Text and Translation submitted by Lothar Mundt.
Conspectus: Satyra prima / secunda / tertia / quarta / quinta.
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THOMAE NAOGEORGI SATYRARUM
LIBER QUARTUS.
Satyra prima.
Quidam fortis erat devoti è sanguine[56] Chami
Venator, rufus barbam rufusque capillos,
Inflatus buccas maculosaque lumina torvus,
Elatus frontem, os atrum dentesque lupinos
Squalidus, ingentem tumido efflans pectore ventum
Vasto terrebat clamore hominesque ferasque.
Perrarò verbum cuiquam dicebat amicum,
Multa precabatur mala, sermonesque feroces
Iactabat, primos quum compellaret amicos.
Porrò bonum ignotis verbum fecisse dolebat,
Hinc admittebat delictum rarius illud.
Quoslibet at rebus leviter verbisque molestos
Figebat verubus, celsis aut vimine ramis
Suspensos corvis linquebat edacibus escam.
Exuviis quosdam tectos (immanè) ferarum
Saevis ponebat canibusve lupisve vorandos.
Hinc odium vulgo sibi conciliaverat ingens,
Multaque contra illum spargebant murmura vici.
Omnia verùm ille ac omnes spernebat adunco
Suspendens naso, quicquid loquerentur et essent
Et facerent alii magni iuvenesque senesque.
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[...]
DER SATIREN DES THOMAS NAOGEORGUS
VIERTES BUCH
Erste Satire
Es war einmal ein starker Jäger aus dem Geschlechte des frommen Ham. Er hatte einen roten Bart, rote Haare, aufgeblasene Backen, wildblickende gefleckte Augen, eine hohe Stirn, einen finsteren Mund und schaurige Wolfszähne. Der Atem aus seinem schwellenden Brustkorb war ein gewaltiges Windeswehen, und mit seiner ungeheuren Stimmgewalt erschreckte er Menschen und wilde Tiere. Sehr selten sprach er zu jemandem ein freundliches Wort, er stieß viele Verwünschungen aus und führte ungebärdige Reden, wobei er seine besten Freunde beschimpfte. Ferner verdroß es ihn, wenn er einmal Unbekannten ein gutes Wort gegeben hatte – weshalb er diesen Fehltritt ziemlich selten beging. Wer immer aber andererseits ihm selbst in Taten und Worten ein klein wenig unbequem wurde, den durchbohrte er mit dem Spieß oder hängte ihn vermittels eines Korbes an einem hohen Ast auf und überließ ihn den gefräßigen Raben zur Speise. Manche steckte er – ungeheuerlich! – in die Haut wilder Tiere und setzte sie wütenden Hunden oder Wölfen zum Fraß vor. Dadurch hatte er bei jedermann gewaltigen Haß auf sich gezogen, und die Dörfer verbreiteten viel Gemunkel gegen ihn. Er aber verachtete alles und jeden und rümpfte über alles die Nase, was andere Menschen, junge wie alte, redeten, was sie darstellten und was sie hochschätzten.
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<138> Divinae admonitus vindictae iraeque futurae
Magno rumpebat tumidas poppysmate buccas.
Duxerat huc illum permagna licentia vitae.
Nullus adhuc princeps virgis metuendus et ense
Plectebat sontes pacemque et publica poenis
Iura tuebatur. Faciebat quisque, quod ipsi
Rectum apparebat. Motas componere lites
Iurgiaque et crimen moresque inhibere scelestos
Duntaxat verbis tum Noe senesque solebant
Vitabantque hominis tantum consortia pravi.
Vi nihil audebant rigida poenaeque timore.
Invidiae tandem fugiens odiique periclum
Viginti allectis sociis multaque canum vi
Degebat ruri aut silvis aut montibus altis
Setigerasque sues capreasque agitare solebat
Hirsutosque ursos, cervos leporesque fugaces
Eminus aut arcu missis configere telis,
Cominus aut reti implicitis venabula certa
Intorquere manu stratisque ita vivere praedis.
His studiis visis atri moderator Averni
Plaudebat, censensque illum praestare ministrum
Regno posse suo, magnis nec rebus ineptum,
Venatu quondam fessum solumque cubantem
Talibus alloquitur socii sub imagine noti:
„Hoc, Nimrothe, tuum studium moresque superbos
Approbo, et ingenti dignus mihi laude videris,
Qui vulgi ignavas penitus vitaveris artes
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Wenn man ihn auf Gottes Vergeltung und seinen zu erwartenden Zorn hinwies, blies er Luft durch die geblähten Backen. So weit hatte ihn sein zügelloses Leben gebracht! Es gab noch keinen Fürsten, den man fürchten mußte und der Missetäter mit Ruten und dem Schwert bestrafte und den Frieden sowie die Rechte der Allgemeinheit durch Strafen schützte. Jeder tat, was ihm selbst das Rechte schien. Allein mit Worten pflegten damals Noah und die Alten ausgebrochene Streitigkeiten zu schlichten und Zänkereien, Verbrechen und ruchlosen Sitten Einhalt zu gebieten, und sie beschränkten sich darauf, die Gemeinschaft mit einem schlechten Menschen zu meiden. Sie wagten es nicht, irgend etwas mit rauher Gewalt und der Abschreckung durch Strafe durchzusetzen. – Um sich schließlich der Gefahr, die sich aus Anfeindung und Haß ergab, zu entziehen, suchte er sich zwanzig Gefährten und eine große Meute Hunde zusammen und verbrachte sein Leben auf dem Land, in Wäldern oder auf hohen Bergen und pflegte borstentragende Säue und Rehwild zu hetzen und struppige Bären und flüchtige Hirsche und Hasen entweder aus der Entfernung mit Pfeil und Bogen zu erlegen oder aus nächster Nähe mit sicherer Hand Jagdspieße auf sie zu schleudern, wenn sie sich im Netz verfangen hatten – und mit der so zur Strecke gebrachten Beute fristete er gewöhnlich sein Leben.
Als der Herr der finsteren Hölle diese Neigungen bemerkt hatte, zollte er ihnen Beifall, in der Meinung, daß er seiner Herrschaft dienlich sein könne und sich auch für große Vorhaben eigne. Als jener einmal von der Jagd ermattet war und allein schlief, sprach er zu ihm in der Gestalt eines ihm bekannten Gefährten die folgenden Worte:
„Nimrod, dieses dein Streben und deine stolze Lebensart haben meine volle Zustimmung, und mir scheint, daß du gewaltigen Lobes würdig bist, da du der bequemen Lebensweise der breiten Masse,
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<139> Convictumque gravem morsusque molestaque iura
Inque his more tuo decreris vivere silvis,
Tempus venando fallens et caede ferarum.
Quin constet tibi certa huius, non ambigo, vitae
Et causa et ratio. Quis enim popularia prudens
Non detestetur? quis munera publica liber,
Quisve pari stolido cum vulgo degere iure
Delirique senis praescripta audire diurna
Sustineat? Planè felicia tempora quondam,
Quae fortes rerum summae imposuere Gigantas,
Claros ingenio qui dignabantur honore
Allectisque sibi credebant commoda plebis.
Tempore felici si te illo fata tulissent,
Non silvas montesque, scio, nec rura teneres,
Alta purpureus sed versareris in aula,
Multis praelatus senibus populique magistris.
Ingenium, nemo nunc est, qui laudibus acre
Evehat antiquosque velit cognoscere mores,
Solvere virtuti nedum qui praemia curet.
Sic multos vulgi cernas in fece latentes
Magnanimos fortesque viros, quib<us>[57] haud minus aegrè est
Quàm tibi neglectos se contemptosque videri.
Quippe senes facerent quid curarentque supini,
Qui regimen passim rapientes iuraque plebis
Se solos sapere et posse et scire omnia censent?
Et iuvenum contrà virtutem odere premuntque,
Ne magnas ad res unquam consurgere possint?
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ihrem schwer erträglichen Umgang, ihren Sticheleien und lästigen Gesetzen gänzlich aus dem Wege gegangen bist und dich für ein deiner Natur entsprechendes Leben in diesen Wäldern entschieden hast und die Zeit mit der Jagd und dem Erlegen wilder Tiere vertreibst. Ich zweifle nicht, daß du einen triftigen Anlaß und Beweggrund für diese Lebensweise hast. Welcher gescheite Mann wird denn nicht das Vulgäre verabscheuen? Welcher freie Mann könnte es ertragen, ein öffentliches Amt auszuüben oder mit dem tölpelhaften Volk unter einem Gesetz zusammenzuleben und Tag für Tag die Vorschriften eines schwachsinnigen Greises anzuhören? Das war einst ein entschieden glückliches Zeitalter, das in die Oberleitung über alle Angelegenheiten die starken Giganten einsetzte, Männer von glänzenden Fähigkeiten, denen man Ehre erwies und die das Wohl des Volkes in die Hände von Personen ihres Vertrauens legten! Ich weiß es: wenn das Geschick dich in jener glücklichen Zeit hätte geboren werden lassen, würdest du nicht über Wälder und Berge, nicht über Felder herrschen, sondern im Purpurgewand in einem hohen Palast weilen, ausgezeichnet vor vielen Alten und Anführern des Volkes. Heutzutage gibt es niemanden, der das Talent mit Lobreden energisch herausstreicht und von den Sitten der alten Zeit etwas wissen will, geschweige denn sich darum bemüht, dem Verdienst seinen Lohn zu zollen. So kannst du feststellen, daß viele hochherzige und tüchtige Männer in der Hefe des Volkes im verborgenen leben, die es nicht weniger als dich verdrießt, sich unbeachtet und geringgeschätzt zu sehen. Was für Taten und Verrichtungen wären denn schon von den müßigen Alten zu erwarten gewesen, die überall das Regiment und die Herrschaft über das Volk an sich reißen und meinen, sie allein verstünden, könnten und wüßten alles, dagegen aber die Tüchtigkeit der jungen Leute hassen und unterdrücken, damit sie niemals zu großen Aufgaben aufzusteigen vermögen?
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<140> Nec regimen contenti ad se rapuisse, graves iam
Praescribunt leges et verba minantia figunt
Et verbis audent quosvis damnare molestis,
Ignavos fortesque inter discrimine nullo.
Non sanè mirum, haec dudum quòd acerba perosus
Venatu gaudes agitasque in montibus aevum.
Tene senex naso stillanti cogat ad aequa?
Verbisque obiurget saevis monituque reformet?
An tibi vivendi stultae sint regula leges?
Servi iura ferant, nihil et quîs nobile cordi est:
Non tu, regali prorsus diademate dignus!
Paulo pòst alios etiam secedere cernes,
Non leges, non verba senum regimenque ferentes.
Praesentem ipsa statum quoque plebs fastidit et odit
Seque nimis queritur pressam et parêre recusat
Decrepitis senibus verbisque minacibus ultrà.
Praestantem quaerunt aliquem virtute animisque,
Cui subsint, omnes inter qui iudicet aequè
Et iuvet oppressos noritque abscindere lites.
Primo quoque, scio, talem sunt tempore regem
Electuri, adeò cunctis praesentia sordent.
Dispice, quid facias igitur tu quidque sequaris.
Imperio certè non est te dignior alter.
Omnes idque tibi, senibus cunctisque repulsis,
Mandassent olim, nisi rus venator amares
Secessumque adeò et silvas montesque supinos
Virtutesque tuae multos animique laterent.
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Und nicht zufrieden damit, daß sie das Regiment an sich gerissen haben, schreiben sie auch noch drückende Gesetze vor, machen öffentlich Anschläge in drohender Sprache und erdreisten sich, über jeden Beliebigen mit pedantischen Ausdrücken den Stab zu brechen, ohne zwischen Faulpelzen und Tüchtigen zu unterscheiden. Da dir diese betrüblichen Umstände schon längst verhaßt sind, ist es in der Tat kein Wunder, daß du dich an der Jagd erfreust und dein Leben in den Bergen verbringst. Soll dich denn ein triefnasiger Greis auf das allgemeine Niveau zwingen? Soll er dich mit wütenden Worten schelten und mit seiner Ermahnung ummodeln? Oder sollen dir alberne Gesetze vorschreiben, wie du zu leben hast? Sklaven und Menschen ohne edle Charakterzüge mögen Gesetzen unterliegen, aber doch nicht du, der du geradezu des königlichen Diadems würdig bist! Binnen kurzem wirst du gewahr werden, daß auch andere sich fortbegeben, weil sie die Gesetze, die Reden und das Regiment der Alten nicht ertragen. Auch dem Volk ist der gegenwärtige Zustand widerwärtig und verhaßt; es beklagt sich über zu starken Druck und weigert sich, den abgelebten Alten und ihren drohenden Reden weiterhin zu gehorchen. Sie suchen nach irgendeinem Mann von herausragender Tüchtigkeit und Tatkraft, dem sie sich unterordnen können, der für sie alle als gerechter Richter fungiert und den Unterdrückten zu Hilfe kommt und Streitigkeiten beizulegen versteht. Ich weiß auch, daß sie sich mit der Absicht tragen, sich sobald wie möglich einen solchen König zu erwählen: so sehr widern die bestehenden Verhältnisse sie an! Sieh also zu, was du deinerseits tust und welches Ziel du verfolgst! Gewiß gibt es keinen zweiten, der der Herrschaft würdiger wäre als du. Alle hätten sie dir – nach Vertreibung der Alten – schon längst anvertraut, wenn du als Jäger nicht so sehr das Land, die Abgeschiedenheit, die Wälder und die schräg hingestreckten Berge liebtest und vielen nicht deine Tüchtigkeit und Tatkraft verborgen wären.
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<141> Consilium in promptu, si vis parêre monenti.
Quàm primùm populi te nunc conspectibus offer
Praetextuque bono rerum complectere curas.
Si tibi detulerint regnum ultrò teque vocarint,
Rectè. Sin verò minus, huc me principe tendas
Calle alio. Praeferri alium, non esse ferendum
Censeo. Nec, rectè si te novi, ipse tyrannum
Ferre voles potius quàm cunctorum esse tyrannus.
Dulce est imperium, contrà servire molestum.
Est ex venatu tibi plurimus usus in armis,
Est virtus animusque et mores principe digni.
Non multis tibi, quàm regnare sit utile, dicam,
Quandoquidem regnum complectitur omnia mundi
Commoda. Tu rerum cunctarum eris unicus haeres
Et dominus. Nutu facies, quaecunque placebunt,
In manibusque tuis vitaeque necisque potestas
Stabit, et ad libitum divina humanaque vortes.
Interea quoque si venandi tanta cupido,
In silvis campisque feras venabere solus.
Utilitas quae sit regni, ex his collige paucis.
Hanc specta! Nullus tibi sit respectus honesti.
Quare age, tolle moras omnis! Mora parvula saepe
Obfuit immensum vitae rebusque cupitis.“
„Haec eadem“, Nimrodus ait, „mecum ipse voluto,
Ac regnaturio pridem noctesque diesque.
Sed formido senes atque intractabile vulgus.
Nam mores odere meos studiumque reprendunt.
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Wenn du auf meinen Vorschlag eingehen willst, steht mein Rat dir zu Gebote. Zeige dich jetzt möglichst bald vor dem Volk, und nimm unter einem geeigneten Vorwand die Leitung des Staates in die Hand! Wenn sie dir die Herrschaft freiwillig übertragen und dich berufen haben sollten – gut. Wenn jedoch nicht, dann verfolge dieses Ziel unter meiner Anleitung auf einem anderen Pfad! Ich meine, es ist nicht zu dulden, daß ein anderer vorgezogen wird. Und wenn ich dich recht kenne, willst du lieber Herrscher über jedermann sein, als selbst einem Herrscher zu unterstehen. Herrschen ist süß, dienen hingegen verdrießlich! Von der Jagd her hast du sehr viel Übung im Umgang mit Waffen. Du bist tüchtig, tatkräftig, und deine Lebensweise ist eines Fürsten würdig. Welche Vorzüge das Herrschen hat, kann ich in aller Kürze sagen, denn die Herrschaft schließt alle Annehmlichkeiten der Welt in sich ein. Du allein wirst alles zu eigen haben und über alles der Herr sein. Mit einem Wink wirst du veranlassen, was immer dir gefällt; in deinen Händen wird die Gewalt über Leben und Tod liegen, und alles, was Gott und die Welt betrifft, wirst du nach deinem Belieben steuern. Wenn deine Jagdlust auch dann noch so groß ist, wirst du allein in Wald und Feld wilde Tiere jagen. Führe dir nach diesen wenigen Andeutungen vor Augen, welche Vorteile die Herrschaft mit sich bringt! Auf sie richte deinen Sinn! Die Moral laß völlig außer acht! Auf drum! Keine Zeit verloren! Oft schon hat eine kleine Verzögerung dem Lebensglück und dem Gegenstand des Begehrens ungemein geschadet.“
Nimrod sagte: „Ebendies überlege ich schon selbst hin und her, und seit langem verlangt es mich Tag und Nacht nach Herrschaft. Doch mir graust vor den Alten und der ungefügen Masse. Sie hassen ja meine Lebensweise und tadeln meine Interessen.
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<142> Ne, si regna petam, commotis forsitan illis,
Pro regno lapides extremaque fata reportem.
Quin cuivis alii potius sunt regna daturi
Quàm nobis, propter culpam meritumque parentum,
Servitio quos Noe pater devovit iniquo.“
Hic Satanas: „Quoniam geris hunc animum, ut gerere hercle,
Si modò recta sapis quaerisque tibi optima, debes,
Nec via dicta placet, restat mihi gratior illa.
Ad socios, qui sunt, alios adscisce trecentos.
Sunt multi resides, qui durum odere laborem
Alteriusque graves malint effringere cistas
Quàm fodere et callum palmis inducere stiva.
Sunt etiam, patria vetuit quos vivere terra
Crimen rectorumque metu arva aliena pererrant.
Sunt decoctores et paupertate gravati,
Sunt etiam, quos aes alienum denique torquet.
Non magni fuerit tales legisse negoci.
Aequam praedarum cunctis promittito partem,
Divitias et opes, ut te et tua signa sequantur.
Pòst cum iuratis tacitè armatisque maniplis
Irrue in insignes vicos tectisque voraces
Iniice stramineis ignes, cape, caede, trucida,
Tentarint rabidas quicunque evadere flammas.
Omnibus extinctis in praedam caetera verte.
Vix abs te vicus vastabitur unus et alter,
Nimrothi nomen iam formidabile cunctis
Feceris, atque tremens veniet vicinia, pacem
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Ich fürchte sehr, daß ich, wenn ich nach der Macht greife und jene dann vielleicht in Harnisch geraten sind, anstelle der Herrschaft eher Steine und den Tod davontrage. Ja sie werden lieber jedem anderen als mir die Herrschaft übertragen – wegen der Schuld und Verfehlung meiner Vorväter, die unser Stammvater Noah zu maßloser Knechtschaft verflucht hat.“ – Hierauf versetzte Satan: „Da du nun einmal so urteilst, wie du urteilen mußt, beim Herkules, wenn du wirklich die Dinge richtig siehst und das für dich Beste zu erringen suchst, und da dir der beschriebene Weg nicht zusagt, so bleibt mir doch noch einer, der angenehmer ist als jener. Nimm zu den Gefährten, die du schon hast, dreihundert weitere auf! Es gibt viele Leute ohne Beschäftigung, denen harte Arbeit verhaßt ist und die lieber die schweren Kisten und Kasten eines anderen aufbrechen wollen als umzugraben und sich mit dem Pflugsterz Schwielen an die Hände zu arbeiten. Es gibt auch solche, die ein Verbrechen daran hindert, in ihrem Vaterland zu leben, und die aus Furcht vor den Staatslenkern durch fremde Gefilde schweifen. Da sind Bankrotteure und Leute, auf denen schwere Armut lastet, schließlich auch solche, denen fremdes Geld keine Ruhe läßt. Es wird keine große Affäre sein, solche Leute aufzulesen. Versprich allen den gleichen Anteil an der Beute, versprich ihnen Reichtum und Wohlstand, damit sie dir und deinem Banner folgen. Hernach dringe mit den in aller Stille vereidigten und mit Waffen versorgten Haufen in auserlesene Dörfer, lege verzehrendes Feuer an die Strohdächer und ergreife, töte, massakriere alle, die versuchen werden, den wütenden Flammen zu entkommen! Wenn alle umgebracht sind, dann mache alles, was übrig ist, zu deiner Beute! Gerade ein oder zwei Dörfer wirst du verwüsten – und schon wirst du erreicht haben, daß es allen beim Namen Nimrod graust, und die Nachbarn werden zitternd herbeikommen, um Frieden
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<143> Atque salutem orans supplexque tibi omnia dedens.
