Text and Translation submitted by Lothar Mundt.
Conspectus: Satyra prima / secunda / tertia / quarta / quinta.
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THOMAE NAOGEORGI SATYRARUM
LIBER SECUNDUS.
Satyra prima.
<57> Non miror tua scripta tibi studiumque placere
Quodque tuos laudas mores impensius aequo.
Commune hoc vitium doctis rudibusque bonarum
Artium. At hoc miror, cur damnes atque reprendas,
Quicquid agunt alii scribuntque studentque sodales.
Regula virtutis pietatisque optima monstrat,
Quae sint vel niveis atrisve notanda lapillis.
Hac tua deberes alienaque ponere facta.
Fallimur interdum nostris et recta putamus,
Quae sine blanditiis apparent prava dolosis.
Sic quoque damnamus perverse aliena frequenter.
Magnis admisces te connumerasque poetis:
Quod concedo equidem, nec laudem detraho cuiquam.
Me verò dicis penitus non esse poetam.
Si quaero causas, edis, quòd laurea nondum
Caesaris Augusti regisve favore potentis
Sit collata mihi, facilis quòd dictio versum
Et plana efficiat puero haud obscura decenni,
Denique quòd veterum haud sapiant mea carmina gustum.
Hisce poetarum me causis eiicis albo.
Magnificum sanè nec non optabile vulgo
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DER SATIREN DES THOMAS NAOGEORGUS
ZWEITES BUCH
Erste Satire
Es wundert mich nicht, daß deine Schriften und deine Arbeiten dir behagen und du deine persönliche Eigenart nachdrücklicher lobst, als billig wäre. Diesen Fehler haben Gelehrte und der guten Künste Unkundige miteinander gemeinsam. Ich frage mich indessen, warum du alles, was die anderen Kollegen schreiben und was sie beschäftigt, verdammst und tadelst. Der vorzüglichste Maßstab für Tugend und Frömmigkeit zeigt an, was mit weißen oder mit schwarzen Steinchen zu kennzeichnen ist. Nach ihm hättest du deine und anderer Handlungen einzustufen. Wir täuschen uns zuweilen über die unsrigen und halten für richtig, was sich ohne trügerische Schmeicheleien als verkehrt erweist. So auch verdammen wir oft zu Unrecht die Handlungen anderer. Du gesellst dich den großen Dichtern bei und zählst dich zu ihnen. Dies gestehe ich allerdings jedem zu, und ich mache niemandem seinen Ruhm streitig. Du aber sagst von mir, ich sei schlechthin kein Dichter. Wenn ich nach den Gründen frage, erklärst du, mir sei noch kein Lorbeer durch die Huld einer kaiserlichen Majestät oder eines mächtigen Königs zuteil geworden, mein Vers beruhe auf einer leicht faßlichen und durchsichtigen Redeweise, die auch für einen zehnjährigen Knaben keinerlei Unklarheiten aufweise, und schließlich schmeckten meine Gedichte überhaupt nicht nach dem Aroma der Alten. Dieserhalb verstößt du mich aus dem Verzeichnis der Dichter.
Gewiß ist es großartig und gilt gemeinhin auch als wünschenswert,
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<58> Augusti regisve manu accepisse coronam
Iudicioque viri laudari carmina magni.
Ast ego quum videam, nostro quid tempore reges
Conscribi plerique velint ornentque corona,
Me non ornatum non possum ferre molestè.
Non ratio me nec vestigia vestra latebant,
Nec carmen deerat non aspernabile forsan.
At mihi libertas potior pietasque fidesque
Et veri studium et CHRISTI respectus IESU,
Quàm mea Apollineae cingant ut tempora lauri.
Blandus adulator lingua venalis et acri
Ingenio, laudans minimè laudanda vel auram
Gloriolae captans vel inanis commoda ventris:
Quid magni quaeso facit et quid curat honesti,
Sublimis licet in manibus regumque ducumque
Gestetur capiatque Andini praemia vatis?
Impia tu laudare potes verumque lucroso
Dissimulare metu monachisque aliisque papistis
Plaudere carminibus sceleratisque addere factis
Robur. Non mirum, si te dignentur honore
Et summos inter numerent ponantque poetas.
Tu, qui contra animum vultum confingere[31] nosti
Et cautè fidei devitas dogmata nostrae
Nec pia confirmas nec destruis impia, verùm
Incedis tepidus partique infidus utrique,
Versibus inque tuis locus est haud ullus IESU,
Laudem et apud Turcas posses nomenque poetae
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aus der Hand eines Kaisers oder Königs den Kranz erhalten zu haben und aufgrund des Urteils eines großen Mannes für Dichtungen Lob zu ernten. Da ich aber sehe, was die meisten Könige in unserer Zeit geschrieben wissen wollen und mit dem Kranz auszeichnen, kann es mich nicht betrüben, nicht ausgezeichnet worden zu sein. Deine Denkweise und deine Wege waren mir nicht unvertraut, und an einer vielleicht nicht zu verachtenden Dichtung fehlte es nicht. Doch Freiheit, Frömmigkeit, Glaube, Streben nach Wahrheit und Rücksicht auf Jesus Christus sind mir wichtiger, als daß der Lorbeer Apolls meine Schläfen bekränzt. Ein schöntuender Speichellecker mit käuflicher Zunge und scharfem Verstand, der lobt, was kaum lobenswert ist, der nach dem leisen Hauch geringfügigen Ruhms oder nach Vorteilen für seinen leeren Bauch hascht: was, um Himmels willen, tut der Großes, welchen ehrenwerten Geschäften geht der nach – mag er auch von Königen und Fürsten hoch auf Händen getragen werden und den Preis des andinischen Dichters erlangen? Du vermagst Gottloses zu loben, die Wahrheit aus gewinnbringender Furcht zu verschweigen, Mönchen und anderen Papisten in Gedichten Beifall zu spenden und verbrecherischen Taten Nachdruck zu verleihen. Kein Wunder, wenn man dich eines Ehrentitels für würdig hält und dich unter die größten Dichter zählt und versetzt. Du, der eine seinem Denken widersprechende Miene vorzutäuschen weiß und unseren Glaubenslehren sorgsam aus dem Wege geht, du bestärkst nicht das Fromme und zerstörst nicht das Gottlose, sondern gehst lau einher, treulos nach der einen wie nach der anderen Seite, und in deinen Versen ist überhaupt kein Platz für Jesus; auch bei den Türken könntest du den Ruhm und Namen eines Dichters
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<59> Nancisci, nec te detestarentur Hebraei.
Ast ego non diversa loqui sentireque possum
Nec malè concordem menti confingere vultum,
Et fidei tracto partes et dogmata crebrò,
Impia detestor magnoque reprendo cachinno.
Tum quoque prae cunctis me servatoris IESU
Gloria delectat, populos et sparsa per omnes
Cognitio. Ô utinam tantum mea Musa valeret,
Gloriae ut illius tererem contraria versu
Tantique eveherem condignè regis honores.
Ò quàm praeclara redimiret tempora lauro
Nostra mihique pii donaret vatis honores?
Hinc mores tibi cedo tuos laurumque receptam.
Si modò rex aliquis Christi usquam vivit amicus
Aut pòst victurus pietatis fautor honestae est,
Is me Christicolûm dicet (nihil haesito) vatem
Non omnino malum lauroque ornabit opima,
Iudicioque eius longùm mea carmina vivent.
Quanquam quid laurus confert et nomen inane?
Quippe nec ingenio certum est accedere quicquam
Talibus, efficitur vates nec doctior ullus.
Et reges donare solent haec frivola promptè,
Ut nummis parcant aurumque ad bella reservent,
Ut modò Phoebaea donatus fronde poeta
Inde abeat moestus, non asse opulentior uno.
Ubi si carminibus deberet vivere solis,
Pauperior Codro proprios arroderet artus
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erlangen, und auch die Juden würden dich nicht verabscheuen. Ich aber kann nicht anders reden, als ich denke, und eine Miene vortäuschen, die mit meiner Gesinnung schlecht harmoniert; ich beschäftige mich viel mit den Bestandteilen und Lehrsätzen des Glaubens, verabscheue das Gottlose und tadle es mit schallendem Gelächter. Des weiteren erfreut mich auch vor allem anderen der Ruhm des Heilands Jesus und die Tatsache, daß sich die Kenntnis seiner Person über alle Völker ausgebreitet hat. O, wäre doch meine Muse so stark, daß ich das, was seinem Ruhm entgegensteht, in meinem Vers zu zermalmen und die Ehre eines so großen Königs geziemend zu verherrlichen vermöchte! O, wie würde er meine Schläfen mit prächtigem Lorbeer bekränzen und mir die einem frommen Dichter zukommenden Ehrungen gewähren! Deshalb überlasse ich dir deine eigene Art und den Lorbeer, den du erhalten hast. Wenn nur irgendwo ein beliebiger König lebt, der ein Freund Christi ist, oder später einmal einer leben wird, der ehrbarer Frömmigkeit Förderung angedeihen läßt, so wird der mich – da bin ich ganz sicher – einen nicht ganz üblen Dichter unter den Christusverehrern heißen und mich mit herrlichem Lorbeer schmücken, und dank seinem Urteil werden meine Gedichte lange Zeit lebendig bleiben. Gleichwohl – was nützen Lorbeer und eitler Ruhm? Es ist ja gewiß, daß das Talent durch solcherlei Dinge nichts hinzugewinnt und kein Dichter dadurch gelehrter wird. Und Könige sind mit diesem Flitterkram gewöhnlich schnell bei der Hand, um Geld zu sparen und das Gold für Kriege aufzuheben, so daß der Dichter betrübt von hinnen geht, nur mit apollinischem Laub beschenkt und nicht um einen Pfennig reicher. Wenn er unter diesen Umständen allein von Gedichten leben müßte, würde er, ärmer als Codrus, die eigenen Glieder benagen
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<60> Aut vicinorum staret mendicus ad aedes.
Iam divinum etiam ditaret nemo Maronem
Nec donaretur felicibus Ennius hortis,
Et pro versiculis tantum auri nemo referret,
Pro grege squammoso quantum dedit Antoninus.
Cur non ergo magis Christi servimus honori
Et studiis operam damus ingenioque colendo,
Quàm titulos adeò cupidè affectamus inanes
Atque ingratorum mulcemus versibus aures?
Si facilis verò componit dictio versum,
Non aegrè fero. Quin tantum nihil ipse laboro,
Quàm plano lenique fluant mihi carmina tractu
Et cuivis pateant absque expositore legenti.
Haud imitari etenim studeo vestigia Pici,
Carminibus scriptis qui commentaria iunxit.
Qualia sint tua, non dicam, quae pauca videmus,
Ut te demirer nomen tolerare poetae.
Tune putas aliquid laudis tenebrosa mereri
Scripta, Heracliti visa olim qualia dicunt?
Forsan et illius laudas praecepta iubentis
Magnas discipulos tenebras offundere scriptis?
Ast ego diversos probo: quîs oratio nempe
Illa placet, quae sit fontana clarior unda,
Vitro lucidior Veneto et tenui cristallo
Purior, electro quoque pellucentior omni.
Scriptor et ille mihi planè insanire videtur,
Qui se scribentem studet ut ne intelligat ullus.
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oder als Bettler bei den Häusern der Nachbarn stehen. Heute hätte nicht einmal der göttliche Maro jemanden, der ihm seinen Besitz vergrößerte, und Ennius bekäme keine fruchtbaren Gärten geschenkt; und niemand würde für Verse soviel Gold entrichten, wie Antoninus für den geschuppten Schwarm gegeben hat. Warum also dienen wir nicht lieber Christi Ruhm, widmen uns gelehrter Arbeit und der Pflege unseres Talents, als daß wir so begierig nichtigen Ruhmestiteln nachstreben und die Ohren von Undankbaren mit Versen bezaubern?
Wenn aber mein Vers in leicht verständlicher Redeweise abgefaßt ist, so macht mir das keinen Kummer. Ich verwende sogar auf nichts so große Mühe wie darauf, daß mir meine Gedichte in gelassener Rede klar und sanft dahinfließen und jedem Leser zugänglich sind, ohne daß es eines Interpreten bedürfte. Ich habe nämlich überhaupt kein Interesse daran, den Spuren des Picus zu folgen, der seinen Gedichten nach der Niederschrift Kommentare anfügte. Wie deine Gedichte beschaffen sind, könnte ich nicht sagen. Man sieht so wenige, daß es mich gar sehr verwundert, daß du es hinnimmst, wenn man dich als einen Dichter bezeichnet. Glaubst du, daß dunkle Schriften, die so geartet sind, wie anscheinend, der Überlieferung zufolge, einstmals die des Heraklit waren, irgendein Lob verdienen? Und lobst du vielleicht die Anweisungen dessen, der seinen Schülern befiehlt, ihre Schriften in tiefe Dunkelheit zu tauchen? Meinen Beifall dagegen haben gerade deren Antagonisten: die nämlich, denen jene Redeweise zusagt, die klarer ist als Quellwasser, durchsichtiger als venezianisches Glas, reiner als ein heller Kristall und durchsichtiger auch als jeder Bernstein. Und mir scheint, daß jener Schriftsteller, der eifrig darauf hinarbeitet, daß das, was er schreibt, niemand versteht, geradezu toll ist.
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<61> Cur non abstinuit potius disperdere chartas,
Quàm gryphos ferret caecaeque aenigmata Sphingis?
Oedipodes esto lector vatesque Sibyllae,
Non ego. Nec tanti res est, ut nosse laborem,
Ut si Sarmatica pangat quis carmina lingua.
Heroam quod si gravitatem fortè requiris
Lucanique tubam grandem doctique Maronis,
Non facis ingenuè et vehementer poscis iniquum.
An quum socordis describo ludicra vitae
Mitesque agricolas Christi regnumque Paparum
Et moveo fortasse iras risumve solutum,
Dira canam pariter contentis classica buccis?
Ridiculus fuero nec res tractare peritus.
Tu grandes effla bullas et Martia bella
Carmine spumoso cane robustoque cothurno.
Res gestas magni componere Caesaris aude,
Ne vatis frustra meritus videare coronam.
Nam nugas huc usque modò ac epigrammata cerno,
Nondum illas, quas me poscis, testantia vires.
Quem dicas autem veterum, haud intelligo, gustum.
Non equidem veterum cuiquam me comparo vati,
Attamen Ausonia fari me censeo lingua
Nec planè nullas eius tractare figuras.
Sed cur haec dico? Te dicere oportuit ipsum
Clarius, ut nihil esset opus palpare tenebras.
Divinabo tamen, nec multum errasse videbor.
Hoc quereris, cuius specimen tua carmina praebent:
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Warum hat er nicht lieber aufgehört, Papier zu verderben, als knifflige Aufgaben und Rätsel der unergründlichen Sphinx aufzutischen? Ödipusse und Sibyllen mögen das lesen, nicht ich! Die Sache ist auch nicht so bedeutsam, daß ich mich groß bemühte, es zu verstehen – nicht anders, wie wenn jemand Gedichte auf sarmatisch verfaßte. Wenn du etwa heroische Erhabenheit verlangst, die großartige, volltönende epische Poesie eines Lukan und des gelehrten Vergil, so handelst du nicht anständig und stellst eine höchst unbillige Forderung auf. Oder soll ich, wenn ich die Tändeleien eines gedankenlosen Lebens, die friedlichen Landbauer Christi und die Herrschaft der Päpste beschreibe und vielleicht Zorn oder ausgelassenes Gelächter errege, gleichzeitig mit geblähten Wangen die schreckliche Kriegstrompete blasen? Ich würde mich lächerlich machen und dastehen als jemand, der keinen Sachverstand hat. Puste du nur große Wasserblasen auf, besinge in schäumendem Gesang und auf festem Kothurn heldische Kriege. Nur zu: bedichte die Taten des großen Caesar, damit es nicht aussieht, als habest du den Dichterkranz zu Unrecht erhalten. Ich sehe ja bis jetzt nur Kleinkram und Epigramme und noch nichts, was die Kraft, die du mir abforderst, unter Beweis stellte.
Was du aber mit „Aroma der Alten“ meinst, verstehe ich ganz und gar nicht. Ich vergleiche mich freilich mit keinem antiken Dichter, aber dennoch meine ich, daß ich in römischer Sprache rede und schlechthin alle ihre Redeformen handhabe. Aber warum sage ich das? Du selbst hättest verständlicher reden müssen, so daß es nicht nötig gewesen wäre, das Dunkel abzuklopfen. Ich werde aber durch Raten dahinterkommen, und man wird sehen, daß ich nicht gar so sehr in die Irre gegangen bin. Deine Klage bezieht sich auf etwas, wofür deine Gedichte exemplarisch sind.
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<62> Numina non reboant in nostris ethnica scriptis
Saepe, nec „ô dii“ clamo „boni“, nec cuncta deorum
Trado potestati, regimen terraeque polique
Nusquam ascribo Iovi, nusquam maris Ennosigaeo,
Quod tu, quod veteres olim fecere poetae.
