Text and Translation submitted by Lothar Mundt.
Conspectus: Satyra prima / secunda / tertia / quarta / quinta.
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THOMAE NAOGEORGI SATYRARUM
LIBER PRIMUS.
Satyra prima.
<18> Maxime Aristoteles, Philadelphe, Tyrannion et tu
Pulicrates felix, Pisistrate, et optime Nileus,
Vosque alii, libros qui collegistis in unum,
Hoc deberetis nostro iam vivere seclo.
Quando maior enim librorum copia mundo?
Quando etiam edendi quaevis tam prompta facultas?
Temporis exiguo tres exemplaria mille
Excudunt spacio, nihil et conscribitur usquam
Insulsum pravumque adeò vel inutile, quod non
Applausorem habeat, quod non mox gestiat autor
À parvis magnisque legi et dispergier orbe.
Nec iam Roma caput rerum, nec Graecia tantum
Ingenuas artes docet emittitque libellos.
Angulus Europae omnis habet musaea scholasque,
Multaque scribentum decertant agmina passim.
Nonne vides, quantae conscribant sacra catervae?
Quanta novellorum sint commentaria praestò?
Ne veterum dicam. Vix est trigesima messis,
Et iam sexcentis strepit omne forum Postillis.
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DER SATIREN DES THOMAS NAOGEORGUS
ERSTES BUCH
Erste Satire
Gewaltiger Aristoteles, Philadelphus, Tyrannion und du, glücklicher
Pulikrates, Pisistratus, du, bester Nileus, und ihr anderen, die
ihr Bücher zu einem zusammenfaßtet: ihr hättet jetzt, in
diesem unserem Zeitalter, leben sollen! Wann gab es denn auf der
Welt eine größere Anzahl von Büchern? Wann auch bot sich die
Gelegenheit, alles Beliebige zu publizieren, so problemlos dar? In
einer kurzen Zeitspanne druckt man 3000 Exemplare, und nichts auf
der Welt könnte in dem Grade abgeschmackt, verschroben oder
untauglich geschrieben sein, daß es nicht jemanden fände, der ihm
Beifall zollte, oder daß es seinen Autor nicht alsbald sehnlichst
danach verlangte, von groß und klein gelesen und über das Erdenrund
verbreitet zu werden. Nicht mehr nur Rom, das Haupt der Welt, und
nicht nur Griechenland lehrt edle Künste und gibt Bücher heraus.
Jeder Winkel Europas besitzt Studierstuben und Schulen, und viele
Heerscharen von Schreibern kämpfen allenthalben auf Leben und Tod.
Siehst du nicht, wie starke Truppen geistliche Schriften verfassen?
Wie viele Kommentare zu neueren Autoren sich anbieten – von denen
zu älteren ganz zu schweigen? Kaum sind dreißig Jahre vergangen,
und schon tönt der ganze Markt von 600 Postillen!
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<19> Multa Catechismi librorum millia prostant
Communesque loci iam terque quaterque renati.
Sacros permulti verterunt carmine Psalmos,
Fontibus à primis alii vertere Latinè.
Quin et Teutonico lusere idiomate multi,
Ut linguas alias sileam. Quot deinde relicto
Verborum textu in preculas vertere loquaces?
Nugisque admistis modulos fecere canoros?
Omnia in hos numeret quis commentaria tandem?
Iam mihi perpendas, una hac ex parte sacrorum,
Quid fiat reliquis, quantum sudetur ubique
Contendantque alios alii superare librorum
Copia et atratis quaerendo nomina chartis?
Contra Evangelicos quantum scripsere Papistae?
Quantum Evangelici contra scripsere Papistas?
Triginta his scriptum si nil aliud foret annis,
Attamen his magnas posses implere tabernas.
Quicunque Hippocratis tractant artesque Galeni,
Ocia non agitant segnes marcentque veterno,
Verum ipsi grandes etiam conscribere libros
Ardent difficilesque vias aperire medendi.
Herbarum vires quàm multa volumina tradunt?
Quid iuris memorem verò legumque peritos?
Et pueris notum, quot commentaria quamque
Grandia condiderint multis glossemata libris.
Navis onus magnae, nec adhuc finisque modusque.
Non ego dinumerem, quot nostra tulere celebres
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Viele tausend Katechismusbücher stehen zum Verkauf, desgleichen
„Loci communes“, schon drei- und viermal neu herausgegeben. Gar
viele haben die heiligen Psalmen in Gedichtform übertragen; andere
haben [sie] aus den frühesten Quellen ins Lateinische übersetzt. Ja
viele haben sich sogar in der deutschen Sprache versucht – um von
anderen Sprachen zu schweigen. Wie viele haben ferner ohne
Rücksicht auf den Zusammenhang der Worte [die Psalmen] in
geschwätzige Gebete verwandelt! Wie viele verfaßten harmonische
Gesänge, untermischt mit läppischem Kram! Wer könnte schließlich
alle Kommentare hierzu aufzählen? Überleg jetzt einmal, von diesem
einen Teil von geistlicher Literatur ausgehend, was mit den übrigen
geschehen mag – wieviel Schweiß überall vergossen wird, wie sehr
die einen die anderen aus Verlangen nach Ruhm mit der Menge der
Bücher und mit geschwärztem Papier zu übertreffen bemüht sind!
Wieviel haben die Papisten gegen die Evangelischen geschrieben!
Wieviel gegen die Papisten die Evangelischen! Auch wenn in diesen
dreißig Jahren nichts anderes geschrieben worden wäre als dies,
könnte man damit doch große Buchläden füllen. Alle jene, die sich
mit den Künsten des Hippokrates und des Galen beschäftigen, gehen
nicht träge dem Müßiggang nach, sind nicht vom Nichtstun
erschlafft. Vielmehr brennen sie darauf, auch ihrerseits bedeutende
Werke zu verfassen und beschwerliche Wege zur Heilung zu eröffnen.
Wie viele Bände berichten von den Kräften der Kräuter! Und gar die
Rechts- und Gesetzeskundigen: was bedarf’s da der Erwähnung? Auch
Knaben ist bekannt, wie viele Kommentare sie verfaßt und wie
bedeutende Glossen sie in vielen Büchern zusammengetragen haben. Es
macht die Ladung eines großen Schiffes aus, und noch ist kein Ziel
und Maß. Ich könnte nicht aufzählen, wie viele berühmte
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<20> Tempora Grammaticos. Ludi nam quisque magister
Grammaticam profert Romanis atque Pelasgis.
Complures etiam vexat Dialectica. Magnum
Ars bene dicendi scriptorum protulit agmen.
Quot detrivit Aristoteles? quot Tullius acer?
Nec desunt aliis scriptores artibus usquam,
Quorum nec numerum possis nec nomina fari.
Quot dein Graecorum dederunt monimenta Latinis?
Vix latuit vastatam huc usque per Hellada scriptum,
Seu tu respicias sacra plurima sive profana,
Quod non Romana decies nunc voce legatur.
Quot res scripserunt gestas vitasque virorum
Bellaque? quotque plagas mundi gentesque per orbem
Et maria et montes, silvas et flumina, campos
Et ritus hominum varios terrasque repertas?
Indictum nihil est. Scribunt matresque virique,
Pictores, fabri, textores, pellio, sutor
Omneque cerdonum genus, et qui prima videntur
Vix gustasse elementa, quibus vernacula tantum
Lingua patet nec sunt Musarum nomina nota,
Divinus tamen hos (aiunt) requiescere flatus
Haud sinit, in campumque ferè protrudit inertes.
Docti iam Didymi quamvis haud cuncta supersint
Nec quae conscripsit numerosa volumina Varro
Empedoclesque et Aristarchus, Chrysippus et ore
Facundo Theophrastus Aristotelesque disertus,
Et sint functa suo multa exemplaria fato:
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Grammatiker unser Zeitalter hervorgebracht hat, denn jeder
Schulmeister veröffentlicht eine Grammatik für Lateiner und
Gräzisten. So manch einem läßt auch die Dialektik keine Ruhe. Die
Kunst guter Rede brachte eine große Heerschar von Schreibern
hervor. Wie viele hat Aristoteles verschlissen, wie viele der
scharfsinnige Tullius! Auch den anderen Künsten fehlt es nirgends
an Schreibern – weder ihre Zahl noch ihre Namen vermöchte man
anzugeben. Wie viele haben ferner Werke der Griechen ins
Lateinische übertragen! Kaum gab es bisher ein irgendwo im
verwüsteten Griechenland verborgenes Schriftwerk – ob man nun die
große Zahl der religiösen oder der weltlichen Werke in Betracht
zieht –, das man nicht heute zehnfach in lateinischer Sprache lesen
kann. Wie viele haben Geschichtswerke verfaßt, das Leben von
Männern und Kriege beschrieben! Und wie viele haben geschrieben
über die Weltgegenden, die Völker der Erde, über Meere, Berge,
Wälder, Flüsse und Felder, über die mannigfachen Sitten der
Menschen und über entdeckte Länder! Nichts ist verboten. Es
schreiben Matronen und Männer, Maler, Schmiede, Weber, der
Kürschner, der Schuster und die ganze Zunft der Gerber. Und Leute,
die anscheinend kaum die Anfangsgründe der Wissenschaft gekostet
haben, denen nur die Muttersprache zu Gebote steht und die Namen
der Musen unbekannt sind, sie läßt doch der göttliche Hauch – so
sagen sie! – nicht ruhen und weht die Einfältigen fast hinaus aufs
Feld. Obwohl von dem gelehrten Didymus nicht mehr viel vorhanden
ist, desgleichen von den zahlreichen Bänden, die Varro, Empedokles,
Aristarch, Chrysipp, der wortgewandte Theophrast und der beredte
Aristoteles geschrieben haben, und obwohl viele Bücher durch ihr
unglückliches Geschick zugrundegegangen sind,
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<21> Defectum tamen egregiè damnumque reponunt
Nostri scriptores saecli. Sic dira frequentes
Scribendi invasit scabies, et turpe putatur
In nullis penitus nomen prostare tabernis.
Inter ego multos adeò solusne quiescam?
Ut primus minimè, sic nec postremus opinor?
Quò me vertam autem? Quas sumam denique partes?
Non libet Herciniis immittere saltibus ornos,
Addere aquas nec Danubio Renove tumenti,
Spargere nec sabulum spumoso littore ponti.
Ad Satyras animus tendit Musamque pedestrem.
Ex cunctis aliud quid enim mihi cerno relictum?
Utiliora quidem magnumque ferentia fructum
Multa forent, quib<us>[23] haud essem quoque
viribus impar,
Aetatique forent nostrae magis apta locoque:
Scilicet ut ferrem divinae munera scenae
Exigua. Hircorum pelles vel denique binos
Aereolos tenuisque daret quaecunque facultas.
Nescio verùm, animus pacto quo noster abhorret,
Quum bene dicta truces videam damnare sophistas,
Nomen et haereseos multis imponere falsò.
Nam sunt, qui primi cupiunt solique videri
Seque gerunt verbi dominos fideique monarchas.
Talibus haud equidem studeo contendere monstris.
Sed per me regnent, regni quos tanta cupido
Detinet, ut nullas dignentur cedere partes
Non coniuratis, ut falsa ac impia laudent.
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so ersetzen doch Schriftsteller unserer Zeit den Mangel und
Schaden vortrefflich. So hat schreckliche Schreibsucht zahlreiche
Menschen befallen, und es gilt als Schande, seinen Namen in keiner
Buchhandlung weit und breit feilzubieten. Soll ich als einziger
unter so vielen schweigen? Wenn ich auch keineswegs der erste bin –
werde ich so nicht auch für den letzten gehalten? Wohin aber soll
ich mich wenden? Welches Gebiet soll ich mir am Ende vornehmen? Ich
mag nicht eschene Speere ins herkynische Waldgebirge schleudern,
Wasser in die Donau oder den schwellenden Rhein schütten und Sand
am schäumenden Gestade des Meeres streuen. Meine Neigung zieht mich
zur Satire und zur niederen Muse. Was denn sonst ist mir, soweit
ich sehe, von allem noch übrig? Es gäbe gewiß vieles Nützlichere
und sehr Lohnende, dem meine Kräfte auch gewachsen wären und das
sich zu meinem Alter und Stand besser schicken würde: nämlich
bescheidene Aufgaben auf dem göttlichen Schauplatz auf mich zu
nehmen. Auch das schwächste Talent würde doch Ziegenfelle oder am
Ende zwei Kupferstücklein einbringen. Indes, ich weiß nicht, warum
mein Geist zurückschaudert, wenn ich sehe, daß fürchterliche
Sophisten das rechte Wort verdammen und vieles fälschlich mit dem
Namen der Ketzerei belegen. Es gibt nämlich Leute, die als die
ersten und einzigen gelten wollen und sich als Herren über das Wort
und Alleinherrscher über den Glauben aufführen. Ich meinerseits
trachte nicht danach, mich mit solchen Ungeheuern auf einen Streit
einzulassen. Meinetwegen mögen gern die herrschen, die von so
großer Begierde nach Herrschaft erfüllt sind, daß sie sich nicht
dazu verstehen, auch nur in einem Punkt denen gegenüber, die nicht
mit ihnen verschworen sind, nachzugeben, daß sie Falsches und
Gottloses preisen.
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<22> Huc me tempestas igitur compellit et Euri.
Nec moror, infelix quòd sit provincia fermè
Multorumque odium ferventesque excitet iras,
Errores passim pravosque reprendere mores
Et bona pro merito solum celebrare triumpho.
Polypus aut fias levis assentator, oportet,
Aut constipatis studeas incumbere plumis,
Si nullum expectas odium rerumque periclum.
Aedibus in tacitis à morsu forsitan atro
Paulum tutus eris nullaque gravaberis umbra.
At simul in solem prodis turbamque forensem,
Incessus, facies, vestitus, barba, capilli
Verbaque cum factis naso carpentur adunco,
Longaque nunc te moxque brevis comitabitur umbra.
Conspectum fugiant hominum vulgique morentur
Iudicia inflictoque gravi convitia morsu,
Quos vitae solisque piget rerumque suarum.
Vir bonus ignavae nunquam colit ocia vitae,
Sed bene de cunctis sana studet arte mereri,
Exemplo Domini famaque incensus honesta.
An Satyras verò in rebus non ponis honestis?
Utile nec mundo studium et laudabile censes,
Debita virtuti et claris praeconia factis
Reddere diversisque veru praefigere signum?
Laudari forsan toleras bona, sed mala tangi
Indignum reris? Verùm an non prorsus iniquè?
Dic mihi, quid faciunt divina volumina, quaeso?
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Hierhin also haben mich Unwetter
und heftige Stürme getrieben. Ich kehre mich auch nicht daran, daß
es in der Regel ein undankbares Geschäft ist und bei vielen Haß und
glühenden Zorn erregt, nach allen Seiten hin Verirrungen und
verkehrte Sitten zu tadeln und allein das Gute für seinen
verdienten Sieg zu feiern. Aus dir muß ein Tintenfisch oder ein
windiger Jasager werden oder du mußt danach trachten, dich auf
Federpolster zu betten, wenn du keinem Haß und keiner Gefahr
entgegensehen willst. Im verschwiegenen Hause wirst du vor einem
bösartigen Angriff vielleicht ein wenig sicher und von keinem
Schatten beschwert sein, doch sobald du dich im Freien und vor der
Menge auf dem Marktplatz zeigst, wird man mit gerümpfter Nase
deinen Gang, dein Gesicht, deine Kleidung, deinen Bart, deine
Haare, deine Worte und Taten bekritteln, und dich wird bald ein
langer, bald ein kurzer Schatten begleiten. Wem sein Leben, seine
Erdentage und seine Verhältnisse zuwider sind, der mag den Anblick
der Menschen fliehen und dem Urteil der Menge und hart zubeißenden
Schmähungen einen Riegel vorschieben. Ein braver Mann gibt sich
niemals dem Müßiggang eines untätigen Lebens hin, sondern sucht
sich – nach dem Beispiel des Herrn und darauf brennend, sich einen
ehrbaren Ruf zu schaffen – mit unverdorbener Kunst um alle verdient
zu machen. Oder zählst du etwa Satiren nicht zu den ehrbaren
Dingen? Meinst du, es sei kein für die Welt nützliches und
rühmliches Bestreben, der Tugend und glänzenden Taten den
schuldigen Lobpreis darzubringen und ihrem Widerpart mit kritischem
Spieß ein Schandmal aufzudrücken? Du duldest vielleicht das Lob des
Guten, hältst aber den Angriff auf das Schlechte für unziemlich?
Wäre dies aber nicht ganz und gar unbillig? Sag mir bitte: wie
verfährt die Heilige Schrift?
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<23> Nonne statim culpam haud rectè parentis Adami
Narrant fraternumque odium caedemque Caini?
An non incestos coitus vitamque scelestam
Probraque terrigenûm violentaque facta gigantum,
Ob quae diluvio totum Deus obruit orbem?
