Text and Translation submitted by Lothar Mundt. |
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<102> |
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Liber quartus.
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Viertes Buch.
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<103>
Sanguine confirmant sacro paedoreve nigri |
mit heiligem Blut oder dem Unflat eines düsteren Kerkers und führen so mit ungeheurem Eifer Aufträge des Höllenfürsten aus, während sie der Meinung sind, Gott einen ihm wohlgefälligen Dienst zu erweisen. Zuerst mögen sie ihr Inneres erforschen und den verborgenen Balken, die Finsternis des Herzens und die Laster von sich werfen und nicht so scharf darauf sehen, was andere glauben oder lehren und eifrig befolgen und lieben. Das Schwert von geistlichen Dingen fernzuhalten, ist die weitaus sicherste Methode, ob wir selbst uns nun dem Verkehrten oder dem Rechten anschließen. Wer immer du auch seist, den man zum Pflanzer des Volkes gemacht hat: verkünde also, daß jene fleißig das Schwert walten lassen mögen gegen Diebe, Räuber und Mörder, gegen Schänder des Ehebundes und Hurenjäger, gegen Personen, die andere mit reduziertem Maß und Gewicht betrügen, Geldstücke beschneiden und falsche Münzen prägen, die Tiere und Menschen verzaubern, Feldfrüchte durch Hagel zerschlagen und Blitze in Dächer fahren lassen, gegen Giftmischer, gegen Leute, die Umtriebe gegen die Staatsgewalt herbeiführen, die Feindschaften schamlos mit Feuerbränden, Raub oder blutigem Mord austragen, schließlich gegen Meineidige und solche, die durch Verrat Unheil anrichten; daß sie für den Frieden und alles, was sonst noch der Ablauf des äußerlichen Lebens erfordert, sorgen mögen. Damit werden sie ihrer Pflicht und der ihnen verliehenen Gewalt hinreichend Genüge tun. Die guten Gaben des Heiligen Geistes unterliegen nicht dem Schwert. Und die menschliche Vernunft vermag niemals den wahren Kult und den wahren Glauben aufzuzeigen. Alles ist dort voller Irrtümer, und aller Herzen umhüllt dort ägyptische Finsternis, wo nicht die Lehre des höchsten Lehrers durch die fleischlichen und zugleich die inneren Ohren schallt. |
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<104>
Nec mage mortales sumus ad coelestia prompti |
Und wir Menschen haben keine größere Neigung zu den himmlischen Dingen als der wilde Bär zum Tanzen und das Kamel zum Springen. Wilde Tiere werden aber durch Dressur zahm und verlieren ihre Unfügsamkeit durch sanftes Streicheln, nicht durch heftige Prügel. So kannst du auch keine Herzen mit dem Knotenstock bändigen; mit dem Schwert wirst du sie vernichten, aber nimmermehr zähmen! So bedarf es der Belehrung und der Sanftmut, wenn du jemanden Christus zuführen möchtest. Wenn also der Anführer eines Volkes selbst die rechte Einsicht besitzt und über eine Form der Gottesverehrung von bewährter Güte verfügt und begehrt, daß sich Geschulte und Ungeschulte seiner Einsicht anschließen, so gehe er nicht mit den Peitschen der Eumeniden und dem gottlosen Schwert des finsteren Henkers zu Werke! Vielmehr sende er fleißig erfahrene Lehrer aus, die nur durch das Wort stark und mit der Sanftmut des Heiligen Geistes gerüstet sind, damit sie mit dessen Beistand die harten Herzen der noch Ungläubigen brechen, die Christus fremden Auffassungen überall ausrotten und die Widerstrebenden überwinden. Gegen diejenigen, die sich nicht gefügt haben, sei man duldsam in Erwartung anderer Zeiten und erbittere sie nicht mit feindseligem Wüten. Sie werden freiwillig herbeikommen, wenn der himmlische Hauch ihren Geist angeweht hat. „Aber sie verbreiten doch hartnäckig eine abweichende Lehre und glauben das Falsche!“ Was tut’s, wenn sie Falsches lehren? Dem Falschen schließt sich in der Regel nur jemand an, dem die Wahrheit noch nicht bekannt ist. Die Macht der Wahrheit ist ungeheuer: du wirst Lügen mit Leichtigkeit besiegen, wenn du mit der Wahrheit gewappnet bist, wenn du dafür gesorgt hast, daß überall die Aussagen des Wortes Gottes gehörig gelehrt werden. Eine ungerechte Sache verrät sich durch einen argen Mangel an Selbstvertrauen. Ein Ruchloser scheut auch das Licht und das Tribunal des gerechten Richters und schreckt vor Auseinandersetzungen mit einem gescheiten Kläger zurück, damit seine Ruchlosigkeit nicht eines Tages offen zutage liegt und ihm Schande einträgt. Der ältere Cato fürchtete sich nicht davor, daß er oft vor Gericht zitiert wurde, |
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<105>
Certa erat à vero siquidem victoria stanti. |
denn da er auf der Seite der Wahrheit stand, war ihm der Sieg gewiß. Wenn jemand Falsches lehrt, so mache es offenbar, widerlege es und weise es zurück. Wenn dein Gegner sich auch nicht gerade selbst für besiegt erklären wird, so werden ihn doch alle meiden, und er wird bestraft werden, indem man ihn mit Gelächter empfängt und er sich Schimpf zuzieht. Fürchte dich also nicht, wenn man dich und deine Lehre vor die Schranken lädt, sofern du auf deine Sache vertraust und dich allein auf die Wahrheit stützt. Laß es nicht geschehen, daß man einen von jedem Gesetz ausgenommenen Heiligen aus dir macht, so daß niemand es wagt, gegen dich ein Wort zu sagen und bei den vor Zeiten erwählten Richtern eine Klage einzureichen. Hierauf arbeiten nur Menschen hin, die in der Religion Tyrannen sind. Und noch viel weniger bringe es dahin, daß dein Gegner hingewürgt wird oder durch Giftgebräu zu Tode kommt oder in sicherem Gewahrsam in den finsteren Turm geschleppt wird, bevor die Streitsache ausreichend dargetan und erörtert worden ist. Es gibt Obrigkeiten, die ihre Lehrer verkehrterweise in ihrem Schoß und an ihrer Brust bergen und nicht wollen, daß an ihnen Kritik geübt wird, nicht einmal dann, wenn dazu eine Berechtigung besteht. Sofort lassen sie Waffen und Ketten klirren und drohen mit grausigen Dingen. Warum sollten nun aber die Lehrmeisterlein, da sie so sicher, so wohlgelitten sind, nicht nach Belieben Narrenwerk treiben und ihre Paradoxien, die der Wahrheit offenkundig widersprechen, nicht jedermann aufdrängen? Warum sollten sie nicht in allen Fragen mit Leichtigkeit immerfort triumphieren, nachdem anderen der Mund geschlossen und die Hände gebunden wurden? Warum sollten sie sich nicht in der Religion zu Tyrannen aufwerfen? Wenn sie Freiheit gewähren, wenn sie jedermann freies Stimmrecht zugestehen und den Kampf nicht mit fremder Hilfe antreten, dann werden sie ergiebige und umfangreiche Iliaden ihrer Fehler zu sehen bekommen. Doch sie sind gewitzt! Es ist für sie weitaus leichter, ihre Gegner aus dem Lande zu jagen oder zu töten, als über einen in Zweifel gezogenen Ausspruch hieb- und stichfest Rechenschaft abzulegen. |
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<106>
Talia et hosce duces cohibe rationibus illis, |
Stelle dich solchen Vorgängen und solchen Fürsten entgegen, mit jenen Mitteln, die die Knechte Gottes, wie von uns oben dargelegt, anzuwenden haben. |
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<107>
Ut resipiscendi spacium illecebraeque supersint. |