Scilicet ignari coelum terramque creantis
Nec Servatoris norant mysteria Christi.
Ast ego divino doctus sermone relinquo
Numina falsa illis turpi cum errore fideque.
Unum confiteor rerum Dominumque Deumque
Et servatoris Christi omnia tradita dextrae,
Qui, licet aetheream victor conscenderit arcem,
Attamen usque suo sancto regat omnia flatu,
Sanctificet, mundet soleturque instituatque.
Hunc gustum vetus haud resipit vatum chorus, et tu
Miraris, quòd non illorum numina canto
Gustumque illorum sapiant mea scripta vicissim?
Qualem quisque gerit mentem, quae credit et optat,
Talia proloquitur resonatque facitque studetque.
Haud decet expertum Christi de corte poetam
Scribere lascivi farique ex more Catulli.
Corrigat extersa linguam cum mente stylumque,
Virtutes alias imitetur, quae nihil ipsi
Officiant fidei et studiis vitaeque receptae.
Quare Pontanus quamvis perdoctus et acri
Insignis vena, dubito, possitne putari
De grege Christigenûm, verè nec dicere possem.
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Meine Schriften hallen nicht häufig wider von heidnischen Gottheiten, ich töne auch nicht: „O ihr guten Götter!“ und überlasse nicht alles der Macht der Götter; nirgends schreibe ich Jupiter die Herrschaft über Erde und Himmel zu, nirgends dem Erderschütterer die Herrschaft über das Meer. So tust du, und so taten die alten Dichter. Sie nämlich wußten nichts vom Schöpfer Himmels und der Erde und kannten nicht die Geheimnisse des Heilands Christus. Ich aber bin geschult in der göttlichen Sprache und überlasse jenen ihre falschen Gottheiten mitsamt ihrem Irrglauben. Ich bekenne, daß es nur einen einzigen Herrn der Welt, nur einen einzigen Gott gibt und daß alles der Hand des Heilands Christus anvertraut ist, der, obwohl als Sieger zur Himmelsburg aufgefahren, doch in einem fort mit seinem heiligen Hauch alles lenkt, heiligt, reinigt, lindert und verfügt. Nach diesem Aroma schmeckt die antike Dichterschar ganz und gar nicht – und du, du wunderst dich, daß ich nicht ihre Gottheiten besinge und meine Schriften ihrerseits nicht nach ihrem Aroma schmecken? Je nachdem, wie jemand denkt, was er glaubt und wünscht, so äußert er sich, so schallt es aus ihm, so ist sein Handeln und Streben. Einem bewährten Dichter aus der Gemeinde Christi steht es keinesfalls an, in der Art des lasziven Catull zu schreiben und zu reden. Er möge seinen Geist auskehren und mit ihm auch seine Sprache und seinen Stil in Ordnung bringen. Er möge andere Vorzüge nachahmen, die dem Glauben selbst sowie gelehrtem Bemühen und der allgemein anerkannten Lebensform keinen Abbruch tun. Daher zweifle ich, ob Pontanus, wiewohl er sehr gelehrt ist und sich durch einen scharfen Verstand auszeichnet, zur Gemeinde der Christen gezählt werden kann, und könnte es wahrhaftig nicht sagen.
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<63> Quae Christum sapiant etenim, quae carmina scripsit?
Consona quae fidei et castos testantia mores?
Te quoque demiror, cupias qua parte locari,
Qui resonare soles Martem Veneremque Iovemque
Assiduè ac reliquos, at Christi nomen abhorres
Et, verae quae sunt pietatis propria, vitas
Tanquam serpentem, vitium vel carminis ingens.
Hoc bellum censes magnique insigne poetae?
Perfruere! Ast pagani ego delirique putabo.
Satyra secunda.
Ediderat gnatum primos experta dolores
Humani mater generis dixitque Cainum,
Grandia promittens pariter mundoque sibique.
Pòst alium peperit[32] nomenque illi indidit Abel.
Hos Pater à teneris accuratè unguibus ambos
Instituit docuitque, essent quaecunque salutis
Dogmata, noticiam culpae casusque paterni,
Infirmas multum tardasque ad commoda vires,
Ad mala veloci procilivia pectora motu,
Hinc Domini ardentem propter delicta furorem.
Ne desperarent tamen odissentque Tonantem,
Salvificis eius iussit confidere dictis
Spemque omnem vitae in promissum ponere semen,
Quod quidem ab astuto quondam foret angue necandum,
Conculcaturum tamen imperiumque caputque
Illius et rupturum infandi vincula lethi,
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Welche von den Gedichten, die er geschrieben hat, schmecken denn nach Christus? Welche stehen mit dem Glauben im Einklang und lassen einen makellosen Lebenswandel erkennen? Es wundert mich sehr, daß auch du hier angesiedelt werden willst: ständig pflegst du von Mars, Venus, Jupiter und den übrigen Göttern zu tönen, schauderst aber vor dem Namen Christi zurück und meidest, was zur wahren Frömmigkeit gehört, wie eine Schlange oder einen gewaltigen poetischen Fehler. Dies hältst du für etwas Köstliches und das Kennzeichen eines großen Dichters? Laß es dir dabei wohl sein! Ich für mein Teil werde es für das Kennzeichen eines Heiden und eines Verrückten halten.
Zweite Satire
Die Mutter des Menschengeschlechts gebar unter Schmerzen, die sie zum erstenmal erduldete, einen Sohn und nannte ihn Kain, zugleich der Welt und sich selbst Großes verheißend. Danach brachte sie einen zweiten Sohn zur Welt und gab ihm den Namen Abel. Diese beiden erzog der Vater von Kindesbeinen an mit Sorgfalt und unterwies sie, welche Lehren zum Heil führen. Er machte sie mit dem Sündenfall und dem väterlichen Sturz bekannt und lehrte sie, daß die Kräfte, das Rechte zu tun, sehr schwach und träge seien und das Herz mit heftigem Drang dem Schlechten zustrebe. Darauf unterrichtete er sie von Gottes flammendem Zorn über jene Verfehlung. Damit sie jedoch nicht verzweifelten und den Donnerer haßten, gebot er ihnen, dessen heilbringenden Worten zu vertrauen und alle Hoffnung auf Leben in den verheißenen Sohn zu setzen, der zwar dereinst von der listigen Schlange den Tod werde erleiden müssen, gleichwohl aber ihre Herrschaft und ihr Haupt zertreten und die Fesseln des gräßlichen Todes zerbrechen werde,
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<64> Ut nihil officerent magnae dispendia noxae.
Cultum etiam externum docuit precibusque sacrisque
Et fulcire fidem Dominoque exolvere grates.
Praeterea insontem monuit quoque degere vitam
Atque modis variis carnem frenare rebellem,
Debita constaret summi ut reverentia patris.
Tradidit haec natis studiosè dius Adamus.
Ingenium verò dispar studiumque duobus,
Diversi mores, eadem nec utrique placebant.
Iracundus erat maior flatusque superbi,
Omnia deberi censens sibi, callidus, effrons.
Contrà autem simplex, bonus ac mitissimus alter.
Hinc diverso animo patrem audivere docentem.
Namque auscultabat cupidè minor atque lubenti
Condebat cordi doctrinae verba paternae.
Doctrinae verò intererat sacrisque Cainus
Longè agitans aliud, fastidire omnia visus,
Nutare ac tussire et dormitare solebat,
Distorquere labra et raucum spuere atque sonorum
Et pedibus strepitum facere ac avertere vultum
Frontemque elatam ruga sulcare frequenti
Sermonique vagum saepe interspergere murmur.
Praeterea terram quaesitis doctus arabat
Artibus agricola (hunc unum sibi namque laborem,
Dum frater pascebat oves, elegerat) haud iam
Sponte sua natis, facili nec sorte paterna.
Nec quaesito etiam victu contentus in horam,
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so daß der mit der großen Schuld verbundene Verlust sich in keiner Hinsicht schädlich auswirken würde. Er lehrte sie auch die äußeren Formen der Gottesverehrung, lehrte sie, durch Gebete und Opfer den Glauben zu befestigen und dem Herrn Dank zu zollen. Darüber hinaus ermahnte er sie auch, ein Leben in Unschuld zu führen und das aufrührerische Fleisch auf mannigfache Art zu zügeln, damit die schuldige Ehrfurcht vor dem höchsten Vater einen festen Stand habe. Dies lehrte der göttliche Adam seine Söhne mit Eifer. Die beiden waren aber von Veranlagung und Neigung her ungleich. Ihr Verhalten war gegensätzlich, und keinem von beiden gefiel das gleiche. Der Ältere war jähzornig, von hochmütiger Aufgeblasenheit, eigensüchtig, verschlagen und unverschämt, der zweite dagegen schlicht, gutwillig und überaus sanftmütig. Daher nahmen sie die Lehren des Vaters mit gegensätzlicher Einstellung auf: Der Jüngere nämlich lauschte begierig und barg die Worte der väterlichen Lehre willig in seinem Herzen. Kain aber war während der Unterweisung und beim Gottesdienst mit weitaus anderen Dingen beschäftigt: Er schien gegen alles einen Widerwillen zu haben, pflegte hin und her zu wackeln, zu husten, zu träumen, die Lippen zu verziehen, laut und vernehmlich auszuspucken, mit den Füßen zu scharren, das Gesicht abzuwenden, die hochgezogene Stirn in viele Falten zu legen und in den Vortrag oft unbestimmtes Gemurmel einzustreuen. Außerdem pflügte er als kundiger Landmann mit außerordentlichem Geschick die Erde – diese eine Arbeit hatte er nämlich für sich ausgesucht, während sein Bruder die Schafe weidete. Jenes Geschick hatte sich nun keineswegs aus ihm selbst entwickelt: der väterliche Anteil daran war nicht gering. Er war auch nicht zufrieden mit der für den aktuellen Bedarf errungenen Nahrung,
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<65> Verùm respiciens in multos anxius annos,
Panem ac ingentes frugum quaerebat acervos:
Et sobolis nondum natae morbique futuri,
Corporis effoetique olim tristisque senectae
Praetendens monitus curam. Appellabat avarum
Saepe pater, titulo se ille excusabat honesto:
„Impiger imò, pater, melius gnavusque vocarer,
Sedulus atque catus, sollers, industrius atque
Providus. Invidioso oneras cur nomine iustum?“
Sic coeptum pergebat iter, noctesque diesque
Sollicitus, suo uti parêrent arva labori,
Arva subinde aspros ultro referentia sentes
Et tribulis tantum et paliuris foeta molestis.
Hinc illi sudor, duro iam dextera callo
Laevaque torpebat. Fusci contraxerat Indi
Iam faciem, nec lecta tamen dum semina terrae
Crediderat, multis ut erant iam credita curis,
Non torquebatur minus. Haud requiescere noctu
Nec Domino augmentum poterat committere messis,
Sed curis tanquam ipse suis multoque labore
Gignendi posset virtutem tradere terrae
Inque manu humorem, ventos solemque teneret,
Sic se perpetuò cura affligebat inani.
Sollicito facies coeli haud satis ulla placebat,
Oderat instantem fermè absentemque vocabat.
Iam matutinos rores cupiebat et imbres,
Iam vespertinos, placidi iam lumina Phoebi,
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sondern forderte, sorgenvoll für viele Jahre vorausdenkend, Brot und riesige Mengen von Früchten. Wenn man ihm deshalb Vorhaltungen machte, gab er vor, daß man vorsorgen müsse für die noch nicht geborene Nachkommenschaft, für künftige Krankheit, einstige körperliche Entkräftung und das trübe Greisenalter. Der Vater nannte ihn oft gierig; doch er rechtfertigte sich mit einem ehrbaren Vorwand: „Nein, Vater, man sollte mich besser rührig, emsig, fleißig und schlau, geschickt, betriebsam und vorausschauend nennen. Warum halst du einem Gerechten eine gehässige Bezeichnung auf?“ So setzte er den begonnenen Weg fort, Tag und Nacht in Sorge, daß sich die Äcker seiner Arbeit fügten: Äcker, die immer wieder von selbst stachlige Dornensträucher hervorbrachten und nur für unerwünschten Burzeldorn und Christdorn ergiebig waren. Daher rann ihm der Schweiß, die Rechte war schon hart von Schwielen und die Linke erlahmt. Sein Gesicht – von indischer Bräune – war schon eingeschrumpft. Und doch: noch hatte er nicht die gesammelten Samenkörner der Erde anvertraut – wie er sie ihr schon zuvor unter vielen Sorgen anvertraut hatte –, da quälte er sich nicht weniger. Es war ihm völlig unmöglich, nachts zur Ruhe zu kommen und das Wachstum der Ackerfrucht dem Herrn anheimzugeben. Im Gegenteil: gleichsam als könne er selbst mit seinen Vorkehrungen und vieler Arbeit der Erde Wachstumskraft einflößen und als halte er Regen, Winde und Sonne in seiner Hand, so härmte er sich ununterbrochen mit unnützer Sorge. In seiner unruhigen Anspannung gefiel ihm kein Anblick des Himmels so recht: Der, den er vor Augen hatte, war ihm beinahe verhaßt, und den, der nicht da war, rief er herbei. Bald verlangte er Tau und Regen am Morgen, bald am Abend, bald wollte er für seine Saat milden Sonnenschein,
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<66> Iam molles segeti Zephyros auramque salubrem,
Iam siccos Euros, Boreae iam flabra nivalis,
Iam coelum sudum, fuscis iam nubibus atrum,
Ingenti resonans extemplò murmure, si quid
Ad votum haud caderet responderetque cupitis.
Quid referam, quantum curae quantumque laboris
Sumebat, ne fortè ferae, iumenta, volucres
Charas vastarent segetes? Hîc nocte dieque
Nulla quies, ramis transversum ex ordine fixis
Omnia munierat quamvis et sepibus altis,
Insuper et canibus personatisque bacillis.
Tempus erat, quum clarum ardens Hyperiona Cancer
Possidet inque suas evectum ad summa remittit
Aedes. Unde magis flagranti cominus aestu
Terris fluminibusque instat siccatque paludes.
Gramina torrentur, campus flavescit aristis,
Arboreae nutant frondes gratumque virorem
Vix sibi defendunt, languent iumenta feraeque
Aegerque efflatur siccato spiritus ore,
Et latè tellus ardenti pulvere fumat.
Plurima tum stabant campis frumenta Caino.
Iam sese glumis monstrabant grana solutis
Nutabantque graves flaventi in stipite spicae.
Tanto gaudebat proventu et messe propinqua
Atque etiam triduo curvas immittere falces
Certus erat tutoque omnes componere fructus.
Ecce autem medium coeli quum Phoebus ad axem
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bald sanfte Zephyre und erquickendes Säuseln, bald trockene Ostwinde, bald das Blasen schneebringenden Nordwinds, bald einen heiteren, bald einen von dunklen Wolken verdüsterten Himmel – und wenn etwas durchaus nicht nach Wunsch verlief und nicht dem entsprach, was er begehrt hatte, ließ er sogleich gewaltiges Murren vernehmen. Was soll ich berichten, wieviel Sorge und Arbeit er aufwendete, damit nicht vielleicht wilde Tiere, Zugvieh und Vögel die wertvollen Saaten verwüsteten? Dies ließ ihm Tag und Nacht keine Ruhe, obwohl er alles mit ordentlich in die Quere befestigten Ästen und hohen Zäunen und zusätzlich noch mit Hunden und Vogelscheuchen gesichert hatte.
Es war die Zeit, wo der Krebs die helle, glühende Sonne in seiner Gewalt hat und sie, die den höchsten Punkt ihrer Bahn erreicht hat, in sein Haus verweist.Von dort aus setzt sie Ländern und Flüssen sogleich mit flammender Hitze zu und trocknet Tümpel aus. Die Gräser verdorren, das Feld wird gelb von Ähren, die belaubten Zweige der Bäume neigen sich hin und her, kaum können sie sich vor anmutigem Grün retten; Zugvieh und wilde Tiere sind erschlafft – mühevoll kommt der Atem aus dem ausgetrockneten Maul –, und weithin steigt glutheißer Staub von der Erde auf.
Die Felder Kains standen damals voll von Getreide. Schon zeigten sich die Körner von den Hülsen befreit, und schwere Ähren schwankten auf goldgelben Halmen. Er frohlockte über einen so üppigen Ertrag und die dicht bevorstehende Ernte und war zudem sicher, daß er in drei Tagen mit der gekrümmten Sense darangehen und die ganze Feldfrucht sicher einbringen würde.
Doch sieh: als die Sonne gerade die Mitte des Himmels
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<67> Venisset rapidoque instaret flammeus aestu
Atque casas homines pecudesque sua antra subissent,
Fuscatur subitò coelum, et se nubila densant,
Soleque ab occiduo magnae praeludia Cauri
Incipiunt hiemis. Nec longum, dissilit aether,
Crebrique ex atris erumpunt nubibus ignes,
Redditque horrendum nubes collisa fragorem,
Ut si rupta cadat totius machina coeli.