Inde sub imposito iubeas servire tributo
In tua iuratos verba. Hinc mox viribus auctus
Protuleris, quantum libeat, pomoeria regni.
Omnia erunt (confide) tuo proclivia nutu.
Aude, suppetias tibi nos ad cuncta feremus.
Rebus compositis nostri quoque ritè memento.“
Ille refert: „Si res ad votum cesserit omnis,
Ut memoras speroque, tibi en me consecro totum.“
„Pulchrè. Si nil respicias hominesque Deumque,
Caetera perfacilè nobis tua facta placebunt.“
His ita conclusis tenues discessit in auras
Infernus princeps, aptum invenisse ministrum
Gavisus, regni posset qui rebus adesse.
Inde statim accitis sociis Nimrothus in unum
Omnia spe plenus recitat. Promittit honores,
Ocia, divitias et plurima commoda cuique,
Navarent operam si impigrè remque iuvarent.
Auribus arrectis haec illi animoque lubenti
Accipiunt, spondentque suis pro viribus omnes
Auxilio in cunctis se praesidioque futuros.
Eligit inde decem vicosque emittit in omnes,
Ut triginta alios per pacta silentia quisque
Pollicitis magnis eadem ad sectanda pararet.
Nec mora perpaucis totidem adduxere diebus
Pannosos, turpes, inopes, ignobile prorsus
Concilium, terrae solum quos pondera dicas.
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und Schonung bitten und dir alles demütig ausliefern. Daraufhin vereidige sie auf dich und befiehl ihnen, dir bei auferlegter Tributpflicht dienstbar zu sein. Dadurch wird deine Macht sich alsbald vergrößern, und du kannst die Grenzen deiner Herrschaft vorrücken, so weit es dir beliebt. Verlaß dich drauf: alles wird sich deinem Wink bereitwillig fügen. Nur Mut! Wir werden dir in allem Beistand leisten. Denke du auch gebührend an uns, wenn du deine Schäfchen im Trockenen hast!“
Jener sagte: „Wenn die Sache ganz nach Wunsch verlaufen sollte, wie du sagst und ich es hoffe, nun wohl, so gebe ich mich dir völlig anheim.“
„Schön! Wenn du dich um Gott und die Menschen in keiner Beziehung scherst, dann werden uns deine sonstigen Unternehmungen selbstverständlich gefallen.“
Als der Höllenfürst seine Rede dergestalt beendet hatte, entschwand er in die klaren Lüfte, erfreut, daß er einen brauchbaren Helfer gefunden hatte, der imstande war, ihm in den Angelegenheiten seiner Herrschaft beizustehen.
Unmittelbar darauf rief Nimrod seine Gefährten an einen Ort zusammen und trug ihnen – von Hoffnung erfüllt – alles vor. Er versprach jedem Ruhm, Muße, Reichtum und sehr viele Vorteile, wenn sie unverdrossen mitwirken und seine Sache unterstützen würden.
Jene hörten sich dies mit gespitzten Ohren und willfährigen Herzen an, und alle gelobten, sie würden, soweit es in ihren Kräften stehe, in jeder Hinsicht zu Hilfe und Unterstützung bereit sein.
Darauf wählte er zehn aus und sandte sie in alle Dörfer. Jeder von ihnen sollte mit dreißig anderen aufgrund großer Versprechungen heimliche Abmachungen treffen und sie so für das besagte Unternehmen gewinnen. Ohne zu säumen, brachten sie innerhalb sehr weniger Tage ebenso viele herbei: zerlumpte, abstoßende, ärmliche Gestalten, eine durch und durch ordinäre Versammlung, die man nur als Belastung für die Erde bezeichnen könnte.
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<144> Illos Nimrothus, quo pacto quidque gerendum,
Edocet instructosque satis promptosque latrones
Bis denis tradit sociis ducibusque regendos.
Mersus erat circa Tartessia littora Phoebus,
Totaque sideribus lucebat regia coeli,
Emersa Oceano nigris surgebat ab Indis
Paulum orbe à pleno rediens ad cornua Phoebe,
Corpora iamque hominum pecudumque oppresserat altè
Prima quies. Silvae Nimrothus tum ecce latebras
Egreditur, magnum spirans, sociique sequuntur
Stramineis ignem tectis atque arma ferentes.
Protinus invadunt vicum cinguntque corona
Terribili ardentesque faces ad culmina iactant
Demissisque adhibent trabibus parvisque tigillis.
Ilicet ingentes rapiunt magalia flammas
Arida, fortuitoque[58] oriens incendia ventus
Nutrit curriculoque aedes dispergit in omnes,
Atro circumquaque involvens omnia fumo.
Ignibus hinc coelum latè montesque relucent.
Mox fragor insequitur tectorum horrendus et alti
Casibus afflictorum hominum pecudumque boatus.
Vis flammae multos stratis oppressit in ipsis,
Matres grandaevosque senes et pignora chara.
Ast alios subitae trabium afflixere ruinae.
Altis excussi somno exsiliere fenestris
Multi, vitantesque ignem casusque sonantes
Incertique fugae (quippe undique fumus et ignes
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Diese unterrichtete Nimrod über das Wie und Was des Unternehmens und unterstellte die willfährigen Banditen, nachdem sie ausreichend instruiert waren, dem Oberbefehl von zwanzig Gefährten.
Die Sonne war im westlichen Meer versunken, der ganze Himmelspalast erstrahlte von Sternen, bei den schwarzen Äthiopiern stieg aus dem Ozean der Mond herauf, von der vollen Rundung sich ein wenig der Sichelform nähernd, und die Leiber von Mensch und Vieh hatte schon der erste Schlummer überwältigt: siehe, da kam Nimrod, von großem Plane beseelt, aus seinem Waldversteck hervor. Seine Gefährten folgten ihm, Feuer für die Strohdächer und Waffen bei sich tragend. Ohne Aufenthalt drangen sie in das Dorf ein, umgaben es mit einer schrecklichen Belagerungslinie und warfen brennende Fackeln auf die Dächer und hielten sie an die überhängenden Balken und kleinen Latten. Die trockenen Hütten fielen sogleich gewaltigen Flammen zum Opfer, und ein zufällig aufkommender Wind nährte die Feuersbrunst und verbreitete sie auf seinem Lauf über alle Häuser, alles ringsumher in schwarzen Rauch einhüllend. Daher leuchteten der Himmel und die Berge weithin im Widerschein des Flammenmeeres. Alsbald stürzten die Dächer mit schrecklichem Krachen zusammen, und lautes Schreien der durch den Einsturz verletzten Menschen und Tiere war zu vernehmen. Viele übermannte die Gewalt des Feuers in den Trümmern der Häuser: Mütter, hochbetagte Greise und die geliebten Kinder. Andere hingegen erlitten durch die plötzlich herabstürzenden Balken schwere Verletzungen. Viele sprangen, aus dem Schlaf emporgeschreckt, aus den hochgelegenen Fenstern und entgingen dem Feuer und den krachenden Einstürzen; und da sie, auf allen Seiten natürlich von Rauch und Feuer
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<145> Tardabant) mediis animam efflavere viarum
Flexibus. Adiuti cursu quicunque secundo
Maxima flagrantis fugere pericula vici,
In truculentorum gladios venere latronum,
Qui foris effugium servabant omne maniplis.
Pars ergo confossa perit, pars vincta catenis
Ad grave servitium trahitur durosque labores.
Vix duo per medios ignes miserasque ruinas
Nimrothi[59] evasere manus saevamque cohortem.
Tandem extincto igni calidas rimarier orsi
Relliquias, praedam rapuit sibi quisque repertam,
Et cum captivis sua sunt in castra reversi.
Postquam autem tenebris venit lux alma remotis,
Continuò vicos alios rumoribus implet
Fama malis, hominum tot stragem, incendia dira
Vastatumque canens vicum praedasque latrones
Egisse ingentes, dirum et miserabile factum.
Nec caput obticuit tantorum vera malorum,
Sed venatorem Nimrothum voce canebat
Plena: crudelem, saevum immanemque tyrannum.
Falsa quoque addebat multa et peiora patratis.
Talibus auditis mirè omnis inhorruit aetas.
Consternati animis pueri matresque senesque,
Quisque sibi horrendos casus fingebat et ignes
Nocturnos caedemque hostilem nocte dieque
Instare. Excelsus passim ferit aethera clamor
Plorantis turbae supremaque fata timentis.
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aufgehalten, nicht wußten, wohin sie fliehen sollten, hauchten sie mitten auf den Wegbiegungen ihre Seele aus. Alle diejenigen, die dank der Tatsache, daß sie einen günstigen Weg eingeschlagen hatten, den furchtbaren Gefahren in dem brennenden Dorf entronnen waren, liefen den wüsten Raubgesellen in die Schwerter, die außerhalb des Ortes in einzelnen Haufen jeden Fluchtweg bewachten. Also wurden sie teils erstochen, teils an Ketten gefesselt zu schwerer Knechtschaft und harter Arbeit verschleppt. Kaum zwei entrannen mitten durch die Feuersbrunst und die bejammernswerten Trümmer der Gewalt Nimrods und seiner grausamen Gefolgschaft. Als das Feuer endlich erloschen war, gingen sie daran, die heißen Trümmer zu durchwühlen; jeder griff sich hastig die Beute, die er gefunden hatte, und mit den Gefangenen kehrten sie zurück in ihr Lager.
Als aber die Dunkelheit gewichen und der segenspendende Tag herangekommen war, erfüllte Fama sogleich die anderen Dörfer mit bösen Gerüchten. Sie kündete von der Ermordung so vieler Menschen, von der grauenvollen Feuersbrunst, von der Verwüstung des Dorfes und der riesigen Beute, die die Räuber fortgeschafft hätten: von dem ganzen grauenhaften und jammervollen Geschehen. Aufrichtig verschwieg sie auch nicht den Anstifter so großer Übel, sondern kündete lautstark vom Jäger Nimrod: als einem grausamen, wütigen und entsetzlichen Tyrannen. Sie fügte auch vieles hinzu, was nicht der Wahrheit entsprach und noch schlimmer war als die Untaten, die tatsächlich begangen worden waren.
Jede Altersklasse erfaßte ungeheures Grausen, als sie solches gehört hatte. Kinder, Mütter und Greise waren in größter Erregung; jeder stellte sich vor, daß die schaurigen Ereignisse, die nächtliche Feuersbrunst und das Gemetzel des Feindes Tag und Nacht zu erwarten seien. Überall drang das in die Höhe gerichtete Schreien der wehklagenden und von Todesangst erfüllten Menge zum Himmel empor.
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<146> Quid facerent? Nihil à mundo crudele renato
Hactenus audierat quisquam nec viderat. Alta
Sub senibus fuerant securi pace; latronum
Nulla manus somnum turbaverat atque labores.
Haud dum munitas habitabant moenibus urbes,
Praecipites nec erant fossae nec densior agger
Nec celsae turres nec propugnacula structa,
Quîs possent subitas inimici avertere clades.
Nec satis armorum nec erat cuiquam usus in armis.
Apparet miserum rebus cessisse relictis,
Pro cultisque alibi desertas quaerere terras.
Haec tandem potior cunctis sententia sedit,
Cedere temporibus pacemque emere atque salutem
Servitio. Summis ergo orandique peritis
Subiiciunt missis crudo sua seque tyranno.
Dat pacem ille lubens certumque diemque locumque
Constitutit, proceres quo vicorumque magistri
Pro reliquis subeant iuga sacramentaque dicant.
His ita subiectis properè censuque quotannis
Indicto è cunctis iuvenes ad munera belli
Militiamque legit pugnandique edocet artes.
Inde manu valida casus subnixus ad omnes
Finitimos crebris alios incursibus angit,
Despoliat, raptat, caedit vinclisque fatigat,
Supplicibus parcit solis dantique tributum.
Sic longè lateque metu ac hostilibus armis
Omnia subiiciens coepit regnare potenter
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Was hätten sie tun sollen? Seitdem die Welt wiedererstanden war, hatte niemand etwas Grausames gehört und gesehen. Unter den Alten lebten sie gesichert in tiefem Frieden. Keine Räuberbande hatte den Schlaf und die Arbeit gestört. Man wohnte damals noch nicht in mit Mauern befestigten Städten, es gab auch keine steil abfallenden Gräben, keinen kompakten Wall, keine hohen Türme und keine gehörig gerüsteten Bollwerke, mit denen man den unvermuteten Überfall eines Feindes hätte abwehren können. Weder gab es ausreichend Waffen, noch war irgend jemand geübt in ihrer Handhabung. Es schien ein Jammer, unter Zurücklassung der ganzen Habe zu weichen und anstelle der wohlbebauten Ländereien anderswo verödetes Land aufzusuchen. Endlich gewann bei allen folgende Meinung die Oberhand: beizeiten nachzugeben und mit der Knechtschaft Frieden und Überleben zu erkaufen. Sie sandten also höchste Würdenträger aus, die als Bittsteller besonders geschickt waren, und unterwarfen ihr Eigentum und sich selbst dem rohen Tyrannen. Der gewährte ihnen den Frieden mit Vergnügen und setzte einen bestimmten Tag und Ort fest, an dem die Vornehmsten und die Anführer der Dörfer im Namen der übrigen sich dem Joch unterwerfen und den Treueid schwören sollten.
Nachdem er diese solchermaßen unverzüglich unterworfen und ihnen eine alljährliche Schatzung auferlegt hatte, hob er überall die jungen Männer für Kriegshandwerk und Kriegsdienst aus und schulte sie in den Techniken des Kampfes. Von da an versetzte er – für alle Fälle gestützt auf eine starke Streitmacht – durch häufige Überfälle andere Grenznachbarn in Angst, beraubte, verschleppte und tötete sie und zermürbte sie durch Gefangenschaft. Nur diejenigen, die sich unterwarfen und Tribut zahlten, verschonte er. Indem er sich auf diese Weise durch Einschüchterung und feindseligen Waffeneinsatz alles weit und breit untertänig machte, begann er machtvoll zu herrschen
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<147> Et veterum scelerata imitari facta Gigantum,
Quò Stygio sese regi addictum esse probaret,
Illius et dextrè curare negotia regni.
Satyra secunda.
Nunc mihi, Dorpedion, bellè longumque valebis,
Urbs rigida haud tantum boreali frigore, quantum
Morib<us>[60] atque animis incultis barbara, qualem
Multivagus nunquam (reor) olim accessit Ulysses.
Quid primùm de te querar? an quòd dogmata pravè
Sana reliquisti, pariter ritusque fidemque
Consona dogmatibus, detestandumque Papismum
Purgatae invexisti urbi temploque decoro?
Tu Christum ardenter quondam verumque colebas,
Noticiaque Dei, quae tempestate suprema
Coelitùs illuxit mundo pepulitque tenebras,
Pectore gaudebas toto, vitaque fideque,
Moribus et dignis contestabare receptam,
Ut nemo ingratam posset te dicere Verbo.
Quid factum quaeso? Genius quis pessimus ursit,
Quòd te noticiae Christi verique recepti
Nunc adeò piget et tenebras amplecteris ultro,
Quas fugisti olim manibus pedibusque perosa?
Ecce strepunt fabri, pictores omneque circùm
Artificum genus! Incumbis properasque iubesque,
Ceu Babylon foret aedificanda et turris ad astra,
Quod tumidos aiunt quondam studuisse Gigantas,
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und die Freveltaten der Giganten der Vorzeit nachzuahmen, um so darzutun, daß er dem Fürsten der Hölle zu eigen war und dessen Regierungsgeschäfte geschickt besorgte.
Zweite Satire
Für lange Zeit sage ich dir nun Lebewohl, Dorpedion, du Stadt, deren nördliche Eisesstarre durchaus übertroffen wird von der Barbarei ihrer Gesittung und ihres unkultivierten Geistes. Was dies anbetrifft, so dünkt mich, daß der vielgereiste Odysseus niemals in eine solche Stadt gelangt ist. Was an dir soll ich zuerst beklagen? Daß du die unverdorbene Lehre ebenso wie den mit dieser Lehre übereinstimmenden Religionsbrauch und Glauben übel im Stich gelassen und das fluchwürdige Papsttum in die gereinigte Stadt und die prächtige Kirche eingeschleust hast? Einstmals verehrtest du mit Feuer Christus und die Wahrheit, und das Wissen von Gott, das in jüngster Zeit vom Himmel her erstrahlte und die Finsternis vertrieb, erfreute dich von ganzem Herzen; du nahmst es auf und riefst es mit deinem Leben, deinem Glauben und würdigen Sitten zum Zeugen an, so daß niemand hätte sagen können, daß du dem Wort gegenüber nicht dankbar gewesen seist. Was um Himmels willen ist geschehen? Welcher abgrundtief böse Geist hat dich dazu getrieben, daß dich das Wissen von Christus und der Wahrheit, die du in dich aufgenommen hattest, jetzt so sehr verdrießt und du aus freien Stücken die Finsternis willkommen heißt, die du einst voller Abscheu mit Händen und Füßen abgewehrt hast? Da sieh: ringsumher lärmen Handwerker, Maler und Künstler jeder Sorte. Du drängst vorwärts, gehst mit Eile vor und gibst Befehle aus, als gelte es, Babylon und den zum Himmel reichenden Turm zu bauen (man sagt, daß die aufgeblasenen Giganten dies einstmals betrieben hätten):
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<148> Damnatas iterum ad Missas altaria surgunt,
Peplisque ornantur solitis sculptisque sigillis,
Undique portantur tabulae simulacraque muta
Parietibusque arisque et celsis ritè columnis
Magno figuntur studio. Candelabra longa crucesque
Et cum thuribulis volitantia vela parantur.
Clauditur antiquo sacratus carcere panis,
Pensilis ante eius suspenditur ostia lychnus.
Adiuratae etiam cum aspergillo amula limphae
Sistitur in medium, fatui instrumenta Papismi.
Sal quoque lingendus contra delicta malique
Daemonis incursum prostat morbosque latentes.
Linea concinnis reparantur pallia rugis,
Quîs stultè in sacra se contegat aede minister.
Quin et sacrifici reliqua ornamenta peruncti,
Ludicra quaeque alia in sacra tenet aede Papatus,
Approperantur, et aedituus conducitur aptus
Sacris hisce novis figulus milesque prophanus.
Ligneus (id restat solum) hinc fingatur asellus,
Omnium et ante oculos fulcris statuatur in altis.
Turgidus indigna super haec mercede Papista
Praeficitur, mera qui doceat mendacia plebem,
Ritibus insanis et sacramenta profanet
Atque simul Christi verbum et pietatis alumnos
Iugiter incessat, rodat, proscindat et Horco
Dedat ut haereticos et coetus membra reiecti.
Has tibi delicias miseras cultumque nephandum
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Aufs neue entstehen Altäre zu verdammenswerten Messen, werden mit den üblichen Prachtgewändern und geschnitzten Bildchen verziert, von allen Seiten werden Gemälde und stumme Götzenbilder herbeigebracht und an den Wänden, Altären und hohen Säulen mit großem Eifer gehörig befestigt. Lange Kerzenleuchter und Kreuze werden angeschafft und nebst Weihrauchfässern auch flatternde Vorhänge. Das geweihte Brot wird in den alten Kerker eingeschlossen und vor seiner Tür eine Hängelampe aufgehängt. In der Mitte wird auch der Weihwasserkessel mit dem Weihwedel – Rüstzeug des albernen Papsttums – aufgestellt. Auch Lecksalz gegen Übeltaten, den Angriff eines bösen Geistes und verborgene Krankheiten steht zum Verkauf. Die kunstreich gefältelten leinenen Gewänder, in die sich der Diener im Gotteshaus kindisch einhüllen soll, werden wieder beschafft. Ja auch mit den sonstigen Ausrüstungsstücken eines gesalbten Priesters und all dem anderen Spielkram, den das Papsttum in der Kirche beherbergt, beeilt man sich sehr, und als geeigneter Küster für dieses neue Heiligtum wird ein Töpfer und gottloser Soldat gedungen. Zu guter Letzt wird ein hölzerner Esel gedrechselt und vor aller Welt auf hohen Pfosten aufgestellt! Obendrauf setzt man einen von Profit strotzenden Papisten, der das Volk bare Lügen lehrt, mit unsinnigen Gebräuchen die Sakramente entweiht und zugleich Christi Wort und die Jünger der Frömmigkeit fortwährend schmäht, bekrittelt, verlästert und sie als Ketzer und Angehörige einer verworfenen Gemeinde der Hölle überantwortet. Diese armseligen Herrlichkeiten, diesen ruchlosen Gottesdienst
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<149> Auditos post tot doctores sponte parasti.
