Text and Translation submitted by Lothar Mundt. |
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AGRICULTURAE SACRAE |
DES GEISTLICHEN LANDBAUS |
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<2> Estque piis locus ingeniis studiisque probatis. |
und ist doch hier eine Heimstatt frommer Talente und bewährter
Studien. Im Unterschied zu vielen Menschen schämt ihr euch Christi
nicht und hegt keinen Widerwillen gegen ihn, der inmitten
unzähliger Feinde in der verblendeten Welt regiert und am Ende alle
in sein Reich rufen wird. Nehmt diese Dichtung entgegen und seid
meinem Werke gewogen! |
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<3> Ni vitam vellent acceptaque perdere dona. |
wenn sie des Lebens und der empfangenen Gaben nicht verlustig
gehen wollten. Außerdem pflanzte er in der Tiefe ihrer Herzen
ebendies ein, was er zuvor auch den übrigen Lebewesen von ihrer
Natur her und durch einen ihr Innerstes durchwirkenden blinden
Trieb – gewiß nutzbringend – mitgegeben hatte: dies nämlich, daß
sie selbst kein Verlangen hatten, ihr Geschlecht zu hassen und zu
vernichten, sondern es mit brüderlicher und zuvorkommender Liebe
behüteten und sich gegenseitig mit Rat und Tat unterstützten. So
treffliche Samen hatte der allmächtige Weltensämann dem
menschlichen Herzen eingepflanzt und den Acker sich selbst
überlassen, damit er aus eigenem Antrieb liebliche Früchte
hervorbringe. |
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<4> Debitus expulsus timor et reverentia summi |
Die der höchsten Gottheit geschuldete Furcht und Ehrerbietung wurden vertrieben, die Liebe erkaltete, und keine Hoffnung auf Wohlwollen und kein sicheres Vertrauen auf die göttliche Fürsorge waren mehr vorhanden. An ihre Stelle traten Haß, Scheu und Verachtung gegenüber dem Donnerer. Der verderbte Wille begehrte nichts Unverdorbenes und Rechtes. Wenn etwa einmal die Begierde, Gutes zu tun, Eingang gefunden hat, so lassen die dem trägen Leib innewohnenden schwachen Kräfte sie im Stich, und die Sünde reißt das Herz sogleich zu größeren Freveltaten hin und gestattet nicht, daß es in geradem Lauf dem Leben zueilt, sondern drängt es Tag und Nacht zur Widersetzlichkeit gegen den Herrn. Und dieses Drängen bereitet ihr auch keine große Mühe: wie Blei in die Tiefe strebt, so treibt das Herz selbst bereitwillig auf die Schuld zu. Siehst du nicht, wie sehr überall, nachdem man dem Herrn den Rücken gekehrt hat, die Gott zukommenden Ehrungen unwürdigen Gegenständen gezollt werden? Und daß an seine Stelle Menschen treten und aller nur denkbare Unrat, der in der Finsternis Plutos aus den Adern der Erde herausgewühlt wird? Wenn ein König, der vielleicht heute oder morgen ins Totenreich niederfahren wird, uns freundlichen Antlitzes seinen Blick zuwendet und uns eine geringfügige Ehrung angedeihen läßt, wenn uns etwa glänzendes Gold in Hülle und Fülle zu Gebote steht, wenn unsere Schatulle schwer ist von Silber, wenn ein reichhaltiger Schatz von Juwelen und Gewändern an uns und in unserem Hause funkelt, wenn uns eine dichtgedrängte Schar von Freunden umgibt und wir in hoher Position von vielen Tausenden Kriegern umringt werden, ach, wie gewaltig schwillt uns da die Brust! Und scheint es uns darob nicht, wir seien ausreichend versorgt und in jeder Hinsicht glückselig? Wie säuisch weist man dem Sämann aller Menschen und Dinge den Mittelfinger und die Schamteile! Der größte Teil der Menschen umsorgt seinen Bauch als seine einzige Gottheit und richtet sich in seinem Tun und Lassen nach seinem Befehl. |
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<5> Ingenii vires alii vel corporis altis |
Andere stellen Kräfte des Geistes oder des Körpers auf hohe Altäre und beten sie an wie eine Gottheit. Niemand möchte sich wohl so großer Mühen unterziehen, wenn Gott sie beföhle, wie jeder um hinfälliger Dinge willen auf sich nimmt. Interesse, heftige Furcht und Liebe bringen nämlich zahllose Götter hervor, und unterdessen wird der eine verachtet, der allein die Rettung bringt, der das Leben schenkt und entzieht. Welche Übel zeitigen nicht fernerhin blinde Unkenntnis oder Verachtung Gottes! Des weiteren ist das Herz voller Treulosigkeit, Knaben und Greise treiben mit dem Namen Gottes ihr Spiel, zwischen Geistlichem und Weltlichem wird überhaupt kein Unterschied gemacht. Anzuhören, was nach dem Befehl Gottes für alle Zeit zu lassen und zu tun ist, bedeutet eine ungeheure Strafe und einen bitteren Kerker. Man fleht ihn nicht um Beistand an, es gibt kein festes Vertrauen auf seine Hilfe, und eher ruft man Steine und Hölzer an als den, der allein die Elenden erhält und erhört. Ferner werden die Eltern niemals geehrt, wie es ihnen zukommt. Es wird als Kreuz empfunden, einen Erzieher zu ertragen oder den Lehrern zu gehorchen. Man verlangt danach, die Zügel zu zerreißen und zu laufen, wohin es einem gefällt. Wenn jemand gekränkt wurde, kocht ihm sogleich das heiße Blut in der Brust; man stürzt sich in Mordtaten und verderbenbringende Kriege, und aus geringfügigem Anlaß tritt man alle Rechte mit Füßen. Außerdem entbrennt man in unerlaubter und schimpflicher Liebe: man respektiert die geheiligten Rechte weder des eigenen noch eines fremden Ehebundes und schändet die Leiber sogar durch die Vereinigung mit Huren. Wer wäre nun aber imstande, zu beschreiben, mit welchem Eifer gestohlen und geraubt wird: hierin plagt man sich allenthalben emsig von Kindesbeinen an! Alle haben Freude an Betrügerei, Übervorteilung und Arglist; fremdes Geld zu entwenden, stellt sich als eine angenehme Beschäftigung dar. Soweit man anderen aber nicht mit seinem Sinnen und Trachten oder mit gekrümmten Fingern |
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<6> Detrimenti aliis adferri, id gnaviter ore |
Schaden zuzufügen vermag, ist man geflissentlich bemüht, diesen
Mangel mit dem Mund und einer verderbenbringenden Zunge hinreichend
wettzumachen. Man bleckt die Zähne und verspritzt gräßliches und
unheilvolles Gift abwechselnd gegen Unschuldige und Schuldige. Man
sät Zwietracht, überall herrschen Lügen, und leichthin werden
schimpfliche und überaus säuische Redensarten ausgestoßen. Der
Arglose wird mit vorgetäuschten Reden hintergangen, und in allen
Dingen steht das Herz erheblich im Widerstreit mit dem Mund. Wie
