IO IP-IR IS IU IX
K LA LE LI LO LU LY MA ME MI MO MU MY
NA NE NI NO NU-NY OA OB OC OD OE OF-OL OM-OP OR OS OT-OU OX OZ
PA PE PH PI PL PN PO PR PS PT PU PY Q RA RE RH RI RO RU RY
SA SC SE SI SO SP SQ-ST SU SY TA TE TH TI TO TR TU TY
VA VE UI VL UM VO UR VT-VY XA XE-XI XY ZA-ZE ZI ZO
Index Prosodicus A B C D E F-H I-M N-P Q-S T V-Z
Register der deutschen Wörter A B C D E F G H I/J/K L M R O/P Q/R S T U/V W Z
Maschinenlesbarer Text: Praeliminaria ; das Lexikon selbst siehe unter EVRECA/LEMMATA