Plurimus insequitur commista grandine nimbus,
Nimbus aquae, penitus veluti tibicine fracto
Suspensa in siccas ruerent uno agmine terras
Nubila. Porrò columbini grando involat[33] ovi
Instar. Discordes involvunt omnia venti,
Vulturnus, Notus ac Boreas summo asper ab axe
Coro occurrentes. Altis in montibus orni
Turbine rumpuntur, volitantque per aera frondes.
Mensibus hybernis non sic destricta videres
Robora nec sola tot foliis undantia silvae.
Sternuntur segetes, procumbunt gramina campi:
Pars ruptis culmis, tenera aut radice revulsa
Discordi fratrum raptantur in astra procella
Ignotasque procul terrae portantur in oras.
Iam violenta ruit summis de montibus unda,
Fragmina silvarum volvens et grandia saxa.
It coelo sonitus, qualem torrentior edit
Nilus, ubi ad Catadupa ruit de rupibus altis
Praeceps et scopulos immensum verberat unda
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erreicht hatte und flammend sengende Hitze aussandte und die Menschen ihre Hütten, die Tiere ihre Höhlen aufgesucht hatten, da verdüsterte sich auf einmal der Himmel, die Wolken wurden dichter, und von Westen her begannen Winde mit den Vorspielen zu einem schweren Unwetter. Nicht lange, da barst der Himmel, und aus den schwarzen Wolken brachen in dichter Folge Blitze hervor. Die Wolken stießen mit schrecklichem Krachen zusammen, als ob das ganze Himmelsgerüst zerborsten niederstürzen würde. Darauf erfolgte ein gewaltiger Platzregen, untermischt mit Hagel, eine Sturzflut von Wasser: als ob ein Stützpfeiler völlig gebrochen sei und nun die auf ihm aufruhenden Wolken in geschlossenem Zug auf die ausgetrocknete Erde niederstürzten. Ferner fiel Hagel von der Größe eines Taubeneis hernieder. Widerstreitende Winde hüllten alles ein: der Südostwind, der Südwind und der rauhe Nordwind hoch oben vom Nordpol eilten dem Nordwestwind entgegen. Die Bergeschen im hohen Gebirge zerbrachen durch den Wirbelsturm, und Laubzweige flogen in der Luft umher. In den Wintermonaten hätte man nicht so entlaubte Eichen und einen von so vielen Blättern überströmenden Waldboden sehen können! Die Saaten wurden niedergestreckt, die Gräser auf dem Feld legten sich zu Boden. Ein Teil wurde, nachdem die Halme zerbrochen oder die zarten Wurzeln aus der Erde gerissen waren, im widerstreitenden Ansturm der Brüder in den Himmel geschleudert und weit fort, in unbekannte Gegenden der Erde getragen. Schon stürzte eine reißende Flutwelle von den Gipfeln der Berge, Bruchstücke des Waldes und große Felsbrocken mit sich wälzend. Vom Himmel kam ein Geräusch, wie es der schnell dahinströmende Nil verursacht, wenn er bei den Katadupen von hohen Felswänden steil in die Tiefe stürzt und das Wasser mit unermeßlicher Wucht auf die Klippen prallt
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<68> Vicinisque fragore exsurdat gentibus aures.
Implentur fossae et valles, nec flumina ripas
Curant, sed latè camporum proxima verrunt
Ignotoque vagos ponunt in gramine pisces.
Anxius interea ille domi tristisque retentus
Haud spectabat amico infestum lumine coelum,
Frumentis metuens et sollicitudine plenus.
Tempestate nihil quod in hac speraret habebat.
Ergo graves postquam pluviae ventusque remisit,
Protinus excurrit visum prostrataque cernit
In mediis frumenta undis et grandinis albas
Innantes pilulas. Pars ruptorum infima tantum
Culmorum exertabat aquis caput. Ille videndo
Obstupet atque oculos primùm caligo stupentis
Caeca premit, nimiusque dolor praecordia turbat.
Genua labant, saxoque, illic quod fortè iacebat,
Incidit exanimis. Postquam autem serò recepit
Sensum animumque, femur caedit[34] vellitque capillos
Multisque ora rigans lachrymis ploransque sonorùm
Talia proclamat: „Miser ô et perdite prorsus!
Ò afflicte nimis durosque experte labores,
Quàm fortuna malis in te ruit omnibus unum?
Egisti magnis huc usque laboribus annum,
Frigora, sudorem, ventos solemque tulisti,
Factus es et madidus coelesti saepius imbre,
Ut dives fieres meritumque è fructibus arvi
Perciperes victum. Sed inanes ecce labores,
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und durch sein Tosen die Ohren der benachbarten Völker betäubt. Gräben und Täler füllten sich, die Flüsse kümmerten sich nicht um ihre Ufer, sondern überschwemmten auf weite Strecken das unmittelbar angrenzende Gelände und versetzten die umherschweifenden Fische auf [ihnen] unvertrautes Gras. Unterdessen betrachtete jener – in Angst und Betrübnis ans Haus gefesselt – den bedrohlichen Himmel mit keineswegs freundlichem Auge. Er fürchtete um das Getreide und war von Unruhe erfüllt. In diesem Unwetter gab es für ihn keine Hoffnung. Als die schweren Regenfälle und der Sturm nachgelassen hatten, lief er also sogleich hinaus, um sich umzuschauen, und gewahrte das niedergestreckte Getreide mitten im Wasser und die darauf schwimmenden weißen Hagelkörner; nur der unterste Teil der zerbrochenen Halme ragte aus dem Wasser hervor. Er war wie vom Donner gerührt, als er dies sah; die Augen des Erstarrten umfing zuerst undurchdringlicher Nebel, und maßloser Schmerz tobte in seiner Brust. Seine Knie wankten, und bewußtlos fiel er auf einen Felsbrocken, der zufällig dort lag. Nachdem er aber, spät erst, wieder die Besinnung erlangt hatte, schlug er sich auf die Schenkel und raufte sich die Haare, und das Gesicht mit einem Tränenstrom benetzend und laut weinend rief er mit erhobener Stimme: „O, wie elend bist du, wie völlig zugrundegerichtet! O du Ärmster, der harte Mühen zu erdulden hatte, wie überfällt dich einen das Unglück mit allen Übeln! Bis zum heutigen Tag hast du das Jahr mit schwerer Arbeit verbracht, hast Frost, Schweiß, Wind und Sonne ertragen und dich nicht selten von himmlischem Regen durchnässen lassen, um reich zu werden und mit den Früchten des Feldes den wohlverdienten Lebensunterhalt zu erwerben. Aber sieh: die Arbeit war unnütz!
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<69> En precium curae: spem lucri una abstulit hora.
Collige iam et stipulas culmosque in inania conde
Horrea straminibusque hoc anno vescere sectis.
Scilicet in silvis inquires rursus acerba
Arbuta decussasque leges ex ilice glandes
Arboreisque famem baccis solabere, cultor
Improbe telluris quaesitorque optime frugum.
Nonne fuit satius prolixos carpere somnos
Et totos cessare dies et quaerere lenta
Ocia, quàm curis animum corpusque labore
Conterere incassum? Dominum iussisse docemur
Sudore in multo faciei acquirere panem.
Id facimus, nihil et toto requiescimus anno:
Hoc ferimus precium. Sic curas ille secundat.
Scilicet hic favor est, quem iactavere parentes
Promissum propter semen. Quis stultus et amens
Illum confidat coelestia regna daturum,
Qui frumenta negat sudoremque atque labores
Irritat et segetes nimbis et grandine sternit
Et tonat horrendùm rabiosisque omnia miscet
Flatibus Eurorum? Quae facta hostilia dicam,
Haec si fautoris sunt ac ob semen amici?
Hoc est, quod timui semper nec suasibus ullis
Credere sustinui, coeli terraeque satorem
Placatum nobis. Nam succensere furenter
Argumenta probant, ratio sensusque fatentur.
Perdidit haec vitaeque mihi spes abstulit omneis.
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Da! Das ist der Lohn für die Mühe! Eine einzige Stunde hat die Hoffnung auf Gewinn zunichte gemacht. Sammle nun die Halme, verwahre Stroh in den leeren Scheunen und ernähre dich dieses Jahr von Häcksel! Natürlich: suche in den Wäldern wieder saure Hagäpfel, lies die von der Steineiche heruntergeschüttelten Eicheln auf, beschwichtige den Hunger mit Baumfrüchten, du untauglicher Landbauer und vortrefflicher Früchtesucher! Wäre es nicht besser gewesen, es sich bei ausgiebigem Schlaf wohl sein zu lassen, ganze Tage zu vertrödeln und seinen Sinn auf trägen Müßiggang zu richten, als den Geist mit Sorgen, den Körper mit Arbeit zwecklos aufzureiben? Man lehrt uns, Gott habe uns befohlen, unser Brot mit vielem Schweiße unseres Angesichts zu erwerben. Danach handeln wir und kommen das ganze Jahr nicht zur Ruhe – und diesen Lohn tragen wir davon! So begünstigt er unsere Bemühungen! Das ist ja wohl die Gnade, von der unsere Eltern – bezüglich des verheißenen Sohnes – soviel geredet haben! Wer wird so töricht und verrückt sein, darauf zu vertrauen, daß jener uns das Himmelreich gewähren werde, jener, der uns das Getreide versagt, Schweiß und Mühen zunichte macht, die Saaten mit Regenschauern und Hagel zerstört, schrecklich donnert und mit wütendem Wehen der Ostwinde alles durcheinanderwirbelt? Welche Handlungen soll ich feindlich nennen, wenn dies die Handlungen eines Wohltäters und – im Hinblick auf den Sohn – eines Freundes sind? Das ist es, was ich stets befürchtet habe! Trotz allen Zuredens habe ich es nicht über mich bringen können, zu glauben, daß der Schöpfer Himmels und der Erde uns gegenüber versöhnlich gesinnt sei. Denn daß er wütend zürnt, wird durch Beweisgründe bestätigt, und Verstand und Wahrnehmung sprechen dafür. Dies hat mir jede Hoffnung auf das Leben zerstört und geraubt.
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<70> Nil superest, iacto quàm me quoque fulmine perdat.“
His dictis gemitus flammato è pectore magnos
Edit et obliquo nubes coelumque tuetur
Lumine, collidens dentes et murmura iactans.
Consurgit tandem moestoque accepta parenti
Damna domi vultu lachrymisque recenset obortis.
Quem consolatus pater aequo ferre docebat
Illa animo; nec pro voto succedere cuncta
Posse, dare ac auferre Deum pro tempore quodque,
Rebus et ablatis certum constare favorem
Nil minus, externisque illum faustisque malisque
Rectè haud metiri, verbo sed certius uno.
Irasci ringique et amaro murmure casum
Deplorare nephas. Quicquid faciat statuatque,
Id placidè et leniter mortalibus esse ferendum,
Singula quum iustè facere ac rectè omnia constet.
Talibus aegra pater curabat pectora nati.
Qui se persuasum simulans discedit, at intus
Coelo iratus erat Dominoque ipsique parenti
Acceptum ob damnum. Iam non meminisse volebat
Seminis aut aliquem divinum audire favorem.
Porrò solennis multo pòst tempore venit
Certa dies, qua primitias monstrante parente
Cum precibus votisque omnes offerre solebant.
Tempori adest Abel pecoris studiosus ovilli
Pastor, vir simplex, bonus et pietatis amator,
Doctrinae intentus sanae monitisque parentum,
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Es bleibt nichts weiter, als daß er auch mich mit einem Wetterstrahl vernichtet.“
Nach diesen Worten entließ er schwere Seufzer aus der entflammten Brust und betrachtete schrägen Blicks die Wolken und den Himmel – mit zusammengebissenen Zähnen und Gemurmel hervorstoßend. Schließlich stand er auf und berichtete zu Hause dem betrübten Vater mit Zornesmiene und hervorbrechenden Tränen den erlittenen Schaden. Der Vater tröstete ihn und lehrte ihn, jenen Schaden mit Gleichmut zu tragen. Es könne nicht alles nach Wunsch ablaufen; Gott gebe und nehme alles je nach den Umständen, und auch wenn er Hab und Gut genommen habe, bleibe die Gewißheit der Gnade um nichts weniger bestehen. Man dürfe ihn keineswegs nach äußerem Glück oder Unglück beurteilen, sondern ganz ohne Zweifel allein nach dem Wort. Zu zürnen, zu grollen und ein Unglück mit bitterem Murren zu beklagen, sei Sünde. Was immer er tue und beschließe, das hätten die Sterblichen mit Sanftmut und Gelassenheit zu ertragen, da er mit Sicherheit in jeder Einzelheit gerecht und richtig verfahre.
Mit solchen Worten bemühte sich der Vater um das erbitterte Herz seines Sohnes. Dieser entfernte sich scheinbar überzeugt. Im Innern aber zürnte er dem Himmel, dem Herrn und auch dem Vater wegen des erlittenen Schadens. Er wollte nichts mehr von dem Sohn wissen und nichts mehr von irgendeiner Gnade hören.
Lange Zeit später kam nun aber der festgesetzte Tag heran, an dem sie alle, gemäß der Weisung des Vaters, mit Gebeten und Gelübden die Erstlinge zu opfern pflegten. Abel, der eifrige Schafhirte, war zur rechten Zeit zur Stelle – ein schlichter, gutmütiger Mann, der Frömmigkeit sehr zugetan, bedacht auf die unverdorbene Lehre und die Mahnungen der Eltern;
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<71> Fertque unà purum, quem sacris immolet, agnum.
Sed non aequè alacer promptusque ad sacra Cainus,
Cum quòd avarus erat parcusque sui neque quicquam
Aequo animo dabat ad iustos quantumlibet usus,
Tum quòd praefractè Dominum coeli oderat antè.
Iam semel atque iterum genitor de more vocarat,
Sed tempusque moramque trahens invitus adibat
Et secum: „Nunc vade, Caine, ad sacra vocaris.
Stultitiam ô magnam, partos profundere fructus
Incassum et fruges sacris comburere flammis.
Quid prodest Domino? Solone iuvatur odore
Et tristi gaudet fumo naresque vaporat?
Quid verò nobis causae? An benefacta benigni
Numinis experti grates solvisse studemus?
Quum nostros inimicè exhauserit usque labores?
Fausta in venturos fortasse precabimur annos?
Scilicet ut coelum faciat terramque moveri
Et tempestatum vires dein excitet omnes
Nostram in perniciem? vel nos quoque fulmine perdat?
Talia prolixè credo post vota daturum.“
Haec indignanti iactabat murmura corde.
Tandem haec ancipiti potior sententia sedit,
Ire animoque gravi licet (ut mos) optima ferre
Nec facto impietatem ullo reserare parenti.
Tandem ergo expectatus adest sua munera portans
Ingentique prior fastu procedit ad aram.
Inde genu flectens torvè spectabat ad astra,
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er brachte ein reines Lamm mit, um es beim Gottesdienst zu opfern. Kain aber erschien nicht gleichermaßen mit freudigem Eifer und bereitwillig zum Opfer: zum einen, weil er geizig war und mit seinem Besitz knauserte und nichts mit ruhiger Gelassenheit hergab, sei es auch für einen noch so guten Zweck; vor allem aber, weil er zuvor gegen den Herrn des Himmels unbeugsamen Haß gefaßt hatte. Schon hatte ihn der Vater mehrmals zur Ordnung gerufen, doch er zog die Dauer seines Säumens in die Länge und kam nur widerwillig heran, indem er bei sich sagte: „Geh jetzt, Kain! Man ruft dich zum Opfer. O große Narretei, das Ergebnis der Ernte nutzlos zu vergeuden und die Früchte auf heiligem Feuer zu verbrennen! Was nützt es dem Herrn? Erfreut er sich am bloßen Geruch? Vergnügt er sich mit scheußlichem Rauch und wärmt sich die Nase? Was habe ich aber für einen Grund dazu? Habe ich etwa von einer gütigen Gottheit Wohltaten erfahren und brenne nun darauf, Dank abzustatten? Wo er meine Mühen ganz und gar feindselig zunichte gemacht hat? Soll ich vielleicht für die kommenden Jahre um Glück beten? Doch wohl, damit er Himmel und Erde in Bewegung setzt und alsdann zu meinem Verderben Wettergewalten gegen mich erregt? Oder auch mich mit dem Blitz vernichtet? Derlei wird er mir, wie ich glaube, nach meinen Gelübden reichlich gewähren.“
Dieses Gemurr stieß er aus seinem erbitterten Herzen hervor. Endlich rang sich der Schwankende zu dem besseren Entschluß durch, hinzugehen und, wenn auch schweren Herzens, nach dem Brauch das Beste darzubringen und dem Vater mit keiner Handlung seine Gottlosigkeit zu offenbaren. Schließlich war der Erwartete also, seine Opfergaben tragend, zur Stelle und trat mit ungeheurem Hochmut als erster vor den Altar. Darauf beugte er das Knie und blickte finster zum Himmel,
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<72> Num qua daret Dominus propensi signa favoris.