das Meer schäumend wogt und riesige Wellenmassen an die Gestade
wälzt, wenn es von wütenden Südwinden in Aufruhr gebracht wurde,
ebenso speit das Menschengeschlecht aus seinem Inneren Tag und
Nacht Schlechtigkeiten aus und stiftet sie energisch an und freut
sich, daß es den Donnerer mit einer hervorstechenden Freveltat
erzürnt hat. Es scheint, daß die Gaben des Schlummers, der Ceres
oder des betörenden Bacchus nur genossen werden können, nachdem man
eine Schandtat begangen hat. |
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<7> Adversum Satanae spinas semenque malignum |
und gegen die Dornensträucher und den bösen Samen Satans ein Gegengift und einen anderen, Leben schaffenden Samen bereitgestellt hätte: sein Wort nämlich und die Verheißungen reicher Gnade hinsichtlich der Ankunft eines heiligen und überaus mächtigen Mannes, der das Haupt der listigen Schlange und die Herrschaft des finsteren Todes zertreten und anstelle des Menschengeschlechts für alle Schuld bezahlen und den ungeheuren Schaden ersetzen würde – und zwar nicht ohne Gewinn, sondern mit Profit und großem Zins. Er gebot Adam, dies tief ins Bewußtsein einzupflanzen und die von feindlicher Hand tief und reichlich eingesäten Saaten damit niederzuhalten, wenn er sie nicht auszureißen vermöchte. Oder vielmehr: er solle für sich und die Seinen die Arbeit eines Bauern verrichten, der Schlange mit allen Mitteln entgegenwirken und sich unter unablässigen Gebeten von himmlischem Naß ernähren; er solle den anderen die Kunst und Verrichtung des Landbaus, desgleichen den heilbringenden Samen und die göttlichen Verheißungen von Hand zu Hand überliefern, damit auf der ganzen Welt Frömmigkeit und sicheres Vertrauen auf das Leben in alle Ewigkeit gehörig bewahrt blieben und dem Herrn der Hölle kühnlich Widerstand geleistet würde. Ergriffen von heftiger Freude sowohl über den Samen des göttlichen Wortes wie den ihm anvertrauten Beruf eines Landmanns setzte sich dieser mit Geschick Satan entgegen, beackerte sein Herz, indem er Brennesseln, Burzeldorn und den unheilvollen Wermut ausjätete, und entwickelte in seinem Herzen aufs neue gebührende Liebe zum Herrn; diese nährte er mit Opfern und stellte sie mit Gebeten ausgiebig unter Beweis. Er liebte die Früchte der Gerechtigkeit und bekämpfte, soweit es seine Kräfte erlaubten, die Einflüsterungen des fortgesetzt widerstrebenden Fleisches. Er haßte alles Schlechte und alles, was dem Donnerer verhaßt war. Welches Verbrechen auch zuvor begangen worden war – er sühnte es durch Gebet und aufrichtige Tränen und stärkte sein Herz |
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<8> Gratuito ob Christum dominum certoque favore. |
an der sich im Herrn Christus erweisenden uneigennützigen und
unbezweifelbaren Gnade. |
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<9> Singula quid memorem? Renovati
denique mundi |
Wozu soll ich auf Einzelheiten eingehen? Nicht lange hatten die Abkömmlinge der endlich wiederhergestellten Welt ein geneigtes Ohr für den göttlichen Landbau. Alles Rechte wurde verschmäht, und die Geschichte bewegte sich in ihrem weiteren Verlauf stets auf das Schlechtere zu, obschon der Schöpfer Himmels und der Erde stets wachsame Landbauer und heilige Propheten entstehen ließ und schließlich in fleischlicher Verkleidung seinen Sohn sandte, gleichermaßen als Haupt der Landbauer wie als Begründer des Heils. Obwohl auch dieser in dem Verlangen, den bejammernswerten Sterblichen Rat zu schaffen, Apostel und Pflanzer heraus in alle Weltgegenden trieb, Samen für den Landbau wachsen ließ und seine kunstgerechte Ausübung lehrte, so unterlag doch vieles der Kontrolle des finsteren Drachens, der ständig umherschweift, um zu zertreten und zu vernichten. Die Samen des göttlichen Wortes wurden früher niemals so weit verbreitet, die Krume des menschlichen Herzens wurde nie besser gepflügt, nie eine unverdorbene Saat säuberlicher eingesät, und nie standen in allen Gegenden so reiche Ernten auf den Halmen wie zu der Zeit, als die ersten Apostel und ihre wahren Schüler, die sich nach ihrer Art des Landbaus richteten und den Fußtapfen ihres heiligen Lebens folgten, über die ganze Welt den Samen auswarfen. Bald aber vergiftete jener Feind alles und brachte es dahin, daß die wahre Frömmigkeit, der Glaube und die einzige Hoffnung auf ein ewiges Leben – Jesus – nur noch für wenige zugänglich waren. Er schickte soviel ketzerischen Lolch ins Saatfeld, so viele Wolfsungeheuer, so viele Streitigkeiten und wüste Zänkereien, so viele schaubudenhafte Trugbilder der Welt, so viele eitle Kulte und frevelhaften Lebenswandel. Bald schreckte er diese ab durch feindselige Hitze, bald ließ er jene erschlaffen durch riphaeischen Frost. Und je näher das Ende der Weltzeit heranrückt, |
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<10> Hoc magis incumbit Christi subvertere regnum |
um so angestrengter ist er bemüht, Christi Herrschaft
umzustürzen und die Herzen der Menschen durch schlechte Samen zu
verderben. Und es bereitet ihm keine große Mühe, Dinge umzustoßen,
die schon von selbst zum Fallen neigen. Die Überreste der alten
Schuld eilen von allen Seiten zu seiner Hilfe herbei, zu Hilfe
kommt ihm das verdorbene Fleisch und gepichter Zunder. |
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<11> Illius exemplar, Musae, formamque canemus: |
Von seinem Musterbild und Idealtypus, o Musen, werde ich
singen: wie er innerlich und äußerlich von Kindesbeinen an
beschaffen sein muß und ferner, wie er das Geschäft des Landbaus
gehörig verrichtet. |
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<12> Nam licet in manibus non sit nostraque repostum |