Caetera quid memorem? Doctrinam cuncta sequuntur.
Improba vita subit passim, moresque resurgunt
Vix Turca digni. Viciis laxantur habenae,
Multaque pervertis civilia, pacta refringis
Atque tuo solum lucro metiris honestum,
Plurimus inque foro torvus spaciatur adulter,
Scortanturque iterum scelerati impunè Papistae.
Utque habeas pacem, verbum nec amarius ullum
Aures accipiant tenerae, convicia perfers
Divinis sacris et Christo dicier ipsi.
Doctrinae ô exempla novae fructusque suaves!
Hisce paras nomen coram venerabile mundo.
Quem praetextum adfers, quòd sic iam talia cures?
Compulsam dicis: novi. Compellitur ergo
Vir quisquam constans credensque et amator honesti,
Ut scelus admittat verbis factisque nefandum?
Abneget ut Christum Regem verbumque salutis?
Non hoc divini concedunt verba magistri.
Talia non tradunt duodeni exempla senatus.
Non sic Christigenûm veteres fecere catervae.
Non vicos mihi, non ullas ostenderis urbes,
Quas ulla arte ferox à Christo averterit hostis,
Non ad gentiles solum cultusque deosque,
Verùm et ad haereticas sectas et dogmata prava.
Quae non catholici quondam praedura tulerunt
Vandalicis binis sub regibus, ut ne in Areii
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hast du dir freiwillig bereitet, nachdem du so viele Lehrer angehört hattest. Wozu noch das übrige anführen? Alles richtet sich nach (dieser) Lehre. Überall schleicht sich eine unmoralische Lebensweise ein, es kommen wieder Sitten auf, die kaum des Türken würdig sind. Den Lastern läßt man die Zügel schießen, und im bürgerlichen Leben kehrst du vieles von unten nach oben. Du brichst Verträge, und was ehrenwert ist, beurteilst du nur nach deinem Gewinn. Auf dem Martktplatz lustwandelt eine große Zahl von finsteren Ehebrechern, und die frevelhaften Papisten huren wieder ungestraft herum. Damit du Frieden hast und zarte Ohren ja kein etwas bitteres Wort zu hören bekommen, duldest du, daß heilige göttliche Mysterien und sogar Christus selbst verspottet werden. O, welche Musterbilder, welch süße Früchte der neuen Lehre! Ihnen verschaffst du vor der Welt veehrungswürdiges Ansehen! Was gibst du als Vorwand an dafür, daß du dir solcherlei jetzt angelegen sein läßt? Ich weiß schon: du sagst, du seist gezwungen worden. Kann demnach irgendein standhafter, gläubiger und ehrliebender Mensch gezwungen werden, in Worten und Taten gottlosen Frevel zu begehen? Den König Christus und das Wort des Heils zu verleugnen? Dies lassen die Worte des göttlichen Lehrers nicht zu! Solcherlei lehrt nicht das Beispiel des Zwölferrates! So hat die Christenheit des Altertums nicht gehandelt! Du könntest mir kein Dorf, keine einzige Stadt angeben, die ein ungestümer Feind auf irgendeine Art und Weise Christus entfremdet hätte, weder zugunsten heidnischer Bräuche und Götter noch auch zugunsten ketzerischer Sekten und verkehrter Lehren. Welch überaus hartes Los haben nicht einst die Rechtgläubigen unter den beiden Vandalenkönigen ertragen, um ja nicht den Lehren des Arius
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<150> Dogmata consensum praeberent atque minorem
Patre faterentur gnatum? Peiora Papistae
Tradunt. Nam Christi mortem partumque trophaeum
Enervant meritis, cultu studiisque repertis,
Aeternam fugiant ut mortem et crimina purgent.
Atque salutiferam subvertunt spemque fidemque,
Quum dubitare docent de summi patris amore.
Ad prava haec tu vi quadam cogente revertis?
Proque facis nihilo divini luminis usum?
Hactenus unde tibi tam crassus sorduit error?
Quid, quod nulla tibi prorsum est violentia facta?
Pernegat Augustus, falsoque ascribitur illi.
Ipsa doce, qua vi sis ad perversa coacta.
Nulla fames aderat nec tristia bella nec ignes
Nec caedes nec damna usquam rerumque rapinae.
Ultra verborum nihil est hortamina factum,
Saeva licet paulumque nimis distantia certis.
Tu cuiusquam ergo verbis aut moveris ira,
Quae res, quae vitam pro relligione volebas
Ponere sincera? Terrebant agmina, dicis,
Militis armati circunsistentia passim,
Unde statim vis facta foret parêre neganti.
Sic tibi divinas nempe et res fingis atroces.
Quid si verò (aiunt) fractus ruat arduus aether?
Aut bellum umbra tibi faciat tua? Siccine palles
Ante tubam? anteque quam stringantur, concidis, enses?
Quis non conculcet trepidos caedatque fugaces?
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ihre Zustimmung zu geben und einen Sohn zu bekennen, der geringeren Wert hat als der Vater! Schlechteres noch lehren die Papisten. Entwerten sie doch Christi Tod und den von ihm errungenen Sieg durch Verdienste, Kult und ausgeklügelte Anstrengungen, um dem ewigen Tod zu entgehen und sich von den Sünden zu reinigen. Zudem stürzen sie Hoffnung und Glauben, die das Heil bringen, dadurch um, daß sie den Zweifel an der Liebe des himmlischen Vaters lehren. Zu diesen Verirrungen kehrst du unter dem Zwang irgendeiner Gewalt zurück und schätzt den Nutzen des göttlichen Lichtes gleich Null? Weshalb hat dich ein so grober Irrtum bislang angeekelt? Und überdies: dir ist doch überhaupt keine Gewalt angetan worden! Der Kaiser leugnet es entschieden, und fälschlich lastet man es ihm an. Erkläre selbst, durch welche Gewalt du zum Verkehrten gezwungen wurdest! Es gab keine Hungersnot, keine schlimmen Kriege, keine Feuersbrünste, keine Morde und auch nirgendwo Einbußen und Raub an Sachgütern. Außer verbalen Aufforderungen – wenn auch heftigen und nicht allzu eindeutigen – ist nichts geschehen. Du, die du deinen Besitz, die du dein Leben für die unverfälschte Religion hingeben wolltest, du läßt dich also von irgend jemandes Worten oder Zorn beeindrucken? Du sagst, dich schreckten Heerhaufen bewaffneter Soldaten, die dich von allen Seiten bedrängten und unverzüglich Gewalt anwenden würden, wenn du den Gehorsam verweigertest. Offenbar weissagst du dir dies selbst und erdichtest dir gräßliche Ereignisse. Was aber, wenn, wie man sagt, der hoch aufragende Himmel zerborsten niederstürzt? Oder wenn dein Schatten einen Krieg gegen dich anfängt? Also erbleichst du, bevor noch der Krieg beginnt? Und fällst, bevor noch die Schwerter gezogen sind? Wer wird Furchtsame nicht zu Boden treten, wer Fliehende nicht niedermachen?
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<151> Et prius adversum videant quàm cominus hostem,
Omnia qui faciunt iussa occurruntque, ligandas
Praebentes palmas, quis non contemnit et odit
Ut planè ignavos? Nec te levat atque tuetur,
Quòd missum scriptum et capitalis sacra Papatus
Cum multis aliis, non sola receperis. Olim
Quum Deus aversum cataclysmo perderet orbem,
Nemo tutus erat, sub crimine prensus eodem,
In Sodomisque simul cuncti periere scelesti.
Nec pater omnipotens delictum comprobat ullum,
Quod duo committant vel tres vel millia multa.
Nec magni refert, qua mente receperis illa:
An bona censueris nec ne, pia an impia prorsus.
Si bona censebas, quis tum persuaserat autor
Tam subitò, in mentem quod tot non venerat annis?
Quare et doctorem post illa recepta vocasti,
Quem diversum aliudque palàm sentire sciebas?
Sin mala, te Augustum laesisse intelligis ipsa,
Et sunt abstrusae tua facta haud consona menti.
Cur non fugisti coelorum offendere Regem?
Impia iam perspecta diu et hostilia Christo
Instituendo palàm? simul offensacula multis
Ponendo rudibus labefactandoque scienter
Haud satis in Christo solidos verique peritos?
Haeccine derides, et parvi maxima ducis?
Et tam fronte cares, ut nec respectus honesti,
Gratia nec Christi, tua nec, nec commoda fratrum
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Und wer wird nicht solche Menschen als ausgemachte Feiglinge verachten und verabscheuen, die alle Befehle ausführen und angelaufen kommen, um die Hände zur Fesselung darzubieten, bevor sie noch den Feind aus nächster Nähe vor sich erblicken? Es entlastet und schützt dich auch nicht, daß du das Sendschreiben und die gottesdienstlichen Bräuche des verderblichen Papsttums nicht allein, sondern in Gemeinschaft mit vielen anderen angenommen hast. Als Gott einst die Welt, die sich von ihm abgekehrt hatte, durch die Sintflut vernichtete, war niemand sicher, der bei demselben Frevel ertappt wurde, und in Sodom sind alle Frevler auf einmal zugrunde gegangen. Der allmächtige Vater heißt auch kein Vergehen gut, weil zwei oder drei oder viele Tausende es begehen. Es tut auch nicht viel zur Sache, mit welcher Einstellung du jene Bräuche angenommen hast: ob du sie für gut befunden hast oder nicht, für fromm oder geradezu gottlos. Wenn du sie für gut befandest, welche Autorität hatte dich dann so plötzlich von etwas überzeugt, was dir in so vielen Jahren nicht in den Sinn gekommen war? Weshalb auch hast du nach der Annahme jener Bräuche einen Lehrer berufen, von dem du wußtest, daß er offenkundig eine gegensätzliche und andersgeartete Auffassung vertritt? Wenn du jene Bräuche aber für schlecht befandest, so siehst du selbst, daß du den Kaiser verletzt hast und deine Handlungen überhaupt nicht dem entsprechen, was du insgeheim denkst. Warum hast du dich nicht gescheut, den König der Himmel zu kränken, indem du vor aller Augen Einrichtungen einführtest, die längst schon als gottlos und Christus abhold erkannt worden sind, und indem du zugleich vielen Ungeschulten einen Anstoß schaffst und wissentlich diejenigen wankend machst, die noch gar nicht hinreichend in Christus verankert und der Wahrheit kundig sind? Verlachst du dies und hältst außerordentlich bedeutsame Dinge für Bagatellen? Und bist du so schamlos, daß weder Rücksicht auf das Sittengesetz noch Dankbarkeit gegenüber Christus noch dein eigenes Wohl und das deiner Brüder
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<152> Te moveant? nec iudicium post omnia summum?
Nec calidam prorsum aut gelidam te dicere possum,
Eque suo tepida omnipotens tandem evomet ore.
Quid speras igitur? tibi cur blandiris iniquè?
Ut demus verò, te illa ad praescripta coactam
Hocque tuum possis factum excusare colore
(Quod nunquam efficies, etiam Cicerone patrono),
Cur quaeso Monachos adeò spurcosque Papistas
Defendis, scelera illorum vitamque reprendi
Ut nolis tetram? Num te compellit ad istud
Terribili Augustus iussu scriptumve receptum?
À capite ad calcem summa illud perlege cura,
Vestiga cautè, an Monachis aliisque Papistis
Scorta probet laudetque iugati foedera lecti
Pollui adulterio, vetitum taxarier an sit
Flagitia in monachis aut in magnatibus ullis?
At non invenies, tibi sed proponis adulans
Ipsa et spurciciae tendis patrona videri
Ob monachos istos impuros atque superbos.
Quo pacto monachi vivant omnesque papistae,
Non latet Augustum. Quin et condemnat et odit
Plurima rasorum scelera incestamque patenter
Vitam. Quid faciat? Nullos attingere rasos
Audet (nempe sibi sumpsere libidinis illi,
Quantum collibuit, contra fas iuraque cuncta),
Nec tolerant, ad res si quis compellat honestas.
Praesulibus iussit, sanarent vulnera nota
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dein Handeln beeinflussen? Letztlich auch nicht das Jüngste Gericht? Ich könnte dich nicht entschieden warm oder entschieden kalt nennen – und das Laue wird der Allmächtige schließlich ausspeien aus seinem Munde. Worauf hoffst du also? Warum schmeichelst du dir ungerechtfertigterweise selbst?
Ich will jedoch einmal einräumen, daß du zur Einhaltung jener Anweisungen gezwungen worden bist und unter diesem Deckmantel deine Handlungsweise zu rechtfertigen vermagst (was du aber niemals schaffen wirst, wäre auch Cicero dein Anwalt!): warum um Himmels willen nimmst du dann die Mönche und säuischen Papisten so sehr in Schutz, daß du ihre Freveltaten und ihre garstige Lebensweise nicht getadelt sehen willst? Haben dich hierzu etwa der Kaiser oder das Schriftstück, das du erhalten hast, mit einem schrecklichen Befehl genötigt? Lies dieses Schriftstück von Anfang bis Ende mit größter Aufmerksamkeit durch, erforsche sorgsam, ob es Mönchen und anderen Papisten Huren zubilligt und sich lobend darüber äußert, daß der Ehebund durch Unzucht besudelt wird – oder ob es verboten ist, an Mönchen oder irgendwelchen vornehmen Herrschaften ehrlose Handlungen zu kritisieren! Derlei wirst du aber nicht finden; vielmehr spiegelst du es dir selbst vor, um dir zu schmeicheln, und willst um jener lasterhaften und hochmütigen Mönche willen als Schutzherrin unflätigen Wesens gelten. Die Lebensweise der Mönche und aller Papisten ist dem Kaiser nicht verborgen. Ja er verdammt und verabscheut in aller Offenheit die sehr zahlreichen Freveltaten und die unkeusche Lebensweise der Geschorenen. Was sollte er tun? Er wagt nicht, die Geschorenen anzutasten (sie haben sich offenbar gegen jedes Recht und Gesetz so viele Ausschweifungen herausgenommen, wie ihnen beliebte), und sie ertragen es auch nicht, wenn jemand sie zu ehrenwerten Beschäftigungen drängt. Er hat die Bischöfe angewiesen, die bekannten Gebresten zu heilen
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<153> Atque reformarent mores vitamque suorum,
Ne mala corrumpant populum exempla docendum.
Ast illi verborum (ut fit) molimine tantum
Mandarunt scortilla abici vitamque tueri
Labe sine. At ceu nunc sint permissa omnia primùm,
Elapsis adeò paucis post iussa diebus
Pristinum iter radunt, et sunt iam libera scorta,
Omnibus et licitum sceleratè vivere rasis,
In plenisque dies totos potare tabernis
Verbisque obscoenis alios et vincere ludo,
Rixas ordiri primos pugnasque cruentas
Cunctosque insano clamore fragoreque nasi
Reddere surdastros, mensas propterque sedentes
Convomere atque domum tandem inter brachia ferri
Quadrupedes. Quid ego templorum caetera dicam?
Nil sani. Deus haud est, non sunt iura timori.
Praesulibus monachi penitus parêre recusant,
Nec synodum accedunt, nec curant usque citari:
Scilicet exempti lege omni et rebus honestis.
Ò rerum exitium caecique insania mundi!
Interea audacter scortantur totaque complent
Tecta nothis, violant nuptas rapiuntque maritis,
Nec satis ulla potest tutari virgo pudorem.
Talia condemnat Moses Paulusque Petrusque,
Non fert servator Christus, Decreta vetarunt;
Nullae hominum tolerant leges nec iura piorum;
Improbat Augustus magnoque dolore tuetur;
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und den Lebenswandel ihrer Schutzbefohlenen zu korrigieren, damit ihre schlechten Beispiele nicht das belehrungsbedürftige Volk verderben. Jene aber haben, wie das so geht, nur mit großem sprachlichen Kraftaufwand angeordnet, daß sie auf die Hürchen verzichten und ein Leben ohne Makel führen sollten. Aber als sei jetzt erst alles erlaubt, wandeln sie, nachdem sehr wenige Tage nach dem Befehl verflossen sind, wieder auf ihrem alten Weg: Die Huren haben schon freie Bahn, und allen Geschorenen ist es gestattet, ruchlos zu leben, ganze Tage in vollen Kneipen zu zechen, andere im Zotenreißen und im Spiel zu besiegen, die ersten zu sein, wenn es gilt, Streit und blutige Schlägereien vom Zaun zu brechen, alle mit unsinnigem Gebrüll und Gejohle über einen Witz zu betäuben, Leute, die an den Tischen sitzen, vollzukotzen und schließlich untergefaßt auf allen vieren nach Hause gebracht zu werden. Wozu soll ich noch das übrige, die Kirchen Betreffende anführen? Es gibt nichts, was unverdorben wäre! Gott und die Gesetze werden überhaupt nicht respektiert! Die Mönche weigern sich schlechthin, den Bischöfen zu gehorchen, erscheinen zu keiner Kirchenversammlung, und daß sie ständig vorgeladen werden, kümmert sie nicht; sie sind, versteht sich, von jedem Gesetz und jedem ehrenwerten Geschäft entbunden. O Verderben der Welt, o Irrwitz der blinden Menschheit! Unterdessen huren sie dreist herum, füllen ganze Häuser mit Bastarden, vergewaltigen Ehefrauen und entführen sie ihren Männern, und keine Jungfrau vermag ihre Keuschheit ausreichend sicher zu bewahren. Dergleichen wird von Moses, Paulus und Petrus verdammt; der Heiland Christus lehnt es ab, das geistliche Gesetz hat es verboten. Kein Gesetz und keine Rechtssatzung frommer Menschen duldet dies. Der Kaiser mißbilligt es und beobachtet es mit großem Schmerz.
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<154> Denique consputant vulgò puerique senesque.
Tu sacrosancta[61] haec facies? et sola dolebis,
Murmuret adversum si quis leviterque reprendat?
Coniugii in laudem si quis contraria damnet,
Scripturarum hortante loco officioque docendi?
Facta es adulatrix tandem iis, quibus antè solebas
Divino quodam atque audaci oppedere fastu?
An censes aequum, pravis parcamus ut illis,
Contra nos quum illi fanda atque infanda loquantur,
Impius ut suadet zelus vel splendida bilis?
Cur non illorum linguas compescis et ora,
Ne nos irritent, ne Christum denique Regem
Conviciis onerent Evangelionque flagellent?
Non antehac tales nec talia facta tulisses:
Caesaris iniussu nunc fers cauteque tueris.
Quis non miretur Satanaeque intelligat artes?
Coniugium haud frustra vestris permiserat autor
Praescripti vobis, quisquis fuit ille, libelli.
Norat enim, cunctis planè intoleranda videri,
Extra coniugium facerent quaecunque Papistae.
Cur non hac usus (rogo) libertate fuisti?
Legistique tibi puros vel coelibe vita,
Connubii innexos sancti vel denique vinclis?
Nunc binos alis impuros vilesque Papistas,
Qui sua confessi nec scorta relinquere velle,
Legitimas nec Pauli uxores ducere iussu.
Hoc perferre potes? semperne haec cernere coràm?