Quumque diu ante aram praestolans signa stetisset
Nequicquam, indignans tandem plenusque pudoris
Cedit. Tum manibus puris et corde probato
Accedit frater suaque offert munera laetus.
Cui clara Omnipotens ostendit signa favoris
Vultuque illius suscepit dona sereno.
Nam pura subitò delapsus ab aethere flamma
Absumpsitque struem ligni, consumpsit et agnum.
Tum verò toto perfusus felle Cainus
Irae succumbit. Torva ardent lumina fronte,
Labra terit spumamque movet sub dentibus albam,
Pallenti facies fit tota simillima buxo
Et manibus pedibusque tremit, praecordia dulci
Ulciscendi aestu caedisque cupidine fervent.
Tam succensebat Domino, qui munera et ipsum
Sprevisset, quàm nil germano tale merenti,
Quòd cultu denique foret praelatus honore.
Et nisi divina correptus voce fuisset,
Ante aras illum ac ipsorum ante ora parentum
Mactasset caedemque sacris fecisset in ipsis.
Distulit, et verba et vultum confingere solers
Internum ad praesens abscondit fronte furorem.
Inde autem sua tecta petens saevam asperat iram
Secum. „Proh fatuum me, qui parêre vocanti
Non detrectarim, quum mi benefacta Tonantis
Nota forent. Non me curat nec respicit unquam.
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ob der Herr irgendwelche Zeichen huldvoller Geneigtheit erkennen ließe. Und nachdem er vor dem Altar in Erwartung der Zeichen lange erfolglos gestanden hatte, entfernte er sich endlich unmutig und voller Scham. Da trat – mit reinen Händen und bewährter Gesinnung – sein Bruder heran und brachte frohgemut seine Opfergabe dar. Ihm offenbarte der Allmächtige deutliche Zeichen der Huld und nahm seine Gaben mit heiterem Antlitz entgegen. Denn plötzlich kam eine reine Flamme vom Himmel herab, verbrannte den Holzhaufen und verzehrte das Lamm.
Da aber lief Kain schlechterdings die Galle über, und er überließ sich dem Zorn. In seinem finsteren Gesicht glühten die Augen, er rieb sich die Lippen, hinter seinen Zähnen mahlte er weißen Schaum, das ganze Gesicht wurde dem bleichen Buchsbaumholz sehr ähnlich, er zitterte an Händen und Füßen, das Herz glühte vor süßer Rachlust und Mordgier. Er zürnte ebenso Gott, weil dieser seine Opfergaben und ihn selbst verachtet habe, wie seinem Bruder (der dies gar nicht verdient hatte), weil sein Opfer beim Gottesdienst auch noch vorgezogen worden sei. Und wenn er nicht vom Wort Gottes in Bann geschlagen gewesen wäre, hätte er jenen vor dem Altar und auch im Angesicht der Eltern niedergemetzelt und selbst beim Gottesdienst einen Mord begangen. Er schob es auf – und geschickt im Verstellen von Sprache und Mienenspiel ließ er die innere Wut vorderhand von seiner Stirn verschwinden. Als er aber danach zu seinem Haus ging, reizte er bei sich seinen wilden Zorn noch mehr auf: „Ach, ich Einfaltspinsel, der ich dem, der mich rief, nicht den Gehorsam verweigert habe, obgleich mir die Wohltaten des Donnerers bekannt waren! Er kümmert sich nicht um mich und beachtet mich niemals.
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<73> Sensi, intellexi, ratio ac exempla docebant.
Illi ego sacra feram posthac? illumne precabor?
Tam primogenitum me quàm mea munera sprevit
Meque diu stantem sacram pudefecit ad aram.
Nil mihi, quòd natu maior, quòd ditior et quòd
Ingenio longè praestem matrisque favore
Nec quòd sint oblata meis detracta medullis,
Profuit. Indigno placuit mage munere frater.
Quid superest, nisi me spreto abiectoque malignè
Partes ille meas teneat sedemque locumque
Simque ego ludibrium ridendaque fabula cunctis?
Hoc est, diversum quod opus contrarius olim
Elegit moresque alios vitamque fidemque
Sectatur, factis clarè me ut omnia damnet
Seque putet melius divina humanaque nosse.
Maior ego ergo feram pro me regnare minorem
Nulliusque hominem precii? Sum doctior illo,
Relligio mihi valde omnis cultusque fidesque
Nota fuere, idem didici humana omnia plenè,
Antè rubens matris gravida quàm emergeret alvo.
Mene reprendat iners vivendo? mene refingat?
Mene alios doceat mores cultumque novellum?
Proh pudor, indignam rem cordatoque ferendam
Nulli! At nil iam aliud sperabit. Corda tumebunt,
Coelitùs et cultum dicet vitamque probatam
Esse suam spernetque meam et contrarius ibit,
Iam mihi plus etiam diversaque sentiet et me
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Ich habe es gespürt und erkannt, mein Verstand und die Tatsachen lehrten es mich. Ihm soll ich künftig Opfer darbringen? Zu ihm soll ich beten? Mich, den Erstgeborenen, hat er ebenso verachtet wie meine Opfergaben, und er hat mich, als ich lange vor dem heiligen Altar stand, beschämt. Es hat mir nichts genützt, daß ich der Ältere bin, daß ich reicher, weitaus begabter bin, in der Gunst meiner Mutter viel höher stehe und mir die Opfergaben aus meinem Herzen gerissen habe. Mein Bruder hat mit seinem unwürdigen Opfer mehr Gefallen erregt. Fehlt nur noch, daß er, nachdem man mir Verachtung gezollt und mich böswillig erniedrigt hat, meine Rolle spielt, meinen Platz und Rang einnimmt und ich allen zum Gespött und zum lächerlichen Gerede der Leute werde! Das ist der Grund, weshalb er sich, feindlich gesinnt, einst eine andere Arbeit ausgesucht hat, ein anderes Verhalten an den Tag legt und einer anderen Lebensweise und einem anderen Glauben nachhängt: um mich mit seinen klar zu Tage liegenden Handlungen in allem zu verurteilen und vor sich selbst als jemand zu erscheinen, der sich in göttlichen und menschlichen Dingen besser auskennt. Soll ich als der Ältere also hinnehmen, daß der Jüngere, ein ganz nichtswürdiger Mensch, an meiner Stelle den Herrn spielt? Ich bin gelehrter als er. Die ganze Religion sowie Gottesdienst und Glaube waren mir schon bestens bekannt und auch über alle weltlichen Gegenstände war ich schon vollständig unterrichtet, bevor er rötlich schimmernd aus dem schwangeren Leib der Mutter hervorkam. Soll ein Einfaltspinsel meine Lebensweise tadeln? Mich ummodeln? Mir andere Verhaltensweisen und einen neuen Gottesdienst beibringen? O Schande! Ein unwürdiger, für keinen Verständigen erträglicher Zustand! Aber genau darauf wird er schon hoffen! Ihm wird das Herz schwellen. Er wird sagen, daß seine Weise der Gottesverehrung vom Himmel komme und seine Lebensweise von bewährter Güte sei – und meine Lebensweise wird er verachten und den entgegengesetzten Weg gehen. Bald wird seine Denkweise von der meinigen noch mehr abweichen, und er wird mich
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<74> Impium ut invisumque Deo traducet ubique.
An non suspendi longè atque occumbere praestat,
Haec quàm audire patique? Ob tam perversa notavit
Quanta mihi extemplò stomachum commoverit ira.
Nil curasse tamen, sed contempsisse videtur.
Ilicet aethereo malim consumier[35] igne,
Quàm non ulcisci spretorem iusque tueri
Omne meum.“ Tales furibundus ruminat iras
Pectore sub tacito. Vultum sed fingit amicum
Adversus fratrem mellitaque verba profatur.
Infensis animis simulator perfidus usque
In campum, donec metuentem talia nunquam
Longè à conspectu duxit tectoque parentum.
Illic rixatur primùm clamosaque tractat
Iurgia paulisper. Tandem verò ore tumenti
Atque truci subitò proclamat voce: „Quousque,
Haeretice impie nec non tressis homuncio, cultum
À me diversum vitamque aliosque sequêris
Mores? quo tandem usque mihi contrarius ibis?
Tune reformabis deridebisque Cainum?“
His insperatis valde perterritus ille
Obstupuit primò, mox respondere parabat.
Non ulla expectans autem responsa Cainus
Fustem, quem secum tulerat sub veste latentem,
Fortiter impingit capiti, craniique refractis
Ossibus et fustem cerebro conspergit humumque.
Concidit ille statim superasque animam efflat in auras,
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überall als einen Frevler und Gott Verhaßten dem Spott preisgeben. Ist es nicht weitaus besser, sich aufzuhängen und zu sterben, als dies anzuhören und zu erdulden? Er hat bemerkt, wie groß der Zorn über solches Unrecht war, der in mir sogleich Unwillen erregte; doch wie es aussieht, hat es ihn nicht bekümmert und ihn kaltgelassen. Lieber will ich auf der Stelle vom Blitz erschlagen werden, als mich an dem Verächter nicht zu rächen und nicht mein volles Recht wahrzunehmen.“ Derlei zornerfüllte Gedanken bewegte der Rasende immer wieder in seinem verschwiegenen Herzen. Dem Bruder gegenüber täuschte er aber eine freundliche Miene vor und sprach zu ihm honigsüße Worte. Voller Feindseligkeit führte der treulose Heuchler den völlig Arglosen aufs Feld hinaus, bis sie weit vom Gesichtskreis und Haus der Eltern entfernt waren. Dort zankte er zunächst und führte für ein Weilchen lautstark Stichelreden. Schließlich aber brüllte er plötzlich wutschnaubend und mit wilder Stimme: „Wie lange, du gottloser Ketzer und dürftiges Menschlein, wirst du noch einem von meiner Auffassung abweichenden Kult anhängen, einer anderen Lebensform und anderem Verhalten nachtrachten? Wie lange noch, um Himmels willen, wirst du dich mir entgegenstellen? Willst du Kain ummodeln und verspotten?“
Aufs äußerste erschrocken über diese unverhofften Worte war jener zunächst verstummt, schickte sich aber alsbald an, zu antworten. Doch ohne auf eine Antwort zu warten, schlug ihm Kain einen Knüttel, den er unter dem Gewand versteckt bei sich getragen hatte, wuchtig über den Kopf, zertrümmerte die Knochen der Hirnschale und bespritzte Knüttel und Erde mit der Hirnmasse. Jener brach auf der Stelle zusammen und hauchte seine Seele in den Himmel aus,
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<75> Humanumque bibit tellus invita cruorem.
Satyra tertia.
Si Domino coeli largitorique bonorum
Cunctis pro donis debemus solvere grates,
Nec sunt parva viri celebres vitamque per omnem
Intenti, ut multis prosint aut arte regendi
Humana aut studiis rectis iustoque labore,
Solvere quas tandem pro te debemus, Erasme,
Lumine non solum patriae populique Batavi,
Sed decore illustris, quà quà Germania finit?
Imò magis nomen venit quocunque Latinum,
Clarum tu fulges cunctisque optabile sidus.
Non Gallus ferat hoc indignè Italusve superbus,
Nec refragetur nostris Hispania dictis.
Dicet idem, quem non livor vel macerat ira,
Sed iuxta expendit doctorum lance virorum
Ingenia et studium fructusque laboribus ortos.
Porrò haec non dico privato ductus amore.
Nec tua mî facies nostra viventis in aura
Visa unquam, laudis nec ab ullo praemia spero.
Sed tua scripta legens, quis te non laudet, Erasme?
Et Domino propter te exantlatosque labores
Semper agat grates? Divinos plurimi honores
Usibus humanis meruerunt artibus olim
Inventis. Aetnaea Ceres, quòd ponere siccas
Curarit glandes mitesque ostenderit escas,
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und wider Willen trank die Erde menschliches Blut.
Dritte Satire
Wenn wir dem Herrn des Himmels und Spender aller Güter für alle Gaben Dank erweisen müssen und wenn berühmte Männer, die ihr ganzes Leben hindurch bestrebt sind, vielen nützlich zu sein, sei es durch menschliche Kunst des Regierens, gehörige wissenschaftliche Tätigkeit oder rechtschaffene Arbeit, keine geringen Gaben sind, wieviel Dank sind wir ihm dann um deinetwillen schuldig, Erasmus, du Leuchte nicht nur deines Vaterlandes und des niederländischen Volkes, sondern auch glänzende Zier Deutschlands, soweit seine Grenzen nur reichen! Oder vielmehr: überall, wohin auch immer alles Lateinische gedrungen ist, strahlst du als heller und für alle wünschbarer Stern. Es entrüste sich hierüber weder der Franzose noch der stolze Italiener, und auch Spanien widerspreche unseren Aussagen nicht! Das gleiche wird jeder sagen, den nicht Neid oder Zorn zerfressen, sondern der unparteiisch die Talente und wissenschaftlichen Bemühungen der Gelehrten und die aus ihren Arbeiten hervorgegangenen Früchte gegeneinander abwägt. Nun lasse ich mich aber, wenn ich dies sage, nicht von persönlicher Zuneigung leiten. Weder habe ich dich zu deinen Lebzeiten jemals von Angesicht gesehen, noch erhoffe ich mir von irgendwem einen Lohn für mein Lob. Wer nämlich sollte dich nicht loben, Erasmus, wenn er deine Schriften liest? Und wer könnte dem Herrn nicht um deinetwillen und für die Mühen, die du ausgehalten hast, alle Zeit danken? Sehr viele haben sich göttlichen Ruhm erworben, indem sie einst Künste erfanden, die den Menschen von Nutzen waren. So die aetnaeische Ceres, weil sie darum besorgt war, trockene Eicheln beiseite zu lassen, und auf milde Speisen hinwies.
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<76> Triptolemusque puer curvum fabricarit aratrum.
Hanc etiam ob causam divinus cultus Osyris
Niliacae plebi. Medicas quòd primus Apollo
Artes reppererit, frondentem Pallas olivam,
Multiforem quòd buxum et avenas Arcadius Pan,
Vitis culturam Liber iucundaque vina.
Ast haec corpus alunt tantum vitamque caducam.
Quanto autem melior terreno corpore mens est,
In qua non falsò divina relucet imago,
Excellitque brevem quanto plenamque dolore
Vitam immortalis laetoque beata vigore,
Tanto illustre tuum studium benefactaque praestant,
Quîs linguas dotesque animi vitamque perennem
Excolere et certo monstrasti tramite mundo
Nancisci, anfractu penitus tenebrisque remotis.
Haud primi invenere tamen, quae diximus, illi,
Sed tantum inventas coluere prioribus artes
Doctius indoctosque prius docuere colonos.
Sic ego non dicam nova te invenisse, tametsi
Hoc nomen laudemque tui non pauca merentur
Ingenii. Dico longè te doctius usum,
Tractandis quîscunque operam studiumque dedisti,
Et magis ad captum pubi prompsisse docendae
Quàm veteres, qui quondam eadem invenere, magistri.
Atque haec ut faceres, facundi more Platonis
Pythagoraeque et Anaxagorae castaeque mariti
Penelopes, varias isti studiosius in oras.
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So der Knabe Triptolemus, weil er den gekrümmten Pflug verfertigte. (Aus diesem Grund verehrt das Volk am Nil auch den göttlichen Osiris.) So Apollo, weil er als erster die Heilkunst entdeckte; so Pallas, weil sie die belaubte Olive, so der arkadische Pan, weil er den viellöchrigen Buchsbaum und die Syrinx, so Liber, weil er den Anbau der Rebe und den köstlichen Wein erfand. Alle diese Dinge aber erhalten nur den Leib und das vergängliche Leben. Um wieviel wertvoller aber der Geist ist als der irdische Leib – der Geist, in dem wahrhaftig das Abbild Gottes aufscheint – und um wieviel er das kurze, von Schmerz erfüllte Leben übersteigt, unsterblich und selig in seiner blühenden Frische, um soviel vorzüglicher sind dein ruhmvolles wissenschaftliches Streben und deine Wohltaten, mit denen du der Welt aufgezeigt hast, wie man die Sprachen, die Gaben des Geistes und das Leben in seiner ganzen Dauer vervollkommnet und dazu auf einem sicheren Pfad gelangt – ganz ohne Umschweife und in aller Klarheit. Jene haben aber die Dinge, von denen ich gesprochen habe, keineswegs als erste erfunden, sondern nur bereits entdeckte Fertigkeiten mit besseren Kenntnissen praktiziert als die Altvorderen und die ungeschulten Bauern darin zuerst unterwiesen. So möchte ich nicht sagen, daß du Neues erfunden habest, wenn auch nicht wenige Züge deines Geistes diese Bezeichnung und diesen Ruhm verdienen. Ich sage, du habest alles, worauf immer du bei deinen Arbeiten Mühe und Eifer verwendet hast, weitaus kenntnisreicher gehandhabt und auf eine der Fassungskraft der unterweisungsbedürftigen Jugend besser angepaßte Art vorgetragen als die alten Lehrer, die einst das gleiche entdeckt haben. Und um dies zu leisten, hast du dich wie der beredte Plato, wie Pythagoras und Anaxagoras und wie der Ehemann der keuschen Penelope mit großem Eifer an verschiedene Gestade begeben.