Denn obgleich es nicht in unsere Gewalt und Verantwortung gegeben ist, mit welchem Körper jeder zur Welt kommt, welche Unfälle er erleidet, welche Gebrechen ihre feindselige Macht über ihn ausüben oder welchen Geschäften unsere Väter nachgehen oder wie sie es bei unserer Zeugung getrieben haben, so tut doch jener Schöpfer der Welt nichts ohne Grund. Und wenn sich die Ordnung der Dinge verkehrt und in den natürlichen Abläufen etwas Sonderbares, Häßliches und Ungewohntes auftritt, so gibt er uns damit völlig untrügliche Hinweise auf seinen Zorn und einen vielleicht nachfolgenden Schlag. Wenn sich die Sonne oder (bei noch gar nicht voller Scheibe) der ganze Mond wider die Natur verfinstern, wenn in klarer Nacht ein Komet in seinem Fluge funkelt, wenn mitten in den Wolken Schlachtreihen aufeinander losrennen und gespenstische Gestalten sich mit großem Getöse in blutige Waffen stürzen, wenn die Sonne plötzlich stehenbleibt und die Sterne die Naturgesetze nicht einhalten oder hoch vom Himmel herab massenhaft Blut strömt, wenn ein Wolf den Marktplatz betritt, wenn das Zugvieh redet: wer kann dann Gutes erwarten? Wer fürchtet dann nicht den Zorn der himmlischen Gottheit? Wer, er sei denn von aberwitziger Gleichgültigkeit, folgert dann daraus nicht, daß großes Unheil über die Welt kommen werde? Zu dieser Deutung fordern uns nämlich die Natur selbst und warnende Beispiele auf. Die Pelasger haben einst, als sie niedergemetzelt wurden, darin ein Zeichen Gottes erfahren, und die aufgeblasenen Römer bekamen durch viele Mißgeschicke zu spüren, daß der Ochse nicht von ungefähr darauf hingedeutet hatte, daß Rom sich in acht nehmen solle. Die Zerstörung Sagunts bewies den karthagischen Feldherren, daß das Neugeborene nicht ohne Grund wieder in den Schlupfwinkel des Mutterleibs zurückkehren wollte. Als man ein Schwert und sich bekriegende Schlachtreihen in den Wolken sah sowie Streitwagen, die in einer Wolke herumfuhren, sagte man da nicht, daß Jerusalem eine Niederlage und ein jammervolles Geschick bevorstehe? Der drohend auftrumpfende Xerxes hätte in dem Moment wissen können, daß er in die Flucht geschlagen werden würde, |
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<13> Armentalis equa ut leporem est enixa fugacem. |
als eine Stute auf der Weide einen flüchtigen Hasen gebar. Die
unglaubliche Niederkunft eines Mauleselin schließlich bewies, daß
die Mauern und die Burg des assyrischen Babylons eingenommen werden
konnten. Natürliches Empfinden läßt gewiß jeden von uns vor
Mißgeburten erschrecken, und selten tritt danach etwas ein, was zur
Freude Anlaß gibt. Dies aber um so mehr, wenn eine Frau
seltsame und garstige Gebilde gebiert und bei den Herren der Welt
die Natur von der Norm abweicht. Die äußere Gestaltung verrät
nämlich sehr deutlich, wie das Innere des Herzens beschaffen ist,
was tief drinnen in unseren Gesinnungen verborgen liegt. Daraus
läßt sich mit Sicherheit ableiten, ob man Böses oder Gutes zu
gewärtigen hat. Was, wenn nicht Schlechtes, könnte man von einem
Thersites erwarten? Wer miede und verabscheute ihn nicht, wenn er
redet? Menschen, die die schaffende Natur gleich bei ihrer Geburt
schlecht geformt hat, prophezeien damit sich selbst oder anderen
ein unfreundliches Geschick oder geben damit Anzeichen einer
charakterlichen Mißbildung oder geistiger Stumpfheit. Also sei
unser Pflanzer keinesfalls häßlich und grauenerregend, und es
belaste ihn keine Schande hinsichtlich seiner Abstammung und der
Handlungsweise seines Vaters. |
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<14> Hauserit inde ut ne morum contagia, quae pòst |
damit er sich nicht an ihren Sitten ein schlechtes Beispiel nimmt, das sich hernach weder durch Einsicht noch vieles Mühen auslöschen läßt. Nur sehr schwer läßt sich die Farbe, mit der man ursprünglich weiße Wolle gefärbt hat, wieder herauswaschen, und dunkle Flecken, mit denen man neue, frisch zugeschnittene Bretter besprenkelt, halten sich dauerhaft. Sehr viel hängt auch davon ab, ob die Eltern selbst sowie die Amme und der Lehrer, der ihm die Anfangsgründe im Lesen und Schreiben beibrachte, Christus erkannt haben und der Frömmigkeit zugetan waren. Ich möchte also, daß er von Kindesbeinen an – solange nämlich sein Geist noch sehr zart und durch einen geringfügigen Anstoß nach jeder möglichen Richtung hin veränderbar war – ehrbaren Gefährten und Beschäftigungen angehangen hat. Er höre nichts Unzüchtiges und rede auch selbst nicht dergleichen, und niemals komme ihm etwas vor Augen, was nicht als ehrenhaft gilt. Er besitze schließlich auch gut fundierte Kenntnisse in der Volkssprache – dabei eliminiere er Aussprachefehler und lockere seine Zunge, wenn seine Sprache etwa nicht sonderlich prägnant und nicht deutlich genug geklungen hat. Und er besitze auch nicht nur in der Volkssprache die Fertigkeit, eine im tiefsten Winkel des Herzens verborgene Empfindung auszusprechen: er schlage einen erhabeneren Weg ein und lerne die Quellen der lateinischen Beredsamkeit kennen, und von frühester Jugend an sei er geschult in allem, was die alten und die neueren Grammatiker geschrieben haben. Ermahnt durch den Ausspruch des weisen Cato höre er Vorträge von Gelehrten. Er lese auch alle erstrangigen Schriftsteller, voller Bewunderung für die Gaben einer kultivierten Sprache. In zartem Alter wurzle sich keine barbarische Ausdrucksweise ein, die der Mann schließlich wieder verlernen und ausspeien muß! Bekanntlich besitzt die lateinische Sprache überaus zahlreiche Vorzüge; ihr gebührt in Europa der höchste Ruhm. So wie vor Zeiten das Geschlecht der Aeneaden seine Herrschaft bis zum eisigen Norden und zu den ganz am Ende der Welt lebenden Engländern ausgedehnt hat |
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<15> Sensit et Euphrates, animosi et regia Parthi |
(auch der Euphrat, der Palast des hitzigen Parthers und der Atlas, der den Sternenhimmel auf seinen Schultern trägt, bekam sie zu spüren), so verbreitete sich auch seine Sprache über die ganze Welt und wurde wegen der Faszes und schrecklichen Beile hoch geachtet. Denn sie allein erteilte den unglücklichen Völkerschaften eine Antwort; allein in ihr erklang auch die große Zahl stolzer Verordnungen. Bis heute also, wo der Staat dem römischen Recht unterworfen wurde, wird ihr verdientermaßen großes Vorrecht und große Ehre zuteil. Ja mehr noch: sie erstrahlte zudem in hellem Glanz aus geistlichen und weltlichen Schriften. Deshalb wäre es eine Schande für unseren Pflanzer, wenn er die Sprache des Reiches nicht verstünde und so gewichtige Werke der weltlichen Weisheit und der Anhänger Christi nicht kennte. Von hier aus muß man sich auch den Weg zu vielen Künsten bahnen, die in der Volkssprache niemals so gut gelehrt werden. Um ihretwillen und der tüchtigen Gelehrten wegen, die mit ihren Schriften als erste Christus in der Welt ausgesät haben, lerne er ferner die