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Alt und jung schließlich spucken gewöhnlich davor aus. Wirst du dies für sakrosankt erklären? Und dich wird es als einzige schmerzen, wenn jemand dagegen murrt und es leicht tadelt? Wenn jemand zum Lobe des Ehestandes verurteilt, was diesem zuwiderläuft, und anstelle der Schrift und aufgrund seines Lehramtes mahnend seine Stimme erhebt? Bist du endlich zur Liebedienerin denen gegenüber geworden, die du vormals mit sozusagen göttlicher und verwegener Verachtung anzufurzen pflegtest? Oder hältst du es für billig, daß ich jene schlechten Menschen schone, während sie gegen mich Erlaubtes und Unerlaubtes daherreden, wie es ihnen gottloser Eifer oder schwarze Galle eingeben? Warum legst du nicht ihren Zungen und Mündern Zügel an, damit sie mich nicht provozieren und gar den König Christus mit Schmähungen überschütten und das Evangelium geißeln? Früher hättest du solche Menschen und solche Handlungen nicht geduldet; jetzt duldest du sie ohne Geheiß des Kaisers und nimmst sie sorglich in Schutz. Wer sollte sich darüber nicht verwundern und darin nicht Machenschaften Satans erkennen? Der Verfasser des Sendschreibens, das die für dich bestimmten Vorschriften enthält, – wer immer es gewesen ist – hatte deinen Leuten nicht umsonst die Heirat zugestanden. Er wußte nämlich, daß all das, was die Papisten außerhalb der Ehe anstellen, jedermann schlechthin untragbar erscheinen würde. Warum, so frage ich dich, hast du von dieser Erlaubnis keinen Gebrauch gemacht? Und warum hast du dir nicht Männer ausgesucht, die in Reinheit oder ehelos leben, oder sogar solche, die durch die Fesseln der heiligen Ehe gebunden sind? Jetzt unterhältst du zwei lasterhafte und verächtliche Papisten, die erklärt haben, daß sie ihre Huren nicht aufgeben und sich keine legitimen Frauen, wie Paulus es befiehlt, nehmen wollen. Dies kannst du ertragen und ständig vor Augen haben?
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<155> Instantem allegas vim detrimentaque rerum.
Quam quaeso vim? Quis fuit hac tibi parte molestus
Vel verbo? Tantum monachus tuus iste superbus
Arguit allatrans scripto te prorsus herili,
Ceu contra semper patereris pacta doceri,
Ultra nec se posse tuam defendere causam.
In libro quasi sint etiam defensa recepto
Illorum scelera et mores probrosaque vita.
Ille tuam causam? Proh Iuppiter, hoccine credis?
Antè lupus defendet oves et ovilia saevus,
Antè famelicus armentum leo carnivoraeque columbas
Mansuetas aquilae viridesque ciconia ranas.
Sic canibus feles, sic mures felibus olim
Commendent causas, pulli sic denique milvo.
Et tu gratiam ut illius falsumque favorem
Possideas, mores tetros et facta tueris
Turpia? et esse studes monstroso Gnatho Thrasoni?
Haud dubiè Augustus ridet, miratur et unde
Tam sis prostratae mentis, cogente nec ullo
Tales sacrificos habeas toleresque pudenda,
Quae nunquam ferat ipse sua patienter in aula.
Promove honestatem, pravorum corrige mores,
Vivito divinae legis praescripta secundum:
Non irascetur, mage sed te comiter amplis
Laudibus ornabit. Quare hic depone timorem,
Nec servare velis, sanctae quae pagina legis
Nulla docet, sed relligione ac iure vetantur.
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Du weist auf drohende Gewalt und Schäden für das Gemeinwesen hin. Aber ich bitte dich: welche Gewalt? Wer ist dir in dieser Hinsicht auch nur mit einem einzigen Wort zu nahe getreten? Nur dein hochmütiger Mönch da stellt die Sache in dem geradezu herrischen Schreiben, mit dem er dich ankläfft, so dar, als habest du ständig geduldet, daß den Abmachungen widersprechende Lehren verkündet würden, und gibt zu verstehen, daß er deine Sache fernerhin nicht verteidigen könne. So als seien in dem bei dir eingegangenen Schreiben auch die frevelhaften Sitten und der schändliche Lebenswandel jener Leute verteidigt worden! Jener will deine Sache verteidigen? Beim Jupiter, das glaubst du? Eher wird der reißende Wolf die Schafe und Schafställe verteidigen, eher der ausgehungerte Löwe die Großviehherde, die fleischfressenden Adler die friedlichen Tauben und der Storch die grünen Frösche! So mögen die Katzen den Hunden, die Mäuse den Katzen und vollends die Hühnchen dem Falken dereinst ihre Angelegenheiten anvertrauen! Und du nimmst abscheuliche Sitten und schändliche Handlungen in Schutz, um jenes Mannes Huld und erheucheltes Wohlwollen zu besitzen, und bist erpicht darauf, für einen scheußlichen Thraso den Gnatho zu spielen? Ohne Zweifel: der Kaiser lacht und fragt sich verwundert, warum du so unterwürfiger Gesinnung bist und solche Priester hast, ohne daß dich irgend jemand dazu zwänge, und warum du Schandtaten erträgst, die er selbst an seinem Hof niemals geduldig hinnimmt. Fördere die Ehrbarkeit, verbessere die Sitten der Schlechten, lebe nach den Geboten des göttlichen Gesetzes! Er wird dann nicht zürnen, sondern dich vielmehr leutselig mit glanzvollen Ehrungen auszeichnen. Lege darum bei so bewandten Umständen deine Furcht ab und nimm nicht in Schutz, was auf keiner Seite des heiligen Gesetzes gelehrt wird, sondern nach Religion und Recht untersagt ist!
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<156> Nec coelum terramque move, si tangitur ullus
Impius aut quicquid doctrinae obstare videtur
Sanae. Perferri posset fortasse tamen, si
Impia protegeres solum et paterere silendo.
Quid verò tibi vis? Normam praescribere tandem
Ipsis tractandi verbi doctoribus audes?
Quis non clamet, „ἄνω ποταμῶν“? Quid praecipis autem?
„Ne malè de monachis dicas atrisque papistis,
Neu quos vituperes magnates atque dynastas.“
(Vituperare autem sentis et dicis, iniqua
Impiaque alterius cuiusdam carpere facta.)
„Quid credant faciantque alii peccentque gregatim,
Publicitùs nobis non esto exponere curae.
Novimus antè satis, crebroque audivimus antè.
De nobis agito, nos tantum recta doceto.
Impia verò et prava ullis haud tangito verbis.“
Hanc pulchram statuis normam. Quis protulit istam,
Quum nondum impietas imposturaeque Papatus
Nec Christus tibi notus erat pietasque fidesque?
Utraque nimirum tractabant ritè ministri,
Unde malis positis bona es et sincera secuta.
Quis mala devitet, sectetur recta vicissim,
Cognita ni fuerint? Dicenda tacendaque tradis,
Proh pudor, ipsa modò. Attingi mendacia non vis
Impiaque ostendi, sed tantum vera doceri,
Recta inculcari, sed nunquam prava reprendi.
Scire cupis lucem, at non è regione tenebras.
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Und setze auch nicht Himmel und Erde in Bewegung, wenn irgendein Frevler oder irgend etwas der unverfälschten Lehre offenbar Widersprechendes gerüffelt wird! Dennoch – man könnte es vielleicht hinnehmen, wenn du dich darauf beschränktest, gottloses Wesen zu beschützen und stillschweigend zu dulden. Aber was fällt dir ein? Du nimmst dir am Ende heraus, sogar den Lehrern eine Richtschnur für die Auslegung des Wortes vorzuschreiben? Wer möchte da nicht rufen: „Die Quellen fließen stromaufwärts!“ Was aber ordnest du an? „Rede nicht schlecht von Mönchen und finsteren Papisten und verletze nicht irgendwelche Oberhäupter und Machthaber!“ (Verletzen aber heißt nach deinem Verständnis und deiner Rede: unbillige und gottlose Handlungen eines Mitmenschen kritisieren!) „Keine Mühe sei darauf verwandt, uns öffentlich darzulegen, was andere glauben und tun und worin sie scharenweise sündigen! Wir haben damit früher zur Genüge Bekanntschaft gemacht und früher häufig davon gehört. Beschäftige dich aber mit uns, lehre uns nur das Rechte! Das Gottlose und Schlechte aber berühre mit keinem Wort!“
Diesen schönen Grundsatz stellst du auf! Wer hat ihn damals vorgebracht, als dir die Gottlosigkeit und die Betrügereien des Papsttums sowie auch Christus, Frömmigkeit und Glaube noch nicht bekannt waren? Die Gottesdiener haben zweifellos über beides auf die gehörige Weise gehandelt – woraufhin du nach Ablegung des Schlechten dem Guten und Unverdorbenen nachstrebtest. Wer kann das Schlechte meiden und sich andererseits vom Rechten leiten lassen, wenn er beides nicht kennengelernt hat? Jetzt, o Schande, empfiehlst du, es sei darüber zu sprechen und zu schweigen! Du willst, daß man Lügen nicht antastet und gottloses Wesen nicht aufdeckt, sondern allein die Wahrheit lehrt; daß man das Rechte einschärft, niemals aber das Verkehrte tadelt. Du willst das Licht kennenlernen, nicht dagegen die Finsternis.
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<157> Haec te miranda invasit sapientia demum?
Quo doctore autem? Tanti quis luminis autor?
Exemplum modò profer, ubi unquam talis in orbe
Vixerit expositor sacrorum artisve prophanae,
Qui bona duntaxat dederit, contraria nunquam
Attigerit: tum nos illum fortasse sequemur.
Tullius eloquii summus doctusque magister,
Dicendi tradens artem contraria damnat,
Rectae exempla viae ostendens pravaeque vicissim.
Magnus Aristoteles multorum nonne refellit
Errores veterum, re sic urgente coactus?
Haud etenim possunt pacto ullo vera doceri,
Ni condemnentur falsa obsistentia veris.
Divinus Moses, quo non mansuetior alter,
Expositis rectis inculcatisque severè,
Gentium in impuros mores cultumque nefandum
Pravosque invehitur ritus damnatque vetatque,
Oderit ut populus detesteturque per aevum.
Tu verò obstreperes, longè ut sapientior illo:
„Gentibus obtrectas quare, stultissime Moses?
Est satis instillasse novo sincera popello.
Nam fatuas ipsi norunt errore teneri
Non uno gentes, nec opus meminisse frequenter.“
Interpres Domini David Iessaea propago
Non solum extollit verum Dominumque Deumque,
Falsos eregionè deos sed damnat amarè.
Argentum esse ait atque aurum manuumque scelestum
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Ist diese bewunderungswürdige Weisheit eben erst über dich gekommen? Durch welchen Lehrer aber? Wer ist der Urheber so großer Erleuchtung? Nenne doch einmal ein Beispiel dafür, daß irgendwo auf der Welt ein Ausleger auf geistlichem Gebiet oder in weltlicher Wissenschaft gelebt hat, der nur das Gute beigebracht, das ihm Entgegengesetzte aber niemals berührt hätte! Ich werde mich ihm dann vielleicht anschließen. Tullius, der unübertroffene und gelehrte Meister der Beredsamkeit, verdammt, während er die Redekunst lehrt, das, was ihr entgegensteht; er zeigt Beispiele für den rechten Weg auf und umgekehrt auch für den falschen. Hat der große Aristoteles etwa nicht die Irrtümer vieler älterer Schriftsteller widerlegt, gezwungen durch den Sachzusammenhang, der dies erforderlich machte? Keinesfalls läßt sich nämlich auf irgendeine Art und Weise das Wahre lehren, ohne daß man das dem Wahren widerstrebende Falsche verdammte. Der göttliche Moses, den niemand an Sanftmut übertraf, wettert, nachdem er das Rechte dargelegt und es ernstlich eingeschärft hat, gegen die unflätigen Sitten, den ruchlosen Gottesdienst und die verkehrten Riten der Heiden und verdammt und verbietet sie, damit das Volk sie für alle Zeit haßt und verabscheut. Du aber würdest dich so vernehmen lassen – wie du ja auch weitaus mehr Weisheit besitzt als jener: „Warum, Moses, du einfältiger Tropf, verunglimpfst du die Heiden? Es reicht, daß du dem jungen Völkchen die reine Lehre eingeflößt hast. Sie wissen doch selbst, daß die albernen Heiden in mehr als einem Irrtum befangen sind, und es erübrigt sich, häufig darauf hinzuweisen.“ David, der Sohn Isais, der Deuter des Herrn, rühmt nicht nur den wahren Herrn und Gott, sondern verdammt andererseits auch mit Bitterkeit die falschen Götter. Er sagt, sie seien Silber und Gold, das ruchlose Werk aus den Händen
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<158> Artificis mortalis opus, non auribus uti,
Non pedibus manibusque oculisque nec insuper ore.
Et similes optat fieri, fiducia quorum
Nititur idolis, facientesque atque colentes.
Hic tu dixisses, „Quidnam convicia caecas
Congeris in gentes? quid earum vana reprendis
Numina? Quis nescit? Persaepe audivimus antè,
Consimili forma cuncti docuere prophetae.“
Hac Baptista usus fertur Christusque redemptor,
Hac etiam viri Apostolici patresque vetusti.
Hanc Deus edicto nobis praescripsit atroci.
Nec sanis alia licuit doctoribus uti,
Nec potuere quidem, fuerit licet ulla voluntas.
Tu nobis aliam finges? Nam sola sapis tu
Scilicet, et nosti, crescant quî gramina noctu.
Quis novus hic mos est, non antè auditus in orbe,
Discipuli ut tradant ipsis doctoribus artes?
Praescribant et oves pascendi iura magistris?
Si qua senes norunt atque audivere frequenter,
Non eadem tamen et pueri et secura iuventus.
Si tangenda negas atque inculcanda docendo,
Quae saepe audieris, prius et te nosse putaris,
Ipsum Evangelium tollamus age atque prophetas
Et praecepta decem psalmosque et cantica dia.
Nulla novi posthac, veteris neque mentio fiat
Testamenti unquam, taceantur symbola sacra,
Nec fidei ullarumque precum nec amoris in omnes,
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eines sterblichen Künstlers; sie gebrauchten nicht ihre Ohren, nicht ihre Füße, Hände und Augen und auch nicht ihren Mund. Und er wünscht, daß diejenigen, die fest auf Götzenbilder vertrauen und sie herstellen und verehren, ihnen ähnlich werden. Hier hättest du gesagt: „Wozu häufst du denn Schmähungen auf die blinden Heiden? Wozu tadelst du ihre nichtigen Gottheiten? Wem ist das neu? Wir haben früher sehr oft davon gehört, alle Propheten haben es auf ganz ähnliche Weise gelehrt.“ Nach der Überlieferung haben sich der Täufer sowie der Erlöser Christus dieser Weise bedient, auch die Apostel und die alten Väter. Gott hat sie uns in einer strengen Anordnung vorgeschrieben. Weder war es den unverdorbenen Lehrern erlaubt, sich einer anderen Weise zu bedienen, noch hätten sie es überhaupt tun können, wenn sie es auch irgend gewollt hätten. Wirst du uns eine neue Weise ersinnen? Versteht sich: du bist ja allein im Besitz der Weisheit und weißt, wie in der Nacht das Gras wächst! Was ist das für eine neue, nie zuvor auf der Welt erhörte Sitte, daß die Schüler ihre eigenen Lehrer in den Künsten unterrichten und die Schafe den Hirten die Gesetze des Weidens vorschreiben? Wenn auch Greise möglicherweise darüber Bescheid wissen und es häufig gehört haben, so doch nicht gleichermaßen die Kinder und die leichtfertige Jugend. Wenn du es ablehnst, etwas anzusprechen und durch die Lehre einzuschärfen, was du schon oft gehört und wovon du gemeint hast, du habest es früher schon erfahren, nun, wohlan, dann laß uns sogar das Evangelium beiseite räumen, auch die Propheten, die Zehn Gebote, die Psalmen und die göttlichen Lieder! Das Neue und das Alte Testament sollen fortan nie mehr erwähnt werden, das heilige Glaubensbekenntnis werde verschwiegen! Keine Unterweisungen im Glauben, in irgendwelchen Gebeten und in der Liebe zu allen Menschen,
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<159> Qui quocunque modo[62] nobis versantur ob ora,
Doctrinae resonent. Quid enim haec vulgaria quisquam
Proferat atque tuas protritis verberet aures?
Saepius audisti, iactant sacrae ista cathedrae
Semper, et hisce dies totusque absumitur annus,
Ut lapides iam et scamna queant et nosse fenestrae.
At mala duntaxat vis et mordacia tolli.
Si mala desierint fieri et functa impia fato
Videro et in mundo Satanam haud regnare potenter,
Tum fieri demum, quod vis, haud posse negabo.
Porrò relativorum ut habet natura, perenni
Impia cum rectis aevo, cum luce tenebrae
Cumque bonis mala, cum sanctisque scelesta manebunt,
Dum Christi adventu pereat discordia tristis.
Interea non mutus erit segnisque minister,
Sed Satanae opponet sese, mordebit iniqua,
Impia vastabit verboque obstantia franget.
Ora premant ventris servi falsique prophetae,
Quîs favor et nummi potiora Deoque fideque.
Iam verò esse negas reprehendendi impia tempus.
Temporis articulos quid tu praescribis[63] inepta?
Tunc equidem reor esse diem sincera tuendi,
Quum subvertendi praesens instare periclum
Cernimus, et contrà carpendi pessima, quando
Obtinuere palàm verique bonique videmus
Possessura loco: ut summum incendia tempus
Tum restinguendi, quum summi culmina tecti
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die sich, unter welchen Umständen auch immer, vor unseren Augen befinden, sollen erschallen! Wozu soll denn auch irgend jemand diesen Allerweltskram vorbringen und deine Ohren mit Gemeinplätzen strapazieren? Du hast es schon ziemlich oft gehört, von den geistlichen Kathedern wird genau dies fortwährend verbreitet, und man verbringt damit den Tag und das ganze Jahr, so daß schon die Steine, Bänke und Fenster es wissen können. Indes – du willst nur, daß man das Schlechte ausläßt und auf beißende Worte verzichtet. Wenn nichts Schlechtes mehr geschehen sein wird und ich festgestellt haben werde, daß das gottlose Wesen ausgestorben ist und Satan in der Welt durchaus keine machtvolle Herrschaft ausübt, dann erst werde ich zugeben, daß das, was du willst, geschehen kann. Wie es nun aber in der Natur von Dingen liegt, die miteinander in Beziehung stehen, wird für alle Zeit mit dem Rechten auch das Gottlose, mit dem Licht auch die Finsternis, mit dem Guten auch das Schlechte und mit dem Heiligen auch das Frevlerische bestehen bleiben – bis durch Christi Ankunft die betrübliche Zwietracht verschwindet. Unterdessen wird ein Gottesdiener nicht stumm und faul sein, sondern sich Satan entgegenstellen, die Ungerechtigkeit angreifen, die Gottlosigkeit heimsuchen und das dem Wort Widerstrebende brechen. Ihre Münder verschließen mögen die Diener ihres Bauches und die falschen Propheten, denen Beifall und Geld wichtiger sind als Gott und Glaube. Jedoch du bestreitest, daß es schon an der Zeit sei, das gottlose Wesen zu tadeln. Du Tröpfin, warum machst du Vorschriften über den geeigneten Zeitpunkt? Meiner Ansicht nach ist die Zeit zur Verteidigung der Rechtschaffenheit allerdings dann gekommen, wenn wir bemerken, daß sie durch eine aktuelle Vernichtungsgefahr bedroht ist. Und umgekehrt ist es dann an der Zeit für einen Angriff auf das Schlechte, wenn es vor aller Augen die Oberhand gewonnen hat und im Begriff ist, sich an die Stelle des Wahren und Guten zu setzen – so wie es höchste Zeit ist, einen Brand zu löschen, wenn das Feuer den Dachfirst
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<160> Mulciber invadit, cunctis et flamma fenestris
Emicat. An tempus praesens non tale videmus?
Esto autem, totum decreveris ipsa Papatum
Doctrinis, ritu vitaque haurire probrosa
Tutarique simul nullosque tenere ministros,
Qui contrà mussent aliquid verbumque loquantur.
Cur non humana dimittis lege modoque
Munere donatos aliquo et mercede soluta?
Sic et privati famulos dimittere honesti
Consuevere suos, nisi maxima fortè repugnent
Crimina. Dic, illos quonam sub crimine pellas?