damit ihm noch Gelegenheit und Anreiz bleibt, wieder zur Einsicht zu kommen. So verfährt man heute gegenüber den voller Irrtümer steckenden Juden; so haben einst auch mächtige Könige aus der Gemeinde Christi den Heiden selbst an ihrem Hof langmütig Unterhalt geboten und Männern mit abweichendem Glauben häufig mit Fug und Recht private Geschäfte und solche im Staatsdienst aufgetragen. Sie waren auch nicht darauf aus, Lehrstreitigkeiten und verblendete Lehrmeinungen mit grimmiger Gewalt auf schlimme Weise in Klump zu schlagen. Sie haben erkannt, daß dies nie möglich ist, solange Satan in der Welt regiert und Christus seine Herrschaft immer wieder durchkreuzt. Und daß es, wäre es denn möglich, doch nicht vereinbar wäre mit dem sanften Regiment Gottes und dem Wort des Heils. Freilich hatte damals finstere Glaubenstyrannei noch nicht ihr Haupt erhoben. Verkünde, daß sie lieber diesen [Königen] nachfolgen mögen als den barbarischen Bemühungen unseres Jahrhunderts auf dem Gebiete der Lehre und des Glaubens. |
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<108>
Nec minus auxiliis ac protectore vigebunt |
Sie werden auch nicht weniger durch Helfershelfer und Beschützer in Macht und Ansehen erhalten werden als die Kulte selbst, und dein Risiko wird nicht gerade gering sein, wenn du darauf ausgehst, sie mit Stumpf und Stiel aus der Kirche zu entfernen. Das Wagnis muß eingegangen werden, da du ja mit einem einzigen Wort nichts ausrichten wirst, wenn eine Zeremonie mit großem Hochmut Gottloses lehrt. Gleichwohl verliere die dienende Funktion, unter der du angetreten bist, nicht aus dem Auge: werde nicht zum Herrn über den Glauben und deine sich dir anschließenden Brüder, und lobe auf dem Gebiet der Religion keine Tyrannen. Sobald daher die trügerische Sicherheit von den Geistern gewichen ist und die äußerlichen Bräuche Christus gemäß sind und die gesäuberten Gotteshäuser die Merkmale einer unverdorbenen Lehre aufweisen, wende deine Sorge der Korrektur der Sitten zu, damit sie Christus und der Neugestaltung der Dinge vollkommen entsprechend sind. Verkehrte Sitten, die du als gelehrter Mann anhand der Richtschnur des rechten Glaubens oder der Tafeln Moses’ mühelos von selbst als solche erkennen wirst, rotte aus mit dem Wort und strengen Ermahnungen. Es erübrigt sich also für uns, die wir schnell vom einen zum anderen übergehen, die verkehrten Sitten im einzelnen beim Namen zu nennen und eine Christus entgegengesetzte Lebensweise und ein bösartiges Streben zu beschreiben. Fliehe du als erster alles, was mit Christus übel harmoniert, stelle selbst ein Musterbild ehrbaren Wandels dar und beschreite den Weg, den du anderen weist, als erster. Diejenigen, welche Christus zu eigen sein werden, werden ihrem Lehrer freiwillig folgen, ermahnt und bestimmt durch den Anhauch des himmlischen Vaters. Und sie werden sich verpflanzen lassen und sich von schändlichen Dingen abwenden. Sie hassen nämlich selbst das Schlechte und schrecken vor jedem Verbrechen zurück. Ein unreines und dem Frevel geweihtes Leben findet bei ihnen keinen Anklang. Sie ächten das unflätige Wesen des schlechten Fleisches und die schmutzigen Bestrebungen der Welt und sind Tag und Nacht darauf bedacht, mäßig und fromm den Geboten entsprechend zu leben, |
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<109>
Iusticiamque omnem faciant prosintque benignè |
in jeder Weise Gerechtigkeit zu üben, jedermann in Güte nützlich zu sein und sich in der Welt durch reiche Frucht hervorzutun. Wenn auch die Erwählten sich diesen Bestrebungen mit Liebe widmen, getrieben von dem Wehen selbst, das tief im Innern ihrer Herzen regiert, so stehen sie doch unter dem Druck des sündigen Fleisches – Satan, der Herrscher der Welt, erregt fortlaufend ringsumher mannigfache Stürme, schießt bald von rechts, bald von links Pfeile gegen die Gerechtigkeit, und die Welt widerstrebt mittels Verlockungen und schafft immer wieder durch den Reiz und Kitzel des Bösen Anstöße in nächster Nähe –, und deshalb bedarf es unaufhörlicher Ermahnungen und des tönenden Wortes. So wie der Körper geübt werden muß und ständig der Speise und des Tranks bedarf, damit er nicht erschlafft und die Kraft der Muskeln und schließlich der Odem des Lebens entschwindet, gerade so müssen das Streben des Herzens, die Rechtschaffenheit und der Glaube durch die gute Speise des göttlichen Wortes am Leben erhalten und immer wieder mit himmlischem Regen getränkt werden, und die Übung in brüderlicher Liebe darf nicht nachlassen, bis ihre ständige Praktizierung dem Gemüt Schwielen einprägt. Geschieht dies nicht, so erkaltet allmählich der glühende Geist in der hinfälligen Brust, und es fehlt die Kraft zur Vollbringung des Rechten, der Glaube wird unterdrückt und die Gesinnung, die wahre Gerechtigkeit liebt und alles Unbillige haßt, weicht von hinnen. Alsbald erhebt die Ruchlosigkeit ihr Haupt, und Finsternis des Geistes tritt ein, und die fruchtbare Saat des Bösen wächst heran. Wie zuweilen ein seines Ruders und Steuermanns beraubtes Schiff vom rauhen Nord auf Sandbänke oder Klippen getrieben wird und Mannschaft und Schätze inmitten der Wogen preisgibt, und wie erschreckte Pferde, wenn kein Lenker da ist, losjagen, wie es ihnen ihr Trieb gerade eingibt, und sich selbst und den Wagen |
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<110>
In fluvios foveasve altas atque invia saxa |
in Flüsse oder tiefe Gruben und unwegsame Felsklüfte hinabstürzen und Menschen und Trümmer des Wagens umherstreuen, genauso kommen wir zu Fall und neigen sich unsere Herzen und Hände zum Schlechten hin, sobald die Ermunterungen des göttlichen Wortes verstummt sind und das emsige Mühen eines klugen Lenkers ausbleibt – so sehr wir auch in Christus und im Glauben geschult und auf den rechten Weg gebracht und zu dem Streben angehalten worden sein mögen, dem Donnerer durch tugendhafte Werke und brüderliche Liebe wohlgefällig zu sein. Dermaßen gebrechlich sind wir und geneigt zum Allerschlechtesten! Wenn du also Menschen durch den Glauben Liebe zum Guten und Haß auf das Schlechte eingeimpft, die schwarzen Flecken von den Herzen entfernt und die Quellen der Freveltaten selbst verstopft hast, so stütze das sittliche Verhalten und den Glauben ständig durch Belehrungen. Wenn du etwa bemerkt hast, daß jemand auf dem rechten Pfade wandelt und von ihm die Strahlen eines heilsamen Vorbildes ausgehen, so spende Lob. Wer etwa nachläßt oder stillzustehen und hinsichtlich frommer Bestrebungen in schändlichem Phlegma zu erschlaffen scheint, den ermahne. Wer etwa pflichtvergessen und ohne einen Gedanken an den Glauben, zu dem er sich bekannt hat, zum Bösen überschwenkt, sich einem stinkenden Lebenswandel überläßt und vor aller Augen eine recht anrüchige Tat verübt, den schilt aus und weise ihn auch mit strengen Ermahnungen in die Schranken. Wie ein guter Feldherr und Schlachtenlenker behalte alle im Auge, komme jedweder Gefahr zuvor, schütze die Unversehrten, richte die Zusammengebrochenen auf, gib denen, die schrecklich verwundet sind, Arznei, und kümmere dich wie ein Vater um das Wohlergehen eines jeden Soldaten. Es wird keine große Mühe kosten, diejenigen vor Schaden zu bewahren, die Christus zu eigen sind, die auch nur ein Körnchen vom Heiligen Geist besitzen und die Saat der Tugend im Herzen tragen. Doch gibt es Menschen, die sich unter dem großen Namen Christi verhüllen |