Schriftzeichen und die wohltönende Sprache der Griechen. Ja wegen der herrlichen Bücher von Moses und um all dessen willen, was die getreulichen Propheten Gottes geschrieben haben, erforsche er sogar die Grammatiker und die erhabene Sprache der Juden. In Verbindung hiermit studiere er des ferneren auch die Eigenheiten der chaldäischen Sprache. Das Naß aus einem großen Gefäß wird den Dürstenden nicht in dem Maße erquicken wie der Trunk aus den Quellen selbst. Es sei sein eigener Wille, über so viele Einzelheiten Bescheid zu wissen, wie er nur vermag, oder vielmehr: Gott selbst aus der Nähe reden zu hören und sein Wissen nicht nur aus dem [Gott] fernstehenden Herzen oder dem eitlen Hirn eines Menschen zu beziehen und nicht nur von dieser Voraussetzung her den Völkern ein Pflanzer zu sein. Also widme er seine Aufmerksamkeit jenen Sprachen, in denen vornehmlich all das schriftlich überliefert wird, was der Herr vor Zeiten in der verblendeten Welt offenbart hat; sorgfältig habe er acht auf Regeln und winzige Punkte, |
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<16> Sollicitè observet, quid quaeque vocabula certò |
und sein Mühen, Forschen und Studieren sei darauf gerichtet, mit größtmöglicher Genauigkeit herauszufinden, was jedes einzelne Wort unzweifelhaft bedeutet. Die Kenntnis der Sachen ist freilich von ihren Benennungen her zu gewinnen, und du bist auf einem blamablen Holzweg, wenn du lang und breit und mit großem Dünkel über eine Sache redest und bei der Benennung fehlgehst. Deshalb haben so manche bei Eingeweihten berechtigtes Gelächter ausgelöst! In allen Bereichen wohnt den Benennungen große Kraft inne, ganz besonders aber in den geistlichen Schriften, wo kleine Buchstaben und sogar Längenzeichen oft die größten Geheimnisse verbergen, die kein Frommer vernachlässigen oder geringschätzen darf. Des weiteren lerne er auch die Rede- und Sprachfiguren und die vielfältigen Tropen. Auch über sie zu stolpern, bedeutet eine Blamage, und ihre Unkenntnis verdreht oft den Sinn, so daß falsche Doktrinen anstelle der richtigen gelehrt werden. Was verursacht denn heutzutage allenthalben die große Fülle von Irrtümern und die überall verbreiteten schrecklichen Aufgeregtheiten und unablässigen Streitereien? Doch dies: daß sich einige Leute an Worten festbeißen und nicht zugeben und erkennen, daß es sich um eine übertragene Redeweise und eine einwandfreie Figur handelt! Daraus ergeben sich zwangsläufig Ungereimtheiten. Allerdings ziehe ich auf keinen Fall eine uneigentliche Redeweise in Betracht, wenn nicht der Text selbst oder die Frömmigkeit einen abweichenden Sinn erfordern. In geistlichen Dingen muß man dem Volk nämlich einen fest umrissenen Aussageinhalt anbieten und von denselben Dingen immer dasselbe reden, damit es zureichend darüber informiert ist, was es zu meiden und was es zu befolgen hat. Es geht nicht an, das Wort auf allerlei Pfade umzulenken, obgleich nichts dazu zwingt, von seinem eigenen Weg abzuweichen – und zwar deshalb, damit nicht zugleich die sicheren Grundlagen der Frömmigkeit ins Wanken geraten. Und man wird nichts in einer figürlichen Redeweise lehren können, was eine andere, einfache, nicht hergibt. Und rechne nicht darauf, daß irgendwelche Mysterien, die man aus Tropen zutagegefördert hat, sich nicht auch anderswo verbergen! |
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<17> Sermo quidem teneras demulcet gratior aures, |
Gewiß ist es eine wohltuende Liebkosung für zarte Ohren, wenn
eine Rede auf tausenderlei Arten bald diese, bald jene Wendung
nimmt. Hüte du dich aber, leichtfertig den Sinn zu verdrehen und
entgegen dem eigentlichen Sachzusammenhang mit der Heiligen Schrift
zu spielen! Dies haben, wie du siehst, viele mit erstaunlichem
Kaltsinn getan. Erwäge genau, was für das ungeschulte Volk von
Nutzen ist, bevor du grundlos auf Unterhaltung oder Scherz
ausgehst! |
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<18> Vertitur hîc planè totius cardo negoci. |
Hier liegt geradezu ein Angelpunkt seiner ganzen Tätigkeit! Beredsamkeit, die einem wissenschaftlich gebildeten Geist entströmt, ein geistreicher Mund, der weiß, was er sagen und was er verschweigen muß, und sich auf die flüchtigen Zeitumstände, die Personen und die räumlichen Gegebenheiten einstellt: das gilt ja als der vollendete Pflug eines geistlichen Landbauers. Verbannt vor allem anderen sei das Redehemmnis einer lallenden Zunge! Mag das Volk sich auch schmucklos und ohne Beachtung fester Regeln vernehmen lassen, ein Lehrer des Volkes muß die Rhetorik kennen. Die Ansicht des Tarsensers Paulus steht dazu nicht im Widerspruch, auch nicht die schlichte Redeweise der Zwölferschar. Es heißt überall: verschiedene Ursachen bringen verschiedene Wirkungen hervor. Laßt uns jenen also nicht in der Weise nachfolgen, daß wir – bei abweichender Ausgangssituation – ihre Handlungsweise dümmlich kopieren! Wer wüßte nicht, daß man zu Knaben und Ungebildeten anders reden muß als zu Greisen und zu Leuten, die partielle Sachkenntnis haben? Jene haben die Grundbegriffe des Glaubens Völkerschaften gelehrt, die ganz und gar nicht mit zierlichen Worten und einer beredten Zunge, sondern eher durch göttliche Wirkungskraft zu begeistern waren. Der Erlöser vollbrachte für jene also große Wunder, um seinem Wort, obschon es kunstlos war, Gewicht zu verleihen. Deshalb hätten sie sagen können, sie seien nicht durch eine wohlgesetzte Redeweise auf Christi Seite gezogen worden, sondern durch den Heiligen Geist und die unüberwindliche Kraft der machtvollen Wahrheit. Bei unentwickeltem geistigen Vermögen können und dürfen die Anfangsgründe des Wissens auch nicht einmal auf andere Weise gelehrt werden! Die Anfänge aller Dinge sind auch, wie wir meinen, nicht etwas, wozu man von einem gewandten Rhetor überredet werden muß, sondern man muß sogleich an sie glauben. Also ist Redegewandtheit zu nichts nütze, wenn man es mit Ungeschulten zu tun hat, und leidenschaftliche Beredsamkeit hilft einem durchaus nicht bei Menschen, die die schlichten Anfangsgründe bestreiten – so wie man bei denjenigen, die den rechten Weg kennen und Christus nachfolgen, keiner Wundererscheinungen und erstaunlichen Vorzeichen bedarf. |
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<19> Qui rectam novere viam Christumque sequuntur. |