Singula quid memorem? Nec sanctis parcere norunt
Praeclarisque viris, ut non delicta notarent
Propalam et in toto facerent notissima mundo.
Quid dein’ Moeonides? An non Cyclopas et Irum
Laestrigonasque procosque canit Circesque venena
Stultorumque iras regum malefactaque multa?
Non solum Aeneas[24], verùm et Mezentius ater
Virgilio dictus Turnusque Sinonque dolosus.
Nec crudum cupidumque auri Polymestora Thracem
Anchemolumque toros ausum incestare novercae
Praeteriit, nec qui poenis subduntur acerbis
Sede in Tartarea Stygiique per atria regis.
Quid Tragici verò? An non proposuere theatris
Omne scelestorum genus immanesque tyrannos?
Historiam verè possis componere nullam
Nec res humanas ullo comprendere scripto,
Saepe nisi infandos memores turpesque malosque.
Paucos nostra bonos aetas tulit, maxima verò
Eminet et circum versatur turba malorum
Mercatu celebri quasi conventuque frequenti,
Ut fieri nequeat, quin offendasque premasque
Quosdam, si tractare aliquid vel scribere tentes.
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Berichtet sie nicht sogleich von der Schuld des gar nicht
gehorsamen Adam, von brüderlichem Haß und dem Totschlag Kains?
Erzählt sie nicht von sündigem Beischlaf, frevlerischer
Lebensweise, Schandtaten der Erdenkinder und Gewalttaten der
Riesen, um derentwillen Gott die ganze Erde mit einer Sintflut
bedeckte? Wozu sollte ich Einzelheiten anführen? Heiligen und
ausgezeichneten Männern weiß sie es nicht zu ersparen, Verbrechen
öffentlich anzuprangern und in der ganzen Welt völlig bekannt zu
machen. Was tut ferner der Maeonide? Singt er nicht von den
Zyklopen, von Irus, den Laestrygonen, den Freiern, von Kirkes
Zaubertrank, vom Zorn törichter Könige und von vielen Missetaten?
Vergil erzählte nicht nur von Aeneas, sondern auch vom finsteren
Mezentius, von Turnus und dem arglistigen Sinon. Er überging weder
den grausamen und goldgierigen Thraker Polymestor noch Anchemolus,
der es wagte, das Bett seiner Stiefmutter zu schänden – auch die
nicht, die im Tartarus und im Palast des stygischen Herrschers
harte Strafen erleiden. Wie steht es aber bei den Tragikern? Haben
sie auf dem Theater nicht Bösewichter jeder Sorte und entsetzliche
Gewaltherrscher vorgeführt? Du könntest kein Geschichtswerk der
Wahrheit gemäß verfassen und über nichts, was menschliche Dinge
betrifft, in irgendeinem Buch schreiben, ohne häufig auf
abscheuliche, schändliche und böse Menschen hinzuweisen. Unser
Zeitalter hat wenig gute Menschen hervorgebracht. Dagegen tritt
eine riesige Schar von Bösewichtern hervor und tummelt sich
ringsumher wie auf einem bevölkerten Jahrmarkt und einer stark
besuchten Versammlung, so daß du gar nicht umhinkannst, gewisse
Leute zu kränken und zu bedrängen, wenn du etwas abzuhandeln
oder zu schreiben versuchst.
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<24> Ergo, quod evitem, nihil est, et proderit olim
Pauca suo quaedam depicta colore videri:
Ut mala devitent iuvenes et recta capessant.
Sic nobis veterum lucent exempla virorum
Utramque in partem. Si qui sua facta notari
Vel dicta audierint, hos aegrè haud ferre decebit,
Quandoquidem patrare malum, non carpere, turpe.
Unde, quod his obstent indignenturque libellis,
Est nihil. Emendent potius vitentque scelesta,
Ne tandem summo taxentur iudice coram.
Nominibus parcam, res nuda notabitur ipsa,
Ne mihi fortassis quidam laedantur amici.
Contrà inimici autem nullo sunt nomine digni.
Satyra secunda.
Haec si cura tenet Musas sacrosque poetas,
Ut benefacta canant hominum laudesque deorum,
Ut dictum Siculi pastoris carmine quondam:
Cur non Albertum praestantem heroa canamus,
Prussiacae dignum terrae dominumque ducemque?
Laudis materies ingens laudare volenti
À genere et proavis factisque insignibus olim,
À clara ditione, opibus populoque potenti,
Corporis aque bonis et maiestate staturae,
Praecipuè à propriis animi virtutibus alti.
Maioris sunt haec operae maioraque poscunt
Ocia maioresque canora ad carmina vires.
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Also gibt es nichts, dem ich aus dem Weg gehen könnte, und einst wird es sich
als nützlich erweisen, einige wenige Dinge in ihrer eigenen Farbe
abgemalt zu sehen, damit die jungen Leute das Schlechte meiden und
sich dem Rechten zuwenden. So steht uns das Beispiel von Männern
der Vorzeit – nach der einen wie der anderen Seite – deutlich vor
Augen. Für Menschen, die etwa hören sollten, daß ihre eigenen Taten
oder Reden mit einem Tadel belegt werden, wird es sich nicht
geziemen, bekümmert zu sein, denn schimpflich ist es, Böses zu tun,
nicht jedoch, es zu tadeln. Es gibt daher für sie keinen Grund,
sich diesen Büchlein zu widersetzen und sich über sie zu entrüsten.
Vielmehr mögen sie ihre ruchlosen Taten korrigieren und von ihnen
lassen, damit sie nicht schließlich vor dem höchsten Richter Tadel
erfahren. Auf die Nennung von Namen werde ich verzichten, um nicht
etwa bestimmte Freunde zu verletzen – allein das Vergehen selbst
wird angeprangert werden. Meine Feinde hingegen sind keiner
Namensnennung würdig.
Zweite Satire
Wenn es den Musen und heiligen Dichtern am Herzen liegt, edle Taten
der Menschen zu besingen und die Götter zu preisen, wie es einst in
einem Gedicht des sizilischen Hirten hieß: warum sollten wir da
nicht den vortrefflichen Helden Albrecht besingen, den würdigen
Herrn und Herzog Preußens? Dem, der ihn loben will, bietet sich
Stoff für Lobpreisungen in Hülle und Fülle: in Hinsicht auf seine
Abstammung, seine Vorfahren und seine von jeher herausragenden
Taten, in Hinsicht auf seine glänzende Herrschaft, seinen Reichtum
und sein starkes Volk, in Hinsicht auf seine körperlichen Vorzüge
und seine hoheitsvolle Gestalt, besonders aber hinsichtlich der ihn
kennzeichnenden Tugenden eines erhabenen Geistes. Dies alles
erfordert beträchtliche Mühe, beträchtliche Muße und beträchtliche
Kraft zu wohltönendem Gesang.
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<25> Haec aliis ergo dignè memoranda relinquo.
Pauca loquar, tragico fortassis et ipsa cothurno
Digna nec ingenio prorsum attingenda pusillo.
Verùm quis sileat vel planè balbus et infans,
Quum summi spectent ad coeli regis honorem
Magnorumque exempla ducum, quos vel videt aetas
Praesens aut nostri post saecula multa nepotes
Sunt aspecturi? Laus est non infima plebis
Privatique viri, dominos quicunque benignos
Observare suos studet et reverenter honorat
Paretque imperiis[25] promptè praestandaque praestat.
Quid reges à plebe aliud cupiantque velintque?
Quis non vir princeps redamet curetque vicissim
Tales subiectos omnique favore tuendos
Censeat? Hinc certè populorum commoda crescunt.
Hinc terrae atque urbes foecunda pace fruuntur.
Contrà verò animi perturbant cuncta rebelles.
Haec animadvertit princeps non mente supina,
Quodque sibi populo à subiecto quaerit et optat,
Illud et ipse suo contendit solvere regi.
Quem Regem dicam, quaeris? Qui possidet omnem
Nempe potestatem coeli terraeque marisque,
Filius ille Dei mundi servator IESUS.
Et terreno equidem reddit sua debita Regi,
Gratus et esse studet toto bene pectore factis:
Plura tamen Christo sese debere fatetur,
Qui terrena etiam largitur regna, quibus vult,
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Ich überlasse es also anderen, hiervon würdig zu berichten.
Das Wenige, das ich vortragen werde, ist vielleicht sogar des tragischen
Kothurns würdig und erfordert auch durchaus keine geringe Begabung.
Wer aber kann schweigen – und sei er auch schlechthin ein Stammler
und der Rede nicht mächtig –, wenn er sein Augenmerk richtet auf
den Ruhm des höchsten Himmelskönigs und den beispielhaften Wandel
der großen Fürsten, die zumal unser Zeitalter vor Augen hat oder
die viele Jahrhunderte später unsere Nachkommen erblicken werden?
Es ehrt jedwedes Volk und jedweden einzelnen Mann höchlich, wenn
sie danach trachten, ihren mildgesinnten Herren mit Hochachtung zu
begegnen, sie respektvoll zu ehren, ihren Befehlen umgehend zu
gehorchen und die schuldigen Leistungen zu erbringen. Was können
Könige anderes von ihrem Volk begehren und verlangen? Welcher an
der Spitze des Staates stehende Mann wird nicht seinerseits solche
Untertanen wiederlieben, für sie sorgen und dafürhalten, daß er mit
jeglichem Gnadenerweis auf ihr Wohl bedacht sein müsse? Hieraus
erwächst gewiß das Glück der Völker. Hierdurch erfreuen sich Länder
und Städte fruchtbringenden Friedens. Aufrührerische Geister
hingegen stürzen alles in Unordnung. Ein Fürst mit regem Geist ist
sich dessen bewußt und bemüht sich nach Kräften, dasjenige, was er
von seinem ihm untertanen Volk für sich erwartet und wünscht,
selbst seinem König zu leisten. Du fragst, welchen König ich
meine? Den natürlich, der alle Macht über Himmel, Land und Meer
besitzt, den berühmten Sohn Gottes und Heiland der Welt: Jesus. Er
[sc. jener Fürst] erweist freilich dem irdischen König seine
Schuldigkeit und trachtet von ganzem Herzen danach, sich durch
Wohltaten angenehm zu machen, doch er bekennt, daß er noch
mehr Christus schuldig sei, der auch die irdischen Reiche an Personen
seines Beliebens vergibt
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<26> Et cunctis peperit nobis coelestia fuso
Sanguine et obtento vasta de morte trophaeo.
Ò utinam reges alii dominique ducesque
Hoc credant totoque dies noctesque revolvant
Pectore et assiduas studeant persolvere grates.
Verùm hoc nosse datum paucis et credere. Quare
Haud mirum, Christi rarus quòd quaerat honorem,
Quique sibi valde videantur quaerere, toto
Errent (ut dicunt) coelo maledictaque laudum
Persolvant vice proque pio convicia cultu.
Hic verò didicit flatu monstrante superno
Primùm, quid sibi contulerit Dominusque Deusque
Terreni simul et coelestis munera regni,
Deinde vicissim illi quid debeat atque colendi
Quem servet ritum et re quid sectetur in omni.
Scilicet audivit divinum, legit et ipse
Sedulus eloquium, unde omnis sapientia manat
Atque spei fideique et veri regula cultus.
Fecit, quod Dominus populi praeceperat olim
Regibus et ducibus: proprio ne fortè cerebro
In sacris quicquam[26] gererent rebusque profanis,
Verùm divino constarent omnia verbo,
Legis ut expositae facerent sibi nempe volumen
Describi legerentque illud noctesque diesque,
Per totam ut discant vitam cultumque metumque
Et praecepta Dei servent pietatis et omnes
Absolvant numeros et vitae exemplar honestae
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und uns allen dadurch, daß er sein Blut vergossen und dem
entsetzlichen Tod den Sieg entrissen hat, das Himmelreich erwerben
wird. O, wenn doch andere Könige, Herren und Fürsten hieran
glauben, es Tag und Nacht immer wieder von ganzem Herzen bedenken
und ihr Streben darauf richten würden, unablässig Dank zu bekunden!
Doch dies zu wissen und daran zu glauben, ist nur wenigen gegeben.
Daher ist es ganz und gar nicht verwunderlich, daß nur selten
jemand danach trachtet, Christus zu ehren, und daß diejenigen, die
zutiefst überzeugt sind, daß sie dies tun, den Himmel, wie es
heißt, gänzlich verfehlen, Lästerungen statt Lobpreisungen und
Schmähungen anstelle frommer Verehrung darbringen. Dieser [sc.
Albrecht] aber hat, unterwiesen durch einen Hauch des Himmels,
erstens gelernt, wozu ihm der Herr und Gott Aufgaben der irdischen
und zugleich himmlischen Herrschaft übertragen hat, zweitens, was
er seinerseits diesem schuldet, welchem Ritus er folgen soll, um
ihn zu verehren, und worauf er bei allen Dingen zu achten hat. Er
hat nämlich Gottes Wort, aus dem sich alle Weisheit und der Maßstab
für Hoffnung, Glauben und wahren Gottesdienst herleiten, fleißig
gehört und auch selbst gelesen. Er hat getan, was der Herr einst
den Königen und Fürsten des Volkes vorgeschrieben hatte: daß sie in
geistlichen und weltlichen Dingen nicht etwa irgend etwas nach
ihrem eigenen Verstand machen sollten, sondern daß alles sich auf
das Wort Gottes gründen solle; daß sie das aufgestellte Gesetz sich
folglich in einem Buch aufschreiben lassen und darin Tag und Nacht
lesen sollten, um ihr ganzes Leben hindurch Anbetung und Ehrfurcht
zu lernen, die Frömmigkeitsgebote Gottes einzuhalten, alle Regeln zu
erfüllen und sich selbst als ein Musterbild ehrbaren Lebens
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<27> Exhibeant sese. Rationum saepe libellos
Mercator relegit prudensque expensa receptis
Confert, an faciat sciturus damna lucrumve.
Cautus pacta solet legere aut audire frequenter
Quilibet, et memori nos debita mente tenemus.
Cur non tinctus aquis Dominoque addictus IESU
Servet idem? princepsque magis rectorque popelli?
Ducere subiectos rectè qui debet et ipsum
Tum divina manu pariterque humana tueri?
Cultum sanè alium, quàm tradidit ipse, creator
Regibus haud ullis permisit condere, verùm
Sedulò provehere et totis servare statutum
Viribus. À quo si populus fortassè recessit
Sive illum abiecere atavi charique parentes,
Instaurare ipsi populumque reducere debent.
Hoc est sanctorum verè regumque ducumque.
Huc summo incumbit studio venerabilis heros
Albertus, simulac doctrinam ritè supernam
È sacris didicit scriptis, animoque recondit.
Cuius si reliqui firmo vestigia gressu
Consectarentur re<ges>[27] magnique
dynastae,
Longè consultum melius populisque sibique
Esset et aeternae staret fiducia vitae
In Christo solidè verbo suffulta fideli.
Iudaeis nec enim solis divinitùs olim
Relligio monstrata omnis ritusque sacrorum,
Sed nobis etiam Christo doctore simulque
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darzubieten. Ein Kaufmann wiederholt oft die Lektüre seiner
Rechnungsbücher und vergleicht klug die Ausgaben mit den Einnahmen,
um zu wissen, ob er Verlust oder Gewinn macht. Jeder pflegt
Verträge mit Bedacht zu lesen oder sie sich oft anzuhören, und
unsere Schulden behalten wir im Gedächtnis. Warum soll jemand, der
getauft und dem Herrn Jesus verpflichtet ist, ebendies nicht auch
im Geiste bewahren, und erst recht ein Fürst und Lenker des Volkes,
dessen Schuldigkeit es ist, seine Untertanen auf dem rechten Wege
zu führen und sein Volk ferner mit göttlicher und zugleich
menschlicher Hand zu schützen? Der Schöpfer hat in der Tat keinem
Herrscher erlaubt, einen anderen Gottesdienst zu begründen, als er
selbst verkündet hat. Vielmehr ist es die Pflicht aller Herrscher,
den festgesetzten Kult eifrig zu fördern und mit allen Kräften zu
bewahren. Falls das Volk etwa von ihm abgewichen ist oder die
Vorfahren und die teuren Eltern ihn abgeschafft haben, müssen sie
ihn selbst wiederherstellen und das Volk zu ihm zurückführen. Dies
ist wahrhaftig die Aufgabe heiliger Könige und Fürsten. Und dies
läßt sich der verehrungswürdige Held Albrecht mit größtem Eifer
angelegen sein und bewahrt es im Herzen, seitdem er die himmlische
Lehre aus der Heiligen Schrift auf rechte Weise gelernt hat. Wenn
die übrigen Fürsten und mächtigen Herrscher seinen Spuren festen
Schrittes folgen würden, wären ihre Völker und sie selbst weitaus
besser beraten, und der zuversichtliche Glaube an ein ewiges Leben,
nachhaltig gestützt durch getreuliche Verkündigung des Wortes, wäre
fest auf Christus begründet. Nicht nur den Juden nämlich sind einst
von Gott Religion und sakraler Ritus vollständig offenbart
worden, sondern auch uns wurden sie offenbart: durch unseren Lehrer
Christus und zugleich
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<28> Primis discipulis, quorum monimenta supersunt
Hactenus, ut dempsisse nephas sit et addere quicquam.