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<111>
Externisque gregi signis miscentur ovillo, |
und sich mit nur äußerlichen Kennzeichnungen unter die Schafherde mischen, während sie innerlich völlig des Heiligen Geistes entbehren und wölfischen Bestrebungen ergeben sind, und die, verkehrten Lebens und Glaubens, in Christi Lager heimlich und öffentlich mit Satan gemeinsame Sache zu machen pflegen. Unter ihnen finden sich meist die Vornehmsten sowie diejenigen, die ein Haufen Geld hochmütig gemacht hat: diese meinen, ihnen sei alles erlaubt, was ihnen gerade gefällt. Dies wird große Kraftanstrengungen und eine gewaltige Fülle von Arbeit verursachen, desgleichen große Gefahren für deinen Unterhalt und dein Leben. Denn obgleich sie die Lehre des lieblichen Evangeliums gern annehmen, seine Verehrung gutheißen und sich auch nach ihm richten – mit bloßen Worten und äußerlicher Gebärde, versteht sich –, wirst du sie doch kaum jemals dazu überreden, ihr Leben zu ändern. Zum Teil hängen sie sich an Hürchen, zum Teil geben sie sich ruchlosem Ehebruch hin oder ergötzen sich an irgendeiner anderen Liebschaft, die der schwarze Lenker der schreckenvollen Hölle sie gelehrt hat. Die einen schinden das Volk und leben von Räubereien, die anderen zerstampfen bei der Jagd das Getreide und bringen eine unverschuldete Hungersnot über die armen Bauern. Da sind welche, die die Pfähle umhauen und die Zäune herausreißen, die die Wachhunde abschlachten oder an Ketten festbinden oder sie doch wenigstens mit Stöcken, die sie ihnen an die Hälse gebunden haben, so behindern, daß die flinken Hirsche ungehindert und ohne Gefahr äsen und ungestraft die Früchte fremder Arbeit verschlingen, und die auf diese Weise für nichts und wieder nichts sich Vergnügungen und Vorteile zu verschaffen suchen, indem sie ihrem Volk Verderben bringen und seine schwere Arbeit zunichtemachen. Andere widmen sich Betrügereien und falscher Ware und scheren sich nicht die Bohne darum, selbst ihren Vater übers Ohr gehauen zu haben. Wieder andere schlagen immer aufs neue Wucherzinsen heraus: ihr einziges Streben und ihr gewöhnlicher Gesprächsstoff ist der Wucher, |
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<112>
Nilque aliud cauti meditantur nocte dieque, |
und Tag und Nacht sinnen sie verschlagen nur darauf, wie sie die Schatzkammern der Könige und die Kassen des Volkes leerfegen. Und Menschen, die einst begütert und wohlhabend waren, machen sie zu Bettlern und zwingen sie ohne Scham, ihr Vaterhaus und alle sonstigen großen Annehmlichkeiten ihres Lebens aufzugeben. Was soll ich von den Meineidigen und den Schankwirten sagen, die sich allein dem Profit verschrieben haben? Wer sich etwa eine Schankwirtschaft kauft, wer sie etwa, gegen noch so hohe Gebühr, auf ein Jahr pachtet, dem ist sein Gewinn schon vollkommen sicher. Er zieht nämlich den Bürgern und den Fremden, die aus irgendeiner anderen Gegend angereist sind, gewissermaßen aus obrigkeitlicher Machtvollkommenheit aus der Tasche, soviel ihm beliebt, und setzt sich schamlos über jede Beschwerde hinweg. Du kannst heute so manche mächtigen Herren sehen, die, soweit es nur den Namen selbst betrifft, vortrefflich evangelisch sind, nichtsdestoweniger aber Gewänder, Kelche und Schüsseln und was immer sich an Silber- und Goldgegenständen in den Kirchen angefunden hat, rauben und keinerlei frommem Gebrauch zuführen, die vollends die reichen Mönchsnester rupfen oder bis auf das letzte Bißchen radikal ausräumen, um noch ausgiebiger zu trinken und noch unsinniger zu spielen, um zu bauen, um die Glut roher Kriege anzufachen, um Verluste in ihrem Privatvermögen auszugleichen und den beschnittenen Schwänzen ungeheuren Zins bezahlen zu können: in keiner Weise darum besorgt, daß Christus und die Heilsbotschaft in Blüte stehen und die unverfälschte Religion materielle Unterstützung erhält, so daß du schwören möchtest, daß sie der bewährten Lehre aus keinem anderen Grund anhängen, als um die Kirchen und ihre Diener zu berauben. Da werden Schlemmer zur Stelle sein, der eifrige Schwarm des Bacchus und noch andere, deren Lebensweise nicht in Christus verankert ist. Dies sind brandige Geschwüre, die du kaum jemals heilen wirst. |
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<113>
Non tamen officium cesset, nec subtrahe verbum: |
Dennoch laß es nicht fehlen an der Erfüllung deiner Pflicht und halte das Wort nicht zurück. Weise mit Nachdruck und eindringlich auf den Verordner des feurigen Gesetzes und die künftigen Strafen hin und verkünde die Beispiele von der großen Wut, mit der der allmächtige Vater die frevelhafte Welt vernichtet und gerade acht Menschen in der verschlossenen Arche verschont hat. Bringe hierzu noch sehr viele andere Beweismittel und Schriftstellen bei, damit sie erkennen und geradezu mit Händen greifen können, welches Verbrechen – sowie worin und in welchem Ausmaß – sie verübt haben und noch bis heute begehen und wie sehr sie sich vom rechten Lauf der himmlischen Rennbahn weg auf die flammende Hölle zubewegen, damit die Sünder endlich ein kaltes Grausen überkommt und Haß auf das Böse sie ergreift und sie das bis dahin Erstrebte fliehen und die Gebote des schrecklichen Herrn einhalten. Deine Sache steht gut, wenn du sie mit eifrigem Mühen auf diesen Punkt gebracht hast. Du wirst die Leidenden mit dem Wort des Evangeliums erquicken und die durch den schweren Zorn des Richters Verzagten trösten können; du wirst die, die zu den trauervollen Wassern des Phlegethon und in die bodenlose Tiefe des Totenreiches geschickt wurden, herausreißen und den himmlischen Chören beigesellen können; du wirst die Getöteten dem Leben, dem Licht die Begrabenen zurückgeben können. |
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<114>
Quid multis? Stephanus docet et Servator IESUS |
Was bedarf’s vieler Worte? Stephanus und der Retter Christus lehren, daß man Frevlern keinen Beifall spenden darf, daß man vielmehr die Geschwüre energisch aufschneiden und das schwarze Gift in der Brust, das nach außen hin jedermann mit seinem Bocksgestank belästigt, anpacken muß. Sollte es nämlich Menschen geben, die verstockt sind und gelinde Rüffel nicht spüren und scharfe zurückweisen, so rüge sie öffentlich und verkünde unbeirrt ihre Strafen, damit nicht durch unheilvolle Ansteckung die ganze Gemeinde Schaden erleidet. Andererseits aber meide den frechen Übermut einer schwatzhaften Zunge sowie das sardonische Lachen, das aus einer rauchenden Brust kommt. Schütte auch nicht im Übereifer abgeschmackte Beschimpfungen über das Volk aus, damit du nicht den primitiven Zungendreschern und Possenreißern auf dem Marktplatz ähnelst und die Jünglinge und anpassungswilligen Mädchen ebendies übernehmen – wie denn die meisten von uns empfänglich sind in der Aneignung von Lastern. Hierin sündigen die Pflanzer heutzutage im Übermaß. Sie finden es freilich schön, auf possenreißerische Art zu scherzen, jedweden mit theoninischem Zahn zu benagen und einem Sisenna und einem Barrus in gar keinem Punkte nachzustehen, nicht geschickt, Tränen, wohl aber, ausgelassenes Gelächter hervorzurufen. Es sind gerade die Schlechtesten, die sie hierin beflissen nachahmen, so daß es nachgerade besser wäre, wenn solche Pflanzer Schweine weideten anstelle des Volkes. |