Man lehrt uns Christus und den gottesdienstlichen Brauch sogar schon von der Wiege an; dann bedürfen wir auch schlichter Worte – nicht eines Rhetors, sondern des Heiligen Geistes und eines zuverlässigen Lehrers. Späterhin aber, wenn du Menschen vor dir hast, die über Christus und den Glauben unterrichtet sind, mache von der Redekunst gehörig Gebrauch: ziehe alle Register, trage Farben in Menge auf, um die trägen Geister in Bewegung zu bringen und die Liebe zu Gott und dem einzigen Christus zu entflammen, um Ruchlosigkeit und gottlose Kulte verhaßt zu machen, um Gefallen zu wecken an der strahlend schönen Tugend und am Rechten und Guten und um umgekehrt Abscheu zu erregen vor dem Laster und allem Frevel und Greuel – ferner deshalb, damit das drohende Wort des Herrn sogar steinerne Herzen erweicht und das ewige Höllenfeuer Schrecken verbreitet, damit die Menschen um ihrer Sünden willen bittere Tränen vergießen und die rechte Hoffnung auf das Heil wieder in die zerknirschten Seelen zurückkehrt und die Herzen – der himmlischen Gnade absolut gewiß – in ständigem Jubel den gütigen Gott lobpreisen. Biete hierzu die ganze Macht der Beredsamkeit auf! Ebenso, wenn du schließlich als Streiter gegen Satan zum Kampf gedrängt wirst und finstere Lehren ausreißt und die gottgefälligen verteidigst. Mag nämlich das Wort Gottes auch ein scharfes und feuriges Schwert sein – dringt es doch bis ins tiefste Innere des verstockten Herzens – und mag es auch wie ein schwerer Hammer alles zerbrechen, was ihm im Wege steht, so steigert doch derjenige noch seine Kraft und natürliche Schärfe, der es geschickt und würdig anwendet – so wie eine sehr energiegeladene Rechte eine tiefere Wunde schlägt als eine zaghafte und so wie diejenigen Arme einen sehr harten Felsbrocken besser zerschlagen, die den Hammer sachkundig führen und ihn hoch in die Luft heben, damit er wuchtiger aufschlägt. |
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<20> Rhetoricως igitur verbum tractato, colone, |
Handhabe das Wort also auf rhetorische Art, Pflanzer, und
betreibe die Sache Gottes mit Eifer! Denn auch der Tarsenser selbst
hat im Kreise von Ausgelernten vieles weisheitsvoll vorgetragen,
andere aber mit Milch ernährt und keinesfalls mit schweren Speisen
überschüttet. Es erübrigt sich wohl, daran zu erinnern, wie
wortgewandt und redegewaltig jene sind, die in der Zeit nach den
Jüngern Christi Schriften verfaßt haben, ob man nun jene aus der
Gruppe der Griechen oder aus der der Lateiner zur Hand nimmt.
Verhaßt ist die Rhetorik nur faulen Bäuchen und dem trägen Vieh,
das an Schlaf und Müßiggang Freude hat. |
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<21> Et varias noctu lucentes aethere formas |
sowie die verschiedenen am Nachthimmel leuchtenden Figuren? Und wer rühmte nicht Gottes Hand, die so Schönes erschafft? Wer möchte sich nicht auch in einem die Fassungskraft des menschlichen Herzens übersteigenden Maße glückselig schätzen und preisen, da ihm jenes von außen so prachtvolle, jenes so königliche und mächtige und in wundersamen Formen gestaltete Haus beschieden ist? Vermeint er doch – und darin täuscht er sich nicht –, daß sich dahinter Größeres verberge: jenes nämlich, was das Auge nicht gesehen, das Ohr nicht gehört hat und was in keines Menschen Herz gekommen ist – was der Lenker des Himmels aufgespart hat, um es seinen lieben Freunden am Ende zu übergeben. Deshalb wird die scharfblickende Erkundung des Sternenhimmels überaus wohltuend und unserem Geist höchst gemäß sein – was schon die Tatsache bezeugt, daß unser Antlitz zum Himmel emporgerichtet ist. Sie bietet auch viele Vorteile für irdische Zwecke, auf die der Schöpfer alles vorzugsweise angelegt hat. Hat doch der Schöpfer mit dem Erscheinungsbild des Himmels, dem Lauf von Sonne und Mond und dem dreifältigen Auf- und Untergang der Sterne die Zeitabschnitte eingeteilt: Nacht und Tag, den Wechsel der Jahre, die Monate und die Stunden, die oft höchst ungleich sind oder in gleichmäßigen Abschnitten verlaufen. Er setzte Anzeichen für den Winter fest, für den lauen Frühling, den heißen Sommer und den üppigen Herbst, für heiteres Wetter und einen bevorstehenden Sturm. Er brachte in der Höhe des Himmels Zeichen an, damit der arme Seefahrer und der Landmann, der sich um das Getreide müht und das Land bestellt, sich nach ihnen richteten. Hierzu dienen der Große und Kleine Bär, der träge Bootes, der überaus ungebärdige Arcturus und die Ziege im Fuhrmann; hierzu dienen die Böcklein und die im Frühling erscheinenden Atlantiden, die man auch Hyaden nennt und deren Auf- und Untergang drohenden Charakter hat. Hierzu dienen der Orion, der Vater des Winters, dessen Schwert man fürchten muß, |
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<22> Sub pedibusque hujus leporem qui Sirius urget, |
unter seinen Füßen der Hundsstern, der dem Hasen auf den Fersen
ist, und die vielfältigen anderen, gut bekannten Sternbilder,
insbesondere die hochberühmten zwölf Himmelszeichen. Dies alles muß
der göttliche Pflanzer wegen der Heiligen Schrift und seines
häufigen Gebrauchs zuvor lernen, damit diese Dinge, die sogar dem
einfachen Volk geläufig sind, nicht ihm allein verborgen bleiben;
hierin unwissend zu sein, steht einem Menschen schwerlich an und
ist eine Schande. |
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<23> Quidque sit acturus totius tempore vitae, |