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<77> Inclyta Gallorum lustrasti ritè Lyceia
Doctosque Ausoniae proceres praeclaraque passim
Musarum simul et sacri collegia verbi,
Semotos et apud toto licet orbe Britannos.
Ò quot trivisti veterum monumenta virorum
Hactenus è Graecis Italisque erepta ruinis,
Quorum etiam ignotum nostris tum nomen in oris?
Undique doctrinae donec praeclara supellex
Lecta tibi, multo posses quam promere fructu
Et charam patriam gentemque beare Batavam,
Ut perlustrat apis campos et florea rura
Carpitque, unde favis stipet redolentia mella.
Praetereo terras alias gentesque remotas,
Quas immortali studio fructuque beasti.
Ante decem quali nituit Germania vultu
Lustra? scholae linguam quàm nescivere Pelasgam
Omnes? ipsa fuit quanta viciata Latina
Barbarie? quanto collegia cuncta veterno
Torpebant miserè? Musarum quantus ubique
Contemptus? quanto discebat inania pubes
Sudore? et nugis quàm torquebatur ineptis?
Nempe ignorabant ipsi meliora magistri,
Nec methodum discendi ullam recteque docendi
Norant, sed frustra nummos tempusque terebant.
Grammaticen lustris licuit vix scire duobus,
Et discebatur toto dialectica saeclo.
Huc curas studiumque suum iuvenesque senesque
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Du hast berühmte französische Schulen gehörig bereist, die vorzüglichsten Gelehrten und die überall für ihre Pflege sowohl der Musen als auch des Wortes Gottes hochangesehenen Universitäten in Italien besucht und bei den Engländern, obwohl diese von der ganzen Welt abgesondert wohnen. O, wie viele Schriftdenkmäler antiker Autoren, die bisher aus den Trümmern Griechenlands und Italiens gerettet worden sind und von denen man in unserer Region damals nicht einmal den Titel kannte, hast du gelesen, bis du von überallher herrliches Rüstzeug der Gelehrsamkeit zusammengetragen hattest, um es mit großem Gewinn mitteilen und dein teures Vaterland und dein niederländisches Volk beglücken zu können – so wie die Biene die Felder und blumenbestandenen Ländereien durchfliegt und sie abweidet, um den dort gewonnenen duftenden Honig in den Waben aufzuhäufen. Ich übergehe andere Länder und entlegene Völker, die du mit der unvergänglichen Frucht deiner Wissenschaft beglückt hast. Was war das hervorstechende Erscheinungsbild Deutschlands vor fünfzig Jahren? Wie unwissend waren alle Schulen in der griechischen Sprache! Durch wie große Barbarei war selbst die lateinische Sprache entstellt! In wie großem Phlegma waren alle Universitäten elendiglich erstarrt! Wie sehr verachtete man überall die Musen! Wieviel Schweiß wandte die Jugend auf, um nichtiges Zeug zu lernen! Und mit welch läppischem Kram wurde sie gemartert! Wußten es doch die Lehrer selbst nicht besser! Sie kannten keine Lernmethode und kein Verfahren der rechten Unterweisung, sondern verbrauchten nutzlos Geld und Zeit. Die Grammatik konnte man sich kaum in zehn Jahren aneignen, und um die Dialektik zu erlernen, bedurfte es eines ganzen Menschenalters. Jünglinge und Greise verwendeten hierauf ihre Studien und ihr
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<78> Omne impendebant, spernebant caetera prorsus
Ceu nihili planè nullumque ferentia fructum,
Docti censentes hoc demum insigne magistri,
Si thesibus streperet crebris et ferret elenchos.
Rarus erat magni verus Ciceronis amator,
Paucis Rhetorice curae doctique poetae.
Quis curasset enim, quum doctis praemia Musis
Nulla forent, nulla frueretur laude disertus?
Et sirpis omnes tantum nugisque studerent?
Haec emendasti primus, primusque libellis,
Ò quàm iucundis omnique ex parte politis,
Germanae pubis tenebras somnumque profundum
Sedulò rupisti faciendo cernere verum
Ostensisque viis rectis usuque docendi
Barbarieque gravi et vitiis monstrisque Latinae
Linguae quaeque forent neglectae incommoda Graiae.
Ut si dira cani per totum bellica Caesar
Praecipit imperium, pedites equitesque moventur,
Arma parant curisque aliis post terga relictis
Invigilant Marti totisque ad bella feruntur
Viribus, imperii cupientes iura tueri:
Haud aliter doctos te quondam edente libellos
Doctores, cor erat quibus, insignesque magistri
Frivola linquebant studia antiquumque veternum.
Quin et discipulos ingens incesserat ardor,
Praeceptis parêre tuis, vitare pudendam
Barbariem purisque haurire è fontibus artes,
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ganzes wissenschaftliches Streben und hatten für alles übrige nur gründliche Verachtung – so als sei es schlechthin unnütz und fruchtlos. Sie meinten, man erkenne einen wissenschaftlich gebildeten Lehrer vornehmlich daran, daß er viel Lärmens mit der fortgesetzten Aufstellung von Thesen mache und Gegenbeweise beibringe. Selten gab es einen wirklichen Liebhaber des großen Cicero. Wenige kümmerten sich um die Rhetorik und um die gelehrten Dichter. Wer hätte sich denn auch darum kümmern sollen, da es für die gelehrten Musen keine Auszeichnungen gab und ein gewandter Redner sich keines Lobes erfreute und alle sich nur mit Scheinproblemen und Lappalien befaßten? Diesen Zustand hast du als erster verbessert, und als erster hast du mit o wie köstlichen und in jeder Hinsicht geschmackvollen Büchern der Finsternis und dem tiefen Schlaf des deutschen Volkes nachdrücklich ein Ende gemacht, indem du es die Wahrheit erkennen ließest, ihm den rechten Weg und die Praxis des Lehrens zeigtest und ihm die schlimme Barbarei und die Mängel und Verderbnisse in der lateinischen Sprache und die Nachteile einer Vernachlässigung des Griechischen vor Augen führtest. Wie wenn der Kaiser befiehlt, daß über das ganze Reich hin die grausige Kriegstrompete erschallen solle und Fußvolk und Reiter abmarschieren, sich zum Kampf rüsten, andere Sorgen hinter sich lassend sich nur dem Krieg widmen und sich mit aller Kraft in den Kampf stürzen, begierig, die Rechte des Reiches zu verteidigen: ebenso kehrten einst, als du gelehrte Bücher veröffentlichtest, Lehrer, die über Einsicht verfügten, und ausgezeichnete Schulmeister den albernen Studien und dem überkommenen Schlendrian den Rücken. Ja auch Schüler überkam eine gewaltige Begeisterung, deinen Lehren zu folgen, die schändliche Barbarei zu meiden, die Künste aus reinen Quellen zu schöpfen,
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<79> Mirari Aonidas, Ciceronis amare diserti
Eloquium seclove eius cuiusque propinqui.
Ipse etiam admirandus eras sermone styloque,
In manibusque tuos gestabat quisque libellos:
Scilicet exemplar studii linguaeque politae.
Deridebatur segnis veterique recumbens
In coeno studiique tui impugnator et osor.
Barbariem quosdam dediscere nempe pudebat,
Delirique senes censebant turpe reverti
Decurso veluti stadio et nescire videri,
Magno discebat quae tum fervore iuventus.
Obstabant igitur summo conamine quidam,
Ne quid Musarum studiis preciique locique
Usquam esset, linguae ne quisquam aperiret Achaeae
Ludum aut mercedem iustumque auferret honorem.
At frustra: vicit virtus et publica vulgò
Conspecta utilitas. Felici secula cursu
Ire videbantur, Romae versarier omnes
Te duce et à celsa velut exhortante cathedra.
Tantus amor puri sermonis ubique Latini.
Scripta legebantur[36] veterum de pulvere tandem
Eruta, detritus sordebat barbarus autor.
Helladaque in nostras penitus migrasse putares
Terras Cecropiasque ipsam in Germaniam Athenas.
Hac instaurata cum plausu sedulò parte
Maius adhuc passim vitium restare videbas
Tollendum magnaque in re magnique pericli.
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die Musen zu bewundern, die Ausdrucksweise des wortgewandten Cicero und jedes seinem Zeitalter nahestehenden Autors zu lieben. Auch dich selbst mußte man wegen deiner Sprache und deines Stils bewundern, und jeder hatte deine Bücher in der Hand – als Muster nämlich wissenschaftlicher Arbeit und geschmackvoller Sprache. Man verlachte den Trägen, der sich in den alten Schmutz bettete, und den, der deine Arbeit bekämpfte und haßte. Gewisse Leute schämten sich nämlich, sich die Barbarei abzugewöhnen, und schwachsinnige Greise erachteten es für schimpflich, gewissermaßen nach dem Durchlaufen der Bahn umzukehren, und in den Dingen als unwissend angesehen zu werden, welche damals die Jugend mit glühendem Eifer erlernte. Es gab also gewisse Leute, die mit aller Kraft zu verhindern suchten, daß das Studium der Musen jemals Wertschätzung und Ansehen gewann, daß irgend jemand die Schule der griechischen Sprache öffnete oder Lohn und die ihm zustehende Ehrenstellung erlangte. Aber vergebens! Es siegten die Tüchtigkeit und der für jedermann erkennbare allgemeine Nutzen. Das Zeitalter schien einen glücklichen Fortgang zu nehmen. Es hatte den Anschein, als weilten alle in Rom – unter deiner Führung und gewissermaßen aufgrund der von deinem hohen Lehrstuhl ausgehenden Ermunterung. Eine so große Liebe zur unverfälschten lateinischen Sprache herrschte überall! Man las die endlich aus dem Staub ans Tageslicht geförderten Schriften der Alten; der abgedroschene barbarische Autor war Gegenstand der Verachtung. Man hätte glauben können, Hellas sei vollständig in unsere Länder übergesiedelt und das kekropische Athen sei sogar nach Deutschland gekommen. Als du dieses Terrain unter Beifall und unermüdlich neu bestellt hattest, gewahrtest du, daß allenthalben ein noch größerer Übelstand übriggeblieben war, der beseitigt werden mußte – ein Übelstand, der eine bedeutende Angelegenheit betraf und von dem große Gefahr ausging.
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<80> Vilis habebatur Regis doctrina superni,
Sepositis Bibliis opplerant cuncta sophistae,
Sanctum Evangelii nomen sordebat ubique,
Doctis atque scholis tenebrae, ignorantia veri,
Somnia, praestigiae, ritus cultusque novelli
Omnia vastarant pietatis munia verae.
Rarus de Christo sermo, nisi vanus et asper:
Non constabat eò aeternae fiducia vitae.
Quin nec Theiologi divina lege rogati
De Christi officio vitaque hominumque salute
Quicquam reddebant certi solidique roganti.
Quippe superstitio totum possederat orbem
Multa tenaxque nimis, multos stabilita per annos.
Somnia iusticiae pariendae vana tenebant
Pontifices, docti atque scholae populusque patresque.
Conditio infelix rerumque miserrimus usus.
Tantis hisce malis perituroque obvia mundo
Pharmaca prompsisti divinae pixide mentis,
Moxque Evangelium et pacti sacra scripta novelli
Abstersis Graio maculis de fonte dedisti,
Adiuncta Paraclesi ad cognoscenda vocante,
Contenta in sanctis promptè mysteria libris,
Ut pluris facerent omnes oracula Verbi
Quàm tricas nugasque hominum commentaque spissa,
Quae triginta asini haud gestent aut ulla triremis,
Omneque noticiae Christi, à quo nomen habemus,
Et cognoscendae vitae aeternaeque saluti
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Die Lehre des himmlischen Königs wurde geringgeschätzt; nachdem die Bibel abgetan war, hielten Sophisten alles besetzt; der heilige Name des Evangeliums galt überall als verächtlich, und die Schulen der Gelehrsamkeit steckten in der Finsternis und wußten nichts von der Wahrheit; Hirngespinste, Blendwerk, neue Riten und Kulte hatten alle Pflichten wahrer Frömmigkeit zerrüttet. Über Christus wurde selten anders als auf windige und grobe Art gepredigt. So sehr ermangelte es dem sicheren Vertrauen auf ein ewiges Leben an einem festen Halt! Ja selbst die im göttlichen Gesetz geschulten Theologen wußten auf die Frage nach dem Amt und nach dem Leben Christi und dem menschlichen Heil dem Fragesteller nichts Gewisses und Stichhaltiges zu antworten. Überhaupt hatten viele abergläubische Gebräuche von der ganzen Welt Besitz ergriffen; sie waren äußerst zäh und hielten sich über viele Jahre. Päpste, Gelehrte und Schulen, Volk und Patrizier hielten an den nichtigen Hirngespinsten von der erreichbaren Rechtfertigung fest. Ein unseliger Zustand, eine erbärmliche Praxis! Aus der Büchse göttlichen Geistes verabfolgtest du eine Arznei, die diesen so schweren Übeln und dem bevorstehenden Untergang der Menschheit entgegenwirkte: und alsbald gabst du das Evangelium und die heiligen Schriften des Neuen Bundes, nachdem du die Flecken entfernt hattest, aus der griechischen Quelle heraus. Beigefügt war ein Appell, der dazu aufrief, die in den heiligen Büchern enthaltenen Mysterien sogleich zu studieren, damit alle Menschen die Aussprüche des Wortes höher schätzten als menschliche Possen und Flausen und dicke Lügen, die gewiß keine dreißig Esel und keine dreirudrige Galeere transportieren könnten, und damit alle sich mit vollem Eifer – ohne ihn ist alles übrige nutzlos! – um die Bekanntschaft mit Christus, dessen Namen wir tragen, und um die Erkenntnis des Lebens und des ewigen Heils
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<81> Navarent studium, sine quo sunt caetera vana.
Profuit hoc multum, simul et coeleste iuvabat
Numen. Certatim rapuit studiosa iuventus
Libros inde tuos bis terque quaterque renatos.
Nec fuit Europa codex tum notior alter
Nec magis attritus manibus iuvenumque senumque
Quàm Testamentum (sic appellare solebant),
Quod docta versum cura prostabat Erasmi.
Gestabant manibus passim delubra petentes
Aut longum ingressuri iter, ad convivia vulgò
Adque forum et damnata aliis gymnasia curis.
Scriptorum crescebat amor studiumque sacrorum
Dignaque divino passim reverentia verbo.
Notus fiebat Christus doctrinaque sana
Directumque iter ad coelos veniamque reatus,
Emendabantur mores cultusque lucrosi.
Res erat insanis multum funesta sophistis.
Nam simul illorum studia et creberrimus error
Risui erant pueris claraque in luce patebant.
Hinc fremere adversus pulchrosque piosque labores
Indignisque onerare et falsis rodere dictis.
Improbitate autem tu non dimotus es ulla
À rectè coeptis, nec frustra immobilis olim
Terminus arrisit statuenti cedere nullis
Morsibus insanosque omnes contemnere fluctus.
Sedulus interpres fueras et plurima scitu
Digna et, suppetias poterant quae ferre legenti,
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bemühten. Dies trug viele Früchte und erfreute zugleich die himmlische Gottheit. Daher riß sich die studierende Jugend um die Wette nach deinen zwei-, drei- und viermal neu aufgelegten Büchern. Und in Europa gab es kein zweites Buch, das bekannter und durch die Hände von jung und alt stärker abgenutzt gewesen wäre als das Testament (wie man es gewöhnlich nannte), das dank der gelehrten Arbeit des Erasmus rein gefegt zum Verkauf stand. Man trug es überall in der Hand, wenn man in die Kirche ging oder im Begriff war, eine große Reise anzutreten, wenn man gemeinhin zu Tischgesellschaften, auf den Markt oder zu anderen Zwecken dienenden Tummelplätzen ging. Es wuchsen Liebe und Neigung zur Heiligen Schrift, und überall erstarkte die geziemende Ehrfurcht vor dem göttlichen Wort. Man bekam Kenntnis von Christus, von der rechten Lehre und vom geraden Weg zum Himmel und zur Vergebung der Schuld. Die Sitten und die Formen des nutzbringenden Gottesdienstes besserten sich. Diese Entwicklung war für die tollen Sophisten sehr verhängnisvoll, denn gleichzeitig wurden ihre Wissenschaft und ihr ständig sich wiederholender Irrtum von Knaben verlacht und lagen in heller Beleuchtung offen vor aller Augen. Daher murrten sie über die rühmlichen und frommen Bemühungen und belasteten und verleumdeten sie mit unziemlichen und grundlosen Behauptungen. Du aber ließest dich durch keine Unredlichkeit vom recht begonnenen Weg abbringen, und nicht ohne Grund lachte seinerzeit das unverrückbare Ziel demjenigen, der beschlossen hatte, keinen Angriffen zu weichen und allen Wogen der Tollheit zu trotzen. Du warst ein emsiger Ausleger gewesen und hattest sehr vieles Wissenswerte und für den Leser Hilfreiche
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<82> Ex veterum scriptis patrum primisque notaras
Linguis. Haud contentus eo, ne surgere possint
Ob salebras quasdam prompti fastidia verbi,
Integer accesti paraphrastes claraque docto
Fecisti eloquio, quaecunque abstrusa latebant.