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<115>
Sit dignum, non quae mereantur verba scelesti. |
geziemt, und nicht, welche Worte die Frevler wohl verdienen. Tadle die Sünder mit dem würdevollen Ernst und der Ehrfurcht vor Gott, die sich für einen Pflanzer geziemen. Berücksichtige Zeit und Ort, damit nicht etwa deine Arzneimittel infolge unpassender Anwendung Schaden stiften und die Wunde schlimmer und schlechterdings unheilbar wird und du deine Arbeit vertust und mutwillig einen Menschen zugrunderichtest, den du mit einer rechtzeitig verabreichten Arznei hättest heilen können. Wenn du Zugang zum Haus eines Frevlers hast, weil du irgendwie mit ihm bekannt bist oder dich auf alte Freundschaft berufen kannst, so mache ihm persönlich zwei-, drei-, viermal mit schonenden Worten Vorhaltungen, schließe eindringliche Bitten an und fordere ihn in freundschaftlicher Gesinnung vielmals auf, das Lager des Todesfürsten eilends zu verlassen und sich endlich, in der Furcht vor einem strengen Gericht und einem üblen Leumund, auf ein frommes Leben zu besinnen. O, gesegnet bist du mit Gewinn, lohnend war dein Aufwand an Mühe, wenn du jemanden der Sünde und der klaffenden Hölle entzogen hast! Solltest du aber keinen Zugang haben oder selbst feststellen, daß du mit deiner Gegenwart – deinem Anblick und deiner Stimme – keinen Dank ernten wirst, so versäume darum trotzdem nicht das dir aufgegebene Amt. Sende andere aus, von denen du weißt, daß sie willkommen sind, und von denen du hoffen kannst, daß sie in deinem Namen auf die rechte Weise das Gleiche auszurichten vermögen. Sollte auch dies vielleicht auf Ablehnung stoßen, so leiste jene Überzeugungsarbeit mit geschickt abgefaßten Briefen. Briefe sind nicht gar so kränkend und beschämend wie die Gegenwart einer scheltenden Stimme und höhnischen Miene. Es verdrieße dich auch nicht, wenn du ein grobes oder überhaupt kein Antwortschreiben erhältst. Dränge wieder und wieder, spanne auf allen Seiten Netze aus, und stets schwimme der gekrümmte Angelhaken im fließenden Wasser, und nirgendwo sei deine emsige Rechte müßig. Durch unermüdliches Sägen zerteilt man Marmorblöcke, |
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<116>
Et callem faciunt formicarum agmina tritum |
und die Heerscharen der Ameisen stellen durch häufiges Hin- und Herlaufen einen Trampelpfad her, während sie unter dem heißen Sternbild des Krebses Nahrung oder, nach Errichtung ihrer Haufen, Material zur Abdeckung suchen. |
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Evertitque simul nonnunquam et iudicem inertem |
und vernichtet zuweilen gleichzeitig sowohl den untüchtigen Richter wie die Angeklagten, zugleich das Volk und die Lehrer des Volkes. |
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Non scelera arcentes, scelerum sed pinguia passim |
indem sie nicht Freveltaten verhinderten, sondern überall ergiebige Samen des Frevels ausstreuten und den Eifer für jenen [sc. Christus] und die Wahrheit für unehrenhafte Dinge ansahen – als eine schlechthin ruchlose Last der Erde und eine höchst jammervolle Geißel der Wahrheit. Sofern etwa heute noch Spuren des frommen alten Brauchs übrig sind, werden sie, wie man sehen kann, in einen üblen Zweck verkehrt. Denn wer nicht pünktlich die der Kirche geschuldeten Abgaben zahlt, wer sich weigert, alles, was er sich in Wort und Tat hat zuschulden kommen lassen, einem ungebildeten und wahnwitzigen Menschen, der nicht dicht hält, ins Ohr zu sagen, den geben sie Satan anheim. Wozu soll ich noch das übrige aufzählen? Mit wilder Kriegswut streitet man für menschliche Possen, habgieriger Eifer ist auf Gewinn aus, befriedigt seinen Haß und herrscht mit erstaunlicher Willkür. Niemand sorgt sich um das Gesetz des höchsten Donnerers. Ein Ehebrecher ist [nur] ein Gegenstand des Scherzes und gilt als Ehrenmann, die Städte bieten öffentlich Huren und ein eindeutiges Bordell an, auch die Herbergen wimmeln von Huren, damit es den Gästen nicht etwa an einer Gelegenheit zur Unzucht fehlt. Die Landbauer haben allenthalben selbst ihren Spaß an schmutzigen Liebschaften, und man hat keinerlei Interesse an geistlicher Keuschheit. Ein Mensch, der sich diesen Bestrebungen hingibt, der beschmiert ist mit schwarzem Blut, der Krieg atmet und die Erinnyen des schaurigen Orkus, der einträchtige Bündnisse unter Königen zerbricht – solch ein Mensch steht dem Gottesdienst vor und gilt als Mann des Himmels, der – ich weiß nicht, welche – Schlüssel zum Himmel und zur Hölle in Händen hält! Beim Altar stehen Räuber und Diebe, und ein berüchtigter Lästerer verwaltet die Geschäfte Gottes. Und, kurz gesagt, die einzige Tat, die als verdammenswürdig gilt und zum Ausschluß aus der Gemeinde Gottes führt und Menschen zu Frevlern macht, ist die Verachtung menschlicher Erdichtungen und belachenswerter Flausen. |
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<119>
Disciplina igitur vetus atque exercita quondam |
Die alte, einstmals praktizierte Zucht ist also teils durch Nachlässigkeit zugrundegegangen, teils durch häufigen Mißbrauch beim Volk größter Verachtung anheimgefallen, und es ist augenscheinlich, daß sie nicht leicht durch einen einzelnen wiederhergestellt werden kann. Es ist nötig, daß die Beistimmung vieler – nicht Gewalt! – hinzukommt. |
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<120>
Nec canibus sanctum et gemmas substernere porcis. |
Heiliges vor die Hunde und Perlen vor die Säue zu werfen. O, welch hartes und vor der Welt höchst elendes Los haben die Landbauer! O, wie voller Gefahren ist ihre Lebensweise! Wenn alle mit Eifer auf jede nur denkbare Art darauf aus sind, mit Reichen und sehr Mächtigen gut freund zu sein oder es zu werden, wenn alle begierig sind, deren Wohlwollen zu besitzen und in ihrem Hause aus- und einzugehen, und sich hüten, sie mit Worten und Taten zu verletzen, da ja ihre Gunst in allen Angelegenheiten sehr von Nutzen zu sein vermag, so wie es umgekehrt auch höchst nachteilig sein kann, wenn ihnen jemals im Leib die schwarze Galle zu sieden beginnt und sie durch Kränkungen zu Unwillen und zorniger Miene provoziert wurden, dann wird ihr Zornesausbruch für dein einsames Leben geradezu schwarzes Blei sein und sich als Erschwernis erweisen. Standhafte Pflanzer werden all dies gering achten und auf keinerlei menschliche Gunst großen Wert legen und sich von Zorn und wilder Heftigkeit nicht beeindrucken lassen. Jeder wird in dem Maße, wie er Gott vertraut und getreulich dient, für jene ein Feind oder auch ein verehrungswürdiger Gönner sein. Wie der Schatten der Esche den Schlangen unangenehm ist und sie ihn fliehen, wie der Wolf den Anblick der Hunde, der Affe die langsame Schnecke, der Elefant die den Musen feindlichen Mäuse haßt und meidet, desgleichen die grimmigen Löwen den Anblick des krähend den Tag verkündenden Hahns und die krustige Languste den Tintenfisch, genauso hassen die Schlechten unverdorbene Pflanzer, und zwischen ihnen kommt es zu keiner Eintracht, bis sich beide Seiten den gleichen Eifer für die Gerechtigkeit und für Christus angelegen sein lassen. Des Zacharias Sohn hat sich nicht lange am Hof des Herodes aufgehalten, und dereinst gab es keinerlei Gemeinschaft zwischen dem ruchlosen und unreinen König Ahab und den Propheten. Also wird es immer Feindschaften zwischen den Frommen und der Gemeinde der Frevler geben, |