was er sein ganzes Leben hindurch treiben wird, welche Sitten – schlechte oder gute – er an den Tag legen und welchen Ruhm er mit seinem Körper und seinem Geist erlangen wird. Sie reden auch abenteuerliche Dinge von den Sternbildern und ordnen ihnen die Glieder des menschlichen Körpers zu: diese ließen sich nur gehörig anreizen und in Bewegung setzen, wenn man jenen Rechnung trage, denn von jenen hänge das Wohlergehen und umgekehrt auch, wenn man auf sie nicht aufmerksam achtgegeben habe, finsteres Verderben ab. Darüber hinaus setzen sie auch für die sieben Planeten Häuser fest (vielleicht damit sie nicht heimatlos sind) und bestimmen, wann sie zu ihrem Gipfelpunkt aufsteigen und wann sie sich im Abwärtsflug auf ihren tiefsten Punkt zubewegen. Sie bestimmen, welche heiß sind oder welche träge infolge lähmender Kälte, welche von Feuchtigkeit triefen, welche von gleichsam afrikanischer Trockenheit sind, welche schnell und leicht und welche langsam sind aufgrund ihrer Schwere, welche schwarz oder weiß, safranfarbig, grün oder rot, welche männlichen und schließlich welche weiblichen Geschlechts sind. Dies tragen sie so dreist und mit so ernsthafter Miene vor, als seien sie kürzlich erst vom hohen Himmel gekommen und hätten dort alles mit eigenen Augen unfehlbar beobachtet. Ja noch mehr: sie schreiben für alle Dinge einen festen Zeitpunkt vor und befrachten ängstliche Gemüter mit Aberglauben! Schreiben sie doch vor, daß nicht jeder Tag und jede beliebige Stunde günstig seien, um der Erde Samen anzuvertrauen, um unfruchtbare Äcker umzugraben oder Holz zu schlagen, um Pflänzlinge in ihre Gruben zu setzen und den Weinstock zu beschneiden, auch um den Grundstein für etwas zu legen, was viele Jahre hindurch Bestand haben soll, um Kinder von der Muttermilch zu entwöhnen, um sich nach Gefährten umzusehen, um den Bart abzunehmen, um häßliche Fingernägel mit der Schere zu beschneiden, um den Ort zu wechseln und fremde Länder aufzusuchen, |
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<24> Non struere insidias pendenti piscibus hamo, |
um mit schwebendem Angelhaken den Fischen nachzustellen, um Vögel zu fangen und Netze für den schnellfüßigen Hirsch auszuspannen, um Knaben einzuschulen, um sich mit jemandem unterm Ehejoch zu vereinigen und um Würfel zu spielen. Ja auch nicht jeder Tag und jede Stunde seien günstig, um irgend jemandem ein Depositum oder Schulden zurückzuerstatten, um sich mit wohlgesetzten Worten im Wettstreit um gelehrte Fragen zu messen, um Könige zu Gesicht zu bekommen oder ihnen Sachverhalte darzulegen, um Adern zu öffnen und Ärzte um Hilfe zu bitten, um nicht zugerittene Pferde erstmals zu besteigen oder sie zu kastrieren, um Grundstücke oder Juwelen zu kaufen oder irgend etwas zu veräußern, um jemanden loszuschicken, der einem vertrauten Freund einen Brief überbringen soll, um das Haar zu schneiden oder Korn zum Müller zu bringen, um sich tief unter der Erde emsig schwärzlichen Metallen zu widmen, um ein Haus zu bauen oder ein eben erst gebautes zu bewohnen, um zuverlässige Diener einzustellen, um einen Krieg zu führen oder gegen Feinde anzutreten, um sein Leben dem brausenden Reiche Neptuns anzuvertrauen. Wer könnte alles aufzählen? Sie rufen die schreckliche Hölle herbei, während sie beteuern, es sei nur etwas Nützliches, was sich aus der Befragung des Himmels ergeben habe. Ich wiederhole: ich lehne solche Seher ab, die die Gemüter des Volkes mit eitlen Sprüchen betören, indem sie zukünftige Ereignisse vorhersagen und den Sternen am Himmel die Fähigkeit zum Handeln und Denken zubilligen: Dinge, die zu wissen oder zu glauben nicht verstattet ist und die weder durch eine zuverlässige Wissenschaft noch durch die Ursachen der Dinge und ihre in alte Zeiten hinabreichende Verkettung bestätigt werden. Zwar sei dies um unseres Friedens willen den Gottlosen zugestanden, damit sie sich hiermit selbst und andere hübsch zum Narren halten und unter Beweis stellen, wie tüchtige und große Lehrmeister von Irrtümern sie sind. Uns aber gebietet die Vernunft, uns gediegenen und zuverlässigen Dingen zu widmen, deren Gründe, sofern erforderlich, wir anzugeben vermögen und die lange Erfahrung die betagte Menschheit gelehrt hat. |
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<25> Noticiae coeli iam nunc
affinis et illa est, |
Der Himmelskunde ist nun auch noch
diejenige Wissenschaft verwandt, die, von einem Punkt und den
übrigen nahebei liegenden ausgehend, die Messung von Körpern und
vielfältigen Figuren lehrt, die Berechnung von Ländereien nach
Morgen, die Messung von Bergen, tiefen Tälern, hohen Türmen und
Himmelskörpern des gestirnten Firmaments. Dies ist eine edle und
auf viele Dinge anwendbare Kunst, in der unwissend zu sein sich für
einen Pflanzer keinesfalls ziemt, sowohl um der übrigen
Fertigkeiten des Geistes als auch um seiner Schärfung willen. |
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<26> Montes et sylvas nec non immania saxa |
Man beteuert, daß Orpheus mit seinem Gesang die Berge, Wälder und riesigen Felsen der Thraker angezogen habe. Es heißt, daß Amphion, der Sproß des großen Jupiter, mit dem schmeichelnden Klang seiner Leier Felsen zerstückelt, Steine behauen und die Stadt Theben und ihre stolze Burg erbaut habe, die zu zerstören alle argivischen Streitkräfte nicht imstande waren. So große Liebe zur Musik hat der Vater allem und jedem eingegeben! Er wollte, daß die irdische Welt das Wesen des Himmels bezeugt und sich das Niederste mit dem Höchsten in Einklang befindet. Es steht nämlich ganz außer Zweifel, daß das Himmelreich unausgesetzt von den Klängen widerhallt, die, wie es heißt, hervorgebracht werden von den Kreisbewegungen der stürmisch dahineilenden sieben Planeten und ihren Zwischenräumen sowie von den vielen Tausenden dem Herrn dienstbaren Geistern – so daß die köstliche harmonische Musik vom Himmel auf die Erde gelangt ist und die Geister und Körper regiert. Je mehr dies nun aber alles übrige an Lieblichkeit übertrifft, um so mehr muß man es für ehrbare und göttliche Gegenstände verwenden und darf es nicht für Schmutzereien heranziehen, an denen die Menschen ein unsinniges Vergnügen haben. Dies lehrten uns durch ihr Beispiel der Sohn Jesses sowie Moses, dessen Antlitz strahlte, und andere Propheten; dies befahl der vom Heiligen Geist erfüllte Paulus. Ja sogar die Heiden begingen den Gottesdienst mit Gesang und stimmten für ihre Götter feierliche Hymnen an – so fest glaubten sie daran, daß Gesänge auch den Göttern sehr erwünscht seien. Also dürfen die Pflanzer von dieser Beurteilung nicht abweichen, sondern müssen sich, neben allem übrigen, auch der lieblichen Musik widmen, damit sie imstande sind, mit ihrer Hilfe Gott zu preisen und die Geister emporzuheben. Wie, wenn sie sogar ein gefälliges Lied zu verfassen und sich unter den göttlichen Dichtern der Christenheit auszuzeichnen verstünden? Die alten Propheten haben sich einst mit Liedern die Zeit vertrieben. |
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<27> Carminibus responsa dedit Cyrrhaeus Apollo. |
Der kirrhäische Apollo gab Antworten in Gestalt von Liedern.