Hinc quantus fructus discentumque atque docentum?
Quanto Evangelium complectebantur amore
Omnes exuti tenebris erroreque longo?
Praeterea veterum mendosa volumina quondam
In lucem prodire tuo correcta labore,
Quot sunt gavisi? quot laudavere merendi
Indefessum adeò studium curasque salubres?
Bibliothecae omnes, quae sunt à Gadibus usque
Ad Danos, à Pannoniis quoque ad usque Britannos,
Immortale tuum nomen laudesque fatentur.
Quid, quòd non solum studiosis commoda vivus
Multa advexisti, verùm et post ultima multis
Fata huc usque adfers, atque hoc, dum defluet Ister
In Pontum Rhenique tuos spaciosa Batavos
Brachia contingent. Poterat constare perennis
Utilitas libris ad seros usque nepotes.
Tu tamen, augusti quondam quae munera reges
Pontificesque pii dederant proceresque ducesque,
Non consanguineis liquisti aliisve propinquis,
Quod vulgo solitum: in laudandum sed magis usum
Vertisti atque pium, certa ad stipendia nempe
Quattuor ordinibus studiorum, laurea donec
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aus den Schriften der alten Väter und den frühesten Sprachen angemerkt. Damit hast du dich keineswegs begnügt, sondern bist, damit nicht wegen gewisser Unebenheiten des sich offen darbietenden Wortes Widerwille entstehen kann, als gewissenhafter Paraphrast ans Werk gegangen und hast mit gelehrtem Vortrag alles, was dunkel im Verborgenen lag, aufgehellt. Wie große Frucht brachte dies für Lernende und Lehrende! Von wie großer Liebe zum Evangelium waren alle erfaßt, befreit von Finsternis und langwährendem Irrtum! Wie viele haben sich darüber gefreut, daß überdies die einstmals von Fehlern wimmelnden Bücher der Alten dank deiner Arbeit in berichtigter Form ans Licht traten! Wie viele haben einen so unermüdeten Eifer, sich verdient zu machen, und so nutzbringende Arbeiten gelobt! Alle Bibliotheken von Cadiz bis zu den Dänen und auch von Ungarn bis England bezeugen deinen unsterblichen Namen und deinen Ruhm. Ja noch mehr: nicht allein zu deinen Lebzeiten hast du den Studierenden vielerlei Nutzen verschafft, sondern vielen bringst du ihn auch nach deinem Tode bis heute. Und dies wird so sein, solange die Donau ins Schwarze Meer fließen und die ausgedehnten Arme des Rheins an deine Niederländer grenzen werden. Von deinen Büchern hätte für alle Zeit – bis zu den späten Enkeln – unverändert Nutzen ausgehen können. Doch du hast die Geschenke, die dir einst königliche Majestäten und fromme Bischöfe, Adlige und Fürsten gemacht haben, nicht, wie allgemein üblich, deinen Blutsverwandten oder anderen dir nahestehenden Personen hinterlassen, sondern sie einem löblicheren und frömmeren Zweck zugeführt: als sichere Stipendien nämlich für die vier Fakultäten – solange zu vergeben, bis,
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<83> Docti iudicio coetus sit parta suprema.
Sunt et pauperibus quaedam legata fovendis
Nubilibusque aliquot dos assignata puellis.
Quis non felici dicat te sidere natum,
À quo tanta redit praesentibus atque futuris
Utilitas? cuius tantum effecere labores?
Cuius non solum scriptis studiosa iuventus,
Sed nummis etiam cunctos fulcitur in annos?
À quo plebeii capiunt patrimonia multi?
Quis tibi praeluxit non claro sanguine cretus?
Maiorum haud opibus nixus mitrave bicorni?
Dites certè alii terras vixere per omnes
Multi, ast exemplum nullius tale videmus.
Vixerunt sibi, tum studiis quaesita benignis
Diripuere sui inque usum vertere profanum.
Tu verò studiis, pietati pauperibusque,
Divitiaeque tuae Christo inservire videntur.
Quòd te ergo talem nobis tantumque dederunt
Fata, an non meritò debemus solvere grates
Cunctorum autori largitorique bonorum?
Vive, vale felix coelesti semper in aula
Pro tantis meritis suprema luce coronam
Dignam accepturus. Tua si facundia nobis
Suppeteret possemque Arpina dicere vena,
Te dignè tamen haud canerem gratesque referrem.
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nach dem Urteil des Gremiums der Gelehrten, der höchste akademische Rang erreicht worden ist. Zusätzlich wurden bestimmte Legate zugunsten der Armen ausgesetzt und einige zur Mitgift für heiratsfähige Mädchen bestimmt. Wer sollte nicht sagen, daß du unter einem glücklichen Stern geboren seist, du, von dem so großer Nutzen für Zeitgenossen und Nachlebende ausgeht? Dessen Arbeiten so Großes bewirkt haben? Der die studierende Jugend nicht nur mit seinen Schriften, sondern auch mit seinem Vermögen für alle Zeit unterstützt? Von dem viele Angehörige des gemeinen Volkes Erbteile erhalten? Wer unter allen Menschen, die nicht erlauchtem Geblüt entsprossen sind, die sich nicht auf den Reichtum von Vorfahren oder ein Bischofsamt stützen können, hätte dich überstrahlt? Gewiß haben in allen Ländern viele andere Wohlhabende gelebt, aber keiner hat, wie wir sehen, ein solches Beispiel gegeben. Sie haben für sich gelebt, und dann haben ihre Angehörigen das, was für mildtätige Interessen verlangt wurde, an sich gerissen und für schändliche Zwecke verwendet. Du aber dienst, wie man sieht, den Studien, der Frömmigkeit und den Armen, und dein Reichtum dient Christus. Daß uns also das Geschick in deiner Person einen solchen Mann, einen Mann von dieser Größe beschert hat – müssen wir dafür nicht zu Recht dem Schöpfer aller Dinge und Spender aller Güter Dank zollen? Lebe wohl, lebe für alle Zeit glücklich im Himmelspalast, in der Gewißheit, am Jüngsten Tag einen so großen Verdiensten angemessenen Ehrenkranz zu erhalten. Wenn mir deine Beredsamkeit zu Gebote stünde und ich über die Sprachbegabung eines Arpinaten verfügen könnte, würde ich dir doch damit noch keineswegs auf eine deiner würdige Weise Gesang und Dank darbringen.
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Satyra quarta.
Mores accusas nostros et tempora saepe
Nostra vocas multo peiora prioribus. Atqui
Usque à principio morum sentina malorum
Pestiferum semper latè exhalavit odorem
Ac infecta fuere insano tempora motu.
An non continuò fraterno sanguine tellus
Permaduit? an non caedes funestaque bella
Et scelerum invasit terras exercitus omnis,
Ut pater effusis animantia merserit undis,
Quaecunque occlusa non servabantur in arca?
Semper et in mundo iusti vixere malique,
Fidi ac infidi, numerus licet usque malorum
Extiterit maior, quod nemo negaverit unquam.
Inter eos licuit tamen aeternumque licebit,
Iusticiae servare vias et vivere rectè.
Ergo vide, quid te moveat, quòd nostra reprendas
Tempora, an in culpa non sis magis ipse malusque
Quàm bonus esse velis. Fraternum dicis amorem
Extinctum penitus, nihil auxilii esse relictum
Pauperibus, nec apud populum populique ministros.
Mutua nulla dari tenui sestertia fratri:
Sic Evangelium nempe ac mandata Magistri
Nunc vulgo curae. Talis querimonia forsan
Competeret multis, verùm minus ac tibi nulli.
Non nos praetereunt coelestis iussa Magistri.
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Vierte Satire
Oft klagst du unsere Sitten an und sagst von unserem Zeitalter, es sei viel schlechter als frühere. Nun hat aber doch von Anbeginn an der Bodensatz schlechter Sitten seinen schädlichen Gestank immerdar weit und breit ausgedünstet, und die Zeiten waren von unvernünftigem Trieb vergiftet. Ist die Erde etwa nicht ununterbrochen feucht geworden von brüderlichem Blut? Gab es etwa nicht Morde und unheilvolle Kriege, und hat nicht ein ganzes Heer von Verbrechen die Erde heimgesucht, so daß der Schöpfer alle Lebewesen, die nicht durch ihre Verwahrung in der Arche gerettet wurden, in einer Wasserflut ertränkte? Immer auch haben auf der Welt Gerechte und Böse gelebt, Treue und Treulose – wenn auch, was niemand je bestritten hat, die Zahl der Bösen stets größer gewesen ist. Es war aber möglich und wird in alle Ewigkeit möglich sein, mitten unter ihnen die Wege der Gerechtigkeit einzuhalten und ein Leben in Rechtschaffenheit zu führen. Sieh also einmal zu, was dich bewegt, unser Zeitalter zu tadeln! Sieh zu, ob du nicht vielmehr selbst schuldbeladen bist und lieber böse als gut sein willst! Du sagst, die brüderliche Liebe sei völlig erloschen; es gebe keinerlei Hilfe mehr für die Armen, weder beim Volk noch bei den Dienern des Volkes. Man leihe dem armen Bruder keinen Groschen: dergestalt beachte man nämlich heutzutage das Evangelium und die Gebote des Herrn! Eine solche Klage würde vielleicht vielen zustehen, aber keinem weniger als dir. Mir sind die Gebote des Herrn des Himmels nicht unbekannt.
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<85> Dexteram habere iubet largam et succurrere dura
Pressis pauperie nec edaci affligere quenquam
Foenore, si nostros tradamus mutuò nummos.
Haec memori tu corde tenes multumque revolvis.
Altera sed cur non etiam tibi pagina lecta est?
Nempe fidem gratumque animum debere vicissim,
Quicunque alterius nummis utuntur amicè?
Debitaque ad dictam properanter reddere lucem
Fraude sine atque dolo? quòd si non reddere possis
Ad numerum adque diem, tamen impetrare rogando
Maius solvendi spatium partemve remitti?
Non sunt haec audita tibi vel praeteris arte
Callidus. Improbitas communis scilicet haec est
Humani ingenii, si quis vel debeat assem
Nobis, id scriptis cautè mandare libellis,
Mentibus ac retinere imis, at credita nobis
Dissimulare dolo totaque expungere mente.
Non solum verò divina lege iubemur
Promptè suppeditare aliis, quae nostra facultas
Sustineat, grateque ac iustè credita cuique
Reddere, sed veteres quoque idem docuere poetae.
Nec modò mensuram, numerum ac aequabile pondus
Reddere, sed, si res ferat, et cumulatius omne,
Hoc etiam natura docet tellusque colonos.
Tu sanè atque tui similes hoc tempore multi
Mutuò sumpturi curva cervice venitis
Suppliciterque satis, quae vos constringat egestas,
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Er gebietet uns, eine freigebige Hand zu haben, denen, die von bitterer Armut bedrängt sind, zu Hilfe zu kommen und, wenn wir unser Geld verleihen, niemanden mit gefräßigem Wucher zu zwacken. Dies bewahrst du in deinem Herzen und führst es dir oft vor Augen. Warum hast du aber nicht auch die zweite Seite gelesen? Daß nämlich jeder, der in Freundschaft von eines anderen Geld Gebrauch macht, seinerseits Treue und ein dankbares Herz schulde? Daß er seine Schulden am festgesetzten Tage zügig zurückzuzahlen habe – ohne Lug und Trug? Daß du daher, wenn du sie nicht vollständig und auf den Tag genau zurückzahlen kannst, doch darum bitten sollst, daß dir eine längere Zahlungsfrist eingeräumt oder ein Teil der Schuld erlassen wird? Hiervon hast du noch nichts gehört, oder du übergehst es geschickt mit schlauer Berechnung. So ist nämlich gemeinhin die Unredlichkeit der menschlichen Denkungsart: wenn jemand uns auch nur einen Pfennig schuldet, so verzeichnen wir dies in einem Notizbüchlein und prägen es unserem Gedächtnis tief ein. Was uns aber als Darlehen gewährt wurde, das verleugnen wir listig und tilgen es völlig aus unserem Denken. Aber nicht nur das göttliche Gesetz gebietet uns, anderen nach Maßgabe unseres eigenen Vermögens ohne Säumen beizuspringen und jedem, der uns etwas geliehen hat, das Seinige dankbar und korrekt zurückzuerstatten, sondern das gleiche haben auch die alten Dichter gelehrt. Und daß man alles nicht nur nach Größe und Anzahl und ohne Veränderung des Gewichts zurückerstatten soll, sondern, wenn es die Umstände erlauben, auch mit einer Verzinsung, das lehren darüber hinaus Natur und Erde die Bauern. Du freilich und heutzutage viele deinesgleichen: ihr kommt, in der Absicht, etwas zu borgen, mit gebeugtem Nacken herbei und legt ziemlich unterwürfig dar, welch bittere Armut euch in Banden hält,
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<86> Quae premat importuna fames, exponitis, aut quàm
Provehere acceptis possitis commoda nummis
Vestra aut mercandis vinetis, aedibus, agris,
Mercibus aut aliis tractandis atque vehendis;
Plurimaque adfertis verbis promissa benignis,
Quàm citò, quàm cumulatè, etiam cum foenore tandem,
Atque diem laxam pro voto sumitis ipsi,
Quando soluturi sitis. Promittitis ultrà
Omnem operam gratumque animum fructumque fidelem.
Quin dare chirographum quoque et obsignare parati,
Saxeus ut nisi quis sit durique instar Achillis
Haud ullis pectus gerat exorabile rebus,
Mutuet argentum vobis credatque rogatus.
Quod simulac factum, perversa ad vestra reditis
Ingenia. Erigitur cervix, vultusque oculique
Nil humile aut simplex promittunt. Verba sequuntur
Dura, fit asperior quoque vox, sermoque superbum
Croesum aliquem redolet. Quin conspectumque patroni
Vitatis cautè fugitisque. Haud mutuò quicquam
Vos sumpsisse etiam, verùm invenisse putatis,
Et de reddendo vestrûm non cogitat ullus,
Vobisque excutiunt nec maxima debita somnum:
Ut Romano equiti, cuius post fata iubebat
Culcitram emi Augustus sibi, uti requiescere posset.
Vivitis eximiè, potatis, luditis et nil
Non vobis emitur toto venale macello,
Atque omnes facitis curas, ut creditor ipse
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welche Bedürftigkeit euch bedrückt oder wie ihr nach dem Erhalt von Geld eure Interessen fördern könntet – indem ihr dann Weinberge, Häuser, Äcker erhandelt oder euch auf andere Waren werft und sie vertreibt. Und mit freundlichen Worten bringt ihr eine Fülle von Versprechungen vor: wie rasch, wie reichlich – schließlich auch mit Zins – ihr eure Schulden begleichen würdet, und sucht euch selbst einen euren Wünschen entsprechenden geraumen Termin für die Rückzahlung aus. Ihr versprecht weiterhin, daß ihr euch alle Mühe geben würdet, und verheißt eine dankbare Gesinnung und ehrlichen Lohn. Ja ihr seid sogar bereit, auch eine eigenhändige Schuldverschreibung auszufertigen und zu besiegeln – so daß jeder, der nicht gerade aus Stein ist und, unbeugsam wie Achill, ein durch überhaupt nichts zu erweichendes Herz hat, euch auf eure Bitten hin Geld borgt und anvertraut. Sobald dies geschehen ist, kehrt ihr wieder zu eurer verworfenen Gesinnung zurück, euer Nacken hebt sich, und euer Gesicht und eure Augen verheißen keinerlei Unterwürfigkeit oder Biederkeit. Es folgen schroffe Worte, eure Stimme wird auch rauher, und eure Rede strahlt den Geruch irgendeines hochmütigen Krösus aus. Ja mehr noch: sorgsam meidet ihr den Anblick eures Wohltäters und flieht vor ihm. Ihr denkt auch gar nicht daran, daß ihr etwas auf Borg angenommen habt, sondern meint, ihr hättet es gefunden; keiner von euch denkt ans Zurückzahlen, und auch die größten Schulden rauben euch nicht den Schlaf. Hierin seid ihr wie der römische Ritter, dessen Matratze Augustus nach seinem Tode für sich kaufen ließ, um gut schlafen zu können. Ihr lebt in Saus und Braus: ihr trinkt, spielt und kauft, was nur auf dem ganzen Lebensmittelmarkt feilgeboten wird, und gebt euch alle Mühe, daß der Gläubiger selbst
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<87> Sumere cogatur noctuque abrumpere somnum,
Credita ne perdat, ne ingens pro foenore damnum
Totius accipiat summae. Submissa profari
Cogitur occursu vosque appellare benignè
Ceu dominos, vestras ne fortè exasperet iras,
Praebeat et litis facilem quaerentibus ansam,
Ut nil omnino reddatis iurgia praeter
Atque ‚malum’. Magno sumptu propylaea Minervae
Struxerat insignis praetor ductorque Pericles,
Quem quum sollicitum valde moestumque videret
Reddendam ob rationem operis puer Alcibiades:
„Ne cures“, inquit, „quî reddas, sed magis illud,
Quî nunquam reddas.“ Hoc vos didicistis ad unguem.