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<121>
Semper erunt, opibus quamvis et polleat auro. |
soviel Reichtum und Gold diese auch besitzen mag. Also entwickelt sich daraus zunächst unmerklich eine Einbuße an Beliebtheit, und die üble Bande sagt von ihnen [den frommen Pflanzern], sie seien unhöflich, hirnwütig, Leute mit ungehobelten und plumpen Umgangsformen; so wie Diogenes wüßten sie nicht, wie man mit Königen umgeht; weder fahren sie in einer Kutsche, noch speisen sie in einem reichen Palast. Kein begüterter Frevler lädt sie zum Mahl, ja vielmehr sie selbst halten es für unter ihrer Würde, eine solche Einladung anzunehmen. Niemand wird ihnen einen schlichten Mantel, niemand Geld schenken, ja sie selbst werden dergleichen als Gaben aus Feindeshand füglich verachten. Diese Dinge sind jedoch für bescheidene Gemüter noch leicht zu ertragen, und ihr Eintreten muß als Gabe eines günstigen Geschicks bewertet werden. Wenn die Angelegenheit erst einmal mit Eifer betrieben wird, schließt man sie [die aufrechten Pflanzer] in dunklen Käfigen ein, ihr bescheidener Besitz wird ihnen geraubt, ihre Kinder und ihre Frau werden mißhandelt, schließlich überliefert man sie Vulkan und Neptun, oder ihr Hals macht Bekanntschaft mit dem Schwert und dem gezückten Beil, oder sie bekommen, nach italienischem Brauch, Gift zu trinken, oder man erhängt sie an einer unseligen Stange oder einem hohen Balken, oder man jagt sie – vorausgesetzt, daß der brennende Zorn sich vielleicht gelinder entladen hat – als Heimatlose nackt und bloß in die weite Welt. Standhafte Pflanzer sind sich ständig bewußt, daß sie solches als Lohn erwartet. Wenn einmal etwas besser abgelaufen ist, rechnen sie dies als Gewinn. Jeder von ihnen ist ein geweihtes Sühnopfer, und sie legen alles in Gottes starke Hand. Wen es nach dem herrlichen Nimbus glänzenden Ruhms gelüstet, wer nach der Vergrößerung seines Vermögens strebt und nur ungern fahren läßt, was immer er besitzt, sei es Reichtum, Ehre oder vollends das Leben, wer es ablehnt, als letzter Dreck oder Hans Narr betrachtet zu werden, |
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<122>
Seque negare nequit dominumque attendere solum. |
und sich nicht selbst zu verleugnen und seinen Sinn allein auf den Herrn zu richten vermag, o, der fliehe unseren Pflugsterz und unser Geschäft des Landbaus oder vielmehr: der meide den Namen Christi und das Gesetz der Wahrheit! In geistlichen Dingen billige ich keinen Vertumnus und keinen Proteus, keinen Tintenfisch, der geschickt jede Gesteinsfärbung annimmt, und keine Stiefel, die auf beide Füße passen – jene fetten Wänste unseres Zeitalters wohlgemerkt, die niemals des heiligen Beinamens der Landbauer würdig sind. Diese verändern sogleich Christi Wort, jedwede Lehre, die Pflicht ihres Amtes und die Richtschnur des Lehrens nach dem Willen des Volkes und den Weisungen der Vornehmsten. Bald lehren sie, wenn’s gefällig sein sollte, dieses, bald ungesäumt jenes, und auf fremden Wunsch schweigen sie und predigen sie alles mögliche. Für kleine Leute, die ohne Fehl sind oder sich nur Geringfügiges haben zuschulden kommen lassen, haben sie nur die überaus scheußlichen Brennesseln und unerquickliches Dornengesträuch übrig, den Reichen aber, wie immer sie auch gesündigt haben mögen, verehren sie reine Lilien und Rosensträuße – nur damit in ihr behagliches Heim nicht Kälte einzieht oder das angenehme Wohlwollen nicht schwindet. Auf diese Weise sind sie nämlich von der Last befreit, Vermögen, Ruf und Seele Gott opfern und der Wahrheit zollen zu müssen! |
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<123>
Nec, quî vivatur, curant, rectene, secusne, |
und sich nicht darum kümmern, ob die Lebensweise der Menschen einwandfrei oder schlecht ist, gegen jedermann eine lässige Haltung und Sprache bewahrend. Ich billige keine grausame Strenge im Umgang mit anderen Menschen und keine rücksichtslose Sprache, und an Unverschämtheit bei der Wahrnehmung der Amtsgeschäfte habe ich kein Gefallen – befiehlt doch Christus seinen Anhängern, sanft und zugleich klug zu sein, ohne Zweifel deshalb, damit sie die mitgeführten Schafe mit einem geschickten Regiment an sich binden und noch viele andere in den Schafstall locken und alles gescheit besorgen, so daß der Erlöser durch sie Gewinn macht und keine Verluste. Doch auch Gleichgültigkeit und lässige Zungen und Hände sind Christus und den wiederholter Ermahnungen bedürftigen Völkern nicht gemäß. Die wahre Tugend wählt sich ihren Platz in mittlerer Höhe; weder trachtet sie nach dem höchsten Gipfel, noch begibt sie sich andererseits in die tiefste Tiefe, denn an jedem dieser beiden Enden klafft ja ein großer Abgrund von Lastern. Die Pflanzer mögen mit Rudern und Segeln zur Mitte streben! An Christus haben sie ein gewaltiges Vorbild, auch an Paulus und Petrus. Wenn es uns verstattet wäre, uns für eine der beiden Möglichkeiten zu entscheiden, so möchte ich lieber zu milde sein als zu hart und rauh. Ich wäre gewiß keiner Mißgunst ausgesetzt und bei allen beliebter, und die Schlechten würden mich menschenfreundlich und gütig nennen. Vielleicht würde ich auch mehr Menschen anlocken und schneller für mich gewinnen. Rücksichtslose und alles Maß überschreitende Grobheit erzeugt Haß. Kinder und Alte nehmen vor wütendem Grimm Reißaus und reden dann noch schlechter vom Evangelium und von Christus. Also ist es besser, etwas weniger zu tun als zuviel, wenn wir schon, sofern uns die Hand ausgleitet, den Mittel- und Zielpunkt selbst nicht zu treffen vermögen. Andererseits aber will Jesus Christus, daß seine Anhänger das kluge Salz der Erde sind, und befiehlt, daß das Salz, wenn es fad ist, als etwas Unnützes vor die Tür geschüttet und von den Leuten zertreten werden solle. Er preist das Salz vortrefflich, und es konnten dem Donnerer auch keine Opfer |
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<124>
Offerri potuere salis conspergine vivi |