Manto, Linus, Amphiaraus und Orpheus sowie die weissagenden
Sibyllen belehrten die ungeschulten Völker mit Liedern über die
Sitten, die Verehrung der Götter und die gottesdienstlichen
Bräuche. Einem sinnreichen Lied wohnte stets größte Erhabenheit und
Kraft inne. Hierdurch haben die heiligen und gelehrten Dichter beim
niederen Volk und den vornehmsten Männern Wohlgefallen erregt. |
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<28> De coelo et mundo, de forma materiaque |
über Himmel und Welt, Form und Stoff, über Ort, Zufall, Glück,
Zeit, Bewegung und die vier Ursachen, über die Winde, den Donner,
den Schnee, den Regen, den Hagel und den Reif; wenn du darauf
brennst, zu erkennen, woher der Tau kommt, der den Sommer über die
Pflanzen benetzt, was den alle Widerstände durchdringenden Blitz
verursacht, von woher in dunklen Wolken häufig ein Feuerschein
leuchtet, warum auf der der Sonne entgegengesetzten Seite unter
einer Wolke der vielfarbige Regenbogen erscheint, warum den Mond
ein Hof umgibt, wo der den Sterblichen Schrecken erregende Komet
seinen Ursprung hat, warum die Erde so sehr bebt und hochgebaute
Städte verschüttet, warum man die Sonne zuweilen in dreifacher
Gestalt sieht. Prüfe auch, ob das, was über den großen Abstand der
Himmel untereinander berichtet wird, für einen Frommen glaubwürdig
ist; ob die Erde so weit vom Mondgestirn entfernt liegt oder die
Sterne so weit über den Erdzonen stehen; ob Gott, der Schöpfer,
etwa über die zwei großen Lichtkörper hinaus noch weitere
geschaffen hat, die sogar den Mond weit übertreffen. Untersuche
auch das Wesen von Land und Meer und alles, was sich auf der Erde,
in der See und der Luft befindet. |
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<29> Esse domi caecos Lamiarum more furentum. |
zu Hause aber blind zu sein wie die rasenden Lamien. |
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<30> Nunc Argo Tiphyque opus est rectore volenti |
Wer heute aber über die Ufer getretene Flüsse und die ungestümen Wasser des brausenden Meeres überqueren will, braucht einen Argus und einen Tiphys als Steuermann. Deshalb müssen wir uns lernend aneignen, was immer auf der Welt zum Dienst am höchsten Donnerer nützlich sein kann. Künftige Landbauer dürfen nicht nach Müßiggang trachten, damit der Herr nicht etwa versucht wird und uns als faulenzenden Verächtern Gefahr und angemessene Strafen erzeugt. Ein warnendes Beispiel sind die überall lebenden Wiedertäufer, die Bücher, Wissenschaften und alle Menschen mit Sachverstand verachten und es für eine Tugend halten, sich nur mit den heimischen Belangen auszukennen, ja gerade erst die Werkstätten verlassen zu haben und mit gänzlich ungewaschenen Händen und Füßen das Lehramt zu versehen und den Heiligen Geist zu predigen. Daher richten sie sich durch ihren großen, dem Donnerer verhaßten Hochmut blindlings zugrunde und ziehen mit ihren eitlen und verkehrten Lehren viele Menschen mit sich ins Verderben. Der göttliche Moses hingegen eignete sich erst alles an, was die ägyptischen Lehrmeister wissenschaftlich wohlfundiert lehrten, bevor er sich dem Wort Gottes und der Leitung des Volkes widmete. Daniel hatte gemeinsam mit seinen Gefährten die verbotenen Speisen abgewiesen, doch nicht zugleich die chaldäischen Wissenschaften verachtet. Paulus erhielt seine Ausbildung in Jerusalem von einem großen und gefeierten Lehrer, und er tat sich nicht nur im väterlichen Gesetz und in gottgefälligen Schriften hervor, sondern gleichfalls auch in den Lehrgegenständen und der gottlosen Wissenschaft der Griechen; mit diesem Rüstzeug versehen begab er sich um so beherzter zu den Heiden, die er mit ihren eigenen Waffen schlagen konnte. In Athen zitierte er den Dichter aus Soloi, und gegen die Kreter führte er den Kreter zum Zeugen an, der sich freiwillig in den Kamin des Aetna stürzte, |
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<31> Divinos ut vulgus apud mereretur honores. |
um beim Volk göttliche Ehre zu erwerben. Alles, was es nur auf der ganzen Welt an Herrlichem, Wahrhaftem, Gerechtem und Ehrbarem gibt, gehört den Auserwählten, und sie müssen alles für sich selbst nutzbar machen. Man muß nämlich Ägypten seiner Güter berauben, damit der Schatz des Herrn an Reichtum zunimmt und sogar das Volk die kirchlichen Feiern in abwechslungsreicher Kleiderpracht begeht. Verboten sind nur der Glaube und die Lebensform der Heiden, nicht jedoch irgendeine ihrer weltlichen Wissenschaften oder ihr auf Wahrheit beruhender Wissensfundus. Mit allem Fleiß wollen wir sie ausschließlich zu unserem Nutzen verwenden und durch sie mit Besonnenheit den Ruhm Gottes befördern. Daher lobt der Herr Jesus die Schriftgelehrten und vergleicht sie mit einem sehr wohlhabenden Hausvater, der aus seinem gut bestückten Vorrat Altes und Neues in üppiger Fülle hervorholt. Ja Gelehrten und Glaubenslehrern winkt in ihrem Vaterland größerer Ruhm, wie der selbst hochgelehrte Prophet verkündete, den sogar die grimmigen Löwen verschonten. Bäurisches Wesen und Unwissenheit verdienen kein Lob; bei einem geistlichen Pflanzer sind sie eine große Schande und müssen getadelt werden. Wer spendet Faulenzern Beifall? Wo gilt Trägheit des Geistes nicht als verächtlich? Man lobt die blütenbesuchenden Bienen, weil sie zur Frühlingszeit in mühevoller Arbeit süßen Honig erzeugen. Die Ameisen bauen sich Wohnungen und wälzen eine Last von der Stelle, die größer ist als ihr Körper, und legen sich für den Winter Getreide zurück. Warum sollen sich die Landbauer und Lehrer der Welt nicht die gleiche Emsigkeit angelegen sein lassen? Den auserwählten Dienern wurde zweifellos auf keinen Fall Müßiggang, sondern Betätigung anbefohlen, als der Herr sich in sein Reich entfernte, von wo er bald wiederkehren wird. Daß man aber allenthalben nur weniger Diener gewahr wird, die so geartet sind, wer wüßte das nicht? Dieser Sachverhalt ist, denke ich, niemandem verborgen. |
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<32> Se quaerunt ventremque suum et sua commoda multi; |
Viele richten ihren Sinn auf sich selbst, ihren Bauch und ihr
Wohlergehen; vielen behagt ein Blachfeld der Untätigkeit und der
Muße; doch nur sehr selten denkt jemand an die Ehre des Herrn und
daran, welch großes Maß an Mühe und Arbeit der Acker des Herzens
verlangt. Sonach liegen überall die Felder wüst und sind über und
über mit schädlichem Dorngestrüpp bedeckt, und üppig vermehrt sich
der Lolch. Die verletzlichen Schafe laufen auseinander, sie leiden
unter Krankheiten, werden gedankenlos in giftigem Sumpfgras
geweidet, und niemand läßt sich herbei, diesem Elend abzuhelfen.
