Frischlin, Nikodemus (1547-1590)
Leben: Geboren am 22.9.1547 in Balingen/Württemberg; Schüler evangelischer Klosterschulen und Stipendiat des Tübinger Stifts. 1568 Professor der Poetik und Geschichte in Tübingen und Eheschließung mit Margarethe Brenz. Feindschaft mit Tübinger Kollegen, vor allem dem Gräzisten Martin Crusius; von Herzog Ludwig von Württemberg anerkannt und von Kaiser Rudolph II. geehrt (1576 Poeta laureatus, 1577 Comes Palatinus). Wegen einer adelskritischen lateinischen Rede (gedruckt 1580) angegriffen, ging F. 1582 als Schulrektor nach Laibach (Ljubljana, Slowenien). 1584/85 zur Herausgabe seiner Werke in Straßburg. Nach Wiederannäherung an den Stuttgarter Hof und die Tübinger Universität 1586 endgültiger Bruch. Der schon berühmte Autor kann nirgends Fuß fassen, weil er überall Konflikte erregt. 1590 wegen einer gegen den württembergischen Hof gerichteten Streitschrift verhaftet, stürzte er bei einem nächtlichen Fluchtversuch auf der Feste Hohenurach am 29.11.1590 zu Tode.
Werke (in Auswahl): Rebecca comoedia, Uraufführung und Erstausgabe 1576.- Susanna comoedia, Urauff. 1577, EA. 1578.- Priscianus vapulans, Urauff. 1578, EA. 1580.- Hildegardis Magna, Urauff. u. EA. 1579.- Phasma, Urauff. 1580, EA. 1592.- Dido tragoedia, Urauff. u. EA. 1581.- Venus tragoedia, Urauff. 1584.- Julius redivivus, Urauff. 1584, EA. 1585.- Operum poeticorum pars scenica, 1585 (²1587, ³1589, 14 postume Ausgaben).- Helvetio-Germani, 1589.- Operum poeticorum pars epica, 1598.- Operum poeticorum pars elegiaca, 1601.- Operum poeticorum pars paraphrastica, 1602.- Operum poeticorum paralipomena, 1610.- Außerdem lateinische Fazetien, Reden, Lehrbücher und Übersetzungen aus dem Griechischen, auch einige deutsche Dichtungen; vgl. außerdem: Delitiae Poetarum Germanorum Bd.3, S.342, - Karlsruher Virtueller Katalog, - VD 16.
Literatur (in Auswahl): Allgemeine Deutsche Biographie Bd.8, S.96-104 (Scherer), - Allgemeine Deutsche Biographie Bd.12, S.795 Korrektur, - Ersch/Gruber R.I, Bd.50, S.225-244 (Zacher), - Füssel S.613-625 (Schade), 577, - Neue Deutsche Biographie Bd.5, S.620f (Bebermeyer), - Killy Bd. 4, S. 37-39, - Füssel S. 613-625 (R.E. Schade), - P.G. Schmidt, Humanismus im deutschen Südwesten S. 265-288 (W. Kühlmann), - H. Röckelein, Casimir Bumiller: Nikodemus Frischlin : ... ein unruhig Poet ; 1547-1590, Balingen 1990 (= Veröffentlichungen des Stadtarchivs Balingen 2), - S. Holtz (Hg.): Nicodemus Frischlin (1547 - 1590); poetische und prosaische Praxis unter den Bedingungen des konfessionellen Zeitalters, 1999.
Zur vorliegenden Edition: Für das dramatische Werk Frischlins legen wir die erste Sammelausgabe (1585) zugrunde, die durch die Erstdrucke von Helvetio-Germani (1589) und Phasma (1592) ergänzt wird. Elschenbroich (N. Frischlin: Sämtliche Werke, hg. von A. Elschenbroich, red. bearb. von L. Mundt. Bd. 1, Teil 1, 1992) hat die Ausgabe von 1589 vorgezogen, was Kaminski zu Recht kritisiert. Daß Kaminski ihrerseits (N. Frischlin: Historisch-kritische Edition, Übersetzung, Kommentar. Hrsg., übers. u. komm. von N. Kaminski. Bd. 1, 1995) nicht die vom Autor überarbeitete und im Druck korrigierte Sammelausgabe von 1585, sondern die Erstausgaben der einzelnen Dramen zugrundelegt, überzeugt uns hingegen nicht. - Für die Werkteile Pars elegiaca und Pars epica wurde jeweils die erste Sammelausgabe benutzt, für das auf der Feste Hohenurach entstandene Epos Hebraeis die Erstausgabe.
Aspekte des poetischen Werks: Von Frischlins weitgespannter Produktion wurden bisher neben den für die Konflikte seines Lebens entscheidenden Schriften vor allem seine Dramen rezipiert, die als Schullektüre weite Verbreitung fanden. Sein dramatischer Stil folgt hauptsächlich dem Schulautor Terenz. Nach zwei biblischen Frauengestalten (Rebecca, Susanna) stellte er in Hildegardis Magna die zu Unrecht der Untreue verdächtigte Gemahlin Karls d. Gr. auf die Bühne. Auf das Lateinstudium sind die Komödie vom mißhandelten Grammatiklehrer (Priscianus vapulans) und die Dramatisierung klassischer epischer und historiographischer Texte (Tragödien Dido und Venus nach Vergils Aeneis, Helvetio-Germani nach Cäsars Bellum Gallicum, Buch 1) bezogen. Zeitgeschichtliche Thematik dominiert in den Komödien Phasma (über Religionsstreitigkeiten) und Julius redivivus (über den hohen Stand der Zivilisation in Deutschland). In den noch wenig erforschten epischen und elegischen Werkteilen dürften die biographischen und zeitgeschichtlichen Bezüge (Gelegenheitsgedichte, darunter umfangreiche Festdichtungen für den württembergischen Hof) sowie die kontroverstheologischen und konfessionspolitischen Positionen besonderes Interesse finden.