dargebracht werden, ohne daß frisches Salz darübergestreut worden wäre. Der Lenker des Himmels wollte aber auch, daß im Zelt des Alten Bundes stets Salz vorhanden war, und den übersüßen Honig verbannte er von den Opfern vollständig. Der Grund liegt auf der Hand: weder zu stark Gesalzenes noch Salzloses behagt dem Gaumen. Also sei Salz immer griffbereit und würze alle menschlichen Speisen mit rechtem Maß. So will auch der Schöpfer, daß unsere Reden und Taten mit einem Salz gewürzt werden, das nicht fad ist, geschweige denn schwarz. Gewiß sollen die Landbauer die Sünder tadeln, doch aus einem väterlichen Herzen, und statt zu töten, sollen sie es vorziehen, alle Menschen zu heilen und auf jede nur erdenkliche Art den Glauben und Christus zu bringen, und sie sollen jeden Menschen lieber behalten als verlieren wollen. Halte also Maß in allen deinen Taten und mit deiner Zunge, Pflanzer, damit du dich nicht auf irgendeine Weise an Gott und den Menschen vergehst. Es wird keine Bagatelle sein, wenn du die verlierst, welche Christus durch seinen Tod losgekauft hat, wenn du die, welche er hochgeschätzt hat, für wertloser hältst als eine taube Nuß. Er pflegt zuweilen viele zu segnen, die wir im selben Augenblick, auf Härte pochend, vermaledeien, und diejenigen auf seine Liste zu setzen, die wir dem trauervollen Totenreich überantwortet haben. Tue also Überheblichkeit von dir und mische für die mannigfaltigen Charaktere der Menschen milde Arzneien mit scharfen, und laß nichts unversucht, wenn es um die Fürsorge für das Heil geht, und überlasse die Wirkung aller Arzneien der Sorge des Vaters. Flehe ihn gleichzeitig an, daß er dir durch den Heiligen Geist offenbare, inwieweit, wann und bei welchen Menschen es sachdienlicher ist, mit zarten Fingern und eingezogenen Krallen oder mit harter Hand und geschärften Krallen vorzugehen. |
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Moribus et fractis glebis terraque subacta |
die Scholle aufgebrochen und die Erde durchgewalkt hast, dann erwartest du vielleicht, daß man dich lehrt, welche Samen denn gesät werden müssen, welche schließlich nach denen, die zerstört wurden, füglich in der Erde geborgen werden sollen. Den weitaus größten Teil dessen haben wir schon an früherer Stelle dargelegt, da wir wollten, daß du zuerst nach dem trachtest, was gesagt worden ist, als aufgezeigt wurde, daß die gottlosen Lehren aus den Herzen des neuen Volkes mit Stumpf und Stiel ausgerottet und die dem Wort widersprechenden ruchlosen Kulte und Riten beseitigt werden müssen, bevor du die Saat der Wahrheit einsäst. Für jeden ist leicht erkennbar, daß das eine mit dem anderen in einem Verhältnis des Gegensatzes steht, da beide durch Bande und Fesseln der Natur miteinander zasammenhängen und man das eine nicht mit zuverlässigem Stift beschreiben könnte, ohne immer wieder das andere ausdrücklich zu erwähnen. Doch wenn es nicht lästig ist, wollen wir einiges wenige wiederholen und nach Art einer Zugabe unsere Mahnungen ein bißchen ausbauen. Nun, wir haben dargelegt, daß der wahre und einzige Weg zum Heil der Glaube an Christus ist, der die Sünden der ganzen Welt hinweggenommen und durch Vergießen seines Blutes den Vater versöhnt hat. Ihn präge und meißle den reinen Herzen kunstgerecht ein, damit er dort nämlich aus heißer Liebe heraus lebt und aus einem unerschütterlichen Glauben und rechtschaffenen Leben heraus regiert. In geistlichen Dingen ist er der einzige Quell des Wissens, der Abschluß und das eingeschlossene Siegel der Schrift, der Gipfel und der Spender der Tugenden, nicht allein Bannerträger, sondern auch Bringer und Urheber eines glückseligen Lebens. Ohne ihn vermag niemand die Schriften der Propheten und die großen Geheimnisse der Werke Gottes und der alten Zeit zu verstehen; ohne ihn wird das Streben nach ehrbarer Tugend zunichte und sind alle Werke zur Versöhnung Gottes unnütz. Ihn also pflanze zuerst, und streue das heilsame |
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Spargito notitiam studiose. Ostendito, quantum |
Wissen von ihm eifrig aus. Zeige auf, wie sehr uns einst die Sünde des unbesonnenen Adam der Verdammung anheimgegeben, uns der Todesstrafe unterworfen und einen Zorn und Haß gegen die ganze Nachkommenschaft des Menschengeschlechts entfacht hat, den wir aus eigener Kraft niemals zu besänftigen vermögen. Doch aus Erbarmen über unseren bitteren Sturz hat uns der allmächtige Vater seinen Sohn als Lösegeld gegeben und überdies als ewiges Unterpfand des Heils, als König und getreulichen Diener, damit er unsere Sünden abwüsche und uns überall beistünde gegen das unablässige Wüten Satans und des Todes. Der Sohn hat dies ebenfalls bekannt; er lehrt, daß man an ihn glauben solle, und verbrieft umgekehrt dem, der glaubt, Leben, Verzeihung und die Gunst des Vaters; und er teilt sich und das Seine uns mit, damit auch wir für alle Ewigkeit überdauern. Solches lehren seine Jünger und die heiligen Propheten. Auch der Heilige Geist lehrt ebendies von Anbeginn der Welt an sowohl in deutlicher als auch in einer durch viele Zeichen und Figuren verdunkelten Form, ja er hat es sogar durch göttliche Aussprüche mit vielen Worten in die Ohren der Welt und mehr noch der Heiligen geschrien. Laß du dir als Christi und der Welt Diener das gleiche angelegen sein. |
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Torqueat insano gentis pro more prophanae |
unvernünftig plagt wie das Heidenvolk, daß auch niemand, der dem Leidensmann Christus untersteht, nach hohen Ehren trachtet, daß niemand den Reichtum noch irgendwelche sonstigen vergänglichen Dinge liebt, entgegen dem Wissen von Christus, sondern daß jedermann alles der Sorge des Vaters überläßt und so gerade im Gegenteil fortwährend Sabbat feiert, wie es die Bestimmungen des erneuerten Bundes erheischen. Jeder gebe sich ganz dem Kreuz hin, das er zu tragen hat, welches es auch sei, und nicht für sich lebe er, sondern für Christus und das Wohl seiner Brüder. Man muß [den Menschen] auch einpflanzen, daß ein jeder sich der obersten Staatsgewalt fügen soll, wenn sie Weisungen erteilt, die staatliche Angelegenheiten betreffen und den bekannten Schriften Gottes in keiner Weise zuwiderlaufen, und auf ihre Stimme so hören soll wie auf die Stimme Gottes. Jedermann leiste den Kriegsdienst, halte die Wachen ein, zahle Steuern, erscheine vor Gericht, wenn er gerufen wird, und verehre auch die Staatslenker selbst und sei ihnen nach Kräften in jeder Sache zu Willen: als denjenigen, denen der Herr die höchste Ehre zuerkannt hat. Dies sind die Quellen und Pfeiler guter Werke; hieraus fließt und hierauf ruht fest, was vor dem Vater Wohlgefallen findet. |
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Per te perque alios. Scripturas excute prudens |
Untersuche die Schrift mit Umsicht und bringe das, was sich auf den ersten Blick widerspricht, in Übereinstimmung, um ihr ihren unverfälschten Sinn und ihre unbezweifelbare Aussage zu entlocken; und nimm es nicht hin, daß eine einzige Aussage im Widerspruch steht zu vielen anderen, zu dem durch sehr viele Aussagen bekannten Willen des Herrn und zu dem Weg, den uns die Richtschnur des Glaubens weist. Traue und applaudiere nicht nur deinem eigenen Verstand, damit du nicht als erster nie gehörte und neuartige Lehren hervorbringst, die in der Regel mit großer Gefahr verbunden sind und die Herzen blähen und die Kämme schwellen lassen. Ziehe vielmehr in allen Dingen die Werke der alten Väter in Erwägung: ob etwa ein Vertreter und getreuer Erbe der apostolischen Lehre jemals dasselbe oder etwas anderes ausgesagt oder gedacht und wie er hierzu den Wortlaut der Heiligen Schrift zitiert hat: ob er ihn am Schlafittchen oder an den Haaren herbeigezogen hat oder aber ob dieser, als er ihn abrief, sich freiwillig auf seine Seite schlug. Wenn man dies nicht beachtet hat, wird die Bibel wahrhaftig zu einer ergiebigen Quelle von Irrtümern und schlimmen Ketzereien, wofür das vergangene und unser eigenes Zeitalter zuverlässige Zeugen sind. Bewege dich auf geistlichem Terrain also mit der größten Zaghaftigkeit, damit der flüchtige Glanz eines großartigen Namens dich nicht verführt, du dir nichts auf dich selbst einbildest und nicht darauf ausgehst, als Lehrer zu gelten. Verlasse auch nicht leichtfertig die Fußtapfen der alten Väter und verfalle nicht auf einen Weg, der zu Christus und dem altehrwürdigen Glauben völlig im Widerspruch steht. Siehst du die Scharen, die dies taten? Durchaus nicht der Gelehrsamkeit und des Scharfsinns entbehrend, haben sie gegen Christus und schickliche Sitten angekämpft und danach getrachtet, geheiligte Bereiche des Glaubens umzustürzen. Dies sind tieftraurige Beispiele von Untergang und Verderben: dir eine Mahnung, nicht etwa auf die gleiche Weise zu straucheln. |