Man könnte meinen, Satan, die widerspenstige Welt, die Anführer des
Volkes, die Könige und die geschorenen Pflanzer, die vor allen
anderen Christi Namen ständig im Munde führen und sich als seine
Diener rühmen, hätten sich miteinander verschworen, um zu
verhindern, daß die finsteren Herzen der Menschen sachgerecht und
auf gottgefällige Weise beackert und die Samen des Wortes reinlich
ausgestreut werden und mit Gewinn die Gott erwünschten Ernten
hervorbringen. Was wird aber der Lohn sein, den der Richter aller
am Ende der Zeiten so nichtsnutzigen Dienern, dem ganzen Reich
Satans und der Schar der Bösewichter zahlen wird? Sollen sie ihn
nur immerhin geduldig abwarten und einstreichen: wir, die wir der
Gebote eingedenk sind, werden besseren davontragen. |
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<33> Ferre potest. Turpis cuiusque superbia servi est, |
kann sie nämlich nicht dulden. Eine Schande für jeden Diener ist die Hoffart, die sich über den Herrn setzt und sich die Herrschaft anmaßt und nach großer Macht und glanzvollen Ehren strebt in einer Welt, wo der Herr Christus von blutigem Schweiße troff, wo man sein Antlitz mit Speichel besudelte und ihn mit Faustschlägen rügte, wo er unter Hohngelächter das Kreuz trug und eines bitteren Todes starb. Wer wird nicht Haß empfinden gegenüber dem Wort des Nestorius und seinen eitlen Verheißungen, Haß auch gegenüber dem stolzen Gehabe des Paulus, einstmals Bischof in jenem Antiochia, das durchschnitten wird vom blanken Orontes? Welcher Christenmensch sollte es nicht an einem Landbauer tadeln, wenn er, auf den protzigen Spuren des Jünglings Maximin wandelnd, verlangt, daß man ihm Hände und Füße küßt? Und der – über und über von Juwelen funkelnd und mit Purpur geschmückt – mit üppigem Gepränge von hochgestellten Männern getragen werden will wie der König von Persien oder die Herren, die das Land am Ganges nach barbarischem Brauch verehrt und in den Himmel hebt? Nach derlei mögen Könige trachten: unser Landbauer strebe nach einem schlichten Rang und keinesfalls nach den hehren Gipfelpunkten dieser Welt. Er verstehe sich als Diener nicht nur dem eitlen Namen nach, sondern stelle tatsächlich einen solchen dar, indem er in Demut und Güte Dienstleistungen verrichtet. Und er bekräftige durch Ausdruck und Inhalt seiner Rede, selbst durch seine Kleidung sowie seinen Gang, seine Gestik und schließlich seine Lebensweise, wie das Innere seines Herzens beschaffen ist, was er sich zum alleinigen Ziel seines Landbaus gesetzt hat und wie er mit unverwandtem Blick auf den König Christus und das Heil des Volkes schaut. Es besteht gar kein Anlaß, daß irgend jemand sich aufbläst wegen des Geschlechts seiner Ahnen oder weil er über einen Haufen Silber und Gold oder einen schönen Körperbau und einen Schwarm von Hörigen verfügt – oder auch wegen eines Scheins großer Gelehrsamkeit, wegen käuflich erworbener Titel oder aus irgendeinem sonstigen Grund. (Was ist denn schon all unser Besitz?) |
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<34> Quanticunque sumus, certo sumus ordine creti |
So groß wir auch immer sind: wir sind nach unbezweifelbarer Bestimmung zu dem Zweck entsprossen, daß wir uns gegenseitig dienen und einer für des anderen Wohlfahrt sorgt. Wenn wir dies hintansetzen und in albernem Stolz davor zurückscheuen, werden sich die größten Gaben in gewaltiges Unheil verkehren. Auch wilder Jähzorn steht einem Diener des Herrn nicht an; für ihn schickt sich auch kein häßliches oder – wie bei wilden Tieren – finster dräuendes Angesicht, das alles, was ihm in den Weg kommt, mit vorgestrecktem Horn angreift und feindselig ständig Mord und wüste Kriege androht. Sein Herz verharre in ruhiger Gelassenheit; dabei sei sein Antlitz heiter, und im Knecht Gottes erkenne man ein Abbild Christi, damit nicht die Gemeinde Böses gewärtigend erschreckt auseinanderstiebt, bevor er noch ein Wort spricht und die Kanzel besteigt. Er sei imstande, sehr viel Ungemach aus Worten und Taten zu ertragen, das meiste nicht einmal zu beachten und über vieles gleichmütig hinwegzusehen; sein Geist stehe über den Dingen und lasse sich durch ein leichtes Lüftchen durchaus nicht erschüttern – oder er enthalte sich wenigstens der Sprache des Zorns, grauslichen Zähneknirschens, drohenden Mienenspiels und – am allermeisten – der Fäuste. O, nicht geziemt sich ein so großer Zorn, der etwas anrichtet, was kein Weltkind hinnehmen kann! Wer könnte den oeteischen Herakles ertragen, wer sich für ihn entscheiden? Wen sollte Ajax, der Sohn Telamons, nicht in Schrecken versetzen, wenn er aus Zorn über Odysseus unschuldige Schafe hinschlachtet? Wer sollte nicht die Gemeinschaft mit dem rasenden Eurylochus fliehen, wenn er seinem Sklaven mit Fleisch und Bratspieß bis zur Mitte des Marktes hinterherrennt? Wie kann der grausame Commodus Sympathie wecken, wenn er einen Lehrer wegen einer Kleinigkeit in den brennenden Ofen des Badehauses schickt? Oder wer sollte Kleomedes von Astypalaia nicht verabscheuen, wenn er, von Zorn übermannt, die Tat des Juden Samson – das Umstürzen der Säule – wiederholt? Weit fern seien so große Raserei und allzu heftiger Zorn! |
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<35> Nec verbis etiam, lingua neque mordeat atra |
Auch verletze er seine Gegner weder mit Worten noch einer bösen Zunge, um sich selbst für eigenes Leiden zu rächen und den brennenden Zorn mit stygischem Naß zu kühlen. Keines Menschen Lebenswandel und Interessenrichtung benage er böswillig, und er lerne es, in allen Angelegenheiten seine Zunge im Zaum zu halten. Seine Rede sei nutzbringend und wohltuend zugleich und fasse sich kurz. Geschwätzige Zerfahrenheit und ein banaler Redefluß sind etwas Schimpfliches und Lächerliches und haben Lügen in ihrem Gefolge. Die Zügelung der lockeren Zunge ist Gott und allen Menschen willkommen. |
[4] uellendam (uellendum Errata) [5] sthic (Isthic Errata) [6] dominum [7] Quàm
Letzte Änderung:
15.12.2009