Omnia nam faciunda docent vitandaque clarè
Praesentis quae sint vitae pariterque futurae.
Porrò Christigenas inter quot cernere reges
Quotve duces numerare queas dominosque potentes,
Qui curent Evangelium legisse vel acri
Iudicio expendant verbum et mandata Tonantis?
Maxima pars veterum laudant vestigia patrum
Atque Evangelium censent, quodcunque sophistae
Iactant, improba quîs saturant mendacia ventres.
Hinc illi, qui alios debent adducere Christo,
Plebem nempe suam, procul abducuntur et ipsi,
Cumque putent Evangelium se ac vera tueri,
Somnia defendunt hominum et contraria Christo.
Non fieret, si ipsi reges verumque fidemque
Nosse laborarent propius legerentque frequenter
Scripta Evangelii veterumque oracula vatum.
Nam quicunque legunt nec fastidire videntur
Audire ex aliis, sensim palpantque videntque,
Quantum à directo seducti calle parentes
Verae nescierint pietatis munera seque
Tetro polluerint cultu impietateque multa.
Ergo à perverso tenebrosa ad Tartara cursu
Se reprimunt actaque ferè iam aetate recurrunt
Inque viam satagunt quoscunque reducere cives,
Tollere et infandos ritus et monstra prophanae
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seine ersten Jünger, deren Schriften noch
heute vorhanden sind, so daß es nicht gestattet ist, ihnen etwas
wegzunehmen oder hinzuzutun. Sie lehren nämlich klar und deutlich
alles, was im gegenwärtigen wie im künftigen Leben zu tun und zu
lassen ist. Wie viele unter den christlichen Königen siehst du nun
aber und wie viele Fürsten und mächtige Herren vermagst du zu
zählen, die sich ein Gewissen daraus machen, das Evangelium gelesen
zu haben, oder das Wort und die Gebote des Donnerers mit
durchdringender Urteilskraft in Erwägung ziehen? Die meisten loben
die Fußstapfen der Vorväter und halten alle Behauptungen der
Sophisten – gottlose Lügen, mit denen diese ihre Bäuche sättigen –
für das Evangelium. Daher kommt es, daß jene, deren Pflicht es ist,
andere Menschen – ihr Volk nämlich – Christus zuzuführen, sich auch
selbst weit von ihm entfernen und, obwohl sie das Evangelium und
die Wahrheit zu schützen glauben, doch menschliche und Christus
gerade entgegengesetzte Hirngespinste verteidigen. Dies würde nicht
geschehen, wenn die Herrscher selbst sich darum bemühten, die
Wahrheit und den Glauben näher kennenzulernen, und das Evangelium
und die Weissagungen der alten Propheten häufig läsen. Denn alle
jene, die lesen und es nicht verschmähen, etwas von anderen zu
hören, spüren und erkennen allmählich, wie wenig die Vorfahren –
vom geraden Wege abgelenkt – die Pflichten wahrer Frömmigkeit
kannten und wie sehr sie sich mit einem garstigen Religionsbrauch
und mit vielem gottlosen Wesen besudelt haben. Also machen sie auf
dem verkehrten Wege zur finsteren Hölle halt, begeben sich – fast
schon am Ende ihres Lebens – auf den Rückweg, befleißigen sich,
alle Bürger auf den rechten Weg zurückzuführen, abscheuliche Riten
und die Ungeheuerlichkeiten einer gottlosen
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<29> Doctrinae vulgoque graves removere tenebras.
Sic cultum Domini Saulo regnante remissum
Protulit in lucem David, vir factus ad unguem.
Sic bonus è regno simulacrorum abstulit Asa
Culturam, quamvis ab avo ac genitore repertam.
Haud est Hezechias maiorum errata secutus,
Nec pluris fecit mores ritusque parentum
Quàm praecepta Dei, quàm doctrinamque fidemque
Mose revelatam patribus sanctamque ministro.
Verùm succidit lucos, excelsaque fana
Destruxit, statuas fregit. Tuque, aenee serpens,
Per Mosen quamvis in tristi factus eremo,
Quando colebaris sacris et thuris honore,
Fractus es. Haud aliter fregit simulacra Manassis
Ammonisque patris regni successor et haeres.
Non ritus peperere novos cultumque recentem,
Sed veterem pravè à maioribus antè relictum
Ad legis praescriptum instauravere vetustae.
Hinc canit illorum meritas sacra pagina laudes
Propitiamque refert fortunam et commoda regni
Plurima et aucta satis longaevae tempora vitae.
Laudantur meritò hac quoque tempestate potentes,
Qui doctrinam ad Apostolicam cultumque reversi
Coelitùs ostensum tollunt idola parentum
Atque superstitionem extingunt funditùs omnem
Subiectosque sibi curant adducere Christo.
Hos inter multum, princeps Alberte, refulges.
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Lehre abzuschaffen und die schwere Finsternis vom Volke zu nehmen.
So brachte David, ein fein gebildeter Mann, die unter der
Herrschaft Sauls hintangesetzte Verehrung des Herrn wieder ans
Licht. So entriß der redliche Asa den Gottesdienst, wie immer er
ihn auch von seinem Großvater und Vater her kennengelernt hatte,
der Herrschaft der Götzenbilder. Hiskia ist den Irrtümern seiner
Vorfahren keineswegs gefolgt: die Sitten und Riten der Väter
stellte er nicht höher als die Gebote Gottes, nicht höher als die
Glaubenslehre, die durch Moses’ Vermittlung den Vätern offenbart
und als heilige Verordnung auferlegt worden war. Vielmehr hieb er
die heiligen Haine nieder, zerstörte die hohen Götzentempel und
zerbrach die Bildsäulen; und du, eherne Schlange: obwohl Moses dich
in der öden Wüste gemacht hatte, wurdest du zerbrochen, als man
dich beim Gottesdienst und mit Weihrauchopfer verehrte. Genauso
zerbrach der Regierungsnachfolger und Erbe Amons die Götzenbilder
Manasses und seines Vaters. Sie [sc. alle soeben Genannten] haben
keine neuen Riten, keinen neuen Gottesdienst aufgebracht, sondern
den alten, von den Ahnen einst in verderbter Form hinterlassenen
Gottesdienst nach der Vorschrift des alten Gesetzes
wiederhergestellt. Darum singt die Heilige Schrift ihr verdientes
Lob und berichtet, daß ihnen das Glück hold gewesen sei, daß ihre
Herrschaft größten Nutzen gestiftet und sie ein ziemlich langes
Leben gehabt hätten. Zu Recht lobt man die Mächtigen auch unserer
Zeit, die zur apostolischen Lehre und zu der vom Himmel offenbarten
Form der Gottesverehrung zurückgekehrt sind und nun die
Götzenbilder der Väter beseitigen, allen Aberglauben von Grund auf
ausrotten und darauf bedacht sind, ihre Untertanen Christus
zuzuführen. Unter diesen leuchtest du, Fürst Albrecht, strahlend hervor.
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<30> Est tibi rex Christus cordi doctrinaque sana.
Audis atque legis summi praecepta magistri
Ingenti studio et verum novisse laboras
Adque[28] id componis vitam cultumque
fidemque,
Creditum et usque tibi populum perducis eodem.
Impia devastas iussu factoque sequenti,
Curasque, ut regi sint omnia consona Christo,
Ritus ac cultus, doctrinae, vita, tribunal.
Hinc te nec revocat veterum dignatio patrum,
Longa nec inductis concessa erroribus aetas.
Nec vicinorum tardant exempla sequentum
Antiquas tenebras praescriptaque prava Paparum
Nec quorundam odium et rerum famaeque pericla.
Omnia postponis Christo verboque superno.
Hoc quàm difficilè et rarum quantique laboris,
Ignorat nemo; simul et testantur abundè
Duricies fremitusque truces diversa tuentum
Molliciesque metusque effrons syncera negantum.
Commeritis hos tu poenis charisque relinquis
Ipsorum tenebris. Non huc non moveris illuc
Ullius exemplo, noti sed tramite veri
Pergis, sollicitus tantum, quà maximè honorem
Christi promoveas atque is noscatur in omni,
Quàm lata est, ditione tua. Nec sumptibus ullis
Parcis, ut asciscas doctos fidosque ministros
Et Christum resonent divini pulpita verbi.
Quin ut et ad seros veniat doctrina nepotes,
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Der König Christus und die rechte Lehre liegen dir am Herzen. Du hörst
und liest mit gewaltigem Eifer die Gebote des obersten Lehrers und
strebst nach der Erkenntnis des Wahren; und dem paßt du auch deine
Lebensweise, deinen Gottesdienst und deinen Glauben an und führst
das dir anvertraute Volk zu ebendiesem Punkt. Du befiehlst, daß die
Gottlosigkeit ausgerottet werde, und läßt dem Befehl Taten folgen;
und du sorgst dafür, daß alles mit dem König Christus harmoniert:
Ritus und gottesdienstlicher Brauch, Lehren, Lebensweise, Gericht.
Hiervon hält dich weder Pietät gegenüber deinen Vorvätern zurück
noch das lange, jetzt verwichene Zeitalter, das auf die Einführung
der Irrlehren folgte. Weder hemmt dich das Beispiel der Nachbarn,
die noch in der alten Finsternis wandeln, noch hemmen dich die
verkehrten Gebote der Päpste noch der Haß gewisser Leute oder die
Gefahren, die aus der Sache selbst und dem Gerede darüber
erwachsen. Alles stellst du hinter Christus und das göttliche Wort
zurück. Jedermann weiß, wie schwierig und selten dies ist und wie
große Mühe es erfordert; zugleich wird es auch überreichlich
bestätigt durch die Härte und das wilde Murren derer, die die
entgegengesetzte Position behaupten, und die schamlose
Nachgiebigkeit und Furcht derer, die die reine Lehre verneinen.
Diese überläßt du ihren verdienten Strafen und der ihnen
liebgewordenen Finsternis. Du schwankst nicht, irgendeinem Vorbild
folgend, hierhin und dorthin, sondern schreitest auf dem Pfade der
bekannten Wahrheit voran, nur darum besorgt, Christi Ruhm soviel
wie nur möglich zu vergrößern und ihn in deinem ganzen
Machtbereich, wie weit er sich auch erstrecken mag, bekannt zu
machen. Du sparst auch keine Kosten, um gelehrte und treue Diener
herbeizuholen und die Katheder, auf denen Gottes Wort verkündet
wird, von Christus widerhallen zu lassen. Damit die Lehre bis zu den
späten Enkeln gelangt,
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<31> Efflorere scholas magnae plantaria lucis
Efficis, ut primis pueri doceantur ab annis,
Cum Servatoris tum relligionis amorem et
Dogmata sectari pia, detestarier atra,
Nosse voluntatem Domini, praecepta fidemque
Atque inculpata servare ac reddere vita.
Quid praestare Deo possis acceptius istis?
Non holocausta cupit, nulla illi victima tantum
Grata nec argenti decumae fulgentis et auri
(Id quod divini semper docuere prophetae),
Quantum toto audire animo observareque verbum.
Iudaeis quoties Idola colentibus inquit:
„Vocem audite meam! Tum vester ero Deus et vos
Gens mea, vivetisque et fausta secundaque vobis
Omnia succedent“? Genitor coelestis ab alto
Aethere proclamat: „Dilectus filius hic est,
Ipsum audite.“ Eadem gnatus quoque praedicat ipse,
Vultque sua imprimis audiri verba vocatque,
Quicunque audierint observarintque, beatos
Tamque sibi charos quàm matrem omnesque propinquos.
Hinc veteres et Enos ac Noe, Abrahamus et huius
Filius atque nepos altaria saepe leguntur
Construxisse Deo cupidè illiusque vocasse
Nomen: quod nihil est aliud quàm voce benigni
Numinis audita verbi instituisse docendi
Effundendarumque precum cultusque fovendi
Fana, quasi atque scholas, Dominum ceu ritè colentes
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läßt du sogar
Schulen, Pflanzstätten großer Erleuchtung, erblühen. So werden die
Knaben von frühestem Alter an gelehrt, sich von der Liebe sowohl zu
ihrem Erhalter als auch ganz besonders zur Religion leiten zu
lassen, gottgefälligen Lehren nachzustreben, unheilvolle zu
verabscheuen, Einsicht in den Willen und die Gebote des Herrn und
den Glauben an ihn zu gewinnen und dies alles durch ein
unbescholtenes Leben zu bewahren und zu bestätigen. Was könntest du
Gott Wohlgefälligeres tun als dies? Er verlangt keine Brandopfer;
kein Opfer, auch keine Zehnten von glänzendem Silber und Gold, sind
ihm (wie es die göttlichen Propheten stets gelehrt haben) so
willkommen wie dies, daß man sein Wort von ganzem Herzen anhört und
befolgt. Wie oft sagte er zu den Juden, als sie Götzenbilder
verehrten: „Hört meine Stimme! Dann werde ich euer Gott sein und
ihr mein Volk, und ihr werdet leben, und alles wird euch glücklich
und nach Wunsch vonstatten gehen.“ Der himmlische Schöpfer
verkündet vom hohen Himmel herab: „Dieser ist mein lieber Sohn. Den
sollt ihr hören!“ Auch der Sohn selbst predigt das gleiche; er
will, daß man vor allem auf seine Worte hört, nennt alle
diejenigen, die sie gehört und befolgt haben, selig und sagt, sie
seien ihm so lieb wie seine Mutter und alle seine Verwandten. Daher
liest man von den Urvätern Enos und Noah, von Abraham und seinem
Sohn und Enkel, daß sie Gott oft mit Eifer Altäre errichtet und
seinen Namen angerufen hätten: das heißt nichts anderes, als daß
sie, nach Anhörung der Stimme des gütigen Gottes, Tempel und
gleichsam Schulen eingerichtet haben, damit man dort das Wort lehre,
Gebete aussende und den Gottesdienst pflege – ganz wie es Menschen
zukommt, die den Herrn recht verehren
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<32> Addictique illi. Suscepit et ille libenter
Proque suis habuit semperque agnovit amicis,
Seminis ob studium promissi et vocis amorem
Auditae. Quare visant sine limina Petri,
Aut Iacobum alii Pirenes trans iuga quaerant,
Aut adeant Solymam per multa pericula terrae
Infidique maris, Sinaeve cacumina montis,
Virginis inspiciant Catharinae nobile marmor;
Aedificent statuas sine divorumque sacella;
Incrustent auro tabulas, arasque decorent
Argento aut gemmis peregrino ex orbe petitis;
Praepingues alii pascant, concede, Papistas,
Censibus aut amplis monachorum examina ditent,
Seque putent charos coelorum ob inania Regi.
Tu doctus verò sacro spiramine verbum
Illius ausculta voci cultumque teneto,
Qui fidei minimè Christique repugnet honori,
Quem duodena cohors docuit Paulusque magister
Gentium et integris tenuere Ecclesiae ab annis.
Praefice doctores sanos fidosque ministros.
Ornandis incumbe scholis pubique docendae.
Sic verè dilectus eris Christoque patrique,
Cunctis postpositis ut qui gratissima cures.
Praeterea nec plus alio populoque tibique
Profueris pacto. Quid enim praeclarius usquam
Luce? quid infaustis odiosius esse tenebris
Possit? Directo nam quis non tramite duci
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und ihm zueigen sind.
Dieser hat sich seinerseits gern ihrer angenommen und
sie als seine Freunde behandelt und stets als solche anerkannt
wegen ihres Eifers für den verheißenen Sohn und ihrer Liebe zum
gehörten Wort. Laß also die einen das Haus Petri besuchen, andere
über die Pyrenäen zu Jakobus oder, durch viele Gefahren zu Land und
auf dem tückischen Meer, nach Jerusalem reisen oder den Gipfel des
Berges Sinai besteigen! Laß sie das berühmte Marmorgrab der
Jungfrau Katharina besichtigen, laß sie den Heiligen Denkmäler und
Kapellen errichten, Gemälde mit Gold überziehen, Altäre mit Silber
oder aus fremdem Land herbeigeholten Edelsteinen verzieren! Laß es
zu, daß andere fettleibige Papisten ernähren oder mit üppigen
Abgaben Schwärme von Mönchen bereichern und sich einbilden, sie
seien dem König der Himmel wegen ihrer eitlen Verrichtungen lieb
und wert. Du aber, der du durch den heiligen Geist im Wort
unterwiesen bist, höre seine Stimme und halte an einem Gottesdienst
fest, der auf keine Weise dem Glauben und Christi Ehre
widerstreitet, einem Gottesdienst, den die Schar der Zwölf und der
Lehrer der Völker, Paulus, gelehrt hat und die Kirchen seit ihren
Anfangsjahren eingehalten haben. Stelle vernünftige Lehrer und
zuverlässige Diener an die Spitze! Widme dich der Ausstattung der
Schulen und der Unterweisung der Jugend! So werden Christus und
Gottvater dich wahrhaft lieben, da du ja, alles andere
hintansetzend, dich um das sorgst, was ihnen das Allerliebste ist.