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Ne vim scripturis facias nec cedere cogas |
Tue der Schrift keine Gewalt an und zwinge sie nicht, sich vom rechten Weg in irgendeine Richtung zu entfernen, so daß sie wider Willen läppischen Flausen dienstbar gemacht wird. Dies haben unsere Vorfahren, Menschen mit derbem Hausverstand, im übrigen aber angesehene Leute, sehr oft getan, so daß sie dem ungeschulten Volk alle möglichen Ungereimtheiten als richtig hinstellten. Was wahr und dem Herrn Christus gemäß ist, lehrt die Schrift von selbst, und nur zum Verkehrten hin wird sie der Verbiegung bedürfen. Du wirst sie auch niemals umbiegen, ohne dich einer bösen Absicht verdächtig zu machen. Wer nämlich strauchelt, der greift nach allem, was ihm erreichbar ist, und wer in einer schimpflichen Angelegenheit rein scheinen will, der scheut das Licht. Äußere dich über dieselbe Sache mit Bedacht stets auf die gleiche Weise – als jemand, der sich seiner Sache sicher ist, und dies schon lange, von Kindesbeinen an. Wenn du dir selbst nicht treu bleibst und hin und her schwankst, wovon wirst du dann überzeugen? Wer wird sich einem Gimpel wie dir anvertrauen, da andere doch fähig sein werden, den Setzling fest einwurzeln zu lassen? Falls ein Zeuge etwa Widersprüchliches aussagt, wird er verworfen, und mangelnde Folgerichtigkeit ist ein wesentlicher Beweis dafür, daß etwas falsch ist. Daher müssen Lügner, wenn sie niemals ertappt werden wollen, ein ungemein gutes Gedächtnis haben und immer dasselbe sagen. Die Wahrheit aber fließt kraft einer ihr ureigenen Bewegung, und sie fließt stets aus derselben Richtung und weist auch stets den gleichen Geschmack auf; sie blamiert sich nicht durch Zurückweichen, sie scheut niemandes Anblick und widerruft nicht, was sie einmal vorgebracht hat, und sei es auch noch so hart. Siehst du nicht, daß auch große Pflanzer in üblem Rufe stehen, weil sie je nach Beschaffenheit der Umstände und der Hitze ihres geschwinden Geistes bald dies, bald jenes und zuweilen sich schlechterdings Widersprechendes lehren? Weil sie jetzt zwar, wo sie sich in gelassener Stimmung befinden, Vernünftiges und Wohlabgewogenes lehren, hingegen, sobald sie etwa die Leidenschaft des Kampfes überwältigt und sie sehr um einen süßen Sieg besorgt sind, alles auf übertriebene Weise aufbauschen und Ungereimtheiten vortragen? |
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Hoc magis attendas tibi. Nam si talia magnis |
Um so mehr sei kritisch gegen dich selbst! Denn wenn dergleichen großen Männern widerfahren ist, was kann dann nicht in den untersten Schichten und Rängen passieren! Wenn du dich jemals auf einen Streit einlassen und mit Macht gegen einen erbitterten Feind ankämpfen wirst, so biege seinetwegen nie vom Pfade der Wahrheit ab, so daß du fälschlich behauptest, das, was jener schwarz genannt habe, sei weiß, und was er links genannt habe, sei rechts – und dies allein deshalb, um nicht den Anschein zu erwecken, du dächtest das gleiche wie er, nicht aus dem Streben nach Wahrheit, sondern getrieben von mißgünstigem Unmut. Wie wir sehen, hat dies heutzutage so mancher getan, nicht ohne beim gemeinen Volk Anstoß und Gelächter zu erregen, da er ja seines Nachbarn wegen sein eigenes Haus angezündet und mit ihm seine ganze Habe vernichtet hat. Haß ist ohnehin jedem verboten und bei jedermann verdammenswert, um wieviel mehr bei Christen und den Lehrern des Evangeliums, wenn sie abstreiten, was offenkundig ist, sich der Wahrheit geflissentlich widersetzen, Falsches verteidigen und in sich Widersprüchliches behaupten, weil Mißgunst und Begierde nach eitlem Ruhm sie treiben? Da sie ihren Gegnern Schaden zufügen wollen, ziehen sie selbst eine niemals austilgbare Schmach auf sich. Laß dich von Haß und Zorn nicht auf diese oder jene Seite ziehen und verbiege nicht irgend jemandem zuliebe die Wahrheit! Dazu habe ich auch früher schon ermahnt, und ich muß meine Mahnung oft wiederholen. Lerne es, andere, die mit dir das gleiche, manchmal auch Abweichendes lehren, zu ertragen; ziehe Zeit und Ort in Betracht, und verlange nicht dermaßen die Herrschaft für dich allein, daß du die anderen wie eine rasende wilde Bestie vertreibst und im leeren Palast eine grimmige Alleinherrschaft ausübst. Wir kennen die schlimmen Folgen von Ehrgeiz und gewaltsamer Tyrannei, und die verflossenen Jahrhunderte zeigen sie dir zur Genüge. |
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Si quando adversum vitia et mala dogmata pugnas |
Falls du jemals Laster und schlimme Lehren mit deiner leibhaftigen Stimme oder mit der Feder und in Büchern bekämpfst, so wird es sich für dich geziemen (worauf ich ebenfalls oben schon mahnend hingewiesen habe), eher das im Auge zu behalten, was deiner, was des Evangeliums und vollends Christi würdig ist, als das, was die Schlechtigkeit anderer und deren Taten eigentlich erfordern würden, damit du nicht wertvolle Zeit vertust, unnütz in den Wind redest und beim Volk heftig Unwillen erregst – als einer, der nur im Grimassenwerfen reich ist, doch ärmer als Codrus und ungebildeter als eine weiße Sau, was Überzeugungskraft und rechtes Lehren betrifft. Gib nicht das Musterbild eines Possenreißers und Marktschreiers ab, indem du andere mit Lügen und Schimpfwörtern überschüttest. Gerade in deinen Worten und Schriften behalte die Besonnenheit gehörig die Oberhand; bekämpfe deine Widersacher nur mit gediegenen Argumenten und der frommen Lehre der Propheten, in dem Bestreben, daraus Nutzen zu ziehen, damit deine Predigt oder dein Buch sich nicht auf Possen und leerem Wortgeklingel gründen. Trage den Völkern, die nach der Speise des ewigen Lebens und süßem Trank für die ermattete Seele dürsten, auch nicht wertloses dummes Zeug vor und handle nicht lang und breit und ohne Grund über das Wesen von Land und Meer und des gestirnten Himmels, über die Ursachen der Dinge, den Lauf der sengenden Sonne und des zweigehörnten Mondes, davon, woher die Winde stürmen, welche Ursache die Blitze heraustreibt, wie der Schnee entsteht und der steinschlagähnliche Hagel, welche Landstriche, Flüsse und Berge es gibt, welcher Schlund des Meeres die rosenroten Korallen hervorbringt, was der Preis für Edelsteine und englisches Tuch ist, welche Kriege vor Zeiten auf der ganzen Welt geführt worden sind, mit welchem Luxus die Königin von Ägypten wetteifernd |