Nulla etenim obstrictos reddendi cura flagellat,
Sed magis hoc agitis, nunquam reddatis ut assem.
Venit praeteriitque dies, promissaque dudum
Creditor expectat vestra et vos autumat ipsos
Sponte relaturos gratis iam credita longùm.
Autumat incassum. Nam vestrûm nemo movetur,
Comparet nemo, quaesitus quisque negatur
Esse domi, aut aliò verè est fortasse profectus,
Ut nunquam reddat vel certè differat ultra.
Interea nummum superesse sibi abnegat uxor
Et iubet adventum tardi expectare mariti.
Deprensi semel in plateave forove domive
Admonitique aeris reddendi, orare soletis
Perpauci tandem spacium semestre minusve,
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gezwungen ist, zu borgen und sich nachts des Schlafs zu enthalten, um das Verliehene nicht zu verlieren und statt eines Zinsgewinns mit der Einbuße der ganzen Summe einen riesigen Verlust zu machen. Er ist gezwungen, demütig zu euch zu sprechen, wenn er euch begegnet, euch freundlich zu begrüßen – so als wärt ihr hohe Herrschaften –, um euch nicht etwa zu erzürnen und einen erwünschten bequemen Anlaß zum Streit zu bieten, der zur Folge hätte, daß ihr außer Scheltworten und einem „Zum Henker!“ überhaupt nichts zurückgeben würdet. Perikles, der hervorragende Feldherr und führende Staatsmann, hatte mit großen Kosten die Propyläen der Minerva erbaut. Als der Knabe Alkibiades sah, daß er – wegen der Rechenschaftslegung für das Bauwerk – sehr in Sorge und niedergeschlagen war, sagte er: „Denk nicht darüber nach, wie du Rechenschaft ablegst, sondern lieber, wie du sie nie ablegst!“ Dies habt ihr bis aufs i-Tüpfelchen gelernt! Ungeachtet eurer Verpflichtung quält euch nämlich keine Sorge wegen der Rückzahlung, sondern vielmehr legt ihr es darauf an, niemals einen Pfennig zurückzuzahlen. Der Termin ist herangekommen und verstrichen, und der Gläubiger erwartet längst die Erfüllung eurer Versprechen und glaubt, ihr würdet selbst, aus freiem Entschluß begleichen, was euch schon für lange Zeit umsonst geliehen worden war. Er glaubt vergeblich. Denn niemand von euch macht sich auf den Weg, niemand läßt sich blicken, und wenn man ihn aufsucht, so heißt es, er sei nicht zu Hause – oder er hat sich vielleicht tatsächlich anderswohin begeben, um nie etwas zurückzuzahlen oder doch wenigstens die Zahlung weiter hinauszuschieben. Unterdessen versichert seine Frau, ihr sei kein Pfennig mehr verblieben, und schlägt vor, die Ankunft ihres säumigen Eheherrn abzuwarten. Erwischt man euch einmal auf der Straße, auf dem Markt oder zu Hause und erinnert euch an die Rückzahlung des Geldes, so pflegt nur eine winzige Minderheit schließlich um eine Frist von einem halben Jahr oder weniger zu bitten,
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<88> Cogere ut argentum liceat, per inania rursus
Verbula fallentes. Nec enim mens tempus ad illud
Reddere constituit, sed protelare patronum,
Praetereant donec menses vel quinque vel octo
Ultra condictum. Plures omnino negatis
Reddere posse obolum. Verùm si creditor instet,
Iurgia profertis, facitis convicia larga,
Omne simul morbi genus infaustumque precantes
Exitium ingrati. „Fugiturum an me, improbe, censes
Ob nummos ex urbe tuos? Sunt praedia et aedes,
Sunt agri, permulta calent mihi dolia vino,
Sunt aliae merces, est et preciosa supellex,
Pignora magna satis, quare noli esse molestus.
Cum potero, reddam. Toties quid poscis et urges?
An mea divendam propter te?“ Creditor illum
Duntaxat debere putat sibi. Porrò ducentis
Debet obaeratus plura, ut, licet omnia vendat,
Solvendo tamen haud sit. Multis denique nummis
Undique contractis alias fugitivus in oras
Effugit occultè, patronis flere relinquens.
Ò tabulae bissex atroci lege iubentes
Corpus obaerati parvis conscindere frustis,
Ne quis fraude doloque suos spoliare patronos
Audeat obstrictamque fidem tot fallere pactis.
Porrò elabendi si fortè exclusa potestas
Et coniunx quenquam vestrûm puerive morantur,
Ille ad praetorem prius est in iusque trahendus,
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um das Geld auftreiben zu können: wiederum ein Täuschungsmanöver mit leerem Gerede! Im Geiste seid ihr nämlich gar nicht entschlossen, die Schuld zu jenem Zeitpunkt zurückzuzahlen, sondern nur dazu, euch euren Gönner vom Hals zu schaffen, bis fünf oder acht Monate über den verabredeten Termin hinaus verstrichen sind. Die meisten von euch bestreiten schlechthin, daß sie auch nur einen Heller zurückzahlen könnten. Wenn aber der Gläubiger nicht nachgibt, bringt ihr Scheltworte vor, stoßt reichliche Schmähungen aus und wünscht ihm in eurer Undankbarkeit gleichzeitig alle möglichen Krankheiten und einen unglücklichen Tod an den Hals. „Meinst du denn, daß ich wegen deiner paar Pfennige aus der Stadt fliehen werde, du Schuft? Ich habe Grundstücke und Häuser, ich habe Äcker, frische Fässer mit Wein die Menge; ich habe auch andere Waren, besitze auch kostbaren Hausrat – Sicherheiten von ausreichendem Umfang. Darum sei nicht zudringlich! Sobald ich kann, werde ich zahlen. Warum forderst und drängst du so oft? Soll ich etwa deinetwegen meinen Besitz verkaufen?“ Der Gläubiger ist der Auffassung, daß jener ihm dies genau genommen schuldig sei. Andererseits steht der Schuldner mit mehr als zweihundert tief in der Kreide, so daß er, auch wenn er alles verkauft, noch keineswegs zahlungsfähig ist. Nachdem er zuletzt von allen Seiten viel Geld zusammengerafft hat, entfleucht er heimlich in eine andere Gegend, seinen Wohltätern nur Tränen hinterlassend. O ihr Zwölftafelgesetze, die ihr die schreckliche Bestimmung enthieltet, daß der Körper eines tief Verschuldeten in kleine Stücke zu reißen sei, damit niemand es wage, seine Wohltäter mit Lug und Trug zu berauben und die Treue zu brechen, zu der er sich in so und so vielen Verträgen verpflichtet hat! Wenn nun aber vielleicht keine Möglichkeit zur Flucht besteht und einer von euch durch Frau oder Kinder zurückgehalten wird, so läßt sich dieser eher vor den Richter und in einen Prozeß ziehen,
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<89> Quàm quicquam solvat. Prolongat tempora praetor
Terque quaterque. Neque huic tamen auscultare iubenti
Sustinet, in turres donec rapiatur inanes
Aut sua dum cernat posita venire sub hasta.
Saepius admoniti si quid sine redditis ira,
Haud tamen integram consuestis reddere summam,
Per multas verùm partes et dissita longè
Intervalla anni, bonus ut, quae acceperit antè,
Creditor ignoret. Nonnunquam plura dedisse
Fingitis, ac data sunt, iure et firmare parati
Iurando. Nimirum huc fermè incumbitis omnes,
Ut nihil aut tardè vel quadam denique fraude
Credita reddatis, quosque olim, quum aera dabantur
Mutua, praestantes coràm iactastis amicos,
Illos censetis, quum sunt reddenda, cruentos
Hostes, vestra velut truculenti viscera carpant,
Non repetant sua. Quin ita gratia nulla remissi
Foenoris, ut sortem pariter quaeratis iniquè
Surripere aut aliquam certè intervortere partem.
Interdum acceptis operam promittere nummis
Vos iuvat, aut cultura agri vel vite putanda
Reve alia quadam, nec eam praestare soletis.
Dumque suum credit cultum iam creditor agrum
Vosque autoratum rectè subiisse laborem,
Omnia adhuc intacta iacent. Sententia nunquam
Vestra fuit, digito vel contrectare pusillo,
Alterius sed ut aes vestrum traheretis in usum
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als daß er irgendetwas zahlte. Drei- und viermal verlängert der Richter die Fristen. Er bringt es aber nicht über sich, dessen Weisungen Folge zu leisten, bis er in den hohlen Turm geworfen wird oder erkennt, daß sein Besitz versteigert wird. Wenn ihr nach mehrfacher Mahnung etwas ohne Zorn zurückzahlt, so zahlt ihr gewöhnlich nicht den vollen Betrag, sondern in vielen Raten und im Laufe eines Jahres in weit auseinanderliegenden Abständen, so daß der gute Gläubiger nicht weiß, was er davor bekommen hat. Manchmal täuscht ihr vor, mehr gegeben zu haben, als ihr tatsächlich gegeben habt, und seid bereit, dies eidlich zu bekräftigen. Zweifellos bedient ihr euch so ziemlich alle dieser Methode, um das Darlehen überhaupt nicht oder erst spät oder schließlich mit einer gewissen Übervorteilung zurückzuerstatten. Und ihr taxiert diejenigen, die ihr seinerzeit, als ihr das Geld geborgt bekamt, öffentlich als eure besten Freunde gerühmt habt, nun, wo es zurückgezahlt werden muß, als blutdürstige Feinde – so als würden sie euch grausam die Eingeweide herausreißen und nicht nur ihr Eigentum zurückverlangen. Ja ihr nehmt einen Zinserlaß so undankbar auf, daß ihr unbilligerweise gleichfalls das Kapital zu vereinnahmen oder doch wenigstens zu einem gewissen Teil zu unterschlagen trachtet. Zuweilen beliebt es euch, zu versprechen, daß ihr das empfangene Geld abarbeiten würdet, sei es durch Bestellung des Ackers, Beschneidung der Weinstöcke oder irgendeine andere Tätigkeit – doch gewöhnlich führt ihr die Arbeit nicht aus. Während der Gläubiger meint, sein Acker sei schon bestellt und ihr hättet euch der Arbeit, zu der ihr euch verdingt habt, korrekt unterzogen, liegt alles noch unberührt da. Ihr dachtet niemals daran, es auch nur mit dem kleinen Finger anzurühren, sondern wolltet nur das Geld eines anderen ohne Gegenleistung euren Zwecken nutzbar
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<90> Gratis, non parva patroni fraude benigni,
Qui vestrae innixus fidei opportuna reliquit
Tempora culturae. Vix id, quod credidit, aurum
Eruit è manibus, sine nec certamine, vestris.
Quòd si pro nummis enatos reddere fructus
Certo promistis precio, quas non tum quaeritis artes,
Ne bona reddantur, sed corruptissima fermè
Nec tam multa, queant summam ut explere receptam?
Pars cautè vobis alios differtur in annos,
Et planè alterius violenter vivitis auro.
Hasne Evangelium technas moresque probabit?
Sicne ingratum animum, mala sicne rependere tandem
Pro tempestivo auxilio? Iustumne putatis,
Creditor ut ploret, ringatur, sollicitus sit
Et damnum faciat, quòd vobis credidit aurum?
Vos contrà toto edatis pulmone cachinnum
Et laeti in cunctis potetis crebrò[37] tabernis,
Inventos[38] tanquam properantes perdere nummos?
An iustum, ut damnis aliorum vestra paretis
Commoda? Quae ratio docuit fraudare patronos?
Atque reposcentes cunctis aspergere probris?
Cogereque ad lites animoque odisse feroci?
Concilietne suo ista sibi quisquam aere libenter?
Certè ipsi vobis soli haec faciendo nocetis,
Nemo alius. Vobis ipsi auxilium omne negatis,
Clauditis et prompti quantumvis ostia fratris.
Nil ingrato animo mage detestabile quodque
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machen – wobei ihr an eurem gutmütigen Wohltäter, der euch im Vertrauen auf eure Zuverlässigkeit die für die Feldarbeit günstige Zeit überlassen hat, einen schweren Betrug begingt. Kaum entreißt er das Gold, das er euch geliehen hat, euren Händen, und dann auch nicht ohne Auseinandersetzung. Wenn ihr versprochen habt, anstelle des Geldes die daraus erlangten Früchte zum genauen Gegenwert zu erstatten, nach welchen Kniffen sucht ihr dann nicht, um nur nichts Brauchbares auszuhändigen, sondern vielmehr fast völlig Verdorbenes, und davon auch nicht so viel, daß es die empfangene Summe abdecken könnte. Einen Teil verschiebt ihr mit Bedacht auf spätere Jahre und lebt geradezu vom Gold eines anderen heftig drauflos. Wird das Evangelium diese Tricks und Gepflogenheiten gutheißen? Wird es gutheißen, daß man eine rechtzeitig erfolgte Hilfeleistung auf diese Weise mit einer undankbaren Gesinnung und schließlich auch mit Übeltaten vergilt? Haltet ihr es für gerecht, daß ein Gläubiger wehklagt, sich giftet, in Unruhe versetzt wird und einen Verlust macht, weil er euch Gold geliehen hat? Und daß ihr dagegen aus voller Brust lacht und immer wieder einmal in allen Wirtshäusern lustig einen trinkt, eilig darauf bedacht, die gleichsam gefundenen Geldstücke zu vertun? Oder haltet ihr es für gerecht, daß ihr aus dem Schaden anderer euren Vorteil zieht? Welche Vernunft hat euch gelehrt, Wohltäter zu betrügen? Und sie mit allen möglichen Beschimpfungen zu begeifern, wenn sie das Ihre zurückfordern? Sie zu einem Prozeß zu zwingen und wilden Geistes zu hassen? Könnte es jemanden geben, der sich für sein Geld gern dergleichen einhandelt? Gewiß fügt ihr euch mit solchem Tun nur selbst Schaden zu – und niemand sonst. Ihr lehnt für euch selbst jede Hilfe ab und verschließt die Tür eures Bruders, so hilfsbereit er auch sein mag. Es gibt nichts Verabscheuenswerteres als ein undankbares Herz und nichts, was
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<91> Naturae magis humanae brutaeque repugnet.
Mutua namque hominum penitus commercia tollit
Subsidiumque aufert, quo omnes nos inter egemus,
Et facit hostili quodam nos vivere ritu.
Ingratus quum sis, magnas qua fronte querelas
Adfers, aera velit dare quòd tibi mutua nemo?
Temporaque accusas moresque? Tuo anne relicto
Officio alterius reris tantum esse petendum?
Mores corrigito antè tuos et vivito iustè
Officiumque tuum facito atque resolvito rectè,
Quàm tantos moveas nostro de tempore questus.
Conglaciet siquidem quamvis dilectio passim,
Si tu non fueris tamen ingratusque malusque,
Auxilium invenies semper, semperque patebit
Pro te proque tuis aliena humaniter arca.
Satyra quinta.