Außerdem könntest du deinem Volk und dir selbst auf andere Weise
gar nicht nützlicher sein. Was könnte denn auf der Welt herrlicher
sein als das Licht? Was widerwärtiger als die unselige
Finsternis? Wer hätte denn nicht Freude daran, auf geradem Wege
geführt zu werden,
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<33> Gaudeat erroresque ambagesque oderit omnis?
At sunt peiores animi cordisque tenebrae
Erroresque magis damnosi mentis ubique
Quàm manuumve pedumve. Oculis si natio tota
Capta foret praesesque aliquis princepsque benignus
Redderet impenso visum cupientibus auro,
Quis non laudaret? quis non memorabile fastis
Diceret? Ast extra Christum sunt omnia caeca.
Praestigiisque oculos mentis crassisque tenebris
Obruit exurgens excaecavitque Papatus.
Iam nemo Christum solidè nec vera fidemque
Norat Apostolicam. Nugas humanaque vulgò
Somnia, iusticiam propriam meritumque canebat,
Divorum cultus promercalesque reatus,
Missas, exequias, monachatum sacraque vana
Quaestus tradebat causa ventrisque tuendi.
Insuper an iam parta salus et certior esset
Omnibus exhaustis, valde dubitare iubebat.
Quis non deploret funestas hasce tenebras?
Quîs homines quamvis operoso ad Tartara cursu,
At nunquam verò coeli ducuntur in aulam?
Has tu divino iussus spiramine, Princeps,
Olim iam removere studes et tollere prorsum
Ablatumque diu populo quasi reddere visum,
Ut sese norint primùm magnosque reatus,
Deinde modo quonam placetur vindicis ira,
Quae spes non fallat, quae sit fiducia vitae,
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und haßte nicht alle Verirrungen und Umwege? Und doch gibt
es allenthalben schlimmere Finsternis der Seele und des Herzens und
schädlichere Verirrungen des Geistes als der Hände oder Füße.
Angenommen, ein ganzes Volk wäre erblindet und irgendein Herrscher
und gütiger Fürst würde ihm auf sein dringendes Verlangen durch
Aufwendung von Gold wieder die Sehkraft verschaffen: wer würde dies
nicht loben? Wer würde nicht meinen, daß man dessen im Kalender
gedenken solle? Indes, alles was nicht zu Christus gehört,
ist blind! Als sich das Papsttum erhob, hat es die Augen des
Geistes mit Gaukelwerk und dichter Finsternis umhüllt und
geblendet. Nun hatte niemand eine sichere Kenntnis von Christus,
von der Wahrheit und vom apostolischen Glauben. Es pries vor aller
Welt unnützen Kram, menschliche Wahnbilder, Selbstgerechtigkeit und
Verdienst, Verehrung der Heiligen, Geschäfte mit der Schuld,
Messen, Exequien und das Mönchtum, und es gab um des Gewinstes und
der Sorge für den Bauch willen Nichtiges als heilig aus. Obendrein
befahl es, höchlich daran zu zweifeln, ob das Heil schon erworben
oder sicherer sei, nachdem man alle Anforderungen vollständig
erfüllt hatte. Wer sollte nicht über diese Grabesfinsternis weinen,
die zur Folge hat, daß die Menschen auf äußerst mühevoller Bahn zur
Hölle, niemals aber zum Himmelspalast geleitet werden. Schon
längst, Fürst, bist du – auf Geheiß des Heiligen Geistes – darum
bemüht, diese Finsternis beiseitezuräumen und völlig abzuschaffen
und dem Volk gleichsam die lange entschwundene Sehkraft
wiederzugeben, damit es erstens sich selbst und seine große Schuld
erkennt und zweitens begreift, was denn den Zorn des Rächers
besänftigt, welche Hoffnung nicht trügt, welches der zuverlässige
Glaube an das Leben ist,
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<34> Qui deceant omni purgatos crimine mores,
Quem Deus aspiciat cultum, quae facta requirat.
Talia nosse facis praelato lumine verbi,
Ut rectà (quantum in te est) ad coelestia ducas
Regna tuum populum. Ò multum valdeque beatos,
Qui tale agnoscunt donum lucemque sequuntur.
Quid posses fido maius praestare popello?
Nec minus interea iustè terrena gubernas,
Ut qui coelorum credas attendere regem
Omnia conspectumque eius vereare potentem.
Tranquillae incumbis paci prohibesque rapinas.
Materiam litis nullam causamque duelli
Invadendo aliena seris, contentus adepta
Munere divino ditione. Hanc legibus ornas
Iudiciisque aequis cunctarumque ubere rerum
Copia et illustri doctorum messe virorum.
Singula quid memorem? Florent te principe duri
Agricolae laetique suis operantur in arvis;
Divitias cumulant, augentur civibus urbes.
Quisque sua absque omni terrore negocia tractat.
Ante Lares proprios residet tranquilla senectus,
Ludunt in plateis pueri teneraeque puellae,
À strepitu Martis procul ac hostilibus armis,
Quîs pereunt urbes miserae et vastantur agrestes.
Haec accepta tibi referunt iuvenesque senesque
Commoda, te laudant, tibi laeta ac fausta precantur
Certatim multosque exoptant Nestoris annos.
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welche Lebensweise denen ansteht, die von jedem
Makel frei sind, welcher Gottesdienst Gott wohlgefällig ist, welche
Taten er verlangt. Die Erkenntnis all dessen bewirkst du, indem du
das Licht des Wortes voranträgst, um dein Volk, soweit es in deiner
Macht steht, geraden Weges ins Himmelreich zu führen. O gar selig,
o überaus selig sind die, die solch ein Geschenk erkennen und dem
Lichte folgen! Was könntest du deinem treuen Volk Größeres
gewähren? Dabei führst du die Regierungsgeschäfte in irdischen
Dingen auf nicht weniger gerechte Weise, da es ja dein Glaube ist,
daß der Himmelskönig alles aufmerksam verfolgt, und du seinen
durchdringenden Blick fürchtest. Mit Hingabe bemühst du dich um
ungetrübten Frieden und unterbindest Räuberei. Zufrieden damit,
durch göttliche Gnade die Herrschaft erlangt zu haben, lieferst du
keinen Anlaß zum Streit und keinen Kriegsgrund, indem du ein
fremdes Land überfällst. Diese deine Herrschaft zierst du mit
Gesetzen, unparteiischen Urteilssprüchen, reichlicher Fülle an
allen Gütern und mit einer glänzenden Ernte an gelehrten Männern.
Wozu sollte ich auf Einzelnes eingehen? Unter deiner Herrschaft
leben die rüstigen Bauern im Wohlstand und gehen frohgemut der
Arbeit auf ihren Feldern nach. Die Städte häufen Reichtum an und
nehmen an Bevölkerung zu. Jeder geht gänzlich frei von Angst seinen
Geschäften nach. Vor dem eigenen Haus sitzt das stille
Greisenalter, auf der Straße spielen die Knaben und zarten Mädchen
– fern von Kriegslärm und feindlichen Waffen, durch die die Städte
elend zugrundegerichtet und die Felder verwüstet werden. Der
Empfang dieser Wohltaten wird dir von Jung und Alt vergolten: sie
preisen dich, wünschen dir um die Wette Glück und Segen und daß du
das Alter Nestors erreichen mögest.
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<35> Non deerit votis Deus et coelestia tandem
Praemia amatori reddet populique suoque.
Satyra tertia.
Expulsi Paradiso olim tectique ferarum
Pellibus ob tristem noxam incussumque pudorem,
Primi homines capiunt iussos extemplò labores:
Sic urgente fame solisque ardore potentis
Venturaeque gelu brumae. Conquiritur herba
Primùm, et radices terra velluntur edules.
Arboreos carpunt sine iam discrimine fructus,
Mitia lac praebent animantia moxque docentur
Ferre iugum et trahere incurvi grave pondus aratri
Atque hominum duros relevare ex parte labores.
Eva boves pellit, stivam tenet acer Adamus.
Spargit et ille manu semen, post terga sed uxor
Raras inducit crates dentataque rastra
Atque malas abigit volucres et semina condit.
Plurima silvestris succis modò dives acerbis
Mitius ingenium solerti concipit arte
Arbor et accepto durat per secula fructu.
Insita monstrabat lato sapientia cordi
Multa ususque frequens ac experientia rerum.
Vellere lanigeras etiam coepere bidentes
Et lini segetem facere ac surgentis in altum
Cannabis. Eva rudi torquebat stamina fuso
Adque usum incomptas texebat sedula vestes.
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Gott wird sich den Wünschen nicht verschließen und einem Manne,
der sein Volk und ihn selbst liebt, am Ende himmlischen Lohn
gewähren.
Dritte Satire
Als die ersten Menschen einst wegen schlimmer Schuld und der ihnen
eingeflößten Scham, mit Fellen wilder Tiere bedeckt, aus dem
Paradies vertrieben worden waren, begannen sie sogleich mit der
ihnen aufgetragenen Arbeit: mit nagendem Hunger, in der Glut der
mächtigen Sonne und im Frost des nahenden Winters. Zuerst wurden
Kräuter gesammelt und eßbare Wurzeln aus der Erde gezogen. Dann
pflückten sie wahllos die Früchte der Bäume; sanftmütige Tiere
boten ihnen Milch und wurden bald gelehrt, das Joch zu tragen, das
schwere Gewicht des gekrümmten Pfluges zu ziehen und die harte
Arbeit der Menschen teilweise zu erleichtern. Eva trieb die Rinder
an, Adam hielt energisch den Pflugsterz. Dieser warf auch mit der
Hand den Samen aus; hinter ihm aber führte seine Frau die
weitgezinkte Egge aus Flechtwerk und den gezahnten Rechen, vertrieb
schädliche Vögel und barg die Saat in der Erde. Zahlreiche wild
wachsende Bäume, die eben noch von herb schmeckenden Säften
strotzten, nahmen dank geschickter Behandlung eine mildere Natur
an, und nachdem sie einmal Frucht getragen hatten, überdauerten sie
Menschenalter. Die dem reichbegabten Herzen eingepflanzte Weisheit
und häufige Übung und Erfahrung lehrten vieles. Sie begannen auch,
die Wolle tragenden Schafe zu rupfen und Leinen und hochwachsenden
Hanf anzubauen. Eva spann den Faden mit kunstloser Spindel und
webte emsig schlichte Kleider für den Bedarf.
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<36> Plurima caesa hirtas praebebat victima pelles,
Qualibus omnipotens primùm vestiverat ambos.
Magnanimi in cunctis sub sole laboribus aevum
Atque alacres agitant. Etiamsi enim acerbus in imo
Pectore versatur casus praecepsque remordet
Delictum et multo memores sermone volutant,
Qualibus antè bonis ornati opibusque fuissent,
Eregionè in quanta essent modò damna redacti,
Haud tamen admisso torquentur crimine tantum
Amissisque bonis durisque laboribus aevi,
Quantum gratuito Domini laetantur amore
Promissi causa gnati, qui perdita plenè
Instauraturus foret omnia serpentique
Triturus caput. Hinc gaudent tolluntque serenos
Ad coelum vultus, hinc ad coelestia mente
Tendunt atque Dei laudant iactantque favorem.
Suspirant illud quamprimum semen oriri,
Semen ubique canunt, semen versatur in ore
Semper, et hoc unum meditantur nocte dieque,
Seminis et timidum confortant robore pectus.
Hoc aegrè nimium
Satanas sociique ferebant,
Quos simul è coelo concepta superbia quondam
Truserat. Hos inter tumulo ut consederat alto,
Incipit: „Haud ultrà, socii, reor esse dolendum
Amissis rebus super aethereaque ruina.
Laetitiam magis ingentem praesentia suadent.
Firma etenim nostri iam sunt fundamina regni
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Zahlreiche getötete Opfertiere boten struppige Felle von der Art derer,
in die der Allmächtige die beiden zuerst gekleidet hatte. Bei allen
Arbeiten, die sie unter der Sonne zu verrichten hatten, verbrachten
sie ihr Leben hochgemut und mit freudigem Eifer. Denn obgleich ihr
bitterer Sturz sie in tiefster Brust mit Unruhe erfüllte und das
unbedachte Vergehen sie quälte und obgleich sie sich in vielen
Gesprächen aus der Erinnerung vor Augen führten, mit wie vielen
Gütern und wie großem Reichtum sie vorher ausgestattet gewesen
waren und in einen wie großen Mangel sich dieser dagegen jetzt
verwandelt hatte, war ihr Schmerz über das begangene Verbrechen,
den Verlust ihrer Güter und die harten Mühen ihres Lebens doch
durchaus nicht so groß wie die Freude über die selbstlose Liebe des
Herrn im Hinblick auf den verheißenen Sohn, der alles, was
zugrundegerichtet worden war, vollkommen wiederherstellen und der
Schlange den Kopf zertreten würde. Daher waren sie frohen Mutes und
hoben heitere Gesichter zum Himmel auf; daher richteten sie ihren
Sinn aufs Himmlische und rühmten und priesen Gottes Gnade. Sie
schmachteten danach, daß jener Sohn möglichst bald geboren werde;
überall sangen sie von dem Sohn, ständig führten sie den Sohn im
Munde, und auf dies eine sannen sie Tag und Nacht und stärkten ihr
zaghaftes Herz mit der Kraft des Sohnes.
Dies verdroß Satan und
seine Gefährten über die Maßen. Der Hochmut, dem sie ihr Herz
geöffnet hatten, hatte sie einst gleichzeitig aus dem Himmel
vertrieben. Als er mit ihnen auf einem hohen Hügel beisammensaß,
begann er: „Kameraden! Ich meine, wir sollten uns über unseren
Verlust und unseren Sturz aus dem Himmel nicht länger grämen. Die
Gegenwart gibt uns eher Anlaß zu gewaltiger Freude. Es sind nämlich
schon feste Grundlagen für unsere Herrschaft
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<37> Iacta, triumphales porgit victoria palmas.
Vicimus egregiè bellos telluris alumnos
Dedecus in nostrum cretos laudemque Tonantis:
Nobiscum faciunt, ruperunt frena iugumque
Impositum. Porrò nostrum accepere lubentes,
Ponendi cuius dabitur pòst copia nunquam.
Nec maculas nostro suasu technisque dolosis
Contractas penitusque acceptum corde venenum
Non rapidus Tigris, non fertilis Euphrates nec
Immensus Ganges, non septena ostia Nili,
Nec maria Oceanusque vagus, qui circuit orbem,
Eluet. Ad nostrum cessere haec omnia votum.
Deinde videndum autem, ne detrimenta sequantur,
Res siquidem parere ingenteis partasque tueri,
Ut non offendas multos maneasque pericla,
Haud video, ut possit fieri. Irritavimus in nos
Non leviter coeli Dominum rerumque parentem,
Noxaeque addidimus ferventi plura priori
Seductis vafra teneris mortalibus arte.
Quid verò nostra? Iurati, scilicet hoc est,
Quod cupimus volumusque adeò aeternumque volemus.