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Vicerit Antoni sumptus et prandia lauta |
die Verschwendung und die üppigen Mähler des Antonius übertroffen hat und welche Vorzeichen künftiger Dinge die besorgten Sternmesser und -propheten in bezug auf Kriege, Krankheiten, Teuerung, Pest, Hungersnot und andere Dinge verkünden. Manche greifen derlei als willkommene Einkleidung und Abschweifung auf und betrügen damit das Volk, das etwas anderes – etwas Besseres, des Lehramts und des Ortes Würdigeres und der betrübten Seele Zuträglicheres – erwartet. Sollte es sich aber etwa ergeben, daß man über eines dieser Themen handeln muß, so mache es kurz ab, damit du nicht in allen Einzelheiten die gesamte Schöpfung der sechs Tage hererzählst, wie sie einst der allersüßeste Ambrosius und der sprachgewandte Origenes beschrieben haben. |
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Fabellas, quales turpis vix Galba tulisset, |
wie sie kaum der schimpfliche Galba ertragen hätte: zu dem Zweck, Lachen zu erregen und jedermann Schläfrigkeit und Unwohlsein auszutreiben, die sich bei vollem Bauch gewöhnlich einstellen, zumal alle erschöpft sind von den vielen Tagen, an denen sie bis dahin widerwärtigen Predigten ein offenes Ohr liehen. Und was haben sie in den vierzig Tagen anderes gelehrt? Verzichte du gänzlich auf Mätzchen und lachenerregende Sprüche und all das, was ein Witzbold und Spaßvogel vorzutragen imstande ist, um nicht der Erhabenheit des Wortes und des Umfeldes Abbruch zu tun. Sei nicht in Sorge, daß du das Volk einschläfern und langweilen könntest, wenn deine Rede nur aus dem Herzen kommt, wenn eine lebendige Predigt die Ohren erfreut und du von Zeit zu Zeit frommes Salz in sie einstreust. Was Wunder, daß niemand beeindruckt wird und überall Langeweile aufkommt und der Bruder des Todes auf den Augen lastet, wenn du selbst nicht beeindruckt und überhaupt nicht ergriffen bist? Wenn deine Predigt matt und in deiner Brust alles tot ist? Wenn häufiges Gähnen deutlich erkennen läßt, daß es dich schläfert? Du bist der Herr, der Fürst über das Wort, du bist der Spielleiter. Für dich gebührt es sich zu allererst, wach und in allen Fasern voller Leben zu sein, wenn du darauf brennst, anderer Aufmerksamkeit zu erregen und bei anderen Mattigkeit des Geistes und Schläfrigkeit zu vertreiben. Lege dir deshalb auch ein schickliches Gebärdenspiel zu, und die Gemeinde erlebe dich nicht als einen schlechterdings unbeweglichen Baumstamm. Von dieser Art kannst du viele beobachten: sie wagen auch noch, sich dies als Lob anzurechnen, und finden Anhänger für ihr Fehlverhalten, das sich darin äußert, daß sie dastehen, ohne Füße, Rücken und Hände zu bewegen, und wie starre Standbilder nicht Hals noch Kopf beugen. Sie halten dies für ein Merkmal jungfräulicher Züchtigkeit, ich aber glaube, es ist das Merkmal eines Steinblocks und eines blutleeren Herzens. Sie schließen auch absichtlich ihre Augen, obwohl diese völlig intakt sind, |
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Ut sibi desertis videantur fundere templis, |
um sich selbst den Eindruck zu verschaffen, sie verkündeten das Wort vor einer leeren Kirche und nicht vor dem Volke. Hierzu treibt sie unangebrachte Scham oder die Furcht, sie könnten beim Anblick der ganzen Gemeinde oder dieses und jenes [Mitglieds] bei ihrer Predigt den Faden verlieren. Mache du Gebrauch von deinem Mienenspiel, deinen Händen und deinen offenen Augen und gewöhne dich daran, den Anblick einer dichtgedrängten Volksmenge zu ertragen, und laß dich auch durch niemandes Gegenwart irre machen. Wie sich ein Toter offenbar von einem Lebenden unterscheidet, so unterscheidet sich bei Laien wie bei Gelehrten eine lebendige Rede, die sich in reichem Maße durch Gestik, Bewegtheit, Mienenspiel, glänzende Augen und natürliches Feuer auszeichnet, von jener, die lau verlesen oder mit geschlossenen Augen vorgetragen wird. Dies lehren Mutter Natur und die gescheiten Sophisten. Kein Wunder, wenn Narren loben, was nicht lobenswert ist, und jeder sich selbst beklatscht und der Meinung ist, er treffe in allem den Nagel auf den Kopf. Ich habe bis heute viele Pflanzer zu Gesicht bekommen und ihre Interessen, unterschiedlichen Verhaltensweisen und ihr Gebärdenspiel bei ihrer Lehre sowie auch die Volksmeinung hierüber insgeheim beobachtet, um dir etwas von einem Suffenus und einem Thraso zu berichten. Aufgrund dessen entscheide ich nun darüber, was so einigermaßen in Ordnung und bezüglich des Gebärdenspiels geziemend ist, wenn ich dies auch nicht weiter verfolgen und ausführen kann. Sei daher überzeugt, daß sowohl die Altvorderen als auch wir auf diesem Gebiet einige Kenntnis besitzen, denn uns leitet die Natur, und der Erfolg ist offensichtlich. Folge auch du der allgemeinen Natur, doch sei nicht allzusehr bemüht, gegen deine eigene Veranlagung anzukämpfen! Etwas zu tun, wovon kein Fünkchen in unserem Herzen vorhanden ist, bringt nämlich keinen Erfolg und trägt meist Gelächter ein. Denn vergeblich wäre der Versuch des Esels, das sehr gewinnende Gebärdenspiel eines melitaeischen Hündchens nachzuahmen. Wir loben auch nicht alles, was die alten Weisen bezüglich der Gestik vorgeschrieben haben. |
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Omnia laudamus. Latialis ludicra gentis |
Das kriegerische Deutschland ist noch nicht gewöhnt, die Mätzchen des italienischen Volkes zu ertragen. Jedes Volk hat seine besondere Art, und nicht überall gilt dasselbe als schicklich. Wenn jemand vor den Augen einer deutschen Gemeinde auf der Kirchenkanzel geschwind hin und her läuft, mit dem Fuß aufstampft und die Arme zum Himmel wirft oder sie wie ein Schwimmer nach beiden Seiten ausstreckt, wenn er die Hände zusammenschlägt oder mit großem Krachen auf die Kanzel haut und den Kopf herumwirft und mit Gorgonenaugen dreinblickt, wenn er mit geblähten und auch mit eingezogenen Lippen predigt und weißen Schaum mahlt und ausspuckt, wenn er lacht oder sich an die Stirn greift und, nachdem er durch die Nase schniefend Luft geholt hat, einen scheußlichen Knall ertönen läßt, so daß der in tiefen Schlummer versunkene Verehrer des Bacchus sein Schnarchen beendet, dann wird jedermann ihn für einen schlechterdings Hirnrissigen und Verrückten halten. Das deutsche Volk lobt und liebt abgemessene Gebärden als Zeugen eines gesetzten Geistes und ernsten Wandels. Wenn du bei der Predigt oft den Talar zurückschlägst, die Mütze bald abnimmst, bald nach kurzer Zeit wieder aufsetzt, sie schief aufs rechte oder linke Ohr drehst oder die Augenlider bis zum Ansatz von Stirn und Nase hochziehst, dann wirst du dem alles grämlich tadelnden Momus nicht entfliehen. Biete nicht den Anblick eines zornigen und aufgeblasenen Riesen und offenbare mit deiner Predigt oder Gestik keinen abstoßenden Hochmut; vollführe keine auf unsittliche Weise freizügigen Bewegungen, unterlasse verrücktes Gezeter und die Anspannung einer heiseren Stimme. Mäßige deine Stimme dem Geist des Ortes und des Volkes zuliebe. Was sonst noch zu sagen übrig ist, das schöpfe aus römischen Quellen! |
[24] Nequando [25] tempestare [26] quinetiam [27] tenteque [28] Pashae [29] oculis (oculisque Errata)
Letzte Änderung:
15.12.2009