Quid deliquerunt? quae detrimenta tulere?
Doctrinam accusas an vitam? Parcere noli,
Profer et accusa, convince, probato, triumpha.
Quare blandiris tibi sola probandaque censes,
Quae tu cunque tuis statuis fingisque sub antris?
Non illi eiectos se dimissosque queruntur,
Sed parvi faciunt (quis enim tibi serviat amens
Perversae et ponenti inter non seria verbum?).
Perfidiam accusant miram fraudesque dolosque,
Quîs laqueos struxisti illis, vanosque timores,
Mercedem ut faceres donandaque munera lucri.
Quippe nihil donas, verùm dimittis acerbè,
Pactaque pro voto violas conventaque rumpis
Dimissosque tuos spolias fraudasque ministros.
Et quasi te saevis studuissent prodere Turcis
Aut homicidae essent noti certique latrones
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erfaßt und die Flamme aus allen Fenstern lodert. Sehen wir etwa nicht, daß es heute soweit ist?
Es mag aber sein, daß du selbst beschlossen hast, das Papsttum ganz in dich aufzunehmen, mit seinen Lehren, seinen Zeremonien und seiner schändlichen Lebensweise, es gleichzeitig zu schützen und keine Gottesdiener bei dir zu behalten, die dagegen etwas zu murren haben und ein Wort dagegen reden. Warum aber verabschiedest du diese nicht auf eine menschliche Art und Weise, nachdem du ihnen irgendein Geschenk gemacht und ihren Lohn ausbezahlt hast? So verabschieden auch ehrenwerte Privatleute gewöhnlich ihre Diener, falls dem nicht etwa schwerste Verbrechen entgegenstehen. Sag, aufgrund welchen Verbrechens verjagst du sie denn? Was haben sie verbrochen? Welchen Schaden haben sie gebracht? Klagst du ihre Lehre an oder ihre Lebensweise? Schone nicht! Äußere dich und klage an, überführe, beweise, erringe den Sieg! Warum schmeichelst du dir allein und meinst, daß man all das gutheißen müsse, was immer du in deiner Höhle beschließt und ersinnst? Jene beklagen sich nicht darüber, daß sie verstoßen und entlassen worden sind, sondern achten es gering – welcher Hirnverbrannte wollte dir bei deiner Verkehrtheit denn auch dienen, die du das Wort zu den nichternsthaften Dingen zählst! Zum Vorwurf machen sie dir deine erstaunliche Wortbrüchigkeit, die List und die Tücke, mit denen du sie umgarnt hast, und das windige ängstliche Bemühen, dich an dem Lohn und den Geschenken, zu denen du verpflichtet warst, zu bereichern. In der Tat gibst du ihnen gar nichts, sondern entläßt sie hartherzig, verletzt Verträge nach deinem Gutdünken, brichst Abmachungen und beraubst und übervorteilst deine Bediensteten, nachdem du sie entlassen hast. Und gleichsam als hätten sie danach getrachtet, dich den grausamen Türken auszuliefern, oder als seien sie bekannte Mörder und ausgemachte Räuber,
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<161> Bellaque saevissent civilia templaque noctu
Urbisque hausissent audaci aeraria furto
Aut incestassent aliena cubilia stupris
Diraque pupillis viduisque aconita dedissent,
Sic adversus eos saevam prorumpis in iram,
Ante diem contraque iubes excedere pactum.
Nec te infans ullus recubansque puerpera lecto
Nec rigor instantis brumae nec mollit honestas.
Unius ignotos trusisti absentis in aedes
Tam subitò, ut nec momentum praedixeris antè.
Porrò iacebat ubique illi tum sparsa supellex
(Quis metuisset enim passurum talia quenquam,
Nedum illum?). Totis igitur dum sedulò currunt
Aedibus ignoti, tanquam si incendia vasta
Omnia corrumpant, posset neque singula coniunx
Sola auferre statim tutaque reponere sede,
Pars furto periit, pars est confracta tumultu.
Nunquid restituis? Sanè si iura timeres
Praesertimque Deum, ingenii si vena benigni
Ulla foret, faceres. Alius sed talia speret,
Ast ego te superos humanaque spernere iura
Novi, Trinacriis quondam ut Cyclopas in antris.
An referam violenta alia atque inhonesta, repulsi
Contra Evangelii fidos patrata ministros?
Perlongum fuerit, si exponere singula coner.
Summa, nihil penitus, quod sit crudele, relictum,
Si mortem tantum turresque ac vincula demas.
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als hätten Bürgerkriege getobt und sie hätten des Nachts bei einem dreisten Diebeszug die Kirchen und städtischen Schatzkammern ausgeraubt oder als hätten sie fremde Ehebetten mit Hurerei geschändet und Waisen und Witwen grausige Gifttränke verabreicht: gerade so überfällst du sie mit wildem Zorn und befiehlst ihnen vor Ablauf der Frist und im Widerspruch zum Vertrag, auf und davon zu gehen. Und dich erweicht auch kein Kleinkind, nicht die zu Bett liegende Wöchnerin, nicht die Härte des nahe bevorstehenden Winterfrostes und auch nicht die Ehrbarkeit. In das Haus des einen hast du mit solcher Hast Fremde hineingedrängt, daß du vorher nicht einmal den Zeitpunkt bekannt gegeben hast. Ferner lag sein Hausrat damals überall verstreut herum. (Wer hätte denn befürchtet, daß irgend jemandem derlei zustoßen würde – geschweige denn diesem?) Während also die Fremden beflissen aus dem ganzen Haus gelaufen kamen, als würden ungeheure Feuersbrünste alles vernichten und als sei die Hausfrau nicht allein imstande, die einzelnen Gegenstände sogleich fortzuschaffen und an sicherer Stelle aufzubewahren, kam ein Teil durch Diebstahl abhanden, und ein Teil wurde in dem Durcheinander demoliert. Ersetzt du es vielleicht? Wahrlich, wenn du Ehrfurcht vor dem Recht und insbesondere vor Gott hättest und ein Fünkchen Herzensgüte besäßest, würdest du es tun! Vielmehr – ein anderer würde derlei erwarten. Ich jedoch weiß, daß du die Himmlischen und die Gesetze der Menschen verachtest – so wie einst die Zyklopen in ihren sizilischen Höhlen. Oder soll ich noch von anderen gewaltsamen und unrühmlichen Maßnahmen berichten, die gegen die treuen Diener des verstoßenen Evangeliums ergriffen wurden? Der Bericht könnte sehr lang sein, wenn ich versuchen würde, Einzelheiten darzulegen. Kurz und gut – wenn man nur von Tod, Turm und Fesseln absieht, wurde keine einzige Grausamkeit ausgelassen.
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<162> Forsitan indignum censes, quum vera fidemque
Repuleris miserè Christumque negaris IESUM,
Illius insignes melius tractare ministros.
Quo verò exemplo? mandato cuius acerbo?
Moribus his, dic, quas urbes proceresque sequaris?
Hîc tibi praeluxit nemo, nemo extitit autor.
Sola tuum vicit (memini) hac in parte furorem,
Una suos capiens dedensque in vincla ministros,
Dedecus in summum et nullo delebile seclo.
Quis tibi posthac aut illi servire minister
Sustineat, vel Christum adamans ipsumve Papatum,
Promittas licet ampla satis, nisi stultus et excors?
Quem nunquam faciunt aliena pericula cautum?
An tua iam bellè censes habitura nihilque
Ultore à Domino posthac restare pericli?
Nonne vides, quot centuriae iuvenumque senumque
Illorum poscant operam? quot moestaque corda
Casibus à variis ab eis solatia quaerant?
Quotque rudes optent ex illis discere Christum?
Quotque ferant aegrè Verbo fidisque ministris
Destitui? Haec sunt nota satis. Tu viribus audax
Compescis lachrymas miserûm iustumque dolorem.
Admonuere ipsi quoque, fortius omnia ferrent
Atque resignarent Domino, qui fortè daturus
Mox alios esset, sibi qui succedere possent
Atque ardore pari tractare negocia Christi.
Quos dederit, cernis: nempe ut parcissima dicam,
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Vielleicht hältst du es, nachdem du Wahrheit und Glauben elendiglich vertrieben und Jesus Christus verleugnet hast, für unangemessen, dessen hervorragende Diener besser zu behandeln. Welchem Beispiel aber folgst du damit? Wessen grausamen Befehl führst du damit aus? Sag, welchen Städten und hohen Würdenträgern schließt du dich mit diesem Verhalten an? Hierzu hat dir niemand das Licht vorangetragen, niemand dich angestiftet. Ich besinne mich nur auf eine einzige Stadt, die dein Wüten in dieser Hinsicht übertroffen hat, indem sie ihre Gottesdiener gefangen nahm und ins Gefängnis steckte – zu ihrer größten, in alle Ewigkeit unaustilgbaren Schande. Wer außer einem Einfaltspinsel und Dummkopf könnte es nach alledem über sich bringen, bei dir oder auch bei jener Stadt als Pfarrer Dienst zu nehmen, sei er nun ein Liebhaber Christi oder gar des Papsttums, auch wenn du ihm goldene Berge versprichst? Wen machte denn eines anderen Schaden niemals klug? Oder glaubst du gar, daß es um deine Sache bestens bestellt sein werde und späterhin von der Rache des Herrn keine Gefahr drohe? Siehst du denn nicht, wie viele Kompanien von Jungen und Alten nach der Arbeit jener verlangen? Wie viele durch die verschiedensten Unglücksfälle betrübte Herzen von ihnen getröstet werden wollen? Und wie viele Unkundige von ihnen Christus zu lernen wünschen? Und wie viele es verdrießt, daß sie des Wortes und seiner getreuen Diener beraubt sind? Dies alles ist zur Genüge bekannt. Du aber unterdrückst mit frecher Gewalt die Tränen und den berechtigten Schmerz der Elenden. Jene haben sie auch selbst ermahnt, alles in guter Fassung zu ertragen und dem Herrn anheimzustellen, der ihnen vielleicht bald andere Männer geben würde, die an ihre Stelle treten und und die Geschäfte Christi mit gleicher Leidenschaft betreiben könnten. Welche Männer er gegeben hat, siehst du: Man könnte denn doch meinen (um mich nur äußerst zurückhaltend auszudrücken),
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<163> Te quibus ingratam meritò lusisse putetur.
Hinc gemitus quanti? quanta et suspiria coelum
Pulsant? hinc quantus consurgit ad aethera clamor?
Inque tuum et monachi quoties caput ultio iusta
Expetitur? Non est surdus moderator Olympi
Nec qui afflictorum lachrymas et vota repellat.
Disce, rogo, vel tandem hominesque Deumque vereri,
Ne te tarda licet divina absorbeat ira
Neu clamosa tuae consurgat buccina famae,
Ut te posteritas simul et praesentia norint
Saecula, poeniteatque tui pigeatque furoris.
Non te, Dorpedion, taxo. Nam plurima nescis
Horum, nec vulgò licuit tibi noscere facta.
Nota doles mecum iuxtà tolerasque molestè,
Et Verbum malles simul et servasse ministros
Hactenus et nullum penitus vidisse Papatum.
In causa duo sunt vel tres vel, quod reor, unus,
Dentesque ingeniumque ater dureque cacantis
Insignis vultu, falsi scelerumque patronus.
Hisce tamen quoniam rerum permittis habenas,
Nunc mihi, Dorpedion, bellè longumque valebis.
Satyra tertia.
Plutum finxerunt Graii Ausoniique poetae
Captum oculis, nec certa illud ratione carebat.
Scilicet indignis fermè affluxisse videbant
Divitias et opes totiusque optima mundi,
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daß er dich für deine Undankbarkeit mit ihnen verdientermaßen gefoppt hat. Wie große Wehklagen hat dies verursacht! Wie große Seufzer dringen zum Himmel! Wie groß ist das Wehgeschrei, das deshalb zum Firmament aufsteigt! Und wie oft wird gerechte Rache auf dein und des Mönchs Haupt herabgewünscht! Der Lenker des Himmels ist nicht taub, und er ist auch kein Gott, der die Tränen und Gebete der Betrübten zurückweist! Ich bitte dich: Lerne endlich, die Menschen und Gott zu fürchten, damit dich nicht Gottes Zorn, wenn auch spät erst, verschlingt oder dein übler Leumund gellend ausposaunt wird – so daß zugleich die Nachwelt und das gegenwärtige Zeitalter über dich Bescheid wissen und du Reue und Abscheu wegen deiner Raserei empfindest.
Ich tadle dich nicht, Dorpedion, denn das meiste von alledem weißt du nicht, und es war dir auch nicht erlaubt, von Taten, die vor aller Welt begangen wurden, Kenntnis zu erlangen. Was dir bekannt ist, schmerzt dich ebenso wie mich; es betrübt dich, und lieber hättest du das Wort und seine Diener bis heute beibehalten und überhaupt kein Papsttum gesehen. Schuld sind zwei oder drei oder, wie ich glaube, ein einziger: ein Mann schwarz von Zähnen und Charakter, auffallend durch den Gesichtsausdruck eines hart Kackenden, ein Schutzherr der Falschheit und des Frevels. Da du aber diesen Leuten die Zügel des Gemeinwesens überläßt, sage ich dir nun, Dorpedion, für lange Zeit Lebewohl!
Dritte Satire
Die Dichter Griechenlands und Roms haben sich Plutus blind vorgestellt, und dies nicht ohne stichhaltigen Grund. Sie sahen nämlich, daß Reichtum, Vermögen und die vortrefflichsten Güter der ganzen Welt gewöhnlich Unwürdigen zugeflossen waren,
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<164> Contrà paupertate premi iustosque bonosque,
Mucidum et integros sanctosque arrodere panem
Pestiferamque gravi vix evitare labore
Posse famem corpusque hirto velare cucullo.
Quin etiam Plutus cultu plerunque decoro
Caecat amatores, recto ne calle sequantur
Comprendantque ipsum, comprensum denique pravè,
Ne grato teneant animo tractentque benignè,
Donec in exitium caeci cum principe caeco
Se dent praecipites, nunquam unde resurgere possint.
Ecce etenim multi per fraudes, furta, rapinas
Perque imposturas turpes actusque dolosos
Omneque per scelus atque nefas sectantur inertem
Auditumque procul Plutum nimiumque fugacem,
Et nil turpe putant facere atque pati illius ergò.
Vera negant pavidi, frontosi falsa loquuntur,
Cognatos spoliant, fratres armantur in ipsos
Et charos audent vel supplantare parentes,
Frangere pacta fidemque et deseruisse sodalem,
Prodere secretum, patriam spoliare vel hosti
Vendere et humanum temerè fudisse cruorem.
Porrò alii illius causa lachrymabile bellum
Suscipiunt et ubi nulla est iniuria, fingunt
Partaque diripiunt aliis, incendia vendunt
Et miseros vastant per rura patentia agrestes.
Alea propter eum retinet blandissima multos,
Deglubunt alii populum vexantque tributis
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während andererseits die Gerechten und Guten von der Armut bedrängt wurden und die Unbescholtenen und Heiligen an schimmligem Brot nagten, mit schwerer Arbeit kaum verderbenbringender Hungersnot entgehen konnten und den Leib in eine rauhe Kutte hüllten. Ja Plutus blendet sogar meist seine Liebhaber mit prächtigem Aufputz, damit sie einen falschen Weg verfolgen und nicht ihn selbst zu fassen bekommen – und damit sie das, was sie am Ende irrtümlich ergriffen haben, ohne ein Gefühl der Dankbarkeit besitzen und es lieblos behandeln, bis die Verblendeten sich zusammen mit ihrem blinden Führer kopfüber in den Untergang stürzen, aus dem sie sich niemals mehr zu erheben vermögen. Sieh nur: in der Tat jagen viele mit Gaunereien, Diebstählen, Räubereien, gemeinem Betrug und Intrigen, mit jedwedem Verbrechen und Frevel dem einfältigen, ihnen von fernher zu Ohren gekommenen und allzu flüchtigen Plutus nach und meinen, daß das, was sie seinetwegen täten und erlitten, nichts Schimpfliches an sich habe. Schüchterne verleugnen die Wahrheit, Dreiste führen lügenhafte Reden, berauben ihre Verwandten, greifen sogar ihren Brüdern gegenüber zur Waffe und scheuen sich nicht, sogar ihren lieben Eltern ein Bein zu stellen, Verträge und feste Zusagen zu brechen, einen Gefährten im Stich zu lassen, ein Geheimnis zu verraten, das Vaterland zu berauben oder an den Feind zu verschachern und bedenkenlos menschliches Blut zu vergießen. Andere wiederum zetteln seinetwegen einen beweinenswerten Krieg an und erfinden eine ihnen angetane Unbill, wo keine vorliegt, rauben anderen ihr erworbenes Vermögen, preisen Feuersbrünste und brandschatzen die armen Bauern auf dem offenen Land. Viele hält seinetwegen das höchst verlockende Glücksspiel gefesselt; andere schinden das Volk und quälen es mit Abgaben,
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<165> Atque student cunctis decumas imponere rebus,
Lotio et ex olido capiunt vectigal avari.
Omneque factum adimunt aurum argentumque doloso
Praetextu plebi absque hominumque Deique timore.
Hi sunt verè oculis capti nec iura nefasque
Officiumque ullum cernunt foveasque profundas
Nec quicquam praeter Plutum, rapidisque sequuntur
Passibus, offensa cum multa hominumque Deique.
Hos evitaret Plutus fugeretque sequentes,
Luminibus posset si quicquam cernere claris.
Iam quoniam huc illuc paulatim caecus oberrat,
Prenditur interdum tanta improbitate virorum:
Quod bene perrarò cedit Plutoque virisque.
Quippe illi partim peiores inde recedunt,
Moxque licere volunt sibi, fert quodcunque libido,
Omnis et incessit delicti audacia maior.
Partim deliciis animos et corpora perdunt
Incumbuntque voluptati noctesque diesque,
Nec sibi nec patriae nec cognatis et amicis
Usui et altricis modò pondus inutile terrae.
Ast alii turgent opibus fiuntque superbi
Et vix dignantur cuiquam reserare labellum
Limisque aspicere afflictos ipsosque propinquos.
Omnes contemnunt prae se, quasi nempe cacumen
Humani excedant generis coeloque locentur.
Nonnulli prius infausto leucomate caeci,
Dum speciosa avidi sequerentur terga fugacis,
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sind bestrebt, alles mit dem Zehnten zu belasten, und kassieren gierig Steuereinnahmen aus stinkendem Urin. Und ohne Scheu vor Gott und den Menschen entziehen sie dem Volk unter trügerischem Vorwand alles Gold und Silber, das es sich verdient hat. Diese sind wahrhaftig blind und erkennen weder Recht noch Unrecht noch irgendeine Schuldigkeit noch tiefe Fallgruben und sind mit hastigen Schritten einzig und allein Plutus auf der Spur, den Menschen und Gott viele Kränkungen zufügend. Plutus würde diesen Verfolgern aus dem Wege gehen und sie fliehen, wenn er irgend etwas mit ungetrübten Augen wahrnehmen könnte. Da er nun aber in seiner Blindheit gemächlich kreuz und quer herumirrt, bekommen ihn Menschen zuweilen aufgrund ihrer so großen Schlechtigkeit zu fassen – was für Plutus und diese Menschen nur äußerst selten ein gutes Ende nimmt. Denn diese gehen daraus zum Teil mit noch größerer Schlechtigkeit hervor und verlangen alsbald, daß man ihnen alles gestattet, was nur die Wollust erheischt, und noch größerer Mut zu jedem Verbrechen hat von ihnen Besitz ergriffen.
Zum Teil zerrütten sie Geist und Körper mit üppigen Genüssen, geben sich Tage und Nächte der Wollust hin, sind sich selbst, dem Vaterland, den Verwandten und Freunden zu nichts nütze und nur eine nutzlose Last der Nährerin Erde.
Andere hingegen strotzen von Reichtum, werden hoffärtig, lassen sich kaum dazu herab, für irgend jemanden den Mund zu öffnen und in den Kot Gestürzte anzublicken, seien es auch ihre eigenen Verwandten. Im Vergleich zu sich selbst schätzen sie alle Menschen gering – so nämlich, als seien sie der herausragende Gipfel des Menschengeschlechts und hätten ihren Sitz im Himmel.