Ast ille iratus multa ac horrenda minatur:
Nempe fore, ut pariat violentum foemina germen,
Quod nostras contra vires astusque potentes
Bella gerat tentetque armata occurrere dextra
Comminuatque caput nostrum regnumque valenti
Impete disperdat tandem nobisque subactum
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gelegt; die Siegesgöttin reicht uns zum Triumph den Palmzweig. Wir
haben über die hübschen Erdenzöglinge, die zu unserer Schmach und
zum Lobe des Donnerers entsprossen sind, einen vortrefflichen Sieg
errungen. Sie machen mit uns gemeinsame Sache! Sie haben die Zügel
und das auferlegte Joch zerbrochen, andererseits aber willig das
unsere auf sich genommen. Dies später abzuwerfen, werden sie
niemals Gelegenheit haben! Den Schandfleck, den sie sich durch
unseren Rat und unsere trugvollen Schliche zugezogen haben, und das
Gift, das völlig in ihr Herz eingedrungen ist, werden der reißende
Tigris, der fruchtbare Euphrat, der unermeßliche Ganges und die
sieben Mündungen des Nils nicht abwaschen, auch nicht die Meere und
der weitläufige Ozean, der den Erdkreis umschließt. Dies alles ist
nach unserem Wunsch verlaufen. Nunmehr müssen wir aber achtgeben,
daß nicht eine Schlappe nachfolgt, da es meiner Meinung nach ganz
unmöglich ist, ein gewaltiges Vorhaben ins Werk zu setzen und nach
seiner Vollbringung zu verteidigen, ohne viele vor den Kopf zu
stoßen und sich Risiken auszusetzen. Wir haben den Herrn des
Himmels und Schöpfer der Welt in nicht geringem Maße gegen uns
aufgebracht und unserer früheren hitzigen Untat Weiteres
hinzugefügt, indem wir die schwachen Sterblichen mit pfiffiger List
verführten. Doch was ist unsere Aufgabe? Meine Verschworenen,
gerade dies ist es ja, was wir so stark wünschen und begehren und
in Ewigkeit begehren werden! Jener aber ist erzürnt und droht uns
viele schreckliche Dinge an: es werde nämlich geschehen, daß eine
Frau einen ungestümen Sproß zu Welt bringen werde, der gegen unsere
Truppen und mächtigen Ränke zu Felde ziehen und es unternehmen
soll, ihnen mit bewaffneter Hand entgegenzutreten; der unser Haupt
zermalmen, unsere Herrschaft schließlich in mächtigem Ansturm
zugrunderichten, uns das unterworfene
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<38> Terrigenûm genus eripiat claroque triumpho
È laeti vinclis in coeli transferat arces.
Vidimus, ô socii, praeludia clara minarum.
Nam simulac habuere fidem de semine dictis,
Iniectas à me virtus divina catenas
Confregit manicasque arctas pedicasque resolvit.
Protinus hinc cristas illi erexere, dolisque
Sunt digitos ausi medios ostendere nostris,
Insuper et torvo minitari ac ludere vultu.
Tantum credulitas potuit vesana fidesque.
Praeterea irrident salsè nos, iuraque nostra
Non flocci faciunt, semen memorantque canuntque
Inter opus, seram vel quando crepuscula noctem
Vel lucem referunt, quum coenam aut prandia sumunt,
Et mage, quum pinguis sacras procumbit ad aras
Victima. Tum verò Regis promissa superni
In mentem revocant alteque ad sidera tollunt,
Idque in contemptum nostri ipsorumque salutem.
Attamen hinc animis frangi nolite. Duo sunt
Ad disturbanda haec, quae pòst curemus oportet.
Primùm noticiam promissi seminis imis
Vellere pectoribus, parvo quod posse labore
Colligo, fixa gerant penitus cum spicula nostra,
Virus et infusum cunctos pervaserit artus.
Sunt quoque natura fragiles, multumque dolosae
Versutaeque gerunt suadelae obnoxia corda
Adque levem quamvis auram huc mutantur et illuc.
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Geschlecht der
Erdenkinder entreißen und es, von seinen Fesseln befreit, in
glänzendem Triumph in die Burg des frohlockenden Himmels geleiten
soll. O Kameraden, wir haben deutliche Vorspiele dieser Drohungen
gesehen! Denn sobald sie den Reden von dem Sohn Glauben geschenkt
hatten, zerbrach die göttliche Tugend die ihr von mir angelegten
Ketten und löste die engen Hand- und Fußfesseln. Sogleich schwoll
ihnen der Kamm, und sie wagten, unseren Ränken den Mittelfinger zu
weisen und uns überdies mit wilder Miene zu bedrohen und zum besten
zu haben. Soviel vermochten wahnwitzige Vertrauensseligkeit und
Gutgläubigkeit! Außerdem überziehen sie uns mit beißendem Spott und
scheren sich nicht um unsere Rechte. Von dem Sohn sagen und singen
sie: wenn sie arbeiten, wenn die Dämmerung die späte Nacht oder den
Tag verkündet, wenn sie zu Abend oder zu Mittag essen und noch
mehr, wenn ein fettes Opfertier auf den Altar niedersinkt. Dann
besinnen sie sich vollends auf die Versprechen des himmlischen
Königs und heben sie hoch zu den Sternen empor – und dies uns zur
Schmach und sich selbst zum Heil. Doch laßt darum den Mut nicht
sinken! Es gibt zwei Mittel, um dies zu vereiteln; um sie müssen
wir uns gleich hernach bekümmern. Erstens kommt es darauf an, das
Wissen von dem verheißenen Sohn aus dem Grunde der Herzen zu
reißen. Nach meinem Urteil ist dies mit geringer Mühe möglich ist,
da unsere Pfeile fest und tief in ihnen stecken und das
ausgeströmte Gift alle Glieder erreicht hat. Sie sind auch von
Natur gebrechlich, haben Herzen, die für ränkevolle, verschlagene
Überredung sehr anfällig sind, und der leiseste Lufthauch läßt sie
hierhin und dorthin schwanken.
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<39> Alter erit labor, exortum disperdere semen
Insidiasque illi quovis componere pacto,
Ut cadat et terra semel eradatur ab omni
Confestim, nec ferre, quoad nos perdat adultum.
Huc incumbamus vigiles, circumque caducos
Terrigenas semper versemur, nec vel ad horam
À contemptorum libeat discedere planta,
Ut, quum prompta locum nostris occasio cedet
Fraudibus, adsimus curemusque omnia dignè
Imperio aeternosque illos ducamus in ignes.“
Sic ait. Atque
homines denso circùm agmine stipant
Ilicet et cernunt hilares instare labori
Et canere auditum fausto de germine Verbum.
Unde lupi ceu, quos et hyems ac improbus urget
Venter, circuitu crebro rimantur ovile,
Caedibus ingluviem cupidi satiare voracem,
Sed munitae arcent caulae vigilesque Molossi,
Haud secus illi aditus quaerebant fraudibus omnes.
At verò impediunt totius rara diei
Ocia. Cor verbo, manus est intenta labori,
Aut lassata gravi retinentur membra sopore.
Ergo fremunt dubii, quanam exitiosa quietis
Consilia exponant odiumque Tonantis amarum
Instillent secumque trahant ad Tartara lapsos.
Nulla oblata diu versutae occasio fraudi.
Tandem lassa casam repetens iam vespere viso
Foemina fasciculum lentis tulit atque comedit
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Unsere zweite Aufgabe wird es sein, den Sohn, sobald er
erschienen ist, zu verderben und ihm auf jede nur mögliche Weise
nachzustellen, damit er zu Fall kommt und sogleich ein für allemal
von der ganzen Erde vertilgt wird; wir dürfen ihn nicht solange
dulden, bis er herangewachsen ist und uns vernichtet.
Hierauf laßt uns wachsam hinarbeiten! Laßt uns unablässig um die
hinfälligen Erdenkinder herumstreichen und uns, wenn die Stunde da
ist, von dem Sprößling der Verächter nicht entfernen, so daß wir,
sobald die Gelegenheit unseren Betrugsmanövern willfährig das Feld
überläßt, zur Stelle sind, alles auf eine unserer Herrschaftsgewalt
angemessene Weise besorgen und jene ins ewige Feuer führen!“
So sprach er. Und
sogleich umringten sie die Menschen in dichtem Gewimmel und wurden
gewahr, wie diese in heiterer Stimmung eifrig ihrer Arbeit
nachgingen und von dem Wort sangen, das sie bezüglich des
heilbringenden Sohnes gehört hatten. Wie die Wölfe, denen Winter
und grausamer Hunger hart zusetzen, immer wieder spähend den
Schafstall umkreisen, voller Gier, mit einem Blutbad den gefräßigen
Schlund zu sättigen – doch sichere Hürden und wachsame Hunde halten
sie fern: ebenso trachteten daher jene, mit Lug und Trug überall
Eingang zu finden. Aber die Tatsache, daß es den ganzen Tag über
nur selten Zeiten der Muße gab, versperrte ihnen den Weg. Das Herz
war mit dem Wort, die Hand mit der Arbeit beschäftigt – oder tiefer
Schlaf fesselte die ermatteten Glieder. Also erhoben sie murrend
ihre Stimme, unschlüssig, auf welche Weise sie denn den friedvoll
Lebenden ihre unheilvollen Ratschläge nahebringen, ihnen bitteren
Haß auf den Donnerer einflößen und die Gestrauchelten mit sich in
die Hölle schleppen könnten. Lange Zeit ergab sich keine
Gelegenheit für ihren hinterhältigen Betrug. Endlich einmal kehrte
die Frau, als der Abendstern schon zu sehen war, mit einem kleinen
Bündel mit Linsen müde in ihre Hütte zurück und verzehrte allein
ihre Mahlzeit,
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<40> Sola, prius fosso quàm vir remeasset ab agro.
Hinc somnum capiente illo noctem ipsa trahebat
Insomnem inque latus sese torquebat utrumque.
Talia tum daemon vacuas oggannit in aures:
„Peccasti nimium,
mulier, transgressa Tonantis
Mandatum vetitaque vorans ex arbore poma.
Nempe superba bonum novisse malumque volebas.
Nosti et habes. Poteris iam docta parare triumphum
Noticiaque alta cum ipsis contendere divis.
At simul aeternae mortis sic iura subisti
Peccatique graves morsus et numinis iram.
Praetereo aerumnas hasce infandosque labores,
Sole sub infesto quos te sufferre necessum est.
Hactenus ignotos partus tibi mitto dolores,
Quos, quàm ferre voles, Stygias magis ibis ad umbras.
Imperium quoque saepe viri tolerabis iniquum,
Quantumvis nunc sit lenis tibi et imperet aequus.
Haec infanda tamen si detrimenta subisses
Sola et pro meritis ferres condigna superbis,
Non tantum admissum facinus foret. Ast in easdem
Traxisti aerumnas tecum et mala damna maritum.
Iam quid eum sentire putas? quantumque furorem
Quamvis sub tacito caelare et pectore miti?
Praesentis praesens audivisti ipsa querelas.
Scilicet occidisti illum tu sola beatisque
Eiecisti hortis, quando interdicta dedisti
Poma, vafri auscultans verbis monitisque draconis.
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bevor ihr Mann vom
umgepflügten Acker heimgekehrt war. Darauf verbrachte sie, während
dieser schlief, eine schlaflose Nacht und wälzte sich von einer
Seite auf die andere. Da schwätzte ein Teufel folgendes in ihr
unbeschäftigtes Ohr:
„Allzu sehr hast du
gesündigt, Frau, indem du das Gebot des Donnerers übertratest und
den Apfel von dem verbotenen Baum aßest. Hochmütig wolltest du ja
wissen, was gut und böse ist. Nun weißt du es und verstehst es. So
belehrt wirst du dir jetzt einen Sieg erringen und aufgrund deiner
tiefen Kenntnis mit den Himmlischen selbst wetteifern können.
Zugleich aber bist du auf diese Weise der Herrschaft des ewigen
Todes, schwerer Sündenpein und dem Zorn Gottes verfallen. Zu
schweigen von diesen Plackereien hier und den unsäglichen Mühen,
die du unter einer feindseligen Sonne ertragen mußt. Die dir bisher
unbekannten Schmerzen der Geburt will ich gar nicht erwähnen; ehe
du sie ertragen willst, wirst du lieber zur stygischen Schattenwelt
niederfahren. Oft wirst du auch die unbillige Herrschaft des Mannes
erdulden – wie mild er dich jetzt auch behandeln und wie gerecht er
jetzt auch über dich herrschen mag. Wenn du indes allein diese
unsäglichen Mißhelligkeiten auf dich gezogen hättest und sie als
angemessene Strafe für den Hochmut trügest, dessen du dich schuldig
gemacht hast, wäre das begangene Verbrechen nicht so groß. Nun hast
du aber deinen Mann mit dir in die gleichen Plackereien und
schlimmen Nöte hineingezogen. Und dann: was glaubst du, wie er
denkt und wie große Wut er in seinem Herzen verbirgt – so still und
sanftmütig es immer sein mag? Du hast seine Klagen höchstpersönlich
gehört. Du allein hast ihn nämlich ins Verderben gestürzt und aus
dem gesegneten Garten vertrieben, als du den Worten und
Aufforderungen der listigen Schlange folgtest und ihm den verbotenen
Apfel gabst.
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<41> Quid dein posteritas de te omnis dicet, eodem
Quam demersisti scelerato pessima facto?
Ecce trecenta omnis intra qui saecula lumen
Huius conspicient solis, ‚patrimonia primi
Ista boni’, dicent, ‚nobis liquere parentes.’
Tot rea nempe hominum facta es, quot vere sub omni
Gramina consurgent, foliis quot silva virebit
Omnis ubique, quot et claras lucere serena
Nocte vides stellas, retinet quot littus arenas.
Tantis pro culpis, si iam tibi terra dehiscat
Vivaque fulminibus terras trudare sub imas,
Attamen haud unquam condigna piacula solves.
Cur non suspendis te? cur non in caput alto
Desilis ab saxo? cur non te flumine mergis?
Non est, ut speres, facinus tibi tale remitti,
Numinis aut unquam nancisci posse favorem,
Quae genus humanum culpa mactaveris una.
Non vestro pro more Deus mutatur in horas:
Permanet aeternùm dirae sententia mortis.
Antè ruet solidata ardentis machina coeli
Inque chaos primum pulchrè digesta redibunt,
Quàm verbum ille suum mutet mendaxque putetur.
Quae spes, perpetuae quum te subiecerit irae
Teque ita commeritam lugubri addixerit Horco,
Inde aliquod redimat semen? Confidere noli.
Frustra iactatis semen noctesque diesque.
Scilicet à glabris lanam speratis asellis,
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Was wird ferner deine ganze
Nachkommenschaft von dir sagen, die du Erzsünderin durch dieselbe
Missetat zugrundegerichtet hast? Siehe, alle deine Nachkommen, die
in den folgenden dreihundert Generationen das Licht dieser Sonne
erblicken werden, werden sagen: ‚Dieses Erbe haben uns unsere
braven ersten Eltern hinterlassen!’ Du hast nämlich die Anklage so
vieler Menschen auf dich gezogen, wie Grashalme im ganzen Frühling
sprießen, wie Blätter über den ganzen Wald hin wachsen werden, wie
du in heiterer Nacht helle Sterne leuchten siehst und wie es Sand
am Meer gibt. Wenn sich dir jetzt die Erde öffnen und ein
Wetterstrahl dich bei lebendigem Leibe tief ins Erdreich schleudern
sollte, wirst du doch damit niemals die für eine so große Schuld
angemessenen Strafen ableisten. Warum erhängst du dich nicht? Warum
stürzt du dich nicht von einem hohen Felsen kopfüber in die Tiefe?
Warum ertränkst du dich nicht im Fluß? Es ist unmöglich, daß dir
ein solches Verbrechen – wie du wohl hoffst – vergeben wird oder
daß du, die du das Menschengeschlecht durch eine einzige Schuld
hingeopfert hast, jemals Gottes Gnade erlangen kannst. Gott ändert
euch zuliebe nicht mit jeder Stunde seine Meinung; die Verurteilung
zum gräßlichen Tode bleibt in Ewigkeit bestehen. Eher wird das fest
gefügte Gerüst des brennenden Himmels in sich zusammenstürzen und
eher wird die herrlich geordnete Welt wieder ins anfängliche Chaos
zurücksinken, als daß jener sein Wort abwandelt und als Lügner
dasteht. Er hat dich ewigem Zorn anheimgegeben und dich, die sich
so versündigt hat, der trauervollen Hölle zugesprochen. Was hoffst
du also darauf, daß der Sohn irgend etwas davon abgelten könnte?
Laß ab von deiner Zuversicht! Vergebens redet ihr Tag und Nacht von
dem Sohn! Erhofft ihr euch doch Wolle vom kahlen Esel,
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<42> Pumicibus siccis lymphas, et corpora tristi
Calfacitis fumo, et nudum spoliatis amictu.
Qualia sint, nescis, subitarum verba minarum?
Horrida dicuntur, fieri quae nolumus ipsi.
Dicimus adque metum, non ipsa ut facta sequantur.
Finge aliquod nasci verò, quod solvere leti
Vincla queat veniaque aliquos donare nocentes:
In numero illorum non es, nil pertinet ad te
Invisamque Deo et totius dedecus orbis.
Vana tibi obscuris oritur fiducia dictis.“
Talibus auditis
multum perterrita surgit
Durisque è stratis solito maturius exit
Eva haud certa satis, quid credat quidque sequatur.
Mallet non audisse unquam trepideque laborat,
Quo pacto inducat tantis oblivia curis.
Gnosia cerva velut lethali saucia telo
Postpositis cunctis herbosam currit in Idam
Dictamni[29] quaerens folium depascere
caldi,
Haud secus illa studet nescire audita, sed imis
Telum visceribis fixum virusque repungit
Semper discruciatque patens in pectore vulnus.
Ac magis atque magis multo cum murmure secum
Omnia solicitè verba expendit dubitatque,
An dictis tanquam veris consentiat, an sint
Vera magis nuper divino tradita verbo.