Mundi promisit verax fidusque redemptor
Non perituram illi mercedem, pocula quisquis
Frigidae aquae det vel minimo de corte suorum,
Inque suos quaecunque etiam benefacta locentur,
Se reputaturum sibi facta et iusta daturum
Praemia. Si sunt haec (ut sunt) verissima, quid te,
Christophore, heroum decus et clarissime Princeps,
Promeruisse putem? Non tu duntaxat in unum
Trisve duosve aliquos quaedam bona parvula confers,
Nec datur à largo sitienti frigida tantum,
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der menschlichen und tierischen Natur mehr widerstrebt. Denn dies macht Darlehensgeschäfte unter den Menschen völlig unmöglich, zerstört die Hilfeleistung, deren wir alle untereinander bedürfen, und bewirkt, daß wir gewissermaßen auf Feindesfuß leben. Wie kannst du dich erdreisten, groß Klage zu führen, daß niemand dir Geld borgen will, da du doch undankbar bist? Wie kannst du dich erdreisten, das Zeitalter und die Sitten anzuklagen? Glaubst du denn, daß man nur Forderungen stellen dürfe, während du selbst deine Verpflichtung gegenüber dem Nächsten hintansetzt? Zuerst korrigiere du dein Verhalten und führe ein rechtschaffenes Leben, tue du deine Pflicht und leiste sie gehörig ab, bevor du so schwerwiegende Klagen über unser Zeitalter vorbringst! Sollte wirklich überall die Liebe – wie sehr auch immer – zu Eis gefrieren: wenn du nicht undankbar und böse bist, wirst du trotzdem stets Hilfe finden, und stets wird dir und den Deinen eine fremde Truhe freundschaftlich offen stehen.
Fünfte Satire
Der wahrredende und getreue Erlöser der Welt hat verheißen, daß jedwedem, der auch nur dem Geringsten aus der Schar der Seinen einen Becher kalten Wassers reiche, sein Lohn gewiß sein werde; und er werde auch alle Wohltaten, die man den Seinen angedeihen lasse, sich selbst zurechnen und gerecht belohnen. Wenn dies gewißlich wahr ist (und das ist es!), welches Verdienst könnte ich dann dir zuschreiben, Christoph, Zierde der Helden und hochansehnlicher Fürst? Du bedenkst nicht nur einen oder etwa drei oder zwei mit gewissen geringfügigen Wohltaten und gewährst dem Dürstenden aus deiner Fülle auch nicht nur kaltes Wasser,
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<92> Sed vicos urbesque beas populumque frequentem,
Quem tibi commisit numen coeleste regendum,
Ambrosia vera et divini nectare verbi
Pascis et ad Christum rectà perducis et astra.
Praeclarum sanè factum rarumque per orbem:
Ut nec quorumvis hominum regumque ducumque
Nosse redemptorem mundi totius IESUM.
Pascunt lethiferis populum plerique cicutis
Commentisque hominum vanis tristique saliva,
Innumerasque animas tenebrosa ad Tartara pellunt
Et Stygis efficiunt miseros sine fine colonos.
An non sic praesunt Turcae Russique Scythaeque?
Et quicunque tenent Asiam Lybiamque dynastae?
An non Iudaei ponunt mendacia gnatis
Aeternisque illos tradunt seseque tenebris?
Quid, qui cultores Christi summique videri
Catholici cupiunt novisseque recta, Papistae?
An non delirant miserè Christumque fatentur
Ore quidem, sed corde negant studiisque fideque?
An non muta idola colunt et toxica miscent
Subiectis populis nugasque et inania tradunt
Somnia, quîs magnas cogunt ad Averna catervas?
Si verè gens est et dicitur illa beata,
Ut sacro scripsit divinus carmine Psaltes,
Quae dominum novit coeli terraeque satorem,
Unius et fulcitur ope, unum amat atque veretur,
Denique cognitio Christi summique parentis
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sondern erquickst Dörfer und Städte und nährst die große Menge des Volkes, über welches zu herrschen dir von der himmlischen Gottheit aufgegeben ist, mit echter Ambrosia und dem Nektar des göttlichen Wortes und führst sie geraden Wegs zu Christus und in den Himmel. Eine wahrhaft herrliche und in der ganzen Welt seltene Tat – wie es denn auch nicht allen Menschen, Königen und Fürsten gegeben ist, Jesus, den Erlöser der ganzen Welt, zu kennen. Die meisten nähren das Volk mit tödlichem Schierling, nichtigen menschlichen Erfindungen und scheußlichem Schleim und treiben zahllose Seelen zur finsteren Unterwelt und machen sie auf ewig zu jammervollen Bewohnern der Hölle. Stehen in dieser Hinsicht etwa nicht Türken, Russen und Skythen und wer immer Asien und Libyen beherrschen mag, an vorderster Stelle? Oder tischen die Juden ihren Kindern etwa nicht Lügen auf und geben sie und sich selbst der ewigen Finsternis anheim? Wie steht es mit den Papisten, die als Verehrer Christi und Rechtgläubige ersten Ranges gelten wollen und für sich beanspruchen, daß sie den rechten Weg wüßten? Sind sie nicht auf einem erbärmlichen Irrweg? Ist es nicht so, daß sie Christus zwar mit dem Mund bekennen, ihn aber im Herzen, mit ihren Bestrebungen und ihrem Glauben verleugnen? Oder verehren sie etwa nicht stumme Götzenbilder, mischen sie für die ihnen untergebenen Völker nicht Gift, lehren sie sie nicht Lappalien und eitle Träume – wodurch sie große Scharen in die Hölle hineinzwingen? Wenn, wie der göttliche Psalmist in seinem heiligen Lied geschrieben hat, jenes Volk wahrhaft glücklich ist und zu Recht so genannt wird, das den Herrn des Himmels und Schöpfer der Erde kennt, einzig auf seine Hilfe baut und ihn allein liebt und fürchtet, und wenn schließlich die Erkenntnis Christi und des himmlischen Vaters
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<93> Si vita est aeterna, ipse ut confirmat IESUS,
Quid prosis populo, quàm reddas usque beatum
Conservesque piè, quis non intelligat excors?
Huc nempe incumbis studio curaque perenni,
Ut nugis hominum positis cultuque profano
Ceu lethali opio taxoque atrisque cicutis
Hauriat astraeos latices coelesteque nectar
Puraque decerpat divini pabula verbi
Cognoscatque Deum verum benefactaque Christi
Atque inculpatè vivat cultumque sequatur
Conformem verbo. Quantum hinc Ecclesia floret,
Virtembergenses quaecunque modò incolit agros?
Quàm Christi cantant laudes puerique senesque?
Noticia veri sexus quàm gaudet uterque,
Gratiae et exempto dubio vitaeque futurae?
Quanta est nobilium plebisque ipsius honestas?
Non videas scelera infandi permissa Papatus,
Nulla superstitio aut ludus levitasque videtur.
Laudatur ludi meritò coliturque magister,
Qui pueros pariter doctos et reddit honestos,
Ut merces illi vix possit digna rependi.
Pro meritis ergo quaenam tibi digna dabuntur?
Non est hoc hominum, populi non ista facultas.
Digna dabit solus regum rex praemia Christus,
Haec sibi qui curata videns impensaque rectè
Pro populo atque suo multum tibi debet honore.
Cognosci vult atque audiri ut vita salusque
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das ewige Leben bedeutet, wie Jesus selbst bestätigt: welcher Verständige sollte dann nicht erkennen, welchen Nutzen du deinem Volk bringst, wie glücklich du es immerfort machst und wie väterlich du es beschützt? Dein Streben und deine unablässige Sorge sind nämlich darauf gerichtet, daß es, nachdem menschlicher Kram und gottloser Kult beiseite geräumt sind gleich tödlichem Opium, Taxus und grausigem Schierling, Sternentau und Himmelsnektar schöpft und das reine Kraut des göttlichen Wortes pflückt, den wahren Gott und die Wohltaten Christi erkennt, zudem ohne Tadel lebt und an einem mit dem Wort übereinstimmenden Gottesdienst festhält. In welch prächtiger Blüte stehen deshalb jetzt überall die im württembergischen Land ansässigen Kirchengemeinden! Wie singen jung und alt Christi Lob! Wie erfreuen sich beide Geschlechter am Wissen der Wahrheit und der unbezweifelbaren Sicherheit der Gnade und des zukünftigen Lebens! Wie groß ist die Ehrbarkeit der Adligen und sogar des gemeinen Volkes! Die Ruchlosigkeiten des abscheulichen Papsttums sind, wie man sehen kann, nicht zugelassen; Aberglaube oder Tändelei und Leichtfertigkeit sind nicht zu beobachten. Mit Recht lobt und verehrt man den Schulmeister, der aus seinen Knaben gleichermaßen gebildete wie anständige Menschen macht, so daß es kaum möglich ist, ihm geziemenden Lohn zuzumessen. Welchen deinen Verdiensten entsprechenden Lohn also solltest du wohl erhalten? Dies liegt nicht im Vermögen der Menschen, nicht des Volkes. Würdigen Lohn wird allein der Könige König, Christus, vergeben, der dir vieles schuldig ist, da er vor Augen hat, wie du dergestalt deinen Sinn auf ihn richtest und solcherlei wohlangewandte Kosten zugunsten des Volkes und seines (Christi) Ruhms trägst. Er will, daß man ihn erkennt und auf ihn hört – als das Leben und Heil
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<94> Omnium et à summa demissus sede magister.
Nec maiora queunt praeberi commoda mundo,
Quàm facere, ut passim populo noscatur ab omni,
Ut benefacta laborque tuus conducat utrisque.
Haud tamen istius curae sumptique laboris
Tantae consistit ditionis limite fructus:
Longinquas etiam et vicinas manat in oras.
Ut iucundus odor totas se spargit in aedes
Delectatque procul stantes simul atque propinquos,
Sic tua sedulitas, Christus doceatur ut unus
Serventurque pii ritus moresque regantur
Vitaque cunctorum sacro sit consona verbo,
Se latè effundit famaque ascendit Olympum,
Excitat et Christi studium ac pietatis amorem
Omnibus electis. Iuvat haec vestigia multos
Inde sequi velisque ad eundem tendere portum.
Quid memorem post haec, opera quòd prodes eadem
Et benefacta locas tua propensumque favorem
Multis doctrinae sanae Christique peritis,
Qui vel publicitùs doceant divina scholastas
Aut à consiliis tibi sint humanaque tractent?
Deinde foves Christi multos fidosque ministros,
Qui sacris praesint Evangelioque docendo,
Non solum indigenas enutritosque scholarum
Municipes (quorum multos stipendia pascunt),
Verùm et sponte sua multos aliunde profectos,
Quos furor atque artes validi pepulere Papatus
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aller und als den vom Himmelsthron gesandten Lehrer. Man kann der Welt keinen größeren Nutzen bieten, als dafür zu sorgen, daß weit und breit jedes Volk ihn kennt, so daß deine Wohltaten und dein Mühen für beide (Christus und das Volk) ersprießlich sind. Die segensreiche Wirkung dieser Fürsorge und dieses Aufwands an Mühe macht jedoch an der Grenze deines so großen Herrschaftsbereiches keineswegs halt: sie strahlt auch auf weit entfernte und benachbarte Gegenden aus. Wie ein angenehmer Duft sich in allen Häusern verbreitet und gleichermaßen die weiter entfernt wie die nahebei Stehenden erfreut, so verbreitet dein unermüdliches Sorgen darum, daß allein Christus gelehrt wird, fromme Bräuche bewahrt und die Sitten in die rechten Bahnen gelenkt werden und daß die Lebensweise aller mit der Heiligen Schrift übereinstimmt, sich weithin aus, und die Kunde davon dringt zum Himmel empor und erzeugt bei allen Auserwählten Eifer für Christus und Liebe zur Frömmigkeit. Deshalb haben viele Freude daran, diesen Spuren zu folgen und in denselben Hafen zu segeln. Wozu soll ich nach alledem noch erwähnen, daß du mit der gleichen Mühewaltung vielen der rechten Lehre und Christi Kundigen Nutzen verschaffst und Wohltaten und gnädige Huld bezeigst: Leuten, die von Staats wegen Studenten Theologie lehren oder deinem Rat angehören und mit weltlichen Dingen befaßt sind. Ferner unterstützt du viele treue Diener Christi, die für den Gottesdienst und die Lehre des Evangeliums verantwortlich sind: nicht nur Landeskinder und einheimische Zöglinge der Schulen (viele von ihnen werden durch Stipendien unterhalten), sondern auch viele freiwillig von anderswo Zugewanderte, die das Wüten und die Tücke des mächtigen Papsttums
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<95> Urbibus imperii. Tempestas scilicet atra
Omnia vastabat, ritus moresque fidemque
Atque Evangelium simul infractosque ministros.
Quò tanta fugerent à tempestate nec usquam
Grati nec tuti? Nullum praebere prophanis
Consensum poterant nec falsa probare docendo,
Absque ministerio nec vitam egisse licebat.
Ut fovet atque tegit passis gallina sub alis
Pullos aque omni reddit discrimine tutos,
Tempore sic illo pulsos profugosque benigno
Tuque paterque sinu tuus excepistis et usque
Mitius ad tempus largo fovistis honore.
Nunc tu prolixè solus post fata parentis
Accumulas etiam donis curaque benigna.
Eminet hos inter Germanis clarus in oris,
Quin etiam Ausoniis Hispanisque atque Britannis
Totique Europae multis iam notus ab annis,
Postquam Evangelii rursum clarescere lumen
Atque Papistarum coepit vilescere regnum,
Brentius, ingenuo veri fervore docendi
Doctisque ingenii monumentis. Proximus inde
Indigna ob Christum perpessus vincula Frechtus.
Illustres doctrina ambo, nec discrepat aetas.
Quis dicat reliquos omnes doctosque piosque?
Undique confugiunt huc sub tua sceptra frequentes,
Qui Christum pulsis coeperunt nosse tenebris
Quosque Papistarum vexavit dira tyrannis
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aus den Städten des Reiches vertrieben haben. Ein finsteres Unwetter verwüstete nämlich alles: Gebräuche, Sitten und Glauben, gleichzeitig auch noch das Evangelium und seine ungebrochenen Diener. Wohin sollten Sie vor einem Unwetter dieses Ausmaßes fliehen – nirgends willkommen, nirgends in Sicherheit? Sie konnten Gottlosen kein Einverständnis entgegenbringen und in ihren Lehren nicht Falsches als richtig ausgeben – und ohne ihr Amt konnten sie nicht leben. Wie die Henne die Kücken unter ihren ausgebreiteten Fittichen wärmt und birgt und vor jeder Gefahr beschützt, so haben du und dein Vater zu jener Zeit die Vertriebenen und Flüchtlinge in gütige Obhut genommen und sie bis zum Eintreten freundlicherer Zeitläufte mit großzügigem Ehrensold unterstützt. Heute, nach dem Tode des Vaters, überhäufst du sie auch allein reichlich mit Geschenken und gütiger Fürsorge. Unter ihnen ragt ein in Deutschland berühmter Mann hervor – ja auch in Italien, Spanien und England und in ganz Europa ist er schon viele Jahre bekannt, seitdem das Licht des Evangeliums wieder zu leuchten und die Herrschaft der Papisten abzunehmen begann: Brenz, bekannt für seine edle Leidenschaft, die Wahrheit zu lehren, und für gelehrte Denkmäler seines Geistes. Nächst ihm ist Frecht zu nennen, der um Christi willen standhaft schmachvolle Gefangenschaft erduldet hat. Beide sind glänzende Gelehrte und gleichen Alters. Wer könnte alle übrigen gelehrten und frommen Männer nennen? Von allen Seiten suchen hier, unter deinem Zepter, ganze Scharen von Menschen Zuflucht, die nach Vertreibung der Finsternis begonnen haben, Christus kennenzulernen, und die die grauenhafte Tyrannei der Papisten heimgesucht hat,
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<96> Postpositas propter nugas verumque professum.
Nec soli, quos sub gelido Germania coelo
Edidit: Ausonii veniunt, Galli atque Britanni
Ad te, Christi ut amatorem verique patronum.
Hos alis et largo solaris munere quodam
Et quacunque opera facis inservire popello.
Sic te patronum certumque Ecclesia patrem
Possidet et fidum Christus servator amicum.
An non Christophori merito te nomine dictum
Credamus Christumque humeris gestare per aequor?
Per mundum nempe hunc adversus vera frementem
Qui sic amplifices studiosè illius honorem?
Suscipias foveasque ornesque illius amicos?
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weil sie menschlichen Kram hintangesetzt und die Wahrheit bekannt hatten. Und es kommen nicht allein Menschen, die unter dem frostigen Himmel Deutschlands geboren wurden: Italiener, Franzosen und Engländer kommen zu dir als dem Liebhaber Christi und Schutzherrn der Wahrheit. Ihnen gewährst du Unterhalt und tröstest sie mit einem wahrhaft großzügig ausgestatteten Amt und suchst auf jede erdenkliche Weise zu bewirken, daß sie dem gemeinen Volk dienen. So besitzt die Kirche in dir einen Schutzherrn und verläßlichen Vater – und der Retter Christus einen treuen Freund. Sollten wir nicht glauben, daß du zu Recht nach Christophorus genannt wurdest und Christus auf deinen Schultern durch den Fluß trägst: du, der ja auf diese Weise seinen Ruhm eifrig über diese Welt verbreitet, die sich murrend gegen die Wahrheit auflehnt, du, der sich der Freunde Christi annimmt und sie unterhält und auszeichnet?
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confringere
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pererit
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inuoluat
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cedit
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consummier
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legebanttur
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crebrà
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Iuuentos
Letzte Änderung:
21.04.2009
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