Einige, die ehemals blind waren von unheilvollem weißem Star, während sie der prachtvollen Hinterseite des Flüchtigen gierig folgten,
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<166> Orbi luminibus planè redduntur adepti.
Nam quamvis lata teneatur Plutus in arca
Et manibus palpent ipsi pedibusque volutent,
Se tamen apprendisse negant lentoque sequuntur
Continuè cursu, quaerendi nec modus illis
Ullus adest, suprema quoad tandem opprimat hora
Imponatque modum. Quis non his lumina dicat
Eruta? Nimirum Plutus splendore nitenti
Permultis oculorum aciem praestringit ut ardens
In coelo Phoebus, quem nemo posset apertis
Illaesisque oculis media sub luce tueri.
Ast alii nactum in tenebras et vincula ducunt
Et circum pariter sordent, squallentque sedentes.
Maturae veluti custodes virginis omnem
Vicini accessum contactumque hospitis arcent.
Nec tangunt ipsi nec eo pro iure fruuntur,
Ut canis incumbens foeno vel vipera ligno,
Ut, licet ingenio consueverit esse benigno
Plutus permultisque velit prodesse suoque
Praesertim domino, consumat inutilis annos
Carcere detentus tristi infossusque sepulcro.
Nonnulli[64], simulac ultro ipsis venit in aedes
Aut quaesitus adest, non custodire videntur
Nec colere ingenuè, verùm aedes nocte dieque
Amotis pandunt foribus nec scrinia claudunt,
Sed quosvis efferre sinunt. Fert plurima mimus,
Fert meretrix petulans, aufert collusor avarus,
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erwecken vor der Welt den Eindruck, als hätten sie ihn geradezu mittels ihrer Sehkraft erlangt. Denn obgleich Plutus in der geräumigen Truhe eingeschlossen ist und sie selbst ihn mit den Händen streicheln und mit den Füßen herumwälzen, streiten sie doch ab, daß sie seiner habhaft geworden seien und verfolgen ihn fortwährend in zähem Lauf, und ihres Klagens ist kein Ende, bis schließlich ihr letztes Stündlein sie ereilt und ihnen ein Ende setzt. Wer wollte leugnen, daß diesen die Augen herausgerissen wurden? Zweifellos hat Plutus bei sehr vielen durch seine gleißende Pracht die Sehkraft geschwächt, ebenso wie am Himmel die feurige Sonne, die um die Mittagszeit niemand mit offenen Augen anzublicken vermöchte, ohne sie sich zu verderben.
Andere hingegen bringen ihn, sobald sie ihn in die Hände bekommen haben, in ein dunkles Gefängnis und lassen sich ungepflegt und von Schmutz starrend ringsumher nieder. So als hätten sie eine mannbare Jungfrau zu bewachen, verwehren sie dem Besucher aus der Nachbarschaft Zugang und Kontakt. Sie rühren ihn auch selbst nicht an, noch machen sie von ihm, wie es ihr gutes Recht wäre, Gebrauch – so wie der Hund auf dem Heu liegt oder die Schlange auf dem Holz, so daß Plutus, obgleich er gewöhnlich von liebenswürdiger Gemütsart ist und sehr vielen Menschen, insbesondere seinem Herrn, nützlich sein möchte, fruchtlos die Jahre verbringt, gefesselt an einen trübseligen Kerker, eingegraben in eine Gruft.
Einige bewachen ihn offenkundig nicht und bringen ihm auch nicht die gebührende Achtung entgegen, sobald er einmal freiwillig in ihr Haus gekommen ist oder sich auf ihr Verlangen hin einstellt. Vielmehr lassen sie ihr Haus, von dem sie die Türen entfernt haben, Tag und Nacht offenstehen, verschließen auch ihre Schreine nicht, sondern dulden, daß jeder Beliebige ihn fortschafft. Unmengen trägt der Schauspieler hinaus, desgleichen die freche Hure, der habgierige Spielgenosse,
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<167> Compotor, parasitus edax scurraeque dicaces
Et symphoniaci tibicenque atque lyristes,
Aufert venator multa et piscator et auceps
Et coquus et pistor. Crebrò rationibus iisdem
Aedibus eiiciunt, quibus est perductus in aedes,
Vel Marte aut ludo, vel fraudibus atque rapinis.
Sunt, qui prostituant miserè lapidentque terantque
Indorum canibusque avibusque et cercopithecis,
Belua et externa Diomedisque[65] caballis
Atque alio, fiat cuius modò mentio, luxu.
Profusè aedificant, nullus quae flagitat usus,
Huc illuc magno sumptu frustraque vagantur
Magnificasque parant vestes hortosque, nihil qui
Alcinoi cedant hortis, vivaria condunt
Et leporaria habent, nec eis aviaria desunt.
His Plutum frangunt solis. At reddere fido
Mercedem famulo tardant, multumque gravantur,
Si quid pauperibus dandum iustisque suorum
Usibus aut studiis aut servatoris honori.
Sunt, qui, nulla licet condant in vincula Plutum,
Sed lautè semper tractent illoque fruantur,
Haud tamen ire foras aut praetereuntibus unquam
Apparere sinunt aut appellare propinquum
Aut noto ignotoque alicui dixisse salutem,
Porrigere aut saltem digitum dextramque benignam,
Inservire sibi solis mandantque voluntque.
Quis non hos dicat caecos et amare tenebras,
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der Zechbruder, der gefräßige Schmarotzer, die witzelnden Spaßmacher, die Musiker, der Flötenspieler und der Lautenschläger. Vieles schleppen weg: der Jäger, der Fischer, der Vogelfänger, der Koch und der Bäcker. Häufig werfen sie ihn auf die gleiche Art aus dem Haus, wie er ins Haus hineingekommen ist: mit Kriegführen oder Spiel oder mit Betrug und Raub.
Da gibt es Leute, die ihn elendiglich preisgeben, steinigen und strapazieren mit indischen Hunden, Vögeln und Meerkatzen, mit einer exotischen Bestie, mit diomedeischen Pferden und einem anderen Luxus, der nur gerade Gesprächsthema sein mag. Sie errichten verschwenderische Bauwerke, für die gar kein dringender Bedarf besteht. Sinnlos reisen sie mit großen Kosten hierhin und dorthin. Sie kaufen prachtvolle Kleider und erwerben Gärten, die den Gärten des Alkinoos in nichts nachstehen, legen Menagerien an, besitzen Wildparks, und auch an Vogelhäusern fehlt es ihnen nicht. Allein hiermit machen sie Plutus kurz und klein. Dagegen sind sie sehr säumig, wenn es gilt, einen treuen Diener zu entlohnen, und es kommt sie sehr schwer an, wenn sie etwas für die Armen, für wohlbegründete Bedürfnisse oder Bestrebungen ihrer Angehörigen oder zur Ehre des Heilands aufwenden müssen.
Da sind Leute, die, obwohl sie Plutus in kein Gefängnis stecken, sondern ihn stets anständig behandeln und aus ihm Nutzen ziehen, doch nicht dulden, daß er aus dem Haus geht, sich den Vorübergehenden jemals zeigt, einen Verwandten anspricht oder irgendeinen Bekannten oder Unbekannten grüßt oder ihm wenigstens einen Finger und die freundliche Rechte hinstreckt – es ist ihr Befehl und ihr Wille, daß er allein ihnen dienstbar sei. Wer wird von diesen Menschen nicht sagen, sie seien blind und liebten die Finsternis,
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<168> È quibus emersit Plutus, tellure sub alta
Erutus? Ad Stygias contendunt nempe paludes
Atque oculos nunquam ad coelum vel sidera tollunt,
Nec lucem quaerunt nec amant spectantque supernam:
Obliti vitae atque sui Regisque polorum.
Sic oculis Plutus captus plerunque videtur,
Eruere et sanae prendenti lumina mentis.
Porrò mei quondam veniens in tecta patroni
Omnia conspexit clarè: nec, largus et Indis
Quamlibet irradians gemmis auroque refulgens,
Illius integrae praestrinxit lumina mentis,
Ne rectum sequeretur iter Dominoque probatum.
Utitur ingenuè Pluto divinaque iuxta
Dispensat iussa. Est humanus, comis et omni
Virtute insignis, tenuem haud fastidit amicum,
Insano procul à fastu ciliisque superbis.
Non animum luxu nec corpus perdit inerti.
Sedulus inservit patriae supremaque curat
Munera. Subiectos mansuetè dirigit, ornat.
Quantum illi veri studium? quàm iugis honesti
Ardor? quàm lautè Musas doctosque tuetur?
Quàm Christum colit atque illius honorat amicos?
Quàm multos inopes sustentat denique cives?
Omnibus impertit praelargi munera Pluti.
Nempe sibi haud vivit soli nec possidet illum,
Verùm et pauperibus, Christo Musisque piisque.
Si vis, Plute, dein non prorsum caecus haberi,
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aus der Plutus emporgekommen ist, heraufgeholt aus der Tiefe der Erde? Eiligen Schritts streben sie nämlich zum stygischen Pfuhl und heben die Augen niemals zum Himmel oder zu den Sternen empor; sie verlangen auch nicht nach dem himmlischen Licht und lieben und betrachten es nicht – ohne einen Gedanken an das Leben, an sich selbst und an den König des Himmels.
So hat es meist den Anschein, als sei Plutus blind und entreiße dem, der ihn ergreift, die Sehkraft des gesunden Verstandes. Als er nun aber einst in das Haus meines Gönners kam, erblickte er alles in voller Klarheit: und obwohl reich, gleißend von indischem Geschmeide und schimmernd von Gold, verdunkelte er jenem doch nicht die Sehkraft seines unverdorbenen Verstandes, um ihn an der Verfolgung des rechten und dem Herrn wohlgefälligen Weges zu hindern. Er macht von Plutus angemessenen Gebrauch und verteilt ihn gerecht nach göttlichem Gebot. Er ist leutselig, freundlich und zeichnet sich durch jede Tugend aus; weit entfernt von aberwitzigem Hochmut und hochnäsigem Stolz, verschmäht er keineswegs den ärmlichen Freund. Er zerrüttet nicht Geist noch Körper mit erschlaffendem Luxus. Emsig dient er dem Vaterland, und die höchsten Ämter nimmt er gewissenhaft wahr. Seine Untertanen lenkt er sanft und fördert sie. Wie groß ist sein Eifer für die Wahrheit! Wie beständig seine Leidenschaft für die Ehrbarkeit! Wie trefflich schützt er die Musen und die Gelehrten! Wie ist er Christus zugetan und wie ehrt er dessen Freunde! Wie vielen mittellosen Bürgern schließlich gewährt er Unterhalt! Alle läßt er teilhaben an den Gaben des überaus üppigen Plutus. Nicht für sich allein nämlich lebt er, und nicht für sich allein hat er ihn in Besitz, sondern auch für die Armen, für Christus, die Musen und die Frommen. Wenn du, Plutus, künftighin nicht für völlig blind gehalten werden willst,
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<169> Tales, si pudor est aliquis vel visus, adito.
Satyra quarta.
Scilicet amborum pacta intellexit amicus,
Coniugis et moechi: nimirum ubi, quomodo, quando
Optato possent coitu de more potiri.
Reque adeò indigna subitas exarsit in iras
Piloque arrepto moechi properavit ad aedes,
Impulit et foribus clausis, iunctisque fenestris.
Dicitur in magno versarier unde periclo.
Quis mores autem violenti nescit amoris?
Ferventesque faces cordis zelumque potentem,
Si quid rivalis tentet vel turpis adulter?
Hinc cornuti dura ineunt certamina tauri,
Poenasque hirsuti sumunt extemplò leones,
Si non ipsorum violare cubilia pardus
Abstinuit neque mox fluviali diluit unda
Culpam vel certè cum corruptore profugit
Foemina. Depugnant curvis quoque dentibus apri
Vulneribusque suum latis tutantur amorem.
Mutuò quanta leves committunt praelia cervi,
Ne tolerent rivalem ullum sociumque cupitae
Idaliae? Quin cornipedes rem propter eandem
Morsibus infestis pugnant et calcibus acres,
Ut satis haud ulli possint retinere magistri.
Nec tantum in pugnam maiora animantia torquet
Iste furor, verùm cunctis animantibus idem est.
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dann wende dich an solche Männer – vorausgesetzt, du hast etwas Ehrgefühl und Sehvermögen.
Vierte Satire
Man höre: Mein Freund bekam Wind von den Verabredungen der beiden, nämlich seiner Frau und ihres Liebhabers, und zwar davon, versteht sich: wo, auf welche Art und wann sie nach ihrer Gewohnheit zu dem ersehnten Beischlaf kommen könnten. Über einen derart entehrenden Vorgang entbrannte er in jähem Zorn; hastig ergriff er einen Spieß, eilte zum Haus des Liebhabers und schlug an die verschlossene Tür und die verriegelten Fenster. Es heißt, daß er deshalb in großer Gefahr schwebe. – Wer aber kennt nicht das Gebaren stürmischer Liebe, die heiße Glut des Herzens, die mächtige Eifersucht, wenn ein Nebenbuhler oder schändlicher Ehebrecher sein Glück versucht? Dann treten die gehörnten Stiere zu rauhen Kämpfen an, und die struppigen Löwen rächen sich augenblicklich, wenn der Panther nicht davon Abstand genommen hat, ihr Lager zu entehren, und die Gattin nicht alsbald die Schuld mit Flußwasser abgespült oder doch wenigstens mit dem Wüstling das Weite gesucht hat. Auch Wildschweine kämpfen mit ihren gebogenen Hauern auf Leben und Tod und behaupten ihre Liebe durch Austeilen weitläufiger Verwundungen. Welch schwere Schlachten liefern einander nicht die leichtfüßigen Hische, um keinen Rivalen und Gefährten ihrer begehrten Venus ertragen zu müssen! Ja aus demselben Anlaß kämpfen feurig die Pferde mit streitbaren Bissen und den Hufen, so daß kein Hüter sie einigermaßen im Zaum zu halten vermag. Und nicht nur die größeren Lebewesen plagt diese Kampfeswut; sie ist allen Lebewesen gemeinsam.
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<170> Zelotypeia ardent volucres, iumenta feraeque
Squammosumque genus, neque toto est belua ponto,
Quae perferre queat socii patienter amorem.
Aspice, quàm tumido pugnet certamine gallus
Tuteturque suam peregrina à labe cohortem!
Haec tamen ignorant genialis foedera lecti,
Nec coniuncta Deus carnem compegit in unam,
Uxorem ut notum proprio iunxisse marito
Nos homines inter, nullum ut ius corporis ambo
Possideant proprii, mage sed dicatur uterque
Corpore in alterius tantum regnare potenter,
Nil magis uxoris proprium ut sit quàm ipse maritus
Nilque viri proprium mage quàm, quae contigit, uxor.
Iam quid mirum igitur, si zelotypeia maritos
Torqueat et propriam haud possint concedere carnem
Quamlibet ut dis atque potens incestet adulter?
Nec factum expectare queunt, sed signa latronis
Observare sui, congressus, munera, risus,
Colloquium, stationem et epistolia omnia, nutus
Cautius evitare ac prorsum excludere debent,
Coniuge proque sua quisque obiectare periclo
Res corpusque suum et quicquid valet insuper armis.
Hoc natura iubet, leges et coelitùs imis
Cordibus inscriptae, quin lex quoque sancta maritis
Suspectas contra uxores nonnulla ministrat
Auxilia. Horrendum, quòd aquas potare coegit
Fatiferas dubiamque fidem discrimine certo
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Von Eifersucht entbrennen die Vögel, das Zugvieh, die Tiere der Wildnis und die Fische, und im ganzen Meer ist kein Untier, das imstande wäre, das Liebesverlangen des Nebenbuhlers mit Gelassenheit zu ertragen. Sieh nur, wie aufgeblasen der Hahn den Kampf ausficht und wie er sein Völklein vor fremdem Tritt beschützt! Der Bund der Ehe jedoch kennt nicht dergleichen: Was nicht verbunden war, hat Gott zu einem Fleisch zusammengefügt, so daß unter uns Menschen bekannt ist, daß eine Frau einem ihr allein angehörigen Mann angetraut wurde. So hat keiner von beiden ein Recht auf den eigenen Körper, sondern man kann eher sagen, daß jeder von beiden nur über den Körper des anderen machtvoll gebiete; so hat die Frau nichts mehr zu eigen als ihren Ehemann selbst und der Mann nichts mehr als die Frau, die ihm zuteil wurde. Nun, was Wunder also, wenn die Ehemänner Eifersucht quält und sie keineswegs zulassen können, daß ein Ehebrecher, mag er auch noch so reich und stark sein, ihr eigenes Fleisch schändet? Sie können auch nicht abwarten, bis es geschehen ist, sondern müssen die Spuren des ihrem Eigentum nachstellenden Räubers, seinen geselligen Umgang, seine Amtsgeschäfte, sein Lachen, sein Gespräch, seinen Aufenthaltsort, seine sämtlichen Briefchen und seine Winke im Auge haben, sie sorgsam meiden und ihnen ganz und gar den Zugang versperren. Und für seine Frau muß jeder sein Vermögen, seinen Körper und was sonst noch als Waffe taugt, entgegensetzen. Dies befehlen die Natur und die Gesetze, die der Himmel tief ins Innere der Herzen eingeschrieben hat. Ja sogar das heilige Gesetz gibt den Ehemännern gegenüber Ehefrauen, die sich verdächtig gemacht haben, die eine oder andere Hilfe an die Hand. Schrecklich, daß es zwingend vorgeschrieben hat, todbringendes Wasser zu trinken und die Frage der im Zweifel stehenden Treue einer zuverlässigen Entscheidung
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<171> Expediit. Sed quis rectè non colligat inde,
Quanta maritali sint concedenda dolori
Sacrum ob coniugium, quod iam vel torvus adulter
Polluit aut certè prorsus violare laborat?
Quid, quod adulterii convictos mittier Horco
Oppressos iussit saxis? Ingentes unde timores
Omnibus incussit, ne quis violare iugalem
Auderet lectum tantosque abrumpere nexus.
Huc praeclara etiam quondam lex Iulia spectat.
Verbera perferri poterunt maledictaque quaevis,
Et poterit ferri cum magno iniuria damno,
Hoc scelus haud unquam quibit tolerare maritus
Nec coniurato quamvis concedere fratri.
Nota est carnivori feralis coena Thyestae.
Notum est, quo Dominus zelo commotus acerbis
Falsos suppliciis mactaverit usque prophetas,
Qui populum, taedae veluti sibi foedere iunctum,
Vanis stuprassent doctrinis. Quin et in ipsum
Constituit populum levis haud exempla furoris,
Quod reus esset adulterii cultusque prophani.
Huc animos etiam nostros deducit, ut acrem
Contra invasorem lecti erumpamus in iram.
Scilicet ut dictum Salomonis voce periti,
Nullius hîc furor et zelus parsisse mariti
Assolet, haud precibus tantam componere fraudem
Sustinet, haud ullo placatur munere demum.
Fures exuperat cunctos sceleratus adulter.
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entzogen hat! Wer aber wird daraus nicht zu Recht entnehmen, wie große Zugeständnisse man dem Schmerz eines Ehemannes im Hinblick auf die Heiligkeit der Ehe machen muß, die ein finsterer Ehebrecher entweder schon besudelt hat oder wenigstens völlig zu schänden bemüht ist? Ja das Gesetz hat sogar befohlen, überführte Ehebrecher durch Steinigung zu töten! Dadurch hat es allen gewaltige Furcht eingejagt, damit niemand es wagte, ein Ehebett zu schänden und so gewichtige Bindungen zu zerreißen. Hierauf zielt auch das einst hochberühmte Julische Gesetz ab. Schläge und alle nur denkbaren Beschimpfungen werden sich ertragen lassen, desgleichen ein Unrecht, das großen Schaden mit sich bringt – diesen Frevel jedoch wird kein Ehemann jemals dulden und ihn auch keinem noch so eng verschworenen Bundesbruder zugestehen können. Man kennt das Leichenmahl des Fleisch verzehrenden Thyestes. Man weiß, welche Eifersucht den Herrn dazu getrieben hat, in einem fort falsche Propheten mit grausamen Todesstrafen hinzuschlachten, weil sie sein Volk, das mit ihm gleichsam ehelich verbunden war, durch nichtige Lehren geschändet hatten. Ja seinem Volk selbst gegenüber gab er Beispiele nicht geringen Grimms, weil es sich des Ehebruchs und eines frevelhaften Kultes schuldig gemacht hatte. Auch unsere Gesinnung hat er dahin geleitet, daß wir gegen jemanden, der in unser Bett eindringt, in heißen Zorn geraten. Wie es nämlich in dem Ausspruch des erfahrenen Salomo heißt, ist die wütende Eifersucht jedes Ehemannes in diesem Punkt gewöhnlich schonungslos, kann sich nicht dazu überwinden, ein so schweres Verbrechen auf Bitten hin zu begraben, und ist schließlich durch kein Geschenk zu versöhnen. Der frevelhafte Ehebrecher ist schlimmer als jeder Dieb.