Primo mane statim
dius conspexit Adamus
Moestos uxoris vultus animumque iacentem.
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Wasser vom
trockenen Bimsstein, wärmt eure Leiber mit widerwärtigem Rauch, und
einem Nackten raubt ihr den Mantel! Weißt du nicht, mit welchen
Worten jähe Drohungen ausgesprochen werden? Man sagt entsetzliche
Dinge, von denen man selbst nicht will, daß sie geschehen, und wir
sagen unserer Furcht, daß ihnen keine Taten folgen. Nimm aber
einmal an, daß ein Wesen geboren wird, das die Fesseln des Todes zu
lösen und irgendwelchen Sündern Gnade zu erweisen vermöchte: du
bist nicht unter diesen! Auf dich hat es keinen Einfluß, und Gott
bist du verhaßt, und dem ganzen Erdkreis bist du ein Abscheu. Eitel
ist die Zuversicht, die dunklen Versprechungen zufolge in dir
aufkeimt!“
Als Eva solches
gehört hatte, fuhr sie in größtem Schrecken empor und verließ das
harte Lager früher als gewöhnlich. Sie war sich gar nicht recht
sicher, was sie glauben und wonach sie sich richten sollte. Sie
wollte lieber, daß sie es nie gehört hätte, und zerbrach sich
ängstlich den Kopf, wie sie so große Sorgen in Vergessenheit
tauchen könnte. Wie die kretische Hirschkuh, von tödlichem Pfeil
verwundet, alles andere hintansetzte und zum kräuterreichen Ida
lief, um ein Blatt vom feurigen Diptam zu fressen, so trachtete
jene danach, von dem, was sie gehört hatte, nichts zu wissen. Doch
der Pfeil steckte ihr tief und fest in den Eingeweiden, und das
Gift stach immer wieder und quälte in der Brust die offene Wunde.
Und mehr und mehr prüfte sie bei sich selbst – erregt und unter
vielem Gemurmel – alle Worte und war sich nicht sicher, ob sie die
Reden für wahr halten sollte: ob das, was ihr kürzlich mitgeteilt
worden war, mehr Wahrheit besäße als das göttliche Wort.
Am frühen
Morgen bemerkte der göttliche Adam sogleich die traurige Miene und
die Niedergeschlagenheit seiner Frau.
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<43> Miratur secum valde, subitaeque requirit
Causas moesticiae. Cui rem tandem ordine pandit
Ploratu lachrymisque piis verba inter obortis,
Ad similes quibus ipsum attraxit penè maritum.
Continuit tamen et sacro spiramine plenus
Suspirans tali solatur voce docetque:
„Agnosco clarè Satanae molimina pravi,
Ò mulier. Nobis coelestem nempe libenter
Suspectum faceret patrem atque odisse doceret,
Ut desperantes tenebrosa ad Tartara ferret.
Horrendum sanè peccatum admisimus ambo
Totique ingentem iacturam inveximus orbi
Humanumque genus culpis infecimus amplis.
Et quanquam fueris primaria causa malorum,
Nil tamen irascor tibi nec tantum imputo casum
Amplius. Ipse etiam culpam sum imitatus eandem.
Heu dolet ac doluit confestim pectore toto.
Nemo negat debere pati nos, quicquid acerbum est,
Si pater omnipotens pro tanta sumere culpa
Commeritas vellet poenas. At sponte misertus
Transtulit à nobis culpam poenasque futurum
In semen, quod nostro orietur sanguine quodque
His nos eripiet damnis nostrosque nepotes
Et teret astuti caput imperiumque draconis.
Audisti ipsa Dei veracia dicta benigni.
Multa quidem in terris patimur mala propter inhaerens
Peccatum vitiumque frequens motusque rebelles.
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Er verwunderte sich bei sich sehr und fragte nach dem Grund für die
plötzliche Traurigkeit. Endlich eröffnete sie ihm der Reihe nach
den ganzen Vorfall; dabei wehklagte sie, und bei ihren Worten
brachen ihr fromme Tränen hervor, durch die ihr Mann beinahe selbst
zum Weinen gebracht wurde. Er beherrschte sich aber und tröstete
und belehrte sie, erfüllt vom Heiligen Geist, unter Seufzen mit
folgenden Worten: „O Frau, ich erkenne deutlich die Bemühungen des
verworfenen Satans. Er würde uns den himmlischen Vater nämlich gern
verdächtig machen und uns lehren, ihn zu hassen, damit wir
verzweifeln und er uns zur finsteren Hölle schaffen kann. Wir haben
beide fürwahr eine schreckliche Sünde begangen; wir haben der Erde
einen gewaltigen Verlust zugefügt und das Menschengeschlecht mit
großer Schuld befleckt. Und obgleich du die unmittelbare Ursache
des Unheils gewesen bist, zürne ich dir doch keineswegs und rechne
dir unseren so tiefen Fall nicht länger an. Ich habe meinerseits
die gleiche schuldhafte Tat nachvollzogen. Ach, dies betrübt mich,
und es hat mich seinerzeit von ganzem Herzen betrübt.
Niemand bestreitet, daß wir alle nur mögliche Bitternis erdulden
müßten, wenn es der Wille des allmächtigen Vaters wäre, an uns die
für eine so große Schuld verdienten Strafen zu vollziehen. Doch er
hat freiwillig, aus Barmherzigkeit, unsere Schuld und unsere
Strafen von uns auf seinen künftigen Sohn übertragen, der aus
unserem Geschlecht hervorgehen und uns und unsere Nachkommen von
diesen Übeln befreien und das Haupt und die Herrschaft der
arglistigen Schlange zertreten wird. Du hast selbst die Wahrheit
verkündenden Worte des gütigen Gottes vernommen. Zwar erleiden wir
auf Erden viele Übel wegen der uns anhaftenden Sünde, wegen unserer
häufigen Vergehen und unserer widersetzlichen Regungen.
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<44> Corpora nostra quoque ut sunt è tellure creata,
In terram rursus fato cogente redibunt.
Tolli aliter carnis nequit haec malesana voluntas,
Raptis spiritui semper quae pugnat habenis.
Hinc iactura tamen nulla. Illo semine rursus
Vivent, cumque lucro victa de morte resurgent
Lucidiora astris, vegeta, immortalia, sancta.
Tum requies nobis dabitur mercesque laborum,
Heredesque Dei aeterno regnabimus aevo.
Haec, licet immeritis et peccatoribus, ultro
Pollicitus Deus est. Quare, charissima coniunx,
Constanter debes divino credere verbo,
Non adeò, quantum peccaris, volvere semper
Nec quaenam sis digna pati, sed lumina mentis
In repromissum potius contendito gnatum,
Omnis uti culpae vadem poenaeque solutorem.
Assiduè si non firmeque aspexeris illum,
Non poteris noxas Horcique evadere fauces.
Sic Domino placuit, sola ut fiducia gnati
Spem faciat vitae ac tollat miseratio culpam.
In quo irae quicquam contra nos atque nepotes
Pòst unquam remanere cave credasve putesve.
Quicunque in semen modò spemque fidemque locarint.
Perfectè illius fecit nos gratia missos.
Prae cunctis ideo, coniunx, amplectere semen
Corpore et aere suo luiturum crimina mundi.
Id nocte atque die ruri meditare domique.
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Auch werden unsere Leiber, wie sie aus
Erde geschaffen sind, unter dem Zwang des Todes wieder zu Erde
werden: Anders kann dieser unsinnige Wille des Fleisches nicht
gebrochen werden, der die Zügel ergriffen hat und ständig dem Geist
widerstrebt. Doch bedeutet dies keinen Verlust. Dank jenem Sohn
werden die Leiber wieder leben und, nachdem der Tod besiegt ist,
mit Gewinn wieder auferstehen: leuchtender als die Sterne,
lebendig, unsterblich und heilig. Dann werden uns Friede und Lohn
für unsere Mühen zuteil werden, und als Erben Gottes werden wir in
alle Ewigkeit herrschen. Dies hat Gott uns freiwillig versprochen,
obwohl wir unwürdige Sünder sind. Deshalb, liebste Frau, mußt du
dem göttlichen Wort unerschütterlich glauben. Du darfst nicht
ständig soviel darüber nachdenken, wie sehr du gesündigt und welche
Leiden du wohl verdient hast. Richte die Augen des Geistes vielmehr
auf den verheißenen Sohn – als denjenigen, der für deine ganze
Schuld bürgt und für deine Strafe bezahlt. Wenn du deinen Blick
nicht unablässig und fest auf ihn gerichtet hältst, wirst du der
Schuld und dem Schlund der Hölle nicht entgehen können. So hat es
dem Herrn gefallen, daß allein der zuversichtliche Glaube an den
Sohn auf das Leben hoffen läßt und das Erbarmen die Schuld
hinwegnimmt. Hüte dich, zu glauben oder zu meinen, daß er jemals
danach noch gegen uns und unsere Nachkommen in irgendeiner Weise
erzürnt sein werde! Jeder richte seine Hoffnung und seinen Glauben
nur auf den Sohn! Dessen Gnade hat uns vollständig freigesprochen.
Daher, Frau, liebe vor allem den Sohn, der mit seinem Körper und
mit seinem Vermögen für die Sünden der Welt büßen wird. Denke
daran Tag und Nacht, auf dem Feld und im Hause!
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<45> Ex animis id nulla tibi tentatio vellat.
Quin nec venturum dubites, mendacia vero
Impingens patri, tibi nec persuadeat ullus,
Sive bona genius specie pertentet adortus
Sive mala, in numero te illo non esse, quibus sint
Peccata ob semen penitus donata futurum.
Seminis, ô coniunx, praesertim pertinet ad nos
Gratia, ut autores fuimus noxaeque malique.“
Reddidit his animum
dictis, semenque profundo
Firmiter infixit cordi pòst arte movendum
Serpentis nulla aut angusti turbine cordis.
Satyra quarta.
Saepe rogas, quum tot nostro sint tempore sectae
Et tot praeclari pariter doctique magistri
Illarum capita, ex cunctis ego quam sequar unam
Quodque caput doctrinae habeam, vestigia cuius
In sacris imiter dubiisque per omnia credam.
Quippe negas te posse meis haec noscere scriptis.
Quod miror, cuivis quum sit cognoscere promptum.
Expediam paucis, adeò quum scire labores.
Principiò Christi me de grege noris IESU
Credere constanter sanctorum symbola patrum
Sanctis nimirum penitus conformia scriptis.
Illa caput fidei, scopus at verò unicus ille,
Qui caput antiqui contrivit morte draconis.
Haec mihi secta placet, sancta est Ecclesia doctrix,
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Keine Versuchung möge dir dies aus dem Herzen reißen. Zweifle
nicht an seiner Ankunft, indem du dem Wahrheit redenden Vater Lügen
unterstellst. Ob nun ein gutartiger oder ein böswilliger Geist dich
in Versuchung zu führen sucht: keiner möge dich dazu überreden, daß
du nicht zur Zahl derer gehörest, deren Sünden im Hinblick auf den
künftigen Sohn vollständig vergeben sind! Die Gnade des Sohnes, o
Frau, erstreckt sich besonders auf uns, da wir die Urheber der
Schuld und des Übels waren.“
Mit diesen Worten
gab er ihr neuen Mut und prägte den Sohn tief ihrem Herzen ein, der
von nun an durch keine List der Schlange und keine Unruhe des
beengten Herzens zu verdrängen war.
Vierte Satire
Du fragst oft, da es doch zu unserer Zeit so viele
Glaubensrichtungen gibt und so viele zugleich hochansehnliche und
gelehrte Anführer an ihrer Spitze stehen, welcher von allen ich
einzig folge, wer mir als oberste Lehrautorität gilt, wessen Spuren
ich mich in geistlichen Dingen anschließe und im Zweifelsfall in
allen Stücken Glauben schenke. Du bestreitest ja, daß man dies aus
meinen Schriften ersehen könne. Das wundert mich, denn es ist für
jeden leicht zu erkennen. Da du so darauf brennst, es zu erfahren,
werde ich es kurz darlegen. Erstens sollst du wissen, daß ich zur
Gemeinde Jesu gehöre und ohne Wanken an die Bekenntnisse der
heiligen Väter glaube, die mit der Heiligen Schrift ohne Zweifel
vollkommen übereinstimmen. Sie sind die Quelle des Glaubens; sein
Ziel aber ist wahrlich allein jener, der durch seinen Tod das Haupt
der alten Schlange zertreten hat. Diese Glaubensrichtung sagt mir zu.
Meine Lehrmeisterin ist die heilige Kirche,
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<46> Quae coelestem etiam ipsa audit sequiturque
magistrum.
Doctores alios tantum sectorque coloque,
Quantum spiritui dixerunt consona sancto,
Addictus nulli nullique innixus ubique,
Quandoquidem hoc pravum rixasque et schismata gignit
Maxima, quod primis fidei crescentis ab annis
Hactenus et nostro luculentè cernitur aevo.
Nam solet unusquisque suum praeferre magistrum
Omnibus atque alios turgenti spernere fastu.
Tum quoque defendunt errores pravaque laudant
Dicta sui, reprobant aliorum recta vicissim
Perpetuoque student falsis ridere cavillis.
Quid damni hinc surgat certi quantumque furoris,
Dicere nemo potest satis. Hoc constare fatentur
Ipsos hosce sibi limen praecludere veri
Respectuque hominis miseri se reddere luscos.
„Hic prior est“, aiunt, „hic doctior“; „At meus ille
Lenior.“ Ast alter, „Meus est facundior“, inquit;
„Verior est meus“; „Imò meus“, delitigat alter,
„Omnia solus habet nec cuiquam cesserit hilum.“
Hunc urbes multae proceresque ducesque sequuntur
Discipulosque habet innumeros summumque favorem.
Lemma ex adverso subvertere nititur alter:
Perpaucorum hominum verum rectumque fuisse
Semper et occultè latum repsisse per orbem.
Isse ferè densas ad Tartara caeca cohortes,
Nec minus ac vulgus proceres errare ducesque
|
die auch selbst auf den himmlischen Lehrmeister
hört und ihm nachfolgt. Anderen Lehrern schließe ich mich nur
insoweit an und verehre sie nur insofern, als das, was sie gesagt
haben, mit dem Heiligen Geist in Einklang steht. Niemandem bin ich
verpflichtet, und an niemanden in der Welt lehne ich mich an, denn
dies ist verkehrt und erzeugt Streitigkeiten und größte Spaltungen,
wie wir es seit den Anfangsjahren des aufkeimenden Glaubens und
sehr deutlich in unserer Zeit beobachten können. Jeder pflegt
nämlich seinen Lehrer allen anderen vorzuziehen und auf andere
stolzgeschwellt herabzusehen. Sodann verteidigt man auch die
Irrtümer und preist die falschen Aussagen seines Lehrers und
verwirft dagegen die richtigen Aussagen der anderen und sucht sie
ständig mit unbegründeten Spötteleien lächerlich zu machen. Was für
Schaden hieraus mit Sicherheit erwächst und wieviel Aufruhr es zur
Folge hat, vermag niemand hinlänglich zu beschreiben. Man
verkündet, es stehe fest, daß diese da sich selbst den Zugang zur
Wahrheit verschlössen und sich mit Rücksicht auf einen armseligen
Menschen selbst halbblind machten. Man sagt: „Dieser ist besser!
Dieser gelehrter!“ – „Meiner da ist aber sanfter!“ Der eine aber
sagt: „Meiner kann besser reden! Meiner ist aufrichtiger!“ – „Nein,
meiner!“ ereifert sich der andere. „Meiner vereinigt alle Vorzüge
auf sich allein und wird niemandem im geringsten nachstehen.“ –
Diesem folgen viele Städte, Adlige und Fürsten; er hat zahllose
Schüler und steht in höchster Gunst. Ein zweiter ist im Gegensatz
dazu bestrebt, die Voraussetzung dafür umzustürzen: das Wahre und
Rechte sei immer eine Sache von sehr wenigen Menschen gewesen, und
es bewege sich in der weiten Welt nur langsam und im Verborgenen
voran. In der Regel seien dichtgedrängte Scharen zur finsteren
Hölle gezogen; Adlige und Fürsten irrten nicht weniger als das gemeine
Volk
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<47> Atque suis primis solum auscultare magistris,
Qualiacunque ferant. Non multum habuisse favoris
Legatos Domini quondam sanctosque prophetas.
„Est meus inter aves Phoenix vel fulminis ales“,
Ille inquit tumidus, „clara inter sidera Phoebus,
Inter et est elephas spaciosae animantia terrae,
Squammosos inter pisces et nantia cetus“,
Nec scit, coelorum quanam sit parte locandus.
Contrà alius ridet laudemque refellit inanem
Et dubitantem coelo deturbat ab alto
Praecipuosque suo tradi contendit honores.
Sic parte ex omni tristis contentio gliscit
Infaustumque odium multos stabilitur in annos,
Mutuò quum sese partes rodantque vorentque.
Ista novem quondam sectae fecere sophorum,
Quaeque suum pugnans non delirasse magistrum,
Quum delirarint tamen omnes, re nec in una.
Humana in peius natura semper eunte,
Corde malis nec dum pulsis affectibus imo,
Quid ni delirent et nunc errentque frequentes?
Cernere nec possit clarè quisquam omnia solus?
Ergo post Christum et fidei fundamina prima
Perlego, quos possum, nullius sperno labores
Decerpoque mihi, quae consentanea vero
Et sanctis propius sunt visa accedere scriptis.
Sic quondam Potamon secta collegit ab omni
Optima quaeque sibi et corpus congessit in unum
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und hörten nur auf ihre alten Lehrer, was immer diese auch
vorbrächten. Die Gesandten des Herrn und die heiligen Propheten
hätten sich seinerzeit keiner großen Gunst erfreut. – Jener sagt mit
geschwellter Brust: „Meiner ist unter den Vögeln der Phönix oder
der Adler Jupiters, die Sonne unter den glänzenden Sternen! Er ist
der Elefant unter den Tieren des weiten Landes und unter den
schuppigen Fischen und den Schwimmtieren der Walfisch!“ – und er
weiß gar nicht, in welchem Teil des Himmels dieser wohl anzusiedeln
ist. Ein anderer hingegen macht sich darüber lustig, weist das Lob
als unbegründet zurück, stürzt den Schwankenden aus dem hohen
Himmel und arbeitet darauf hin, daß ganz besondere Ehrungen seinem
Lehrer erwiesen werden. So breitet sich in jeder Hinsicht
verderbliche Zwietracht aus, und für viele Jahre befestigt sich
unseliger Haß, da die Parteien sich gegenseitig benagen und
verschlingen. Genau dies haben einst die Schulen der neun Weisen
getan: jede kämpfte darum, daß ihr Lehrmeister nicht geirrt habe,
während doch alle – und nicht nur in einem Punkt – auf dem Holzweg
waren. Die menschliche Natur neigt sich stets zum Schlechteren hin,
und im Innern des Herzens herrschen noch nicht überwundene böse
Empfindungen vor: warum sollte es in Anbetracht dessen nicht
möglich sein, daß auch heute zahlreiche Menschen fehlgehen und sich
irren? Wie, wenn es niemanden gäbe, der allein alles klar erkennen
könnte? Also lese ich nächst Christus und den wichtigsten
Grundlegungen des Glaubens so viele Autoren, wie ich vermag, und
verachte niemandes Arbeiten. Ich suche mir heraus, wovon ich den
Eindruck hatte, daß es mit der Wahrheit übereinstimmt und der
Heiligen Schrift ziemlich nahe kommt. So hat einst Potamon von
allem, was jede Schule lehrte, das für ihn Beste gesammelt und zu
einem Werk zusammengefaßt –
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<48> Addictus nulli nullamque per omnia laudans,
Haud falsò ratus hoc calle hacque indagine tandem
Posse se ad occulti penetrare cubilia veri.
Terreni nihil est perfectum. Naevus inhaeret
Corporibus, longè quae tu pulcherrima ducas,
Falsaque cum veris primo nascuntur ab aevo.
Non una clarus speravit virgine Zeuxis
Formosam condignè Helenam se pingere posse.
Nonne vides et apes non uni insidere flori
Nec succo unius contentas pascier herbae?
Cuncta nec exsugunt pariter, sed commoda solum,
Unde favos cerasque creent et dulcia mella,
Caetera vesparum generi muscisque relinquunt.
Sic cunctis etiam haud imitandus in artibus unus.
Cuique suum agnatum quoddam viciumque decusque est,
Utraque sed stulti passis amplectier ulnis.
Unius ob precium num vilia multa probabis?
Unus in hoc multum valet et sine compare rex est,
Deficit at contrà fermeque est nullus in illo.
Omnia summa dedit nulli natura creato.
Optat in errorem duci falsisque repleri,
Uni qui patulas duntaxat commodat aures.
Praepollet multum facundo Tullius ore,
Carminibus Maro, nec rectè converteris istos.
Euclides alio valet in genere ac Ptolemaeus.
Pythagoras tantum numeris sophiaque celebris,
Forsan idem nunquam posset praestare, quod illi.
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keiner Schule verpflichtet und keiner
in allen Stücken Beifall zollend. Nicht zu Unrecht war er
der Meinung, daß er auf diesem Pfad und vermittels dieser
Einkreisung schließlich zum eigentlichen Sitz der verborgenen
Wahrheit würde vordringen können. Nichts Irdisches ist vollkommen.
Körpern, die du für die weitaus schönsten halten könntest, haftet
ein Muttermal an, und zusammen mit dem Wahren kommt von jeher das
Falsche auf die Welt. Der berühmte Zeuxis machte sich keine
Hoffnung, daß er die schöne Helena nach dem Modell nur eines
einzigen Mädchens treffend würde malen können. Siehst du nicht, daß
auch die Bienen sich nicht nur auf einer Blüte niederlassen
und sich nicht begnügen, den Saft nur eines Krautes abzuweiden? Sie
saugen auch nicht gleichermaßen alles heraus, sondern nur das, was
ihnen zur Herstellung von Waben, Wachs und süßem Honig dienlich
ist; das übrige überlassen sie dem Geschlecht der Wespen und den
Fliegen. So darf man sich auch in jedweder Kunst nicht nur nach
einem einzigen richten. Jedem ist ein bestimmter, ihm eigener
Fehler oder Vorzug angeboren, aber ein Tor ist, wer beides mit
offenen Armen aufnimmt. Wirst du etwa viele wohlfeile Waren für gut
befinden, weil eine Qualität hat? Der eine ist in diesem Punkt sehr
wertvoll und darin ein König ohnegleichen, in jenem dagegen
unzulänglich und fast ein Niemand. Die Natur hat keinem Geschöpf
von allem nur das Beste verliehen. Wer nur für einen einzigen ein
offenes Ohr hat, der verlangt, daß man ihn in die Irre führe und
mit Falschem vollstopfe. Tullius zeichnet sich vor allen höchlich
aus durch seine Beredsamkeit, Maro durch seine Dichtungen, und man
könnte die beiden nicht gut vertauschen. Euklid hat seine Stärke
auf einem anderen Gebiet als Ptolemaeus. Pythagoras ist nur durch
seine Zahlenlehre und als Philosoph berühmt; möglicherweise könnte
er niemals dasselbe leisten wie jene.
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<49> Non est continuò sacram ascendisse cathedram
Dignus, qui septem didicisse agnoscitur artes,
Quando theiologum divinorum esse peritum
Convenit et longè divina humanaque distant.
Est, qui ritè fidem doceat, sed forsitan idem
In sacris errat signis absurdaque tradit.
Sic diversa docent diversi rectius, imò
Iisdem de rebus docet hic syncerius illo.
Cuiusque expendi promptè sententia debet,
Non recipi explodive autoris nomine tantum.
Quid, quod idem Paulus praescribit, ut omnia nempe
Quisque probet, sacri spernat neque munera flatus
Ulla? Legi vult nempe audirique omnia certo
Iudicio, quia nunquam homines syncera loquuntur
Cuncta malumque bonis sese commiscet ubique.
At bona duntaxat recipi sancteque teneri,
Porrò mali speciem vitari praecipit omnem.
Non tu grammatico solum contentus es uno.
Hic tradit melius syntaxin, at ille figuras,
Ille alias partes. Nullum tu negligis horum,
Dum plenam ex cunctis demum collegeris artem.
Et tu theiologum censes quenquam omnia rectè
Et docuisse satis? Paulus sentire loquique
Mandat idem, ne prava oriantur schismata passim.
Hoc aliter fieri nequit, ac si solius omnes
Discipuli simus Christi, spectemus et unum,
Praeterea nullis dedamus corda magistris.
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Jemand, von dem man weiß, daß er die Sieben Künste studiert hat,
ist deshalb nicht gleich würdig, die geistliche Kanzel zu
besteigen, da er ja die göttlichen Theologen kennen muß und ein
großer Unterschied zwischen göttlichen und weltlichen Dingen
besteht. Da ist jemand, der den Glauben richtig lehrt – aber
vielleicht irrt derselbe Mann in den Sakramenten und trägt
Widersinniges vor. So lehren verschiedene Menschen auch
Verschiedenes richtiger – oder vielmehr: dieser lehrt auf demselben
Gebiet unverfälschter als jener. Jedermanns Meinung muß sogleich in
Erwägung gezogen, nicht aber nur im Hinblick auf den Namen des
Autors angenommen oder verworfen werden. Ja gerade dies schreibt
Paulus vor: daß nämlich jeder alles prüfen und keine Gabe des
Heiligen Geistes verachten solle. Er will nämlich, daß alles mit
sicherem Urteil gelesen und angehört wird, denn niemals reden
Menschen nur Unverfälschtes, und allenthalben mischt sich
Schlechtes unter das Gute. Nach seiner Lehre soll aber freilich nur
das Gute angenommen und hochgehalten, jedwedes Schlechte dagegen
gemieden werden. Du begnügst dich nicht mit nur einem Grammatiker.
Dieser lehrt die Syntax besser, jener aber die Figuren und wieder
ein anderer andere Gebiete. Du läßt keinen von diesen unbeachtet,
da du erst, wenn du alle zusammennimmst, die Kunst in ihrem ganzen
Umfang erfaßt hast. Und meinst du, daß es irgendeinen Theologen
gibt, der alles richtig und hinlänglich gelehrt hat? Paulus
gebietet uns, alle das gleiche zu denken und zu reden, damit nicht
überall schlimme Spaltungen entstehen. Dies kann auf keine andere
Weise geschehen als dadurch, daß wir alle allein Christi Schüler
sind, uns einzig nach ihm richten und unsere Herzen keinem Lehrer
sonst anvertrauen.
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<50> Ex variis constare sonis symphonia dulcis
Cernitur, ad certum nimirum astricta tenorem.
Qui solus vocem semper proclamat eandem,
Ridetur meritò, nihil atque à coccyge differt.
Satyra quinta.
Quid cupias, iuvenis bone, vix intelligo demum.
Doctor nimirum populi pastorque videri
Visque viam dici facilem tibi, qua citò possis
Inter praecipuos Christi emersisse ministros.
Rem cupis egregiam Tarsensis dicta secundum.
Munere Apostolico fungi res maxima longè est.
Nam quantum, nomen Christi illustrare docendo?
Non puto te spectare tamen, res ardua quàm sit,
Sed quàm felici videantur sorte ministri
Uti, quàm vulgo dites quantumque beati
Quantaque per totam concessa his ocia vitam.
Nam sic complures censent, sic reris et ipse.
Porrò Evangelium quoniam Christumque doceri
Qualibet ex causa Paulus tolerare videtur,
Commonstrabo viam, qua nanciscare cupita,
Nec te per salebras ducam et spineta tenellum
Nec per circuitus celsique acclivia montis,
Sed plana facilique via, quod velle fateris.
Nam sunt tres omnino viae, quarum una laboris
Plurimum habet, reliquae duro caruere labore.
Primitùs è coelis sancti didicere prophetae
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Man sieht, daß ein liebliches Konzert aus verschiedenen Tönen
besteht, obgleich es natürlich an eine bestimmte Vorgabe gebunden
ist. Wer für sich allein immer dasselbe tönt, wird zu Recht
verlacht und unterscheidet sich in nichts von einem Kuckuck.
Fünfte Satire
Jetzt verstehe ich erst, wonach es dich verlangt, guter Jüngling!
Du möchtest zweifellos als Lehrer und Hirte des Volkes gelten und
willst, daß man dir einen bequemen Weg weise, auf dem du schnell
unter die herausragenden Diener Christi aufzusteigen vermagst. Dich
verlangt nach einer herrlichen Sache, wie der Tarsenser sagt. Im
apostolischen Amt tätig zu sein, ist die bei weitem bedeutendste
Aufgabe. Denn wie großartig ist es, durch die Lehre den Namen
Christi zu verherrlichen! Doch ich glaube, du bedenkst nicht, eine
wie schwierige Angelegenheit dies ist. Vielmehr denkst du nur
daran, eines wie gesegneten Geschicks jene Diener sich zu erfreuen
scheinen, wie reich, wie überaus glücklich sie – nach der
Volksmeinung – anscheinend sind und wieviel freie Zeit ihnen
anscheinend ihr ganzes Leben hindurch zugebilligt wird. Denn so
denken ziemlich viele, und so denkst auch du. Da nun aber Paulus
offenbar jeden beliebigen Grund, das Evangelium und Christus zu
lehren, anerkennt, werde ich dir den Weg zeigen, auf dem du das
Begehrte erlangen kannst. Ich werde dich Zärtling weder durch
holpriges Gelände und Dornengestrüpp noch über Umwege und
ansteigende Hänge eines hohen Berges führen, sondern – ganz so, wie
es dein ausdrücklicher Wunsch ist – auf einem ebenen und leichten
Weg. Es gibt nämlich im ganzen drei Wege: einer von ihnen ist
höchst mühselig, die beiden übrigen haben kein hartes Mühen
erfordert. Die heiligen Propheten haben früher alles sogleich vom
Himmel gelernt:
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<51> Omnia continuò: divino pneumate nempe
Ingenii studium atque omnem supplente laborem.
Sic ex indoctis ac piscatoribus olim
Coelesti flatu subitò exiliere magistri,
Qui linguas norant omnes divinaque scripta,
Et nihil est illis operae, nil prorsus olivi
Insumptum. Ô si sic posses evadere magnus
Et mundi doctor fieri pastorque repentè,
Quandoquidem studium odisti longumque laborem!
Verùm eheu, iam nulla huius vestigia callis
Restant, et planè frigent coelestia nobis.
Ergo statim huic facili longis ambagibus alter
Successit trames saxis et sentibus horrens
Et vix ad summum post tempora longa cacumen
Perducens aliquos. Multos absterruit asper
Protinus atque aliò gressum vertisse coegit.
Nonnulli medio è cursu fugêre retrorsum
Et quóvis potius statuerunt ire locorum.
Iam fermè emenso spacio vertigine quidam
Delapsi dumis saxisque haesere propinquis
Aut ad radicem magna cecidere ruina.
Hanc quondam ignari rerum caecique parentes
Monstravere viam et carpserunt gnaviter ipsi,
Multum affligentes septenis artibus et se
Atque alios ferulisque manus et corpora dantes.
Quin etiam veterum studuerunt nosse sophorum
Dogmata, praesertim linguam callere Latinam,
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der Heilige Geist ersetzte nämlich jegliches geistige Streben
und Mühen. So wurden einstmals durch himmlischen Hauch ungelehrte
Fischer plötzlich zu Lehrern, die alle Sprachen und die heiligen
Schriften verstanden. Und sie brauchten keine Mühe, keinen Tropfen
Öl darauf zu verwenden! O, wenn du doch auf diese Weise mit einem
Schlage zu einem großen Mann, einem Lehrer und Hirten der
Menschheit werden könntest, da dir doch Studieren und weitläufige
Arbeit verhaßt sind! Doch ach! Heute sind keine Spuren von diesem
Pfad mehr vorhanden, und der Himmel ist für uns schlechthin
erkaltet. Also folgte auf diesen leichten Pfad sogleich ein
zweiter, der über lange Umwege führte, von Steinen und
Dornensträuchern starrte und nur einige wenige mit Mühe und Not
nach langer Zeit auf den höchsten Gipfel gelangen ließ. Viele
schreckte der holprige Weg sogleich ab und zwang sie, ihren Schritt
anderswohin zu lenken. Einige haben sich mitten auf der Reise
zurückgeflüchtet und beschlossen, lieber an einen beliebigen
anderen Ort zu gehen. Manche sind, nachdem sie den Weg schon fast
zurückgelegt hatten, infolge eines Schwindels ausgeglitten und in
Gestrüpp und angrenzenden Felsen steckengeblieben oder in mächtigem
Sturz bis zum Fuß des Berges gefallen. Diesen Weg haben früher die
ahnungslosen und verblendeten Vorfahren gewiesen und ihn selbst
emsig durchmessen, indem sie sich und andere heftig mit den Sieben
Künsten quälten und Hände und Leiber der Rute darboten. Ja sie
waren sogar bestrebt, die Lehren der alten Weisen zu kennen,
insbesondere in der lateinischen Sprache bewandert zu sein,
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<52> Rhetoras evolvisse omnes doctosque poetas,
Rerum et scriptores legesque et iura vetusta
Et quicquid patres olim scripsere colendi
(Si superant libri modò), quos ecclesia Christi
In sacris habuit doctos hucusque colonos.
Sunt, qui Graiorum quoque nosse elementa laborent
Ac Iudaeorum stridentis sibila linguae,
Quòd sacra nimirum sint Biblia scripta duabus
Inque crucis titulo pariter sit lecta Latina.