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<172> Haud etenim nummos aufert vel pocula, vestes
Gemmasve aut aurum, veterisve toreumata coeli,
Ipsam sed planè vitam et dulcissima vitae.
Ablatam uxorem propter fortissimus olim
Damna Palaestinis dedit haud vulgaria Samson,
Stantes devastans segetes lectosque maniplos.
Bissenis tribubus belli fuit autor acerbi
Clademque invexit magnam unicus ille Levites,
Uxorem cuius noctu occidere subando
Effrenes Gabanoitae, cum dedere nollent
Autores sceleris, sed pugnam et praelia mallent.
Coniuge privatus pugnam vitavit Achilles
Plurimaque invexit concepto damna furore
Omnibus Argivis, nec ab ira desiit antè,
Quàm velut intactam sibi restituisset Atrides.
Quis caesos nescit Centauros? multaque bello
Funera Pirythoum sociasque dedisse phalangas
Ischomachen propter larga inter pocula raptam?
Unus mille rates ad Pergama traxit adulter,
In decimumque annum maduerunt sanguine campi,
Dum peterent Helenam Graii, illi reddere nollent.
Sic pollutum ob coniugium raptasque maritas
Magnae sunt ortae caedes funestaque bella.
Et vicio nobis à quoquam vortitur, acri
Commoti zelo si foedera pacta tuemur
Connubii? ferro est si fortè petitus adulter
Prima fervescente ira, non iure locoque
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Er entwendet nämlich kein Geld, keine Becher, Kleider, Juwelen, Gold oder halberhabene getriebene Kunstwerke von einem Grabstichel der Vorzeit, sondern schlechthin das Leben selbst und das, was das Süßeste im Leben ist. Weil man ihm seine Frau weggenommen hatte, bereitete der bärenstarke Samson den Palästinensern ganz außergewöhnlichen Schaden, indem er das stehende Korn und die zusammengelesenen Garben verwüstete. Jener einzigartige Levit, dessen Frau die zügellosen Leute von Gibae bei Nacht in ihrer Brunst getötet haben, wurde für die zwölf Stämme der Urheber eines grausamen Krieges und brachte großes Unheil über sie, weil jene die Urheber des Verbrechens nicht herausgeben wollten, sondern Kampf und Gefecht vorzogen. Da man ihn seiner Frau beraubt hatte, blieb Achilles dem Kampf fern und ließ alle Griechen wegen des Grimms, den er im Busen hegte, zahlreiche Verluste erleiden, und er gab seinen Zorn nicht eher auf, als bis der Atride sie ihm unberührt zurückgegeben hatte. Wer weiß nicht vom Tod der Kentauren – und daß Pirithous und die ihm verbündeten Scharen der Ischomache wegen, die man ihm beim üppigen Trinkgelage geraubt hatte, vielen im Kampf den Tod gaben? Ein einziger Ehebrecher veranlaßte die Ankunft von tausend Schiffen vor der Burg von Troja, und bis ins zehnte Jahr troffen die Felder von Blut, da die Griechen Helena verlangten, jene sie aber nicht zurückgeben wollten. So sind aus der Schändung einer Ehe und dem Raub von Ehefrauen schwere Gemetzel und trauervolle Kriege entstanden. Und rechnet es uns irgend jemand als ein schuldhaftes Verhalten an, wenn wir, von leidenschaftlicher Eifersucht getrieben, den Bund der Ehe verteidigen? Wenn etwa der Ehebrecher in der ersten Siedehitze des Zorns mit dem Schwert angegriffen wurde – sollte es auch ohne gehöriges Recht und am
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<173> Apto? Sit sanè culpa: ignoscenda tamen, si
Rectè perspicimus, tanti vis quanta doloris
Et quanti soleant primi consurgere motus
Indigna obiecta re compertaque repentè.
Illos certè aiunt veterum omnis turba sophorum
Nos regere haud posse ac vires excedere nostras.
Satyra quinta.
Quid tibi mecum autem, ludi scelerate magister?
Te rabidos etiam iuvat in me stringere dentes?
Atque venenatos nobis infligere morsus?
At nihil absurdi, quando veneranda Lyceia
Totque viros doctos naso suspendis adunco
Arrodisque ferus cunctos et denique censes
Prae te scire nihil, stolidosque ut spernis asellos,
Me quoque postremum prae te ut nihil esse loquaris.
Solus nempe sapis Salomone peritior ipso
Et Iovis excisus ceu docta Minerva cerebro.
Non ego iactavi quicquam me scire nec ulla
Cum doctis illis vel tecum parte locandum,
Hoc unum expertus, quàm nostra scientia vana
Quamque nihil certi re fermè habeamus in omni
Omnes et caeci tenebris erremus in atris:
Quod non prendidimus, nos comprendisse putantes,
Id quod Socraticis quimus cognoscere dictis.
Hoc tamen exponas, cupio, qua duxeris arte
Te praestare mihi? quae mira recondita noris,
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unpassenden Ort geschehen sein? Sei es auch immerhin eine Schuld: sie ist aber vezeihlich, wenn wir recht erkennen, wie groß die Gewalt eines so tiefen Schmerzes ist und wie groß gewöhnlich die erste Erregung, die in uns aufsteigt, wenn uns eine Schmach widerfahren ist und wir unvermutet davon Kenntnis erhalten haben. Wenigstens sagen alle Weisen des Altertums, daß wir jene Erregung keineswegs zu zügeln imstande seien und sie unsere Kräfte übersteige.
Fünfte Satire
Was aber willst du von mir, du schurkischer Schulmeister? Ergötzt es dich, auch gegen mich deine Reißzähne zu blecken und mir giftige Bisse beizubringen? Wenn du über verehrungswürdige Gymnasien und so viele gelehrte Männer die Nase rümpfst, alle Menschen wild benagst und vollends meinst, im Vergleich zu dir wüßten sie überhaupt nichts, und sie als täppische Esel verachtest, dann ist es doch nicht ohne Logik, daß du zu guter Letzt auch von mir sagst, im Vergleich zu dir sei ich gar nichts. Du allein, versteht sich, besitzt Weisheit, du bist sogar erfahrener als Salomo und wurdest wie die gelehrte Minerva aus dem Hirn Jupiters herausgehauen! Ich meinerseits habe mich nicht gerühmt, daß ich irgend etwas wüßte und einen Anspruch darauf hätte, jenen Gelehrten oder dir auf irgendeinem Gebiet an die Seite gestellt zu werden. Nur dies eine ist mir bewußt geworden: wie eitel unsere Wissenschaft ist und daß wir alle in fast keiner Sache völlige Gewißheit besitzen und in schwarzer Finsternis blind umherirren, in dem Wahn, begriffen zu haben, was uns gar nicht in den Griff gekommen ist – und dies ist das Wissen, das wir nach dem Wort des Sokrates zu erlangen vermögen. Doch hätte ich gern, daß du mir erläuterst, in welcher Kunst du dich als mir überlegen eingeschätzt hast! Welche wundersamen Geheimnisse sind dir kund,
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<174> Ut meritò excipias tanto nostra omnia risu?
Si ridere putas docti ac mordere cavillis
Indicium, facilè tecum certaverit omnis
Scurra dicax, doctusque fuit Sarmentus abundè.
An verò eximium censes magnique magistri,
Grammaticen parvis et prima elementa puellis
Tradere? et excluso totis garrire diebus
Iudice? sublatisque altè spirare tyrannum
Virgis? Hinc cristas tantum tibi sumis, opinor,
Nosque tuis censes miseris è classibus omnes.
Nos non audimus, quàm tu puerilia doctè
Tradas quaque tuum ludum ratione gubernes,
Et facilè est timidis hoc persuadere puellis,
Ut te praeclarum credant ac omnia nosse.
Progredere in lucem, penetralia desere ludi,
Publicitùs coram doctis tua mira doceto,
Ede aliquod scriptum et censuram ferto legentum.
Haud dubiè invenies Momum, qui taxet inertem
Impositasque tibi demat de vertice cristas
Teque irrisorem meritò derideat ipsum.
Nunc tu teli extra iactum procul atque tenebris
Conditus, egregius magnusque tibi ipse videris,
Scriptaque permordes aliena palamque docentes
Tutus. Non magni valde invenisse negoci,
Corpore in exposito Soli quod carpere possis.
Omnia quis loquitur semper vel scribit ubique,
Ut nil praesertim possit taxare malignus?
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daß du berechtigt wärest, alles, was von mir kommt, mit Gelächter aufzunehmen? Wenn du Hohnlachen und kränkende Hänseleien für Kennzeichen eines Gelehrten hältst, dann könnte es leicht jeder vorlaute Possenreißer mit dir aufnehmen, und dann war auch Sarmentus ein grundgelehrter Mann. Oder meinst du etwa, es sei etwas ganz Besonderes und erfordere einen Pädagogen von großem Format, kleine Jungen die Grammatik und die Anfangsgründe im Lesen und Schreiben zu lehren? Und Tag für Tag zu schwätzen, ohne daß ein kompetenter Beurteiler dabei wäre? Und mit hoch erhobener Rute den Tyrannen zu spielen? Nur deshalb, deucht mich, steckst du dir Federn an den Hut und meinst, wir alle gehörten deinen jämmerlichen Schulklassen an. Wir unsererseits können nicht hören, wie geschickt du den kindgemäßen Wissensstoff vermittelst und wie du deine Schule leitest – und verschüchterte Kinder zu bereden, daß sie dich für einen ganz vorzüglichen und allwissenden Mann halten, ist kein Kunststück! Komm einmal heraus ans Tageslicht, verlaß deine Schulstube, lehre deine wundersamen Weisheiten öffentlich, im Angesicht von Gelehrten! Veröffentliche irgendein Buch und stelle dich der Kritik der Leser! Ganz ohne Zweifel wirst du einen Momus finden, der dich als einen Stümper tadelt und dir die Federn, die du dir aufgesteckt hast, vom Hut nimmt und dich Spötter verdientermaßen selbst verspottet. So aber, weit vom Schuß und im Dunkel verborgen, erscheinst du dir selbst als ein außergewöhnlicher und bedeutender Mann und hackst von deiner sicheren Stellung aus auf fremde Bücher und auf Menschen, die öffentlich lehren. Es ist keine so übergroße Leistung, an einem der Sonne ausgesetzten Körper etwas entdeckt zu haben, was du zu bekritteln vermagst. Wer auf der Welt redet oder schreibt immer so, daß zumal ein Böswilliger nichts daran tadeln könnte?
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<175> Plurima grammatici in docto carpsere Marone.
Sunt, quibus interdum summus dormitet Homerus,
At non continuò reprendens doctior illis.
Talia nec potis est scripsisse poemata quisquam
Zoilus et vel Aristarchus doctusve Palaemon.
Non poterat ludorum attentus in Elide iudex
Aut rigido caestu aut cursu aut certare palaestra.
Egregio quare sparsos in corpore naevos
Ne carpas! Dubio procul inveniemus et in te
Verrucas nudo, quae possint iure reprendi.
Et si te videas ipsum glaucomate dempto,
Te fortasse tui nimium vereque pigebit.
Tene carere putas mendis? te nosse superbum
Omnia nec labi? nihil in te posse reprendi?
Credo equidem sic te dementem. Quippe canino
Haud iaceres adeò petulanter scommata dente
In quosvis nullique adeò parsisse studeres.
Insuper incessus, vestitus, lumina, vultus,
Os tortum, frons alta auremque prementia dextram
Pilea contemptorem aliorum te esse loquuntur
Atque tui vehementi ipsius amore teneri.
An magis insanum partas inflare putemus
Divitias morbumque tibi advexisse scelestum?
Ostentas sanè multum ambitiosus et illas,
Sed quînam partas? Cauponis more maligni,
Quum magna pueros aleres mercede nec illis
Iusta dares alimenta tamen, sed sordidus atri
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Die Grammatiker haben an dem gelehrten Maro sehr vieles bekrittelt; es gibt Leute, für die der unübertroffene Homer zuweilen ein Schläfchen hält: und doch ist einer, der fortwährend Rügen ausspricht, nicht gelehrter als jene! Solche Dichtungen vermochte kein Zoilus, kein Aristarchus und kein gelehrter Palaemon zu verfassen. Der aufmerksame Schiedsrichter der Spiele von Elis war nicht in der Lage, mit dem harten Schlagriemen zu kämpfen, um die Wette zu laufen oder den Ringkampf auszuführen. Bekrittle daher nicht die über einen auserlesenen Körper versprengten Muttermale! Zweifellos werden wir an dir, wenn du nackt bist, Warzen entdecken, die mit Recht getadelt werden können. Und wenn du dich selbst siehst, nachdem du vom grünen Star befreit bist, wirst du dir vielleicht gar sehr und ernstlich zuwider sein. Meinst du, daß du frei von Fehlern bist? Daß du großartig alles weißt und keinen Fehler begehst? Daß es an dir nichts zu tadeln gibt? Ich glaube in der Tat, daß du so verblendet bist. Sonst würdest du ja nicht so leichtfertig mit hündischem Zahn gegen jeden Beliebigen Sticheleien vorbringen und nicht so eifrig bemüht sein, niemanden zu verschonen. Überdies sprechen dein Gang, deine Kleidung, deine Augen, dein Gesichtsausdruck, dein schiefer Mund, deine hohe Stirn und die auf dem rechten Ohr sitzende Filzmütze dafür, daß du andere Menschen geringschätzt und in heftiger Eigenliebe befangen bist.
Oder soll man vielmehr glauben, daß errungener Reichtum dir Tollheit einbläst und dir eine unselige Sucht eingetrieben hat? Jenen Reichtum stellst du allerdings mit großer Eitelkeit zur Schau – doch wie hast du ihn denn erworben? Nach der Weise eines filzigen Schankwirts! Du verköstigtest nämlich die Knaben zu einem hohen Preis, ließest ihnen aber nicht die diesem entsprechenden Lebensmittel zukommen, sondern verabfolgtest ihnen geizig ein Stück schwarzes,
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<176> Et sicci frustum panis crambenque recoctam
Et vappam veterem, quam nemo hausisset arator.
Egregium verò, ludi simul esse magistrum
Atque ex perparca quaestum fecisse culina.
Sic imae plebis solitae ditescere feces.
Esto autem, placeas tibi propter opes malè partas
Exagitetque tuam vesana superbia mentem,
Contemnasque omnis prae te risuque flagelles:
Cur sis delator? quare disiungis amicos
Garrulitate tua? cur audita aedibus effers?
Te blandis facilè quorumvis fingis amicum,
Ad coenamque vocas aut à credente vocaris.
Illic vituperas illos, hos laudibus effers,
Unicus et censor pravumque bonumque facis tu.
Sique parum cautum verbis propellis amicum,
Damnet ut unà aliquem tecum laudive repugnet,
Deteriorem in partem interpres vertis iniquus,
Immemor et mensae degustatique salilli,
Affictis aliis damnato cuncta recenses
Inflammasque inimicitias odiumque cruentum
Fuso concilias ultrò citroque veneno.
Scilicet eximium, ludique insigne magistri,
Prodere secretum fraudemque creare sodali.
Aspides ad mensam veniant et vipera malo
Atra meam quàm tu. Malo prandere cicutam,
Delicias atque esse tuas fastumque superbum
Ferre tuum. Quare doctrina opibusque coactis
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trockenes Brot, aufgewärmten Kohl und alten, umgeschlagenen Wein, den kein Pflüger getrunken hätte. Eine in der Tat vorzügliche Leistung: Schulmeister zu sein und zugleich mit einer knausrigen Küche Profit gemacht zu haben! Auf diese Art wird gewöhnlich der Abschaum der niedersten Volksklasse reich. Doch sei’s drum! Bilde dir nur etwas ein auf deinen übel erworbenen Wohlstand, laß überspannten Hochmut dein Gemüt in Wallung bringen, schätze alle gering im Vergleich zu dir und geißle sie mit Hohnlachen! Warum aber bist du ein Zwischenträger? Weshalb bringst du mit deiner Geschwätzigkeit Freunde auseinander? Warum trägst du Dinge, die dir zu Ohren gekommen sind, aus dem Haus? Mit schönen Worten spiegelst du jedem Beliebigen beenkenlos Freundschaft vor, lädst ihn zum Mittagessen oder wirst von dem Gutgläubigen selbst eingeladen. Bei dieser Gelegenheit tadelst du jene und lobpreist diese. Und als alleiniger Sittenrichter setzt du fest, wer schlecht und wer gut ist. Und wenn du den etwas unbedachten Freund mit deinen Reden dazu verleitest, daß er gemeinsam mit dir irgend jemanden verdammt oder sich weigert, ihn zu loben, wendest du als unbilliger Ausleger die Dinge zum Schlechteren, und ohne einen Gedanken an seinen Tisch und das Salzfäßchen, aus dem du gekostet hast, breitest du alle den Verdammten betreffenden Angelegenheiten aus (anderes hattest du hinzuerfunden) und entfachst Feindschaften und erzeugst mit deinem hierhin wie dorthin ausgegossenen Gift blutigen Haß. Wahrlich eine vortreffliche und herausragende Eigenschaft eines Schulmeisters, ein Geheimnis zu verraten und dem Tischgenossen Schaden zuzufügen! Lieber wollte ich, daß Nattern und die giftige Viper an meinen Tisch kämen als du. Lieber wollte ich Schierling verspeisen, als deine Köstlichkeiten zu essen und deinen hoffärtigen Hochmut zu ertragen. Genieße also deine Gelehrsamkeit und deinen zusammengerafften Reichtum
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<177> Perfruere ipse tuis consuetoque utere passim
Candore erga alios! Mecum sit, dico, negoci
Nil tibi, ne stomachum moveas sine fine molestus,
Cogar et adversum dentatas promere chartas.
Satyra sexta.
Visne Loretani novisse exordia templi,
Quae posuere olim fatuis credenda Papistae?
Principiò affirmant dictis scriptaque tabella,
Matris IESU illud quondam conclave fuisse
Oppidulo patrio Solymorum in finibus urbis.
At nec cosmographus scripsit nec prodidit ulla
Historia, in Solymae Galilaeam partibus esse,
À se viginti fermè quum millibus absint.
Praeterea virgo nata est et vagiit infans
Illo in conclavi maturosque attigit annos,
Angelus atque illic tandem demissus Olympo
Astitit oranti subitò dixitque salutem,
Unde et servatorem illic concepit IESUM
Nutrivitque inibi, bissenos donec ad annos
Venit et officii specimen dedit ille recepti.
Unde putas illos tanta haec mysteria nosse?
Siccine nil operis fecit sanctissima virgo
Extra illud conclave, foras nec prodiit unquam?
Nec corpus lavit tenerum viditque culinam?
Nullamque è puteis lympham nec fontibus hausit?
Sed totas illic sedit noctesque diesque?
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selber und beweise allerorten deine gewohnte Lauterkeit gegenüber anderen Menschen! Mit mir, so sage ich dir, sollst du nichts zu schaffen haben: So fällst du mir nicht zur Last und erregst mir keinen endlosen Ärger, und ich bin nicht gezwungen, mit der Veröffentlichung von Stachelschriften dagegen anzugehen.
Sechste Satire
Möchtest du die Ursprünge der Kirche von Loreto erfahren, die die Papisten einst für Schwachköpfe als glaubwürdig ausgegeben haben? Zunächst beteuern sie in Wort und Schrift, jene Kirche sei ehemals das Gemach der Mutter Jesu gewesen, in ihrem Heimatstädtchen im Gebiet der Stadt Jerusalem.
Indes – kein Kosmograph hat geschrieben und kein Geschichtswerk hat vermeldet, daß Galiläa in der Gegend von Jerusalem liege, denn beide sind an die zwanzig Meilen voneinander entfernt.
Außerdem ist die Jungfrau in jenem Gemach geboren worden, hat dort als Kleinkind gequäkt und das mannbare Alter erreicht. Und schließlich stand dort der vom Himmel gesandte Engel unversehens an ihrer Seite, als sie betete, und grüßte sie – wodurch sie dort auch den Heiland Jesus empfangen hat. Daselbst zog sie ihn auf, bis er zwölf Jahre alt war und eine Probe von dem Amt ablegte, das er auf sich genommen hatte.
Woher, glaubst du wohl, haben jene Kenntnis von so hohen Mysterien? Hat die allerheiligste Jungfrau also außerhalb jenes Gemachs keinerlei Arbeit verrichtet, und ist sie auch niemals hinausgegangen? Hat sie auch nicht ihren zarten Körper gewaschen und die Küche aufgesucht? Hat sie auch aus keinem Brunnen und keiner Quelle Wasser geschöpft? Sondern alle Nächte und Tage dort drinnen gesessen?
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<178> An non transcendit montes dixitque salutem
Cognatae, tribus atque apud illam mensibus haesit?
An non Iosephi tandem migravit in aedes?
Ocio an indulsit puer ad tot denique messes?
Inque sinu cubuit clausae tantummodo matris?
Nec circa patrem lusit segmentaque legit?
Arma nec insuetis cepit[66] fabrilia palmis?
Nec patrem extra aedes unquam comitatus euntem est?
Namque licet verbis sensus queat alter inesse,
Attamen hoc potius clarè resonare videntur,
Virgo quasi haud unquam conclave reliquerit illud,
Et puer ad bissex illic desederit annos.
At postquam Christus celsum conscendit Olympum,
Mansit apud gnati bissenam virgo cohortem
Discipulosque alios. Quibus illa ex ordine pandit
Gesta in conclavi rerum miracla sacrarum.
Unde illi attoniti communi protinus omnes
Decreto cella ex illa fecere sacellum,
Virginis et matris proprium solius honori,
Et consecrarunt huc ritibus usque retentis.
Saepe deinde illic celebrarunt publica Missae
Officia, et Lucas medicus tum, denique pictor
Virginis effigiem fecit, quam dicere possis
Vivere, sic habitum pectusque expressit et ora.
Hactenus illa inibi vivax perdurat imago.
Quis non ex toto fundat pulmone cachinnos,
Proposita haec tam falsa videns credenda popello
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Hat sie nicht ein Gebirge überschritten, eine Verwandte begrüßt und drei Monate bei ihr verbracht? Ist sie nicht schließlich in Josephs Haus gezogen? Oder hat der Knabe vollends so viele Jahre untätig zugebracht und nur im Schoß seiner eingesperrten Mutter geschlafen? Hat er auch nicht beim Vater gespielt und Flicken aufgelesen? Hat er nicht Handwerkszeug in seine ungeübten Hände genommen? Hat er den Vater auch nie begleitet, wenn er außer Haus ging? Obwohl der Schrift freilich auch ein anderer Sinn innewohnen könnte, scheint sie sich doch vielmehr klar und deutlich so vernehmen zu lassen, als habe die Jungfrau jenes Gemach zu keiner Zeit verlassen und der Knabe bis zum zwölften Lebensjahr ebendort verweilt.
Nachdem aber Christus zum hohen Himmel aufgefahren war, blieb die Jungfrau bei den zwölf Begleitern und den anderen Schülern ihres Sohnes. Ihnen offenbarte sie Punkt für Punkt die heiligen Wunderdinge, die sich in dem Gemach abgespielt hatten. Verzückt machten sie deshalb durch Gemeinschaftsbeschluß aus jenem Kämmerlein sogleich eine kleine, einzig dem Ruhm der Jungfrau und Mutter gewidmete Kapelle und weihten sie nach dem Ritus, der sich bis heute erhalten hat. Von da an feierten sie dort öffentlich den Meßgottesdienst, und Lukas, der damals Arzt und auch Maler war, fertigte ein Bildnis der Jungfrau an, von dem man sagen könnte, es sei lebendig, so treffend hat er die äußere Erscheinung, den Oberkörper und das Antlitz wiedergegeben. Jenes lebensvolle Bildnis überdauert dortselbst bis auf den heutigen Tag.
Wer müßte nicht aus vollem Halse lachen, wenn er sieht, wie der Christenheit solche Erdichtungen als Glaubenswahrheiten verkündet werden?
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<179> Christigenûm? Quis Apostolicum tam prava senatum
Decrevisse putet, divino ut ferret honore
Vel matrem Domini vel de mortalibus ullum?
Templaque construeret consecraretque prophano
More atque idolis farciret deinde colendis?
An matrem Domini tam prava tulisse putemus?
Praeterea Ambrosii manifestum tempore, nullas[67]
Aedes Christigenûm picta sculptave fuisse
Notas effigie, velumque aliquando repertum
Cuiusdam pictum mortalis imagine divi
Cyprius antistes ferventi discidit ira:
Non facturus, Apostolicus si quando senatus
Effigiem Mariae sacra tolerasset in aede,
Quò cuncti adque preces et sacra venire solerent.
At non pro lucro mentiri turpe Papistae
Censent nec summis absurda imponere divis.
Caetera nunc audi. Quicunque in partibus illis
Christi fautores aderant, coluere sacellum,
Illic invaluit donec turpissima vulgò
Secta Mahometi detestans omnia prorsus
Divorum simulacra. Hinc mox illius honores
Imminui, ut Christum proceres vulgusque negassent.
Ergo à coelesti sublatum est inde caterva,
Vix fundamentis modò in alta sede relictis,
Et procul Illyrica pulchrè regione locatum
Ad castrum quoddam referens à flumine nomen.
Ast illic segnes haud curavere coloni,
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Wer könnte glauben, daß der Rat der Apostel so schlimme Dinge beschlossen haben sollte: der Mutter des Herrn oder irgendeinem Sterblichen göttlichen Ruhm zuzuerkennen; eine Kirche zu errichten, sie auf gottlose Art zu weihen und sie darauf mit Götzenbildern vollzustopfen, die man anbeten mußte? Oder sollen wir glauben, daß die Mutter des Herrn so schlimme Dinge geduldet habe? Außerdem ist es offensichtlich, daß zur Zeit des Ambrosius keine Häuser von Christenmenschen bekannt waren, die mit einem gemalten oder gemeißelten Bildwerk ausgestattet gewesen wären. Und der Bischof Cyprius zerriß irgendwann einmal in glühendem Zorn ein Tuch eines gewissen Mannes, das man mit dem Bild eines sterblichen Heiligen bemalt vorgefunden hatte. Er hätte dies nicht getan, wenn der apostolische Rat jemals in einem Gotteshaus, in das gewöhnlich alle zu Gebet und Gottesdienst kamen, ein Bildnis der Maria geduldet hätte. Die Papisten halten es indessen für keine Schande, um des Gewinstes willen zu lügen und den größten Heiligen Widersinnigkeiten zuzuschreiben.
Höre nun das übrige! Alle Förderer Christi, die in jener Gegend ansässig waren, verehrten die Kapelle, bis die überaus abscheuliche Sekte Mohammeds, die alle Heiligenbilder in Bausch und Bogen verdammte, allgemein zunahm. Daher verringerten sich schnell die Ehrbezeugungen für jene Kapelle, sobald die Vornehmsten und das Volk sich von Christus abgekehrt hatten. Also wurde sie daraufhin von einer himmlischen Schar in die Höhe gehoben – kaum daß gerade die Fundamente tief im Boden zurückblieben – und weit entfernt in illyrischem Gebiet, bei einer nach einem Fluß benannten Festung, hübsch aufgestellt. Doch die schwerfälligen Bauern dort kümmerten sich nicht um sie
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<180> Forsitan ignari gestorum atque eminus illuc
Angelicis manibus sublime per aera vectum.
Non pro voto igitur cernens sanctissima virgo
Seque aedemque coli, statuit discedere et illinc
Et transferre aedem. Quare rursum inde tulerunt
Angeli et Ausoniis posuerunt molliter oris,
In Recanatensi fundo silvaque comanti.
Haec erat ingenuae dominae possessa Loretae,
Nunc ipsa unde tenet vulgatum Ecclesia nomen.
Hic satis in precio fuit intemerata virago
Cultaque ab indigenis dignè turbaque frequenti
Advenientum aliunde et munera grata ferentum.
Hinc invitati, crudelis turba, latrones
Omnes obsedere vias ipsaque patrarunt
Crebras in silva caedes praedamque tulerunt,
Quae Mariae ad cultum longinquis venerat oris.
Quin et adulteriis silva stuprisque scatebat
Omnigenis, scelerum quasi idonea facta taberna.
Omnibus his virgo multum indignata recessit,
Iussit et Angelicos fanum transferre ministros.
Hinc illi in montem fratrum posuere duorum.
Fratres excipiunt laeti gaudentque patrona
Divite cultoresque suos ditante libenter.
Mox fani rumor vicinas venit in urbes,
Namque illic multa edebat miracula Virgo.
Excitum unde ruit vulgus puerique senesque,
Cives, ruricolae, pedites equitesque beati,
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– vielleicht, weil sie nicht wußten, was sich in ihr ereignet hatte und daß Engelshände sie von weither hoch durch die Lüfte dorthin gebracht hatten. Als die allerheiligste Jungfrau also bemerkte, daß sie und ihr Haus nicht ihrem Wunsch entsprechend verehrt wurden, beschloß sie, auch diesen Ort zu verlassen und das Haus zu versetzen. Daher schafften es die Engel wiederum von dort weg und stellten es in Italien, auf recanatensischem Boden, in einem Laubwald sanft nieder. Dieser war im Besitz der edlen Herrin Loreta, nach der die Kirche heute ihren allgemein bekannten Namen trägt. Hier erfuhr die unbefleckte heldische Jungfrau ausreichend Wertschätzung und wurde von den Einheimischen und der großen Schar von Menschen, die von anderswo herbeikamen und Liebesgaben brachten, würdig verehrt. Dies war ein Anreiz für rohes Gesindel und Straßenräuber, alle Wege zu belagern; im Wald selbst begingen sie häufig Morde und nahmen als Beute, was zur Verehrung Marias von weither gekommen war. Ja der Wald wimmelte auch von allerlei Unzucht und Hurerei; er war gewissermaßen zu einer ihren Zweck trefflich erfüllenden Räuberhöhle geworden. Zutiefst empört über all dies zog sich die Jungfrau zurück und befahl ihren Helfern, den Engeln, das Heiligtum zu versetzen. Daraufhin stellten diese es auf einen Berg, der zwei Brüdern gehörte. Die Brüder nahmen es freudig auf und frohlockten über die reiche Patronin, die ihren Verehrern bereitwillig Wohlstand verschaffte. Bald drang das Gerücht von dem Heiligtum in die benachbarten Städte, denn die Jungfrau vollbrachte dort viele Wunder. Dadurch angelockt stürzte das Volk herbei: Kinder und Greise, Bürger, Bauern, Plebejer und reiche Patrizier,
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<181> Virgini et intactae sine munere nemo salutem
Dixit nec gratis speravit posse favorem
Nancisci. Multos haec duravere per annos.
Hinc proventus templo ingens accessit, opesque
Accrevere nimis. Carpebant omnia fratres
Tanto successu laeti rebusque secundis.
Sed non fortunam longùm potuere faventem
Perferre unanimes. Proventus propter eosdem
Funesta inter eos tandem discordia crevit,
Alterius capiti insidias dum poneret alter
Inque peregrinos ruerent fierentque latrones,
Intutas fecere vias fanumque relinqui.
Ergo videns solitum Virgo rarescere cultum,
Spiritibus rursum mandavit et inde supernis
Auferre inque viam communem ponere templum,
Nempe illuc, nostro à multis ubi visitur aevo.
At fundamento (dictum) fulcrisque carebat.
Nazarethana etenim fundamen manserat urbe,
Quod Recanatensis populus vix denique sensit.
Muro igitur forti fundamentoque profundo
Munivere, aedes ne tam divina ruinam
Vel larga traheret pluvia ventive procella.
Sic igitur multos mansit solidata per annos,
Nec norat quisquam, quinam venisset et unde.
Quo magis ergo suum Virgo cumularet honorem,
In somnis cuidam devoto apparuit et rem
Usque à principio recitavit et edidit omnem.
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und niemand brachte der unberührten Jungfrau seinen Gruß ohne ein Geschenk dar und gab sich der Hoffnung hin, ihre Gunst umsonst zu erlangen. Dieser Zustand dauerte viele Jahre. Dadurch sammelte sich in der Kirche ein riesiges Warenlager an, und ihr Reichtum wuchs ungeheuer. Den Nießbrauch von dem allen hatten die Brüder, die froh waren über so großen Erfolg und den günstigen Fortgang der Dinge. Doch nicht lange vermochten sie die Gunst des Glückes in Eintracht zu ertragen. Eben wegen der reichen Ausbeute entwickelte sich zwischen ihnen schließlich tödliche Zwietracht. Dadurch, daß der eine dem anderen nach dem Leben trachtete, beide die Fremden überfielen und zu Straßenräubern wurden, machten sie die Wege unsicher und bewirkten, daß das Heiligtum verödete. Als die Jungfrau also gewahr wurde, daß die gewohnte Verehrung abnahm, befahl sie den himmlischen Geistern wiederum, die Kirche auch von dort zu entfernen und an einer öffentlichen Straße aufzustellen, ebendort nämlich, wo sie zu unserer Zeit von vielen Menschen aufgesucht wird. Doch, wie schon gesagt, ihr fehlten Fundament und Stützpfähle, denn der Unterbau war ja in der Stadt Nazareth verblieben – was die Bevölkerung von Recanati schließlich kaum begriff. Man befestigte sie also mit einer starken Mauer und einem tiefen Fundament, damit das so heilige Haus nicht infolge starken Regens oder heftigen Sturmwinds einstürzte. Derart befestigt überdauerte es viele Jahre, und niemand wußte, wie und woher es gekommen war. Um also ihren Ruhm noch weiter zu steigern, erschien die Jungfrau einem ihrer Verehrer im Schlaf und berichtete und verlautbarte ihm die ganze Geschichte von Anfang an.
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<182> Is quoque non celare potens miracula tanta,
Omnibus in triviis ingenti cuncta stupore
Narravit. Primùm visus mera somnia fari
Velleque simplicium fragiles subvertere mentes,
Consilio donec communi ivere bis octo
Cordatique gravesque viri ad Galilaeia rura,
Falsane res an vera foret spectare volentes.
Quid multa? Invenere palàm, quod dixerat ille,
Fundamenta relicta solo duntaxat et inde
Avulsum templum, conclave quod antè fuisset,
Angelicaque manu sublimè per aera vectum
Et Recanatensi positum tellure locoque
Se digno, postquam virgo haud dignata morari
Sedibus ob scelera invisis cultumque negatum.
Haec verè sic facta affirmat denique scripto
Fortiter antistes quidam impressoque sigillo.
I nunc atque nega sinceros esse Papistas
Catholicos sponsaeque Dei fideique magistros.
Improba confutet quisnam haec mendacia verbo?
Quis Samosatensis veras non credere malit
Historias quàm falsa haec planeque impia facta?
Quis non suspenso potius tranasse volatu
Aera sublimem natum Iove Persea credat?
Cecropiumque fabrum Cretam, Minoia regna,
Affixis cera fugisse per aethera pennis?
Atque Medusaeum robustis Pegason alis
Sidereas adiisse domos inque astra relatum?
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Dieser wiederum, ebenfalls nicht imstande, so große Wunder für sich zu behalten, erzählte in seiner ungeheuren Betroffenheit alles auf sämtlichen Gassen. Zuerst erweckte er den Eindruck, als tue er bloße Traumgespinste kund und wolle die ungefestigten Gemüter der Einfältigen in Verwirrung stürzen – bis sechzehn verständige und würdige Männer sich auf Gemeindebeschluß in die Gefilde von Galiläa begaben, in der Absicht, zu prüfen, ob die Geschichte erfunden war oder der Wahrheit entsprach. Was soll ich viel erzählen: sie stellten vor aller Öffentlichkeit fest, daß, wie jener es berichtet hatte, allein die Grundmauern im Erdreich zurückgeblieben waren und die Kirche, einstmals ein Gemach, von ihnen losgerissen worden, von Engelshand hoch durch die Lüfte getragen und auf recanatensischem Boden, einem ihrer würdigen Ort, aufgestellt worden war, nachdem die Jungfrau es für entschieden unter ihrer Würde erachtet hatte, an Standorten zu verweilen, die ihr dadurch verhaßt waren, daß dort Frevel verübt und ihr die Verehrung verweigert wurde. Daß dies alles wahrhaftig so geschehen sei, wird vollends von einem gewissen Bischof mit Brief und Siegel nachdrücklich bestätigt.
Geh nun und verkünde, es sei falsch, daß die Papisten unverdorbene Rechtgläubige seien und von der Braut Gottes und dem Glauben rechtschaffen lehrten! Wer bringt wohl diese ruchlosen Lügen mit dem Wort zum Schweigen? Wer wollte nicht lieber die Geschichten des Samosatensers für wahr halten als diese erdichteten und schlechthin gottlosen Vorgänge? Wer wollte nicht lieber glauben, daß Jupiters Sohn Perseus in schwebendem Flug hoch oben die Lüfte durchschwommen habe? Und daß der athenische Künstler mit Hilfe von Federn, die mit Wachs aneinandergeheftet waren, aus Kreta, dem Reich des Minos, durch die Lüfte geflohen sei? Und auch, daß Pegasus, der Sohn der Medusa, mit kraftvollen Flügeln zu den himmlischen Behausungen gelangt und unter die Sterne versetzt worden sei?
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<183> Quis non et gerras magis et mendacia credat,
Naufragus Alcinoo quae denarravit Ulysses?
Aut quis non potius coelestis ad atria regis
Ascendisse Mahometen et frigora tactu
Illius expertum dextrae atque alia impia multa?
Ergo coli voluit virgo cultuque negato
Sublata simul aede aliò commota recessit?
Ah piget indignis adeò disperdere chartas
Infandosque dolos certasque refellere fraudes.
Talia de multis aliis finxere lucrosè
Aedibus et statuis passim pictisque tabellis,
Ut populum à Christo et vera pietate remotum
Implicitumque superstitione atrisque tenebris
Retibus ut cervos omni absque timore vorarent.
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Wer wollte den Ammenmärchen und Fabeleien, die der schiffbrüchige Odysseus dem Alkinoos des langen und breiten erzählte, nicht größeren Glauben schenken? Oder wer wollte nicht eher glauben, daß Mohammed zum Palast des Himmelskönigs aufgefahren sei und durch Berührung die Kälte von dessen rechter Hand gespürt habe – und viele andere Gottlosigkeiten mehr? Demnach wollte die Jungfrau verehrt werden und ist, als ihr die Verehrung versagt worden war, zusammen mit ihrem Haus, das in die Höhe gehoben und an eine andere Stelle versetzt wurde, entschwunden? Ah, ich bin es leid, mit derart unwürdigen Dingen Papier zu verderben und unsägliche Mystifikationen und unbezweifelbare Betrügereien zu widerlegen! Dergleichen haben sie von vielen anderen Gebäuden, Standbildern und Gemälden allenthalben gewinnbringend zusammengefabelt, um das Volk, nachdem es Christus und der wahren Frömmigkeit entfremdet und in Aberglauben und schwarze Finsternis verstrickt war wie Hirsche im Netz, ohne jede Scheu zu verschlingen.
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sanguiguine
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quib.
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fortuitaque
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Nemrothi
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Morib.
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sacro sancta
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modò
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praescibis
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Non nulli
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Diomedesque
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caepit
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nulla
Letzte Änderung:
12.05.2009
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