Infinitae operae via multorumque dierum,
Imò nec menses aliquot nec sufficit annus.
Vix tria lustra citum supremo in vertice sistunt.
Quid sumptus memorem studiorum quidque librorum
Immensum precium? Sunt, qui patrimonia tota
Talibus impendant, ut tandem vexet egestas
Coganturque emptos nuper divendere libros.
Hàc te non ducam, nec, quantum intelligo, duci
Ipse cupis. Superest levior protritaque multis.
Egregium inventum. Quid enim tot adire labores
Temporaque et sumptus tantos trivisse necesse,
Quum citò vel segnes haec per compendia possint
Et sumptu parvo ad summum evasisse cacumen?
Largiter errarunt illi multosque in eundem
Secum traxerunt errorem, me quoque stultum.
Haud meliora etenim poteram novisse puellus,
Quae Cortisani primùm invenere sagaces,
Pulpita qui scandunt deserto nuper equili.
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alle Rhetoren, gelehrten Dichter und Geschichtsschreiber,
Gesetze und altes Recht studiert zu haben, ferner auch alles, was
immer die verehrungswürdigen Väter, die die Kirche Christi bis
heute als theologisch gelehrte Kolonisten betrachtet hat, einst
geschrieben haben – soweit die Bücher nur überliefert sind. Es gibt
Leute, die sich bemühen, auch die Anfangsgründe des Griechischen
und das Gezisch der lispelnden Sprache der Juden zu verstehen, weil
die Heilige Schrift allerdings in diesen beiden Sprachen
geschrieben und in der Kreuzesinschrift zugleich die lateinische
Sprache zu lesen sei. Ein Weg, der unendliche Mühen und viele Tage
erfordert; besser gesagt: ein paar Monate reichen nicht, auch nicht
ein Jahr. Den, der sich beeilt, bringen kaum drei Jahrfünfte auf
den höchsten Gipfel. Was soll ich die Studienkosten erwähnen und
die unermeßlichen Ausgaben für Bücher? Es gibt Leute, die ihr
ganzes väterliches Erbe auf derlei verwenden, so daß schließlich
bittere Armut sie heimsucht und sie gezwungen sind, die kürzlich
erst erworbenen Bücher Stück für Stück zu verkaufen. Auf diesem Weg
werde ich dich nicht führen, und soweit ich sehe, bist du auch
selbst gar nicht begierig darauf. Es bleibt noch ein leichterer
Weg, der von vielen begangen wird. Eine vortreffliche Entdeckung!
Was muß man denn so viele Mühen auf sich nehmen, Zeit und soviel
Geld vertun, da doch selbst Träge dies auf kürzerem Weg schnell zu
erreichen und mit geringem Aufwand den höchsten Gipfel zu erklimmen
vermögen? Jene sind beträchtlich in die Irre gegangen und haben
viele mit sich auf denselben Irrweg gezogen – mich Toren
gleichfalls. Als Knäblein konnte ich nämlich durchaus keine
Kenntnis besitzen von dem besseren Weg, auf den zuerst gewitzte
Höflinge verfallen sind, die die Kanzeln besteigen, nachdem sie
kürzlich erst den Pferdestall verlassen haben.
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<53> Nunc Anabaptistae renovant, multique sequuntur.
Exponam brevibus, memori tu corde teneto.
Te reor à puero maternae idiomata linguae
Perdidicisse satis, super haec et scribere eandem
Et legere. Haud adeò magni haec didicisse negoci.
Hanc linguam exerce tantumque hac esto disertus.
Verba rotes quadam veluti contorta procella.
Non te sollicitent aliae nec trita Latina.
Non etenim populi peregrina voce docendi,
Sed vulgo nota, monuit quod Paulus et ipse.
Nec dubites unâ[30] te novisse omnia posse
Humana atque sacra et multos superare trilingues
Teutonicè. Quid enim iam non prostare videmus?
Primùm sacra vides non una Biblia forma
Et variis impressa locis. Capitum quoque summae
Praestantes nimium in templis vulgoque leguntur.
Quae si non adeò plenè tibi singula dicunt,
Commentatores pete, quorum maxima passim
Copia Teutonico tractantum mystica filo.
Multos invenies in quinque volumina Mosis,
In reliquos etiam magnos parvosque prophetas
Inque hagiographa (quae dicunt) pactique recentis
Omnia. Quid recitem Postillas ordine longo
Pro doctis scriptas solis vel plebe supina,
Quas vel publicitùs recites vel solus in arcta
Percurras cella? Communes deinde locos quid?
Quidque Catechismos dicam? quid caetera multa,
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Die Wiedertäufer bringen ihn jetzt wieder zur Geltung, und viele
folgen ihm. Ich werde ihn mit wenigen Worten darlegen. Bewahre du
ihn im Gedächtnis! Ich denke, daß du dir seit deinem Knabenalter
die Besonderheiten der Muttersprache ausreichend angeeignet hast
und diese darüber hinaus auch zu schreiben und zu lesen verstehst.
Dies gelernt zu haben, ist gar keine so große Sache. In dieser
Sprache übe dich, nur in ihr zeige Beredsamkeit! Wirble die Worte
herum – so als würden sie gewissermaßen in einem heftigen Sturm
herumgeschleudert! Andere Sprachen mögen dir keine Sorgen machen,
auch nicht das viel benutzte Latein. Hat doch auch Paulus dazu
ermahnt, die Völker nicht in einer fremden Sprache zu lehren,
sondern in einer dem gemeinen Mann bekannten. Zweifle auch nicht,
daß du vermittels einer einzigen Kenntnis von allen irdischen und
auch geistlichen Dingen haben kannst und auf deutsch viele
Dreisprachige zu übertreffen vermagst. Was sehen wir denn
heutzutage nicht zum Verkauf stehen? Zunächst einmal siehst du die
Heilige Schrift, in mehreren Fassungen und an verschiedenen Orten
gedruckt. Auch werden die wichtigsten Hauptteile der einzelnen
Kapitel in den Kirchen und im Volk überaus häufig gelesen. Wenn du
daraus Einzelnes nicht gar so vollständig entnehmen kannst, so
greife zu den Kommentatoren, die in großer Zahl allenthalben die
Glaubensgeheimnisse auf deutsch abhandeln. Du wirst viele finden,
die sich mit den fünf Büchern Mose beschäftigen, auch mit den
übrigen (großen und kleinen) Propheten, mit den sogenannten
Hagiographen und dem ganzen Neuen Testament. Wozu soll ich die
lange Reihe von Postillen herzählen, die nur für Gelehrte oder auch
für das müßige Volk geschrieben wurden – die du öffentlich
vortragen oder für dich allein im engen Kämmerlein überfliegen
magst? Wozu sollte ich ferner die „Loci communes“ aufzählen, wozu
die Katechismen und die vielen sonstigen Schriften,
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<54> Quae passim volitant animabus scripta docendis?
Praeterea Patrum quàm plurima versa videbis
Teutonicèque legi, si quid libeatque velisque.
Sed nihil est tibi opus. Melius docuere novelli
Omnia, quorum omnes etiam legisse libellos
Est infiniti pariter vanique negoci.
Insuper et magni sumptus emisse. Duobus
Aut tribus ad summum contentus dege. Locari
In meliora queunt nummi, si forsan abundas.
Rebus in humanis quid cuncta volumina narrem?
Omnia Teutonicè fermè nunc versa leguntur,
Quae Graecis fuerant tantum vel scripta Latinis.
Haec ideo dico, ut cognoscas prorsus ineptum
Atque supervacuum peregrinas discere linguas,
Quàm facilè et possis supremum scandere culmen,
Non pluteum ut multis oneres mentemque libellis
Teque adeò affligas etiam haec atque illa legendo.
Quando potares etenim? quando alea iactu
Infausto aut chartae tererentur denique pictae?
Quando circum agros ires et moenia longa
Fabellasque alto recitares cuique cachinno,
Si tot volvendi libri noctesque diesque?
Utere, uti dixi, paucis linguaque paterna,
Hoc satis est. Poteris linguae vulgata Latinae
Nomina colloquio vicini carpere dictis
Illaque Teutonicis crebrò interspargere dictis,
Quo pariter possis eius quoque gnarus haberi.
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die überall zur Belehrung der Geister herumschwirren? Wie
überaus zahlreiche Schriften der Väter werden zudem übersetzt und
auf deutsch gelesen – wie du bemerken wirst, wenn du Lust und Laune
haben solltest, dir etwas davon vorzunehmen! Doch das brauchst du
überhaupt nicht! Die neueren Autoren haben alles besser gelehrt.
Doch alle von ihnen verfaßten Bücher zu lesen, ist auch ein
gleichermaßen endloses wie unnützes Unterfangen. Obendrein
verursacht ihr Erwerb große Kosten. Begnüge dich in deinem Leben
mit zweien oder höchstens dreien! Das Geld kann man für Besseres
anlegen, falls du es etwa im Überfluß haben solltest. Wozu sollte
ich alle Bücher über weltliche Gegenstände aufzählen? Fast alles,
was Griechen und Römer nur geschrieben haben, kann man heute in
deutscher Übersetzung lesen. Dies sage ich deshalb, damit du
erkennst, wie volkommen abgeschmackt und überflüssig es ist, fremde
Sprachen zu lernen, und wie leicht du den höchsten Gipfel zu
erklimmen vermagst – so daß du dein Bücherbord und deinen Geist
nicht mit vielen Büchern belastest und dich auch nicht gar so sehr
abquälst mit der Lektüre von diesem und jenem. Wann solltest du
denn auch trinken? Wann sollten die Würfel zum unglücklichen Wurf
geschüttelt, wann schließlich die bemalten Karten gedroschen
werden? Wann solltest du um die Felder und langen Stadtmauern
spazieren und jedem unter lautem Gelächter Schnurren erzählen, wenn
es nötig wäre, Tag und Nacht so viele Bücher zu wälzen? Wie gesagt:
benutze nur wenige und bediene dich deiner Muttersprache, das
reicht! Gängige lateinische Ausdrücke wirst du dir im Gespräch aus
Äußerungen eines Nachbarn herauspicken und sie häufig in die
deutsche Rede einstreuen können – wodurch man dich gleichermaßen
für einen Kenner auch jener Sprache halten kann.
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<55> Quippe etiam mendax fortassis opinio fructum
Adferet et sacra dignum te sede loquetur.
Confidens esto verbis spiresque superbum,
De facieque omnem penitus deterge pudorem,
Ne taceas unquam aut medio sermone resistas.
Perpetuò dic, ut verbum concedere verbo
Vix possit. Rerum et verborum copia spumet.
Nec magni est istud cuivis fecisse laboris.
Nonne vides, agitata ut calculus alter in arca
Plus crepitet quàm tercentum vel mille lapilli?
Quod tibi doctrinae deest, id supplere licebit
Audaci vultu atque animo verbisque rotatis.
Adiuvat et clamor, multum ut videare disertus
Et nescire nihil multisque excellere doctis.
Quin diverticulis etiam consuesce paratis,
Si quando nihil est, quod dicas amplius, uti:
De morbis (puta) dic bellisque et fructibus arvi
Annonaque gravi pluviisque et grandine. Famam
Quamcunque audisti, narra mirasque novarum
Historias rerum nec non prognostica densa.
Et cui deesse queat vel longa oratio laeso?
Tales mente locos retine nugasque popello,
Si quando in sacris haeres, narrare memento.
Proderit hoc etiam, ne infans mutusque puteris,
Sed longè ingenio praestare ac omnia nosse
Teque etiam nullo, ut reliquos, errore teneri,
Si saepe haereticos clames damnesque potenter
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Auch ein vielleicht unbegründeter Ruf wird ja Nutzen bringen und
dafür sprechen, daß du eines geistlichen Amtes würdig seist. Führe
kecke Reden, gib dich hochmütig, entferne von deinem Gesicht
vollständig jede Scham, schweige niemals oder halte nie mitten in
der Rede inne! Sprich ununterbrochen, so daß das eine Wort kaum dem
nächsten zu weichen vermag! Die Fülle der Themen und Worte mag
überschäumen! Dies zu leisten, kostet niemanden große Mühe.
Bemerkst du nicht, daß ein einziges Steinchen im geschüttelten
Kasten mehr klappert als dreihundert oder tausend? Was dir an
Gelehrsamkeit fehlt, das ersetze getrost mit einer dreisten Miene,
mit keckem Mut und einem Wirbel von Worten! Auch lautes Schreien
hilft dir dabei, den Anschein zu erwecken, du seist von großer
Beredsamkeit, wissest alles und übertrumpftest viele Gelehrte. Ja
gewöhne dich auch daran, vorbereitete Seitenwege zu benutzen, wenn
es für dich nichts weiter zu reden gibt! Sprich zum Beispiel von
Krankheiten, Kriegen und Feldfrüchten, schwerer Teuerung, Regen und
Hagel! Erzähle jedes Gerücht, das dir zu Ohren gekommen ist, sowie
erstaunliche Geschichten von jüngsten Ereignissen, und sprich
natürlich auch von dicht aufeinanderfolgenden Himmelszeichen! Und
wer sollte nicht auch imstande sein, eine sogar recht lange Rede zu
halten, wenn er gekränkt worden ist? Behalte solche Themen im Kopf
und versäume nicht, falls du einmal bei geistlichen Ausführungen
ins Stocken kommst, dem Volk Possen zu erzählen! Dazu, daß man dich
nicht für unberedt und stumm hält, sondern von dir meint, deine
Begabung sei weit überdurchschnittlich, du wissest alles und seist
auch, anders als die übrigen, in keinem Irrtum befangen – dazu wird
auch Folgendes von Nutzen sein: Bezeichne oftmals Leute lautstark
als Ketzer und verdamme sie kräftig,
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<56> Svermerosque sones sine fine nihilque loquaris
Novisse insanos illos, sed turpiter usque
Errare in sacris signis Christoque fideque.
Nec refert, an, quid doceant, cognoveris unquam,
Scriptisve aut meliore queas subvertere sensu,
An solum alterius studeas colludere sectae.
Hoc etiam moneo, quaedam resonantia captes
Et quae cum magno volvant ut pondere verba,
Ut sunt: Concilia et Patres, Ecclesia, Verbum,
Testamentum, Error, Sacramentum atque Papistae,
Maiestas, Elementum, Infernus, Gratia, Reges,
Haeresis atque Salus, Satanarum millia centum,
Spiritus et permulta huius sat nota farinae.
Haec si horrenda tuens magnoque effaris hiatu,
Crede mihi, magnum est habitura oratio pondus.
Magnus eris valde, doctusque videbere vulgo
Cunctaque, quae veteres et quae scripsere novelli,
Aque hominum captu solus novisse remota.
Quare hac, ô iuvenis, gradere! Haec praecepta revolve,
Absque labore omni fastigia summa prehendes,
Sicut et à multis aliis comprensa videmus.
Dicam plura aliàs, iam nulla mihi ocia restant.
LIBRI PRIMI finis.
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nenne sie andauernd Schwärmer und rede unablässig davon, daß
jene Narren keine Ahnung hätten, sondern in den Sakramenten, in
Christus und im Glauben immerfort schmählich irrten. Es tut nichts
zur Sache, ob du das, was sie lehren, jemals zur Kenntnis genommen
hast oder es durch Schriften oder bessere Einsicht umzustürzen
vermagst – oder ob du nur der Glaubensgemeinschaft eines anderen
einen Streich zu spielen trachtest. Und auch hierzu rate ich dir:
greife nach gewissen Wörtern, die einen Widerhall haben und sich
wie mit einem schweren Gewicht beladen daherwälzen, als da sind:
Konzilien, Väter, Kirche, Wort, Testament, Irrtum, Sakrament,
Papisten, Majestät, Element, Hölle, Gnade, Könige, Ketzerei, Heil,
hunderttausend Teufel, Geist – und noch sehr viele von dieser
Sorte, die hinreichend bekannt sind. Glaub mir: wenn du diese
Wörter mit schrecklichem Blick und weit geöffnetem Mund
aussprichst, wird deine Rede großes Gewicht erhalten. Du wirst ein
überaus bedeutender Mann sein und beim Volk für gelehrt gelten, und
es wird den Anschein haben, als wissest du allein alles, was die
älteren und neueren Autoren geschrieben haben und was jenseits der
menschlichen Fassungskraft liegt. Beschreite deshalb diesen Weg, o
Jüngling! Bewege diese Lehren in deinem Herzen, und du wirst ohne
jede Mühe die höchsten Gipfel erreichen, so wie sie viele andere –
man sieht’s – schon erreicht haben. Ein andermal mehr! Im
Augenblick fehlt mir die Muße.
Ende des ersten Buches
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[23] quib. [24]
Aenaeas [25] inperiis [26]
qnicquam [27] re [28] Atque
[29] Dictami [30]
unà
Letzte Änderung:
07